Pejorative visuelle Vorstellungen von Juden sind nach wie vor virulent. Alte Stereotype werden tradiert und in aktuellen Zusammenhängen fortgeschrieben. Dabei wäre es unzureichend, anzunehmen, es handle sich lediglich um falsche Vorurteile über Juden und Jüdinnen, die man leicht bekämpfen könne, indem man die jeweiligen Zuschreibungen nur geraderückt. Vielmehr geht es in antisemitischen Darstellungen um das Bild des Juden, welches der Antisemit von ihm hat, unabhängig davon, wie sich die Objekte des Ressentiments tatsächlich verhalten. Dies vorausgeschickt wird die Gefährlichkeit antisemitischer Inszenierungen umso deutlicher. Zum einen wird gerade durch das wiederholte Nachspielen Antisemitismus im Alltag ausgelebt und weitergegeben1. Zum anderen ist die Imitation essenziell, um das projizierte Judenbild stets aufs Neue zu bekräftigen und sich schließlich vorbehaltlos selber glauben zu können. Was zuvor nur eine Idee war, wird im Film verkörpert und damit greifbar. Es gilt also, das Augenmerk nicht auf die zu richten, welche angefeindet werden, sondern auf jene, die anfeinden.
Auf welche Weise Juden durch die Schauspieler porträtiert werden, ist für die Dreharbeiten genau choreografiert.
Gebeugter Gang und kränkelnde Haltung
Jüdische Figuren sind im Film häufig kränklich dargestellt. Sie können weder aufrecht stehen, noch gehen. Dem Wahnbild nach ist der Jude unproduktiv und lebt von der Arbeit anderer. Er sei stets auf den eigenen Vorteil bedacht und versuche rücksichtslos, seine Umgebung über den Tisch zu ziehen. Dieses Bild findet sich vor allem in der Darstellung als Händler, welches im US-amerikanischen Stummfilm bis in die 1920er Jahre das mit Abstand verbreitetste antisemitische Motiv war. Der 1907 veröffentlichte Kurzfilm »Cohen‘s Fire Sale«2 handelt vom jüdischen Verkäufer Cohen, der, um eine Versicherungssumme einzustreichen, im eigenen Laden Feuer legt. Neben seiner Charakterdarstellung als gierig und betrügerisch ist sein komplettes Aussehen überladen von antisemitischen Kennzeichnungen. Am deutlichsten wird dies in der Schlussszene des Films, in der Cohen versucht, seine Angebetete zu küssen. Er scheitert nicht nur wegen seiner krummen, tollpatschigen Art sich zu bewegen, sondern auch aufgrund seiner, dem Schauspieler erkennbar aufgeklebten, riesigen Nase.
Die gebeugten, zum Teil fahrigen und unbeholfenen Bewegungen sind eine unmissverständliche Allegorie für den vermeintlich jüdischen Charakter. Alle Attribute lassen sich am ehesten als krank subsumieren. Dabei wird den Juden die Krankheit zugeschrieben. In Wahrheit jedoch haben diese die Antisemiten, indem sie einer wahnhaften, kranken Wahrnehmung der Welt aufsitzen. Diese Metapher verdeutlicht sich noch stärker in der Betrachtung gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse. Die »Krankheit« des Antisemitismus kommt nicht aus dem Nichts, sondern ist insbesondere in der Ökonomie begründet. Geht man über das konkrete Beispiel des Händlers hinaus und richtet den Blick auf die generelle Beziehung des Juden zu physischer Arbeit im antisemitischen Weltbild, offenbart sich ein zentrales Moment der Ideologie, welches sich bis heute unerschütterlich hält. Die Vorstellung, dass der Jude immer auf Kosten anderer lebe und er im Müßiggang sich gefällt. Würde er nur aus der Welt geschafft, so wäre auch das Elend beseitigt. Dieser Gedanke enthält inhärent jene Vernichtungsphantasien, die zwischen 1941 und 1945 in bis dahin unvorstellbarem Ausmaß von den Deutschen und ihren Verbündeten in die Tat umgesetzt wurden. Es stellt sich die Frage, weshalb sich der Groll gegen die Juden richtet und nicht gegen die realen Umstände, die zur gefühlten Übermacht der Verhältnisse führen. Warum hasst der Antisemit nicht etwa materielle Armut, den Zwang zur Arbeit und die Produktionsverhältnisse insgesamt3, sondern stattdessen konkrete Personen? Seit dem Wandel von feudalistischer direkter Herrschaft in immer weniger durchschaubare Prozesse, die nicht mehr unmittelbar repressiv auf das Individuum wirken, entwickelte sich der vormals vor allem religiös motivierte Judenhass in neuer Form fort. Die Zirkulationssphäre wird im Antisemitismus aus antikapitalistischer Perspektive primär für Ausbeutung und Armut verantwortlich gemacht. In ebenjenen wirtschaftlichen Teilbereich waren Juden tatsächlich lange Zeit eingesperrt, da ihnen »im Gegensatz zum arischen Kollegen der Zugang zum Ursprung des Mehrwerts«4, zur Produktion, real weitgehend verwehrt blieb. Der Jude wird mit der Zirkulationssphäre, die ohnehin völlig defizient als hauptverantwortliches Übel verstanden wird, gleichgesetzt. Die antisemitische Darstellung drückt den Wunsch aus, das »Unheimliche des abstrakt gewordenen Reichtums«5 zu personifizieren.
