Der Jude unter den Staaten

Ein Rückblick auf Israels Militäraktion in Gaza von Stephan Grigat.

Der Antisemitismus versetzt Juden in eine ausweglose Situation. Dem reichen Juden wird sein Erfolg angekreidet, der arme als Schnorrer verachtet. Der Assimilant erscheint als heimtückischer Zersetzer des Volkskörpers, der Traditionsbewusste als anpassungsunfähiger Sonderling. Der sexuell Aktive gilt als Verderber und Verführer der Jugend, der Enthaltsame als impotenter Schwächling. Was auch immer Juden tun, sie liefern den Antisemiten stets nur neues Material zur Illustration ihres Wahns. Passt ein Verhalten einmal nicht in die projektive Bilderwelt des Antisemiten, wird es gerade dadurch integriert, dass in solch einem unerwarteten Agieren eine besondere Perfidie zwecks Verschleierung der wahren Absichten vermutet wird.
Ähnliches vollzieht sich in der aktuellen geopolitischen Reproduktion des Antisemitismus, dem Antizionismus, der das klassische Bild des geldgeilen, vergeistigten und wehrunfähigen jüdischen Luftmenschen durch jenes des alles niedertrampelnden, auf territoriale Expansion und völkische Homogenität setzenden Israeli ergänzt. Was auch immer Israel tut, es ist und bleibt in den Augen großer Teile der Weltöffentlichkeit Schuld an Elend und Zerstörung in der Region. Halten sich die israelische Armee und jüdisch-israelische Siedler im Gaza-Streifen auf, gelten sie als Besatzungsmacht. Ziehen sie sich zurück, errichten sie angeblich »das größte Gefängnis der Welt«. Reagiert Israel auf die permanenten Angriffe aus dem Gaza-Streifen mit Sanktionen oder wie Anfang des Jahres mit Gegenschlägen, dreht es an der »Gewaltspirale«, reagiert »unverhältnismäßig« oder setzt seine »Auslöschungspolitik« fort. Nimmt es den andauernden Raketenbeschuss tatenlos hin, wird das »zionistische Regime« in arabischen und iranischen Zeitungen als »zahnloser Papiertiger« verhöhnt, der nicht mal seine eigene Bevölkerung schützen könne.
Der Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen begann im Jahr 2000. Seit dem Abzug der israelischen Armee im Jahr 2005 ist er sprunghaft angestiegen. Er ist also keine Reaktion auf die Teilblockade des Gaza-Streifens seit Anfang 2008, sondern Ausdruck des permanenten Krieges gegen Israel, dem sich die Hamas verschrieben hat. Seit 2001 schlugen etwa 6000 Raketen und Granaten aus dem Gaza-Streifen auf israelischem Territorium ein. In den Wochen vor der aktuellen israelischen Militäraktion ist der Beschuss abermals sprunghaft angestiegen. Dass diesem bisher nur wenige Israelis zum Opfer gefallen sind und »nur« ein paar hundert verwundet wurden hat nichts mit den Intentionen jener Antisemiten zu tun, die diese Raketen bauen und mit dem Ziel abfeuern, völlig wahllos die Zivilbevölkerung Israels zu treffen. Die fehlende Zielgenauigkeit der Geschosse resultiert aus den Maßnahmen der israelischen Terrorbekämpfung. Auf Dauer werden diese allein die Weiterentwicklung der Raketen aber nicht verhindern. Schon in den letzten Monaten konnten die Terrorrackets die Reichweite ihrer Waffen deutlich erhöhen – mit tatkräftiger iranischer Unterstützung. Hätte Israel zur Jahreswende keine konsequenten Schritte gegen die Hamas gesetzt, wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die palästinensischen Moslembrüder über ein ähnliches Waffenarsenal verfügen würde wie der iranische Verbündete im Norden Israels: die Hisbollah.
Von der Hisbollah hat die Hamas auch die perfide Taktik übernommen, die eigene Bevölkerung als lebende Schutzschilde einzusetzen. Die militärischen Einrichtungen werden bewusst mitten in Wohngebieten platziert. Wenn Israel auf Grund der zu erwartenden zivilen Opfer vor Gegenschlägen zurückschreckt, kann die Hamas ungehindert mit ihrem Raketenterror fortfahren. Wenn Israel sich gezwungen sieht, dennoch gegen die Infrastruktur der Hamas vorzugehen und dabei Zivilisten zu Schaden kommen – umso besser für die Hamas, welche die letztlich von ihr zu verantwortenden Opfer benutzt, um die israelische Armee ein ums andere mal der Weltöffentlichkeit als »Kindermörder« vorzuführen. In den vergangenen Wochen mochte die Hamas über diese Taktik nicht allzu offen sprechen. Doch im Februar 2008 rühmte der Hamas-Abgeordnete Omar Fathi Hamad das palästinensische Volk öffentlich dafür, dass es »Frauen, Kinder und alte Leute in menschliche Schutzschilde verwandelt hat.«
Zur Beurteilung der israelischen Militäraktion in Gaza gilt es sich in Erinnerung zu rufen, dass die Hamas keine Organisation ist, die einen wie auch immer gearteten Kompromiss oder Ausgleich mit Israel anstrebt. Sie kämpft nicht für einen palästinensischen Staat an der Seite, sondern an der Stelle Israels. Wenn ihre Führer von »Frieden« sprechen, so meinen sie einen Frieden, der auf den Trümmern des israelischen Staates und den Leichen seiner jüdischen Bewohner gedeihen soll. Die Organisation propagiert ganz offenen Antisemitismus, etwa in ihrer Charta, dem bis heute gültigen Programm der Hamas, wo es im Artikel 7 unter anderem heißt: »Die Zeit wird nicht anbrechen, bevor nicht die Muslime die Juden bekämpfen und sie töten; bevor sich nicht die Juden hinter Felsen und Bäumen verstecken, welche ausrufen: Oh Muslim! Da ist ein Jude, der sich hinter mir versteckt; komm und töte ihn!« Und sie terrorisiert all jene Palästinenser, die sich ein friedliches Zusammenleben mit den Israelis wünschen oder sich nicht dem Tugendterror der Islamisten unterordnen wollen. Während der Kämpfe wurden mindestens 35 Palästinenser von der Hamas ermordet, 75 wurde in die Beine geschossen, anderen hat man die Gliedmaßen gebrochen, zahlreiche wurden gefoltert. Ob Israelis oder Palästinenser – wer langfristig an einer Deeskalation der Gewalt interessiert ist, wird die vom iranischen Regime unterstützte Hamas konsequent bekämpfen müssen.
Das Vorgehen Israels im Gaza-Streifen war eine traurige Notwendigkeit. Dennoch wurde es von großen Teilen der Weltöffentlichkeit nur als Ausdruck »zionistischer Herrschsucht« gesehen oder als unnötige Eskalation verurteilt. Die israelische Regierung konnte und kann sich aber von solch vorhersehbaren Reaktionen nicht das Handeln diktieren lassen. Zu Recht haben Außenministerin Tzipi Livni und Verteidigungsminister Ehud Barak klargestellt, dass der israelische Staat das Leben seiner Bürger mit den notwendigen Mitteln schützen und die erwartbare Kritik auch in Zukunft in Kauf nehmen wird. Beide haben die Weltöffentlichkeit wiederholt daran erinnerten, dass kein politischer Souverän auf Dauer den Beschuss seines Staatsgebietes tatenlos hinnehmen kann. Dass dies Israel aber zum Vorwurf gemacht wird liegt daran, dass dieser Souverän als eine Art Jude unter den Staaten fungiert, auf den die anderen Souveräne ihre eigene gewaltsame Konstitution projizieren, während keineswegs nur deklarierte Antizionisten an ihm ihre antizivilisatorischen Ressentiments ausagieren.
Von all dem wollen große Teile der Linken aber nichts wissen. Und so marschierten sie während des Gaza-Krieges in Wien, Linz und Innsbruck, in Paris, Berlin und London, in New York, Mexiko City und Caracas gemeinsam mit Islamisten zur Unterstützung des palästinensischen Volkskriegs, dessen einzige Perspektive die Verewigung des Mordens und die Auslöschung individueller Freiheit ist. Sie wetteiferten mit den islamischen Djihadisten sowie den eingeborenen Nazis darum, wer mit dem größten Fanatismus zur Vernichtung Israels aufruft. Die palästinensischen Unterstützer der Hamas haben damit genau jene Freunde, die sie auch verdient haben. Jene Menschen in den palästinensischen Gebieten aber, die den Aufstieg der Hamas schon immer gefürchtet haben und auch der Fatah noch nie viel abgewinnen konnten, haben bessere Freunde verdient als die, die in den vergangenen Monaten mal wieder am lautesten geschrieen haben, und die jederzeit bereit sind, die je individuelle Sehnsucht der Menschen nach Glück dem großen Ganzen des islamischen Djihad oder des palästinensischen Volkskriegs zu opfern.

