Eine hoffnungsvolle Unterseite

Portrait des Musikprojekts »The Boiler«, das im Kontext des Wiener »Transformer« entstand.

Was ist "The Boiler"?

"The Boiler" ist das Ablöseprojekt meines bisherigen Ein-Personenacts Ana Threat. Das ist manchmal ein etwas schwierig, weil mich viele meiner Freund*innen auch privat Ana / Threat nennen. Aber:  "Ana Threat" als Musikprogramm mit Gitarre und Schlagzeug ist jetzt nicht mehr so aktiv, statt dessen ist "The Boiler" die neue Ausdrucksform und das neue Etikett, wenn ich alleine auf einer Bühne auftrete.

Warum die Ablösung von "Ana Threat"?

Als "Ana Threat" habe ich mich seit 2011 (bzw. seit 2009 als Teil der "Happy Kids") sehr intensiv mit Garagen- /Protopunk, vor allem aus den 1960er/70er Jahren, beschäftigt. Und da bin ich gefühlsmäßig jetzt ein bisschen durch. Es war eine schöne Dekade, aber jetzt bin ich damit fertig. 2016 kam nach vielen kleineren Veröffentlichungen dann das Ana Threat Debutalbum “Cold Lve”(siehe Versorgerin #112), das ich damals schon als eine Art Trennungsalbum verstanden habe: zum einen hat sich mein damaliges Label "Totally Wired", auf dem das Album hätte erscheinen sollen, aufgelöst, zum anderen haben mein Happy Kids Kollege Al Bird Dirt und ich unsere Zusammenarbeit in diesem Jahr endgültig beendet. Das war ein guter Zeitpunkt, zu überlegen, was nach Ana Threat kommen könnte. Ich habe zwar noch zwei Threat Singles auf Tape bei House Books veröffentlich, die aber schon als Split mit The Boiler – ein Split-Tape mit mir selber an der Schwelle des Übertritts von der einen in die nächste Inkarnation, das hab ich lustig gefunden.

Unter welchen Umständen trat "The Boiler" dann in Erscheinung und wo kommt der Name her?

Ich wurde für Mai 2017 von Andi Fettkakao (von "Fettkakao Records") eingeladen, als "Ana Threat" im Rahmen einer Serie kleiner Konzerte zu spielen, die er für die SSTR6, ein mini kleines DIY Community Center im 4. Bezirk, kuratiert hat.
Mir ist dieser Raum sehr nah und sehr wichtig, da dort eine lose Gruppe von Kulturarbeitenden aktiv ist, die seit ca 2012 unter dem Namen “Transformer” miteinander wirkt –der tolle Vinylograph von Natascha Muhić und Christoph Freidhöfer und auch der Tape-O-Mat von Michi Giebl stehen zB dort. Da ich den ganzen Winter über sehr viel als Ana Threat dort gewirkt hatte, wollte ich für den Mai-Termin was anderes machen und habe überlegt, was für lange ungespielte Instrumente noch bei mir herumliegen. Das war dann diese 25 kg schwere Philicorda – eine 1960er Heimorgel ohne Rhythmussektion, dafür mit eingebautem Spring-Reverb, die recht feierlich klingt. Mit der habe ich dann dort gespielt. Und zwar ein Jazz Standard ("I get along without you very well") neu verpackt als 30 minütiges Goth-Epos; mit Beats von einem 4-Spur Tapedeck, pitchcorrected Stimme und eben dieser extrem unheimlichen, schweren Orgel aus Sperrholz. Der Abend lief gut und ich hatte Bock auf Weitermachen, wollte aber einen anderen Namen für das neue Setup. Wenige Tage später hat mich dann Jack Halberstam bei einem Vortrag an der Musikuni (über “Auto Destructive Art and Sound”) an eine Nummer von Rhoda Dakar with the Special AKA erinnert, die mir als 2Tone-Interessierte, selbst tief in misogyne Rape Culture verstrickte Jugendliche immer zu arg war und mich aber gerade deswegen nie ganz losgelassen hat: “The Boiler” eben, aus dem Jahr 1982, in der die Ich-Erzählerin eine Vergewaltigung bei einem Date schildert, und die im extrem viszeralen Schreien der Erzählerin/Dakars endet. Die Wieder-Vergegenwärtigung des überraschend heftigen Gefühls, das der Dakar-Song vor so langer Zeit in mir ausgelöst hat – Schrecken, Wut, Trauer, aber auch die grimmige Befriedigung zu wissen, dass es jetzt laut und draußen ist – hat mich dann veranlasst, den Titel für meinen neuen Act zu kapern.