Bis heute sind popkulturelle Filmproduktionen von solchen Darstellungen durchsetzt. Ein bekanntes Beispiel ist »Pretty Woman«6. Der Protagonist des Films hat bislang vom Ruin anderer Firmen profitiert und auf ihrem Verlust sein Vermögen aufgebaut. Im Laufe der Handlung wird er jedoch zum quasi Guten gewandelt und entschließt sich, seine berufliche Tätigkeit auf produktive Arbeit in Form eines Schiffbauunternehmens zu verlegen. Der Film lebt vom Gegensatz zwischen dem vermeintlich guten schaffenden und dem dämonisierten raffenden Kapital. Obwohl keine der Figuren explizit jüdisch ist, werden im Film stereotype antisemitische Züge in Haltung und Bewegung instrumentell verwendet. Nicht der Protagonist Lewis, dafür aber sein bisheriger Geschäftspartner, Stuckey, wird als Repräsentant des Destruktiven porträtiert.
Nervöse und stierende Blicke
Eine andere Darstellungsform sind nervöse, fast wilde Augenbewegungen oder stierende Blicke. Ein populäres Exempel hierzu bietet die Figur Gríma Wormtongue im Fantasy-Film »The Lord of the Rings: The Two Towers«7. Wormtongue ist ein hintertriebener, böswilliger Königsberater, der von den Helden des Filmes im Laufe der Handlung entmachtet wird. Die verschiedenen Elemente der Choreografie des Antisemitismus sind in der Darstellung nicht gänzlich trennbar. Auch Wormtongues Haltung ist gebückt und wirkt ungesund. Seine Gestik ist ruckhaft und abgesetzt. Was bei ihm jedoch noch auffälliger ist, als seine körperliche Konstitution, ist seine Mimik. In mehreren Nahaufnahmen wird den Zuschauern sein Gesicht präsentiert, das sich bei jeder Regung zur furchteinflößenden Fratze verzieht. Eine besondere Rolle nehmen dabei die entweder weit aufgerissenen oder zu bösartig wirkenden Schlitzen zusammengekniffenen Augen ein.
Trotz aller Unterschiede im Plot teilen er und der zuvor beschriebene Stuckey aus »Pretty Woman« ein entscheidendes Merkmal. Sie beide sind nicht-jüdische Figuren, die dennoch extrem antisemitisch porträtiert werden. Anhand ihrer Darstellung wird deutlich, inwiefern sie durch das filmische Nachahmen Antisemitismus strukturell weitertragen. In dieser Form des Antisemitismus ist es allerdings keinesfalls beliebig, wer anstelle von Juden zu Objekten des Ressentiments gemacht wird. Der Hass geriert sich, auch wenn er nicht gegen konkrete Personen gerichtet ist, gegen alles, was als jüdisch gilt. Neben den bereits genannten Motiven des Antisemitismus ist die Vorstellung des Juden als heimlicher Strippenzieher in verschiedenen Ausprägungen ubiquitär präsent. Ähnlich wie die falsche Kapitalismuskritik wurden auch Verschwörungstheorien als bestimmte Ausprägung des Antisemitismus erst in der Moderne massentauglich. Auf den ersten Blick mag dies paradox erscheinen, war es doch die Aufklärung, welche die Menschen aus dem mittelalterlichen Aberglauben zu befreien versucht hat. Die seelische Konstitution allerdings wird nicht durch vermeintlich reine Erkenntnisse des Denkens geprägt, sondern vor allem durch die soziale Umwelt, von welcher das Individuum nicht isoliert betrachtet werden kann. Trotz der aufklärerischen Intention der Moderne, trägt diese ihre eigene mögliche Aufhebung, insbesondere in Form antisemitischer Barbarei, bereits in sich.
Schutz vor Antisemitismus
Theodor W. Adorno stellte in »Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit«8 Überlegungen an, wie der Antisemitismus mitsamt seinen Wurzeln aus der Welt zu schaffen wäre. Zum einen müssen die objektiven gesellschaftlichen Gründe und Mechanismen erkannt werden, die zur ideologischen Verblendung führen. Zum anderen gilt es, die antisemitische Argumentation auf ihre Subjekte zu wenden. Um den Antisemiten von seiner »Krankheit« zu heilen, bedarf es nicht primär einer Aufklärung mittels Fakten, sondern der Aufklärung der unbewussten psychischen Verfassung und Reflexion, und in letzter Konsequenz darüber hinaus andere objektive gesellschaftliche Verhältnisse. Bis dahin gilt es, die konkreten Menschen, welche dem antisemitischen Wahn potentiell zum Opfer fallen können, zu schützen. Dass sich Juden auf solchen Schutz durch andere nicht verlassen können, hat das letzte Jahrhundert auf grausamste Weise vorgeführt. Daher ist im Schutz vor Antisemitismus nicht zuletzt der jüdische Staat, welcher sich notfalls auch militärisch verteidigen kann, als garantierte Zufluchtsstätte für alle Juden weltweit von überlebenswichtiger Bedeutung.
Eine ausführliche Version des Beitrags erscheint im Sommer diesen Jahres im Sammelband »Tanz im Film. Das Politische in der Bewegung« im Verbrecher Verlag.