Es gilt daran zu erinnern, dass sich in der heutigen globalen Auseinandersetzung hinter dem Ruf nach Frieden allzu oft die Mörder verschanzen. Eine Linke, die das nicht mehr ausspricht, verrät nicht nur die Aufklärung, sondern auch Karl Marx, der von der angeblichen ‚Religion des Friedens’ zu sagen wusste: »Der Koran und die auf ihm fußende muselmanische Gesetzgebung reduzieren Geographie und Ethnographie der verschiedenen Völker auf die einfache und bequeme Zweiteilung in Gläubige und Ungläubige. Der Islam ächtet die Nation der Ungläubigen und schafft einen Zustand permanenter Feindschaft zwischen Muselmanen und Ungläubigen.« Ginge es der Linken nicht um Kollektivismus und Gemeinschaftssinn, sondern ganz in der Tradition von Marx um die verwirklichte Freiheit des Individuums, das sich seiner gesellschaftlichen Konstitution bewusst ist, würde sie niemals unter Fahnen islamischer Terrorbanden wie der Hamas oder der Hisbollah zur Unterstützung der globalen Intifada aufmarschieren, sondern Israel in seinem verzweifelten Kampf gegen den islamischen Djihadismus mit ihren bescheidenen Mitteln unterstützen.

Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft an der Uni Wien und hat die Initiative www.stopthebomb.net mitinitiiert.
Er ist Mitherausgeber des Buches »Der Iran – Analyse einer islamischen Diktatur und ihrer europäischen Förderer« (Studienverlag 2008), Herausgeber von »Feindaufklärung und Reeducation. Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus« (ça ira 2006) und Autor von »Fetisch und Freiheit. Über die Rezeption der Marxschen Fetischkritik, die Emanzipation von Staat und Kapital und die Kritik des Antisemitismus« (ça ira 2007).