Wie wichtig war der "Transformer" als sozialer Zusammenhang bei der Entstehung von "the Boiler"?

Ohne die Jahre, die ich im Transformer-Umfeld verbracht habe, gäbe es “The Boiler” nicht. Alle Kraft, so einen Act auf die Bühne zu stellen, ziehe ich aus dem Austausch mit Leuten, die DIY in sowas wie einer Community verwirklicht sehen wollen, in der Konkurrenz nicht wichtig ist, Kollaboration dafür aber schon. Kollaboration nicht nur in Sachen Ressourcen poolen, sondern auch in Sachen Unterstützung und Anerkennung ohne Leistungsnachweis.

Die musikalische Ästhetik von "The Boiler" unterscheidet sich stark von der von "Ana Threat" (keine Gitarren oder akustisches Schlagzeug) - liegt das im Entstehungszusammenhang des ersten Konzertes begründet?

"The Boiler" ist ein experimenteller elektronischer Act und "Ana Threat" war eine Rock 'n' Roll Band. Das hängt auch damit zusammen, dass sich meine eigenen Hörgewohnheiten in den letzten Jahren stark verschoben haben – ich höre aktuell viel mehr kaltes Synthwave-, Techno- und Metalzeug als jemals zuvor, und das manifestiert sich im Boiler.

Die Musik von "Ana Threat" hatte dagegen eher etwas fiebriges, etwas "vodoo-artiges".

Mit dem Begriff “Voodoo” - den ich früher auch sehr unkritisch verwendet habe - wäre ich mittlerweile etwas vorsichtiger, einfach weil es ihn in meinem Fall zu verwenden Cultural Appropriation ist. In der Art Garagenpunk, wie ich ihn betrieben habe, fehlt noch viel Bewusstsein für die rassistische Ladung von Begriffen, die im Europäischen subkulturellen Kontext gern als Synonym für die eigene “Wildheit” geclaimed werden. Da sind mir mittlerweile die Augen aufgegangen, und ich lehne solche Benennungspraxen ab.
Was das fiebrige, unruhige angeht: Bei "Ana Threat" geht es um Reduktion und Repetition als Stilmittel. Man kocht etwas ganz dick ein, mit ganz wenigen Zutaten. Die Unruhe ergibt sich daraus. Darüber hinaus war “Ana Threat” ein Scheiß-drauf-Act – es ging es um ein Gefühl von Unverwundbarkeit, von Sich-unverwundbar-machen, um ein Sich-einhüllen in das Repetitiven, damit einer nichts passieren kann, die Haut undurchdringlich wird und die Knochen unzerbrechlich. Bei "The Boiler" ist das jetzt ganz umgekehrt: Dabei geht es um radikale Vulnerabilität.

Um doch noch auf den Begriff  "Voodoo" zurückzukommen - dieses Comichafte, das Spiel mit Klischees, mit "Exploitation": Macht das nicht einen Unterschied, wenn bewusst damit gespielt wird?

Das hab ich mir früher gedacht, aber ich glaube, dass man aus der Rechnung nicht so einfach rauskommt. Ich würde das heute nicht mehr so machen - aus einem Privileg heraus zu schauen, wie man mit diesen Exploitation-Sachen "spielen" kann. Das habe ich lange Zeit versucht, aber ich glaube, dass das eine Politik ist, die einfach nicht aufgeht.
Damit bin ich auch fertig - es gibt bessere Wege, nach Befreiung und Potentialität zu suchen.

Wenn für "Ana Threat" das passende Adjektiv "fiebrig" war, passt bei "The Boiler" dann "kühl"? Die Musik wirkt allein aufgrund der Klangästhetik viel distanzierter, weniger getrieben.

