Die Außenpolitik des iranischen Regimes war von Beginn an durch eine Gleichzeitigkeit von Pragmatismus und Vernichtungswahn gekennzeichnet. Diese ermöglicht es westlichen Kommentatoren bis heute, die Vernichtungsfantasien gegenüber Israel regelmäßig durch den Hinweis auf Ersteren zu verharmlosen und zu ignorieren, dass bei den Drohungen gegenüber dem jüdischen Staat »Pragmatismus« lediglich darin bestehen kann, den aus der Sicht Teherans richtigen Zeitpunkt für die Offensive abzuwarten.
An den Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel hat sich entgegen der westlichen Berichterstattung unter dem dauerlächelnden Präsidenten Hassan Rohani ebenso wenig geändert wie an der Leugnung und Relativierung des Holocaust: Die Ankündigung des Befehlshabers der Revolutionswächter, Mohammed Ali Jafari, der jüdische Staat würde vernichtet werden, wenn die USA und Frankreich in Syrien militärisch intervenieren sollten, brachte die antisemitische Logik des iranischen Regimes nochmals für die ganze Welt sicht- und hörbar auf den Punkt – und wurde zum wiederholten Male achselzuckend zur Kenntnis genommen. Am 22. September nahm Rohani in Teheran so wie sein Vorgänger die jährliche Militärparade ab, bei der auf einem Transparent vor den stolz präsentierten Shahab-3-Raketen, die schon heute Tel Aviv erreichen können, die unmissverständliche Forderung prangte, Israel müsse »aufhören zu existieren«. Nur wenige Tage vor Beginn der neuen Verhandlungsrunde mit dem iranischen Regime in Genf rief der Oberste Geistliche Früher Ali Khamenei abermals zur »liberation of Palestine« auf und markierte das »criminal Zionist network« neben den USA als »main enemy«. Während sich ÖVP-Außenstaatssekretär Reinhold Lopatka Anfang November zu Gesprächen in Teheran aufhielt und dem Regime neue Legitimität verlieh, nahm Khamenei Israel als »illegitimes Bastard-Regime« ins Visier.
Auf seiner offiziellen englischsprachigen Website fabuliert Khamenei bis heute über »the myth of the massacre of Jews known as the holocaust«. Rohani mag sich nicht so genau festlegen und kreiert eine Art ‚moderater Holocaustleugnung’: Auf die Frage, ob die Shoah ein »Mythos« sei, erwiderte er im Interview mit NBC lediglich, er sei kein Historiker und könne daher zur »Dimension historischer Ereignisse« nichts sagen. Bei seinem Außenminister klingt die vermeintliche Mäßigung so: »Wir verurteilen das von den Nazis verübte Massaker an den Juden. Und wir verurteilen das von den Zionisten verübte Massaker an den Palästinensern« – was ihm absurderweise in fast der ganzen Welt als Bruch mit Ahmadinejads Formulierungen und als großherzige Anerkennung jüdischen Leids ausgelegt wurde.
Die Gleichsetzung der zum »Massaker« verharmlosten Shoah mit der Politik Israels gegenüber den Palästinensern müsste selbst nach der EU-Arbeitsdefinition als blanker Antisemitismus gelten, wurde von westlichen Beobachtern aber allen Ernstes als »wichtiges Signal«, »großer Fortschritt« und »hoffnungsfrohes Zeichen« gewertet.
Maslahat & »strategische Vision«
Einerseits ist die Verpflichtung zu einer »revolutionären Außenpolitik« in der Verfassung der »Islamischen Republik« festgeschrieben. Die Gültigkeit der Verfassung reicht im Verständnis des schiitischen Islamismus über die staatlichen Grenzen Irans hinaus, womit der globale Herrschaftsanspruch der khomenistischen Ideologie deutlich dokumentiert ist. Bei einer wortgetreuen Auslegung der eigenen Verfassung bliebe dem Regime nichts anderes übrig, als durchgängig eine aktivistische, ausschließlich dem revolutionären politischen Islam verpflichtete Außenpolitik zu betreiben.
Andererseits wird gerade in Diskussionen über außenpolitische Themen die Verpflichtung zum Gehorsam selbst gegenüber dem Obersten Geistlichen Führer explizit aufgehoben, um die Vermittlung von Ideologie und Pragmatismus bestmöglich gewährleisten zu können. Die Ergebnisse davon können in den Publikationen iranischer Think Tanks wie dem Institute for Middle East Strategic Studies nachgelesen werden, in denen im Rahmen der Ideologie der »Islamischen Republik« mitunter stark divergierende Positionen zu Fragen der internationalen Politik vertreten werden.
Als Ajatollah Ruhollah Khomeini 1979 im Iran die Macht übernahm, hatte er eine sehr puristische Vorstellung von Außenpolitik, deren Ausrichtung allein schon durch einen der ersten prominenten Besucher des neuen Regimes dokumentiert wurde: Jassir Arafat, der in einer feierlichen Zeremonie die Schlüssel der ehemaligen israelischen Botschaft in Teheran überreicht bekam, nachdem fast alle späteren Führungsoffiziere der Revolutionswächter ihre erste militärische Ausbildung in PLO-Camps im Südlibanon erhalten hatten. Wäre es nach Khomeinis Wünschen gegangen, hätte sein Credo, die islamische Revolution sei »weder westlich noch östlich« auch in der Gestaltung der Außenbeziehungen der neu gegründeten »Islamische Republik« gegolten. Doch selbst ein Eiferer wie Khomeini musste den Bedingungen, unter denen sich das Regime im ersten Jahrzehnt seines Bestehens zu behaupten hatte, Tribut zollen. Auch wenn er noch kurz vor seinem Tod seine Nachfolger davor warnte, sich mit dem »atheistischen Osten« oder dem »unterdrückerischen Westen« einzulassen, hatte Iran doch schon zu seinen Lebzeiten gute Wirtschaftskontakte zu mehreren westeuropäischen Staaten und enge Beziehungen zu einem der wichtigsten »östlichen« Länder aufgebaut: der Volksrepublik China. Die Feindschaft gegen Israel und die USA blieb davon jedoch völlig unberührt.
