Sexualität und Spiel werden in den frühesten Schriften nicht ohne Grund synonym verhandelt. Das ziellose, autoerotische Spiel des Kleinkindes mit dem eigenen Körper ist die Grundlage für die spätere Sexualität. Auch die experimentelle Suche nach Ersatzobjekten für erlittene Versagungen, insbesondere des Mutterleibes und der Mutterbrust, bleibt den Individuen erhalten.
Es ist daher logisch, dass Sexualität auch die Ebene des Computerspiels betrat. Kurios ist jedoch der cultural lag, der (außerhalb Japans) pornografische Spiele betrifft. Weder haben sie sich gesellschaftlich etabliert wie Partnerbörsen (Tinder, Okcupid, grindr, etc.) noch sind sie technologisch in ähnlicher Weise ausgereift wie ihre viel größeren Konkurrenten, die »konventionellen« Games. Das erstaunt insofern, als Games früh und notorisch exzessive Gewalt inkorporiert haben – bis hin zu ekelhaftesten Zombieslayern, aber Pornografie, die den Großteil des Internetverkehrs ausmacht, strikt meiden. Pornos wiederum sind akzeptiert, selbst BDSM wird in Bondage-Workshops an Universitäten gelehrt, und doch sind Porn Games von einer seltsamen, devianten Antiquiertheit geprägt und vom Investitionsrausch des großen Kapitals unerfasst geblieben. Sie wirken wie Karikaturen beider Elemente: Pornografie und Games.
Ökonomie und technologische Form
Porn Games hatten auf ihrem von Hybriden aus Literatur, Film und Bild geprägten Weg Vorläufer wie Leisure-Suit-Larry oder Cheatcodes für das Playstation-Spiel »Tombraider«, die Lara Croft nackt erscheinen ließen. Echte porn games scheiterten an Vermarktungshürden. Mit dem Web 2.0 entstanden kostenlose Flashgames, die auf vorhandene Genres (Puzzle, Point-and-Click, Shooter, Gambling) entweder japanischen Hentai mit simplen Animationen und Erzähltexten oder pornografische Fotos legten. Entworfen wurden sie von unabhängigen Kleinfirmen. Spielen war dabei Beiwerk der voyeuristischen Betätigung, nicht Zweck des Spiels. Die Titel sind wenig kryptisch: »Where is the Milk?«, »Hellbound Boobies«, »Meet and Fuck: Witch-hunt«.
Diese Hobbyproduktionen wurden auf Portalen wie Newsground und Gamcore gesammelt und in Charts hierarchisiert. In einer zweiten Welle sorgte diese Portalökonomie dafür, dass Spiele in Testversionen segmentiert und veröffentlicht wurden mit dem Ziel, in den Listen sichtbar zu bleiben und eine Finanzierung über die Crowdfunding-Plattform Patreon für die Fertigstellung zu erreichen. Diese Finanzierungsform hat jedoch nur marginale spieltechnische Innovationen oder Firmen hervorgebracht.[1] Werbung für angeblich hochwertige, kostenpflichtige Spiele ist weitgehend als Scam einzustufen. Eine neuere Erscheinung sind eine Flut von Sandbox-Spielen aus der Flashgame-Retorte mit 2D-Draufsichtkarten und schematisierten Spielfiguren im Legends-of-Zelda-Stil, die nur an bestimmten Spielabschnitten etwas aufwändiger grafisch ausgestaltete separate Instanzen und Sequenzen betreten. Insgesamt blieb der technische Status quo so stabil, dass sogenannte »Meet-and-Fuck-Games« wie »Lavindor Kingdom« von 2009 weiter in den Charts bleiben.
Spielinhalte
Frühe Spiele waren technisch meist »nipple-clicker«, also durch das Finden und Anklicken »erogener Zonen« auf einer minimal animierten Aufsicht eines weiblichen Torsos und einer Füllstandanzeige, einem »Lust-Thermometer« geprägt. Falsche Reihenfolgen werden mit dem Absacken des Füllstandes und empörten Unlustbekundungen (»I don’t like this!«, »No!«) beantwortet, dem Spielverlauf förderliches Vorgehen mit dem Freischalten weiterer Sequenzen bis zum stets gleichen Finale des Cumshots belohnt. Hände, Spielzeug und Penis erscheinen als Prothesen. Diese Puppenspielform der Sexualität ahmt die rituelle Eskalation sexueller Verführung nach und hat interessanterweise viel häufiger zivilisatorische Regulierungen des Triebes zur Grundlage als dessen sadistische Freisetzung. In der weiteren Entwicklung wurde die Interaktion psychologisch ausgefeilter, die Charaktere komplexer ausgestaltet, und die Animationen oder Grafiken professioneller. Aus den »nipple-clickers« wurden dadurch allerdings wieder »text-clickers«, die sich tendenziell an gebildete, lesewillige Konsument*innen richten.