Hinter "The Boiler" steht ein anderes Mindset – der Act und vor allem das Album ist zu einer Zeit entstanden, in der es mir richtig schlecht gegangen ist, ich hatte Probleme mit einer Angststörung und Depressionen. Ich war auch zu “Ana Threat” Zeiten nicht immer nur stabil, aber da war mein Umgang damit eher der einer Verweigerung und Austreibung. "The Boiler" ist dagegen ein komplettes Einlassen auf so etwas wie Angst oder Hoffnungslosigkeit. Da geht es um ein Bewusstsein von Verfall und Zerstörung. Ein paar Sachen habe ich mir vom Ana Threat Act mitgenommen - das mit der Wiederholung, oder dass es ab und zu so hymnenhafte Sachen gibt mit Refrains die sich ewig wiederholen, wo man sich auch wieder bis ins Fieber reinsteigern kann. Im Ganze ist The Boiler aber hoffnungsloser, wenn man so will.

Leiblichkeit ist ein textlich starkes Thema bei "The Boiler" -  musikalisch kommt das aber sehr distanziert daher.

Das ist vielleicht genau der Schritt von der Comichaftigkeit und Zappeligkeit bei "Ana Threat", die diese generelle Vulnerabilität als lebendes Ding abwenden wollte, hin zur Akzeptanz bei “The Boiler”, dass Leben heißt, auf die Welt zu kommen als ein Wesen, das alt wird und stirbt. Mich hat interessiert, wie sich eine solche Gewissheit in elektronische (Tanz)Musik übersetzen lassen könnte. Dabei ging es mir aber weniger um so universalistische Einsichten à la "Wir müssen alle sterben", man sie teilweise aus der Philosophie kennt, sondern eher um eine Auseinandersetzung mit Körperlichkeit, Sterblichkeit und Verletzlichkeit im Zusammenhang mit sozial produzierten Hierarchien, solche von Körpern, die gegendert und sexualisiert und in Kategorien gepresst werden, in denen verschiedene Körper dann unterschiedlich viel wert sind. Damit hängen Fragen zusammen, wie "Wer hat Macht über welche Körper?", "Wie fühlt sich das an, von (sexualisierter) Gewalt betroffen zu sein?" Und aber auch, mit Foucault gedacht, wie (re-)produziere ich die gewaltvollen Verhältnisse immer wieder auch selbst mit, eben weil ich ein Subjekt in ihnen sein will/muss, in meinem Begehren wie in meinem Aufbegehren?

Die Übersetzung dieser Überlegungen zu Körperlichkeit in Musik ist die eine Ebene. Dann gibt es aber noch die Live-Performances, die das Ganze dann erneut verkörpern.

Da sind sich "Ana Threat" und "The Boiler" wieder sehr nah. In beiden setze ich meinen Körper stark als Instrument ein. Ich bewege mich intensiv, oft auch durch den Raum und durch das Publikum. Oft tue ich mir auch ein bisschen weh; ich schlag mir ein Knie auf oder falle zu hart auf die Schulter. Das sind auch so Übungen in der Verkörperung von Zuständen. 2-3 Abende hintereinander zu spielen, auf Tour zu gehen, ist sowohl mit “Ana Threat” als auch mit “The Boiler” ein bisschen eine Herausforderung.
Beide Shows sind körperlich und beschwörend - ein Unterschied ist vielleicht, dass "Ana Threat" live sehr katholisch daherkommt, ich zünde Kerzen und Räucherzeugs an und trage einen Schleier, das kann als stark ritualisierter Versuch gelesen werden, etwas Negatives abzuhalten oder etwas Schief gegangenes grade zu biegen. Der Boiler hingegen ist ein Hardcore Act, vielleicht sogar ein straight edge Harcore Act (lacht), komplett mit In-Alltagskleidung-auf-die-Bühne-gehen und sich brüllend aufführen, aber mit genauso ritualisierter Verzweiflung, etwas Lebendes vor dem unvermeidbaren Verfall zu verteidigen. Statt PMA hat der Boiler allerdings eine produktiv-fatalistische mental attitude. Und statt sich nach einer Youth Crew zu sehnen, geht es eher um die Suche nach einer Vergesellschaftungsform, in der es auch einen Platz für Leute gibt, die nicht unbedingt jung und leiwand und cool sind, nicht pausenlos "in the know" und in Kontrolle ihrer eigenen Umständen, nicht permanent am Optimieren des Selbst.  

