Die erste Abteilung in die ich Sie, werter Freund, führen will, ist eine österreichische Hauptabteilung, ich nenne sie »Superlativ und Versagen«. Wie Karl Kraus nachgewiesen hat, ist der Superlativ in der politischen Sphäre nichts anderes als das Eingeständnis der eigenen Tatenlosigkeit. Wenn man nur tätig wird, wenn der Status des Weltbesten winkt, kann man gleich die Hände in den Schoß legen und auch das Machbare nicht tun. So müssen Sie auch die Erklärungen des politischen Personals verstehen, wenn verkündet wird, Österreich müsse in kurzer Zeit das modernste Bildungssystem haben, die effizienteste Gesundheitsvorsorge, die privatisierteste Post oder wie SPÖ-Klubobmann Josef Cap über eine zu erstellende Sicherheitsdoktrin neulich sagte, Österreich müsse das sicherste und das lebenswerteste Land der Welt werden.
Sie werden nun einwenden, daß beides nicht steigerbar ist, entweder, man ist sicher oder unsicher, man kann nicht sicherer sein. Für das lebenswerte Leben gilt dasselbe – wobei ich dazu sage, daß dieses Wort historisch belastet ist, Herr Cap meinte wohl die Lebensqualität als er von lebenswert sprach. Lebenswertes Leben, Lebensqualität, Nazijargon oder Politikerkauderwelsch, das ist diesen Leuten einerlei. Selbstverständlich lügt Herr Cap nicht, er sagt nichts als die Wahrheit, die wahrste und reinste Wahrheit, die in keinster Weise davon ablenkt, daß das Gegenteil von dem Gesagten gemeint ist. Wer davon spricht, daß Österreich das sicherste und lebenswerteste Land der Welt werden muß, stimmt die Menschen darauf ein, daß sie künftig in unsicheren Verhältnissen ihr Auskommen finden müssen und daß die Frage, ob von der Norm abweichende Existenzformen noch ein lebenswertes Leben darstellen, sich von Neuem stellt. Das Wort »Sozialminister« bekommt in diesem Zusammenhang, es ist jener von sozialem Rassismus und eugenischer Politik, einen neuen, einen lebensbedrohlichen Klang.
Verehrter Dozent! Lassen Sie uns kurz in der nächsten Abteilung »Verscherbeln und Vergolden« vorbeischauen. Sicherlich haben auch Sie schon vom Sozialstaat gehört, auch wenn Sie ihn nicht brauchen, weil Sie eine Privatversicherung haben, die Sie im Bedarfsfall in ein Privatspital schickt, wo Sie dann von einem Privatarzt unter Verwendung öffentlicher Infrastruktur behandelt werden.
Lieber Freund! Der Sozialstaat, den wir kennen, ist ein Auslaufmodell. Die Zukunft gehört dem Hunnensturm. Ich weiß, Sie verbitten sich rassistische Äußerungen, aber ich verwende diesen Begriff bewußt. Ernst Jandl bemühte ihn in seinem »Deutschen Gedicht« aus den frühen sechziger Jahren. Immer wieder fordert er: »Sagt Hunnen! Sagt Hunnen!« wenn von Nazi die Rede ist. Jandl war ja in amerikanischer Kriegsgefangenschaft, die Lagerkommandanten bedachten die Nazi-Offiziere mit diesem Namen.
Ich erzähle im folgenden also vom modernen Hunnensturm. Ich erzähle von Kärnten.
Viele Jahre wetteiferte das Landeskrankenhaus Klagenfurt mit dem Landeskrankenhaus Graz um den Rang des größten Spitals in Österreichs Süden. Es wies zweitausend Angestellte, rund zweitausend Patienten und ein reichhaltiges Ensemble von Abteilungen auf, von denen einige, wie zum Beispiel die Kieferchirurgie, die Urologie oder die Schmerztherapie, zu den besten ihres Faches zählten. Auf dem weitläufigen Gelände zwischen dem Glan-Fluß und der inneren Stadt waren Pavillons aus unterschiedlichen Zeiten gruppiert, von Gründerzeitschlößchen bis zu den Plattenbauten der siebziger Jahre waren alle Baustile vertreten. Es gab eine Wäscherei, anstaltseigene Schlosser und Elektrikerbetriebe, eine formidable Gärtnerei, in der psychiatrische Patienten mitarbeiten konnten, und eine Bäckerei, die über das Spital hinaus Torten und Speisen in hervorragender Qualität und zu moderaten Preisen anbot. Das Arbeitsklima war gut, die Patienten waren zufrieden, das Krankenhaus war ein Vorzeigebetrieb.