Die Mehrheit der Spiele sind effektiv Psychoedukation des als unbeholfen oder ungeschickt vorgeführten männlichen Subjektes. Dieses soll in aller Regel weibliche Charaktere durch korrektes Durchführen eines eskalierenden Dialoges über mehrere Begegnungen hinweg verführen oder sich als weiblicher Charakter seriell verführen lassen. Charakteristisch für einen großen Teil dieser Spiele ist die Fokussierung auf Konsum und Selbstoptimierung: Der Nerd und Schwächling, wahlweise auch der schüchterne Heros macht sich durch höfliche Zurückhaltung, vor allem aber durch Steigerung seines »Swags« beliebt. Der daily grind der Angestelltenkultur wird mit Aufstieg, schicken Anzügen, Nobelrestaurants und letztlich Sex mit der Chefin oder Kollegin belohnt. Nicht wenige Spiele nehmen ausführlich weibliche Positionen ein, stellen sexuelle Belästigung bis hin zur Vergewaltigung kritisch und in traumatischer Konsequenz dar und thematisieren oder karikieren Diskriminierungen im Alltag von Frauen – allerdings in aller Regel unter dem Primat, männliche Schaulust an diesen Akten zu befriedigen. Die Inhalte reproduzieren Stereotypen weiblicher und männlicher Psychodramen und Charakterzüge, die allerdings nicht selten auch im Sinne einer emanzipierten, dominanten und über den eigenen Körper bestimmenden Weiblichkeit in Szene gesetzt werden. Slutshaming kommt in einigen Spielen vor allem durch feindliche NPC (Non-Player-Character) vor. Das übergreifend beworbene weibliche Ideal ist das von freizügiger, promisker, bisexueller und vor allem selbstbewusster und selbstbestimmter Libertinage, der sich Männer in ihrem Verhalten zwingend anpassen müssen. Explizit an reaktionären Konservativismus appellierende Spiele mit homophober Aussage oder Monogamie als Spielziel sind selten. Am untersten Rand einer erwartbar großen Skala befinden sich meist extrem misogyne »Bordell-Manager« und »Rape-Games«.
Interessant sind die seltenen Ausnahmen und Stilbrüche. Ein Beispiel dafür ist »Into the Forest«,[2] das von antifeudalen Parolen durchzogen ist. Der Protagonist läutet das Spiel mit den Worten ein: »Vor ein paar Jahren wurden Dutzende von dekadenten Aristokraten von einer siegreichen Freiheitsbewegung guillotiniert und ich war Teil dieser Bewegung. Ich habe niemanden geköpft, aber ich war froh, dass es passiert ist.« Die zentrale Frage, ob politischer Mord ein Mittel der Revolution werden darf, wird dadurch beantwortet, dass diese Morde notwendig sein können, aber die Revolutionäre zu korrumpieren drohen.
Ein weiteres Ausnahmespiel ist »Slave-Maker« mit einer über zahlreiche Charaktere ausgearbeiteten Philosophie der Befreiung von Zwängen durch Unterwerfung, durch die Sklaverei hindurch. Der an Lebenssimulationen wie »Princess Maker« ironisch angelehnte Inhalt zelebriert Amoralismus und Psychomanipulation von Menschen aller Geschlechter und Fabelwesen in die konsensuale, freiwillige sexuelle Sklaverei bei gleichzeitiger Optimierung ihres Marktwertes durch tägliche »Ausbildung«. Wie in anderen Libertinage-Games wird die manipulative Auslöschung des gesellschaftlich induzierten Schamgefühls von Frauen als Befreiung verkauft, und nicht als Identifikation mit demselben Aggressor erkannt, der im einen Fall versklavt, im anderen als »Dom« von Hemmungen »befreit«. Die in der »Dialektik der Aufklärung« an de Sade beschriebene Einheit von Sportifizierung, Liberalität und Sadomasochismus ist hier in Reinstform vorgeführt, bleibt aber so deutlich in der Karikatur, dass eine Ansteckung schwer denkbar erscheint. Das sehr leseintensive und romanhaft ausgestaltete Spiel enthält eine der japanischen Eroge angelehnte sexualliberale Integration von Homosexualität, Hermaphrodismus und Intersexualität als wählbare Option für Spielende und NPC, Sodomie mit Fabel- und insbesondere Tentakelwesen.
Sadomasochismus
Porn-Games treten nicht an die Stelle extrem fetischistischer Filme, sondern suchen ihr Publikum eher im Bereich der gesellschaftlich akzeptierten Sexualpraktiken, die dann allerdings in Form und Frequenz manieristisch übersteigert werden. Ein grundsätzlicher Irrtum über fetischistische Sexualität wäre, das Begehren von Fetischen schon als fetischistisch zu verstehen. Lederhosen, Stöckelschuhe oder Nylonstrumpfhosen sind Fetische, ihr Genuss ist aber nur dann als fetischistisch zu bezeichnen, wenn eine Fixierung aus den Fetischen das bevorzugte oder einzige Sexualziel macht. Die Erregung über sadomasochistische Fetische wie Bondage oder Flagellation ist nicht schon der Sadomasochismus als Fetischismus und die verbreiteten aktiven und passiven Vergewaltigungsphantasien von Frauen und Männern sind nicht der echte Wille zur Vergewaltigung. Das verbreitete Missverständnis darüber hat vermutlich mit dazu beigetragen, porn games in einer technologischen Enklave zu halten. Weil die Spielebene eine Linderung der Schamangst anbietet, die für die sadomasochistische Beziehung eine wesentliche Rolle spielt, gerät sie selbst in den Verdacht, dem Sadismus zuzuspielen. Durch Manipulation, Fesselung und Fixierung vergeht die Angst des Sadisten vor Kränkung und Wertverlust. Der niedrige Wert des Objekts hebt den eigenen Wert, dessen minimierte Kraft stellt keine Gefahr mehr für den Phallus dar. Durch diese Abhängigkeit vom Objekt entsteht aber die Ambivalenz der sadomasochistischen Beziehung, in der die masochistische Perspektive die mächtigere, manipulativere werden kann. Gerade in patriarchaler Kultur blüht die masochistische Aufopferung des Mannes für die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse »schöner« Frauen bis hin zur vollständigen Aufgabe sexueller Freiheit, (Monogamie) Freizeit (Arbeit, Kinder) und Leben (Krieg). Porn Games illustrieren dieses Verhältnis, gestalten es aus, reproduzieren bestehende Bandbreiten der Reflexion über Sexualität und insbesondere Sadomasochismus, gehen aber weder im Positiven noch im Negativen über bestehende Formen der Pornografie hinaus.