Wie unterscheidet sich "Ana Threat" von "The Boiler" hinsichtlich der musikalischen Produktion? War "Ana Threat" da eher ein Ein-Personen-Unternehmen, während "The Boiler" kollaborativer arbeitet?

Das Ein-Personen-Unternehmen war in Wirklichkeit nur anfangs. Ich habe auch für “Ana Threat” immer wieder mit Leuten zusammengearbeitet, wenn es ums Aufnehmen und Produzieren gegangen ist, in den letzten Threat Jahren ganz besonders eng mit Florian Tremmel. Für das Album von “The Boiler” lagen Aufnahme und Produktion in den Händen von Mahk Rumbae (Antechamber/Codex Empire/Konstruktivists). Ich habe die Nummern geschrieben und performt, arrangiert haben wir oft gemeinsam. Auch in Bezug auf die Details in der Textur der Platte (z.b. bei den Stimmeffekten) haben wir viel gemeinsam herumgetüftelt.

Nocheinmal zu den Texten - die sind ja doch oft sehr düster und verzweifelt.

Ja. Dabei geht es aber nicht nur um eine persönliche Ebene, sondern auch um den Zustand der Welt, der politisch, sozial, ökologisch ein schlimmer ist. Was man aber unter der düsteren Oberfläche bei "The Boiler" nicht sieht, ist, dass dieses Projekt gerade von Zusammenhängen getragen ist, die mir in dieser vermeintlich ausweglosen Situation viel Kraft und Hoffnung geben: Soziale Zusammenhänge, in denen man sich gegenseitig stützt, wie der "Transformer" oder die “Signale” (siehe Versorgerin 120). Oder auch die queer_feministischen Kontexte, in denen ich mich bewege, in denen wir aufeinander aufpassen und uns Dinge und Gefühle zur Verfügung stellt, die sonst verkauft oder extrem privatisiert werden – elektronisches Equipment genauso wie uneingeschränkte, liebevolle Unterstützung.
"The Boiler" ist durch beides getragen: er speist sich aus dem Gefühl der Vereinzelung, aber auch aus den Versuchen, ein gemeinsames gutes Leben entstehen zu lassen. Allein in einen Körper gepackt ist wenig zu machen, wenn es nicht dieses Andere als Gegenüber gibt. Die Zeit ist für alle mehr oder weniger kurz und nur für sich selber Sachen anzuhäufen ist zu wenig. Das hat bei mir und meinen Freund*innen und Gefährt*innen den Wunsch geweckt, gute Dinge auf Schiene zu bringen in unserem unmittelbaren sozialen Umfeld. So auf der Suche nach ein paar utopischen Momenten des Zusammenlebens, die uns Kraft geben, uns zu wehren gegen die Angst und den Hass, die das Leben in einem kapitalistischen, rassistischen Nationalstaat mit sich bringt. Das ist vielleicht auch die versteckte Unterseite von „The Boiler“: Die Oberfläche ist ziemlich bleak, aber es gibt eine strahlende, hoffnungsvolle Unterseite.

Gerade weil vieles so hoffnungslos ist, muss man etwas tun - sind Textzeilen wie "No tears for the creature in the hide" dahingehend zu interpretieren?

Es geht darum, dass es irgendwie möglich sein könnte, diese ganzen negativen Gefühle dadurch abzufederen, indem man dort hingeht, wo sie anfangen: Nämlich im Austausch miteinander. Der muss weniger konkurrenzbehaftet und beurteilend werden. Sich allein zurückziehen und weinen muss auch manchmal sein, aber ich hole aus dem nicht so wahnsinnig viel Kraft. Mir hilft es mehr, mit Leuten zusammenzusein, bei denen ich merke, dass zwar alles Schlimm ist, wir uns aber nicht gegenseitig vor den Bus werfen.