In den neunziger Jahren wurden die Spitäler in eine Holding-Gesellschaft ausgelagert, die keinerlei demokratischer Kontrolle unterliegt. Betroffene und Experten, die an der Weiterentwicklung des Sozialstaats und nicht an dessen Scheitern interessiert waren, bezeichneten die Auslagerung als Vorbereitungs-handlung einer späteren Privatisierung. Von Haider und dessen Trabanten wurden Sie als verkalkte Verhinderer beschimpft.
In der Folge wurde die Infrastruktur des Spitalskomplexes systematisch ausgehöhlt und dem Verfall preisgegeben, bis es hieß, eine Renovierung sei zu teuer, ein neues Spital müsse her, das, anders geht es im superlativischen Österreich nicht, zu den modernsten Kliniken der Welt zählen werde. Also wurde die Glan verlegt, zu einem traurigen Kanal zurechtgestutzt und auf dem gewonnenen Areal wurde ein anthrazitgrauer Gebäudewurm hochgezogen, dessen Fenster sich bei Sonneneinstrahlung von selber verschatten und mehr an einen Campus für kirchliche Mißbrauchsopfer denn an ein Spital erinnert. Im Frühsommer 2010 wurde das »Wörthersee Klinikum«, so der hochtrabende Name, von Landeshauptmann und Bischof eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt war das Land Kärnten längst bankrott und die landesnahe Bank von der Republik notverstaatlicht. Die arbeitenden Menschen dürfen die Kärntner Voodoo-Ökonomie und den risikolosen Dividendenregen für Milliardäre nachträglich durch Steuererhöhungen und soziale Leistungseinschränkungen finanzieren. Kein verantwortlicher Politiker, der zurücktritt, an allem war nur der rasende Derwisch im VW-Phaeton schuld, der, je nach Erfordernis, als vom Himmel gefallene Sonne (Landeshauptmann Dörfler) oder verantwortlicher Politiker vor meiner Zeit (ebenfalls Dörfler) bezeichnet wird.
Im neuen Klinikum wird an allem gespart. Beim ärztlichen und pflegenden Personal, bei den Warteräumen der Patienten, ja selbst bei den Röntgenbetten wird gespart. In der Chirurgischen Ambulanz können letztere in der Höhe nicht verstellt werden, gehunfähige Patienten werden gebeten, auf das Bett hinaufzuhüpfen. Intensivmediziner sind nunmehr für achtzehn statt zwölf Intensivbetten verantwortlich. Andererseits wurden für Primarärzte Ordinationen innerhalb der Klinik eingerichtet, auf daß die Elitenmedizin für Privatversicherte unabhängig von Anfahrtswegen und Wartezeiten ablaufen kann.
Die Holding verfügte eine Reduktion der Patienten um ein Viertel, dies sollte aber nur ein erster Schritt sein. Auf die Einsparungen und Ausweitungen der Dienstzeiten reagierten die Beschäftigten mit Protest, viele entwickelten auch Burn Out-Syndrome, während eine Reihe leitender Oberärzte, die sich dem Willkürregime der Holding und ihrer berüchtigten Vorsitzenden, dem gesteigerten Arbeitsdruck sowie der Verschlechterung der medizinischen Qualität, nicht beugen wollten, in die Allgemeinmedizin flüchteten. Ihr Spezialwissen ging mit einem Schlag verloren, neu eingestellte Ärzte und Ärztinnen hatten keine andere Chance, als sich den neuen Bedingungen zu unterwerfen. Innerhalb weniger Monate war eine massive Dequalifizierung ärztlicher Arbeitskraft Realität geworden. Dazu ist zu sagen, daß in der Holding und dem Aufsichtsrat ausschließlich Parteigänger der Kärntner Freiheitlichen und der Kärntner Volkspartei sitzen. Sogar für den ehemaligen Sozialminister Haupt fand sich eine gut dotierte Pfründe.