In der aktuellen Situation stellen sich viele Beobachter abermals die Frage, inwiefern der politische Pragmatismus das revolutionäre Ziel tangiert, ob also das in der Ideologie der iranischen Islamisten stets als Prinzip anerkannte maslahat (eine Zweckdienlichkeit jenseits aller ideologischen Bedenken und Zielsetzungen) jemals eine Absage an den inhaltlichen Kern der Ideologie bedeuten kann. Selbst jene Iran-Experten, die trotz ihrer vergleichsweise nüchternen und realistischen Sicht auf das Regime gegen ein konsequentes Vorgehen gegen die Teheraner Machthaber sind und sich für Gespräche mit den Ajatollahs einsetzen, räumen ein, dass davon keine Rede sein kann. Maslahat bedeutet »nicht die Überwindung der Ideologie, sondern allenfalls ihre Einhegung«, betont der österreichische Politikwissenschaftler Walter Posch in einer Studie der regierungsnahen deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik. Auch was der Kern dieser Ideologie ist, wird von derartigen Iran-Kennern deutlich ausgesprochen: Der »strategischen Vision« des Regimes liege das »Paradigma der Illegitimität des Staates Israel« zugrunde. Doch diese vergleichsweise klare Sicht hält einen deutsch-österreichischen Experten wie Posch natürlich nicht davon ab, konstruktive Vorschläge zur Einbindung eben jener Protagonisten zu unterbreiten, für die das Ende Israels eine »strategische Vision« darstellt: Er fordert die Einbindung Teherans »von westlicher Seite in eine Friedenslösung für Syrien« und vor allem den Ausbau der Beziehungen zu eben jener »iranischen Think-Tank-Szene«, in der derartige »strategische« Vernichtungsvisionen in der nüchternen Sprache einer Analyse der Internationalen Beziehungen formuliert werden.
Bezüglich der von ihm erhofften zukünftigen Gespräche zwischen den USA und dem iranischen Regime fordert Posch genau das, wofür sich sein Arbeitgeber, deren ehemaliger und aktueller Chef Christoph Bertram und Volker Perthes zu den einflussreichsten Propagandisten einer »strategischen Partnerschaft« des Rechtsnachfolgers des Dritten Reiches mit dem iranischen Regime gehören, seit Jahren einsetzt: eine »transatlantische Vermittlungsverantwortung Deutschlands«. Das korrespondiert – bei Analysen der SWP wenig überraschend – mit den Stellungnahmen der deutschen Politik, für die Ruprecht Polenz als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages exemplarisch erklärte, die Wahl Rohanis biete ein »Fenster der Gelegenheit, um den Atomkonflikt diplomatisch beizulegen«, während Zeitungskommentatoren von links bis rechts sich sofort nach seinem Wahlsieg daran machten, für eine Aufhebung oder Rücknahme der Sanktionen zu trommeln, was nun nach dem fatalen Deal von Genf, der das Atomprogramm nicht beendet, sondern nur einschränkt, bereits Wirklichkeit werden soll.
Ein Beispiel für divergierende Einschätzungen innerhalb des Establishments der »Islamischen Repubik« bezüglich der internationalen Bündnispolitik sind die angedeuteten Distanzierungen von Bashar al-Assad seitens des neuen iranischen Präsidenten und des mit ihm verbündeten Rafsandjani. Allerdings ist völlig unklar, ob sie irgendeine Auswirkung auf das konkrete Agieren von Teheran haben, nachdem die Revolutionswächter als Reaktion auf die leise Kritik am Agieren der Verbündeten in Damaskus unmissverständlich klargestellt haben, man werde Assad bis zum endgültigen Sieg verteidigen und unterstützen – ein Szenario, das von maßgeblichen Kreisen in Israel derzeit als denkbar schlechtester Ausgang der Konfrontation in Syrien gilt: ein nur durch Pasdaran und Hisbollah an der Macht gehaltenes Assad-Marionetten-regime. Gerade jene Sicherheitsexperten in Israel, die sich seit Jahren intensiv mit der iranischen Bedrohung auseinandersetzen, halten das in der aktuellen Situation für deutlich gefährlicher als die Unwägbarkeiten nach einem Sturz Assads. Israel beobachtet ebenso genau wie das iranische Regime, wie sich der Westen und insbesondere Washington gegenüber Syrien verhalten. Das Agieren der USA seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs und insbesondere die Reaktionen auf den Giftgaseinsatz Ende August haben viele in Israel in der Einschätzung bestärkt, dass weder von der westlichen Führungsmacht noch von ihren europäischen Verbündeten ein entschiedenes Vorgehen gegen das iranische Atomprogramm oder auch nur eine angemessene Antwort auf das Agieren der Revolutionswächter außerhalb des Iran zu erwarten ist. Dabei ist klar, dass an die Quelle des syrischen Hisbollah-Einsatzes zu gehen, das heißt, das iranische Regime direkt zu bekämpfen, Primat US-amerikanischer Politik sein müsste, wenn hier noch politisches Urteilsvermögen eine Rolle spielen sollte. Insofern hat der ausschließliche Fokus auf die Frage einer Intervention in Syrien, der durch das groteske Hin und Her Obamas nur verstärkt wurde, an sich schon etwas Bedrohliches für die Situation, in der Israel sich befindet.