Das Problem ist also, dass auch die Leute, die die Vereinzelung im neoliberalen Regime kritisieren, darin feststecken, weil es diese Orte kaum mehr gibt, in denen man sich gegenseitig unterstützen kann?

Gerade auch - wenn man so will - in Musikzusammenhängen oder den "Szenen". Das kann auch ein sehr harscher Platz sein, wo es wirklich darum geht, wer die meiste Aufmerksamkeit bekommt, wer gerade der "heißeste Scheiß" ist.
Das ist etwas, von dem mir und anderen Leuten - vor allem in Transformer-Zusammenhängen - in den letzten Jahren aufgefallen ist, dass uns das nicht wirklich gut tut. Da gibt es wirklich ein Interesse, aktiv dagegen anzugehen und sich auf eine gewisse Art und Weise zu verkollektivieren. Dieser komische Verknappungsdiskurs, wonach wenn jemand Aufmerksamkeit bekommt, sie jemand anders verlieren muss, totaler Scheiß ist. Im "Transformer" wird das praktiziert, bei vielen DIY-Labels, bei denen ich mit verschiedensten Projekten veröffentlicht habe und auch explizit im linken Musiker*innenrat-Netzwerk. Das ist kein exklusiver Freundschaftsring, sondern tatsächlich eine Einladung an viele, die man vielleicht noch nicht kennt. Da macht man sich natürlich extrem angreifbar und verletztlich.
Damit wären wir wieder bei einem der Themen von "The Boiler": Es ist vielleicht leichter, wenn einem alles egal ist - wie einer Garagenpunk-Comicfigur, die zu cool für alles ist und sich alles erlauben kann. Schwieriger ist es, sich auseinanderzusetzen - und nicht nur als Einzelperson, oder als "verletzliche Singer-Songwriterin", die nur die eigene Biographie im Sinn hat à la "Blahblah..meine Liebesbeziehung". Das ist nicht das, wo ich hinwill und darum ist es auch für mich schwierig, biographisch über meine Werke zu sprechen, obwohl es sich nicht vermeiden lässt. Es geht darum, als verschiedenste Akteur*innen zu sagen, dass wir grundsätzlich verletzlich sind, aber manche von uns besser geschützt sind als andere. Manche von uns haben eine Versicherung und einen Pass, eine weiße Haut, einen als “gesund” empfundenen Körper - was die Wahrscheinlichkeit von Verletzung oft drastisch reduziert. Grundsätzlich sind wir aber alle verletzlich und wenn ich das weiss, ist es leichter, miteinander zu kooperieren, als ob ich die ganze Zeit so tue, als ob das nicht so wäre und gleichzeitig die Verletzlichkeit der anderen abstreite.

Es gabe schon Konzerte ausserhalb des Entstehungszusammenhanges von "The Boiler", in dem die Idee dahinter den Leuten bewusst ist. Kommt da rüber, worum es geht, oder ist das halt dann einfach ein Konzert ?

Mir das mit noch mit keinem Act passiert, dass nach einem Konzert Leute, die mich nicht kennen zu mir kommen und mir ur intime Sachen sagen - dass sie körperlich bewegt waren von dem Konzert, dass sie weinen mussten oder sowas. Ich glaube schon, dass "The Boiler" irgendeine Kommunikationsform gefunden hat, in der sich überträgt, wo das alles herkommt. Es ist auf der Oberfläche ja nicht alles einsichtig, worüber ich da jetzt rede - dass es aus einer Community kommt, dass es eigentlich ein "Hardcore"-Act ist, dass ziemlich viel persönliche Reflexion über meine frühere Praxis und was ich nicht mehr so machen würde einfließt und auch wie es meinen Körper fordert, betrauert, aber auch befreit. Das scheint sich trotzdem zu übertragen in etwas, das über die Lyrics hinausgeht, und da bin ich eigentlich ganz froh. Darum spiel ich das ganz gerne, obwohl es mich schon fordert.

Dennoch muss "The Boiler" etablierten musikalischen und aufführungspraktischen Konventionen gerecht werden.