Ein halbes Jahr nach Eröffnung des »Wörthersee Klinikums« bat in Klagenfurt eine Privatklinik zum Willkommenstrunk. Die Privatklinik mit dem sprechenden Namen »Humanomed« wirbt erfahrenes Ärztepersonal aus dem ramponierten Landeskrankenhaus ab. Anläßlich der Eröffnung meinte der Landeshauptmann, die Privatklinik stelle die Zukunft des Kärntner Gesundheitswesens dar. Der Mann sprach nicht die Unwahrheit, verehrter Herr Dozent! Vor wenigen Tagen wurde eine weitere Privatklinik im von Klagenfurt nicht weit entfernten Treibach-Althofen eröffnet. Der leitende Primar ist gleichzeitig Primar im »Klinikum Wörthersee«, für das harsche Einsparungen und eine weitere Reduktion der Patientenanzahl vorgesehen sind. Mittlerweile ist das Arbeitsklima im Spital vergiftet, innere Emigration, Konflikte und Proteste der Beschäftigten sind an der Tagesordnung. Führende Mitarbeiter, die sich dem Druck widersetzen, werden, wie der ärztliche Direktor Angrés – er solidarisierte sich mit dem Personal –, fristlos entlassen. Der folgende Arbeitsgerichtsprozeß endet zwar für die Holding mit einer Blamage, der Direktor muß in alle seine Rechte wiedereingesetzt werden, er verzichtet aber, sich weiter dieser Schlangengrube auszusetzen und quittiert den Dienst. Er habe einige Jahre in Afghanistan gearbeitet und sei einiges gewöhnt, aber gegen die bodenlose Niedertracht der Kärntner Hunnen seien die Taliban Ehrenmänner, ließ er zum Abschied verlauten. Die Holding hat ihr Ziel – den unbotmäßigen Mann zu entfernen – erreicht. Die Abfindungs- und Ersatzkosten trägt der Steuerzahler. Das fällt auch schon nicht mehr ins Gewicht, denn schon der laufende Betrieb des Klinikums wird durch einen Kredit bestritten, von der Rückzahlung der Finanzierungskosten ganz zu schweigen. Der Kredit stammt von der Hypo Alpe Adria. Der Selbstbedienungsbank der autokratisch regierenden Kärntner Freiheitlichen, geführt von Hunnen im Nadelstreif.
Wenn das Spital in ein paar Jahren endgültig seinen Versorgungsauftrag abgeschüttelt haben wird, schlägt die Stunde der Totalprivatisierer. Ein privater Krankenhausbetreiber, vielleicht jener, den wir schon kennen, wird das »Wörthersee Klinikum« übernehmen, die öffentliche Hand wird den Umstieg bezahlen, die Sozialversicherungsträger werden den Betrieb finanzieren, die medizinische Qualität wird sich verschlechtern, die Patienten werden in die Allgemeinpraxen abgedrängt oder werden ein Opfer der Freimedizin.
Sie wissen nicht, was die Freimedizin ist? Dem Patienten wird das Recht auf Freiheit von medizinischer Versorgung eingeräumt, ein Schritt zur bedingungslosen Selbstbestimmung, der Freiheit auf Nichtbehandlung, behandlungsloses Leiden und Sterben. In dieser Phase werden Scharlatane und Esoteriker aller Art ihren Schnitt machen. Sie sind jetzt schon die Abzocker in jenem Teil des Gesundheitswesens, der bereits privatisiert ist. Das, verehrter Dozent, nenne ich eine hunnische Vorgangsweise. Sie reicht weit in die Zukunft. Nicht lange, und andere Bundesländer werden dem Kärntner Beispiel folgen.
*) im Auftrag der VHS – Hietzing , Robert Streibel. Rede gehalten am 16. 3. 2011, Bezirksmuseum Hietzing.