Damit habe ich weniger ein Problem - ich bin keine Anhängerin des Avantgarde-Begriffs, weil der auch so teleologisch ist und immer impliziert, dass Andere zurückgelassen werden und eine ausgesuchte Handvoll Künstler*innen gescheiter ist als der Rest. Ich finde es schon cool, mit dem Vokabular, das mir zur Verfügung steht, einen Weg bauen zu können, der andere einlädt, ihn auch zu gehen.

Das ist also die Herausforderung, das bestehende Vokabular zur Formulierung von Ideen zu verwenden, die über das hinausgehen, was es schon gibt.

Ich glaube, dass meine Ideen gar nicht so weit über das hinausgehen, was andere Leute sich auch denken. Ich glaube, dass viel eher ein Potential darin ist, über Sachen nachzudenken, die andere Leute auch interessieren. Ich will mich ja nicht vereinzeln und zu einem Genie stilisieren. Mir bedeutet es sehr viel, wenn sich zeigt, dass es Bedürfnisse und Begehren im Werken von Leuten in meiner Umgebung gibt, die mit meinen Bedürfnissen und Begehren korrespondieren, auf die ich mich einlassen kann, die es erlauben, dass wir uns vielleicht aneinander reiben, aber auch gegenseitig ein Stück tragen. Das ist dann so eine konsensuelle Form der Verwirklichung von etwas, das fehlt.

Es geht bei "The Boiler" aber nicht darum, auch als Kollektiv auf der Bühne aufzutreten?

Das ist in meinem Umfeld ("Transformer", "Cut Surface", Fettkakao, etc.) nicht so wichtig, weil alle Leute so viel und alles mögliche machen. Alle produzieren Einzeln und als Gruppe, kollaborieren und mischen sich gegenseitig, schreiben sich die Pressetexte, kommen gegenseitig zu den Konzerten. "The Boiler" ist eine Äußerung von vielen in diesem ganzen Pool - sie passt ganz gut rein, sticht nicht heraus, aber geht auch nicht unter.

Wie schwierig ist es, diese Zusammenhänge aufrecht zu erhalten ? Man braucht ja Ressourcen, Infrastruktur, etc.

Es fließt schon Energie rein. Ich sehe und feiere die Arbeit von Leuten, die es sich zur Hauptaufgabe gemacht haben, z.b. Räume zu erschließen oder sich um Ort zu kümmern, an denen Treffen der Netzwerke, Konzerte ohne Geld, Bars ohne Konsumzwang stattfinden können, wie Natascha und Michi von der SSTR6, die sich da total bemühen. Das ist harte Arbeit. Ich bin dankbar, dass sie das machen.

Es gibt Leute, die pessimistisch sind und meinen, dass die Bedingungen immer schlechter werden.

Da bin ich weniger pessimistisch – Perspektiven à la “früher war alles besser” sind ja oft stark ans eigene Altern gebunden. Man sieht Räume sterben, die einem selber sehr wichtig waren. Das ist schon traurig - gleichzeitig kommt aber immer was nach. Allerdings gibt es auch Räume, für die es sich lohnt, zu kämpfen – und da sind die Bedingungen tatsächlich nicht immer sehr gut. Ich denke zB ans Moe im 17. Bezirk, das den Kampf gegen eine Hausverwaltung verloren hat. Die Leute arbeiten allerdings auch an anderer Stelle schon wieder weiter.

Gibt es eine Idee, wie es mit "The Boiler" weitergeht ?

Ich spiele jetzt einmal viel live - am 17. Mai zum Beispiel mit meiner Lieblings-Düsterdeutschpunk Kombo EA80 im Komma Esslingen. Vorher gibts eine Produktion am TQW von Veza María Fernández Ramos über die Heilige Teresa von Ávila, bei der ich Musik machen darf, dazwischen ein paar Shows mit meinen Mehr-Personen-Bands Schweiffels, Sektstress und Puke Puddle.

https://theboiler.bandcamp.com/
https://www.cutsurface.com/ 

Bild: Anna Püe
Bild: Tina Bauer