In bürgerlich-kapitalistischen Demokratien sozialstaatlicher Prägung haben sich in der Kulturpolitik im Verlauf der Zeit Fördersysteme etabliert, die zu möglichst unabhängigen und fachlich fundierten Entscheidungen führen sollen. Dem Anspruch eines möglichst fairen Vergabeverfahrens werden die Systeme mal besser und mal schlechter gerecht; beliebig objektivierbar sind sie ohnehin nicht:
Es lässt sich wohl kaum ein Kriterium für die Förderwürdigkeit von Kunst ersinnen, das nicht letztlich vom Urteil konkreter Menschen abhängt. Aber selbst wenn dies gelänge, ist fraglich, ob es überhaupt wünschenswert ist, Kunst- und Kulturförderung als rein operationalen Verwaltungsakt zu betreiben und sie aus dem Prozess inhaltlicher Debatten herauszulösen, die – ob öffentlich oder halböffentlich geführt – selbst Teil jener kulturellen Entwicklungen sind, die sie vergegenständlichen und vorantreiben. Ohne Kritik, Auseinandersetzung und Geschmacksurteile verlieren Kunst und Kultur ihre Funktion als gesellschaftliche Reflexionsform und werden zum Mittel kollektiver Selbstvergewisserung, deren starre Identitätsmuster repressive Züge annehmen.
Zwischen der Bewahrung von Kulturgütern und dem künstlerischen Bereich existiert jedoch eine kategoriale Differenz: Zwar lassen sich beide unter einen weit gefassten Kulturbegriff bringen – das eine meint aber die möglichst akkurate und unveränderte Erhaltung von Lebensweisen und Artefakten, das andere hingegen die Erweiterung und Fortentwicklung künstlerischen Ausdrucks. Als solche sind sie einander entgegengesetzt.
Dies ist zunächst eine analytische Trennung, wodurch nicht ausgeschlossen ist, dass sich diese Zugänge berühren können: So werden durch interpretierende Aneignungen kulturelle Gegenstände weiterentwickelt und dadurch – im doppelten Sinn – aufgehoben. Zudem beschäftigen sich kulturelle Institutionen und Initiativen auch mit der eigenen Geschichte (soweit tradiert) und dokumentieren ihre Arbeiten, damit dies weiterhin möglich ist.
Aber die Aufspaltung in »traditionell« und »zeitgenössisch« doktrinär festzuschreiben wird ideologisch, wenn die Bereiche parteipolitisch vereinnahmt und zum Unterpfand in der Auseinandersetzung um politische Einflusssphären werden – ein derartiger Kulturkampf lässt sich derzeit in der Steiermark beobachten.
Zur Situation in der Steiermark
Prinzipiell ist zu begrüßen, wenn Kunst und Kultur Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen sind und es ist auch kaum zu vermeiden, dass diese entlang politischer Mehrheitsverhältnisse geführt werden. Das darf allerdings nicht auf die Herstellung kultureller Hegemonie als Herrschaftsmittel hinauslaufen oder dem selbstgesetzten Auftrag widersprechen: In Österreich sind Bundes- und Landesregierungen immerhin gesetzlich dazu verpflichtet, die Freiheit der Kunst zu schützen und sie nach Möglichkeit zu fördern.
Nehmen wir aus gegebenem (aber noch auszuführendem) Anlass das Kultur- und Kunstförderungsgesetz (KuKuFöG) des Landes Steiermark, wie es 2005 beschlossen wurde. Darin heißt es unter § 1 Abs. 4:
Die Kultur- und Kunstförderung des Landes hat insbesondere folgende Ziele zu beachten:
1. die Unabhängigkeit und Freiheit kulturellen Handelns in seiner gegebenen Vielfalt;
2. die schöpferische Selbstentfaltung jedes Menschen durch aktive kulturelle Kreativität und die Teilhabe jedes Menschen am kulturellen und künstlerischen Prozess in jeder Region des Landes;
3. eine zum Verständnis und zur Kritik befähigte Öffentlichkeit;
4. die Öffnung gegenüber neuen kulturellen und künstlerischen Entwicklungen im In- und Ausland.
Sowie dann aber auch:
5. die Erhaltung und Nutzung des kulturellen Erbes des Landes Steiermark als ein bestimmendes Element des gegenwärtigen Selbstverständnisses mit dem Ziel, diese Einrichtungen, Errungenschaften und Werke für die Gegenwart zu erschließen und kulturell produktiver Nutzung verfügbar zu machen;
6. die durch die verschiedenen ethnischen Einflüsse getragene kulturelle Vielfalt der Regionen des Landes Steiermark zu erhalten und zu fördern.
Entsprechend teilen sich die Förderbereiche (§ 2 Abs. 1 Z 1-6) in die künstlerischen Sparten Bildende Kunst, Neue Medien und Architektur, Darstellende Kunst, Film, Literatur, Musik, Musiktheater und Klangkunst, als auch in die Bereiche Allgemeine Volkskultur, Museen, Denkmalpflege und Kulturgüter.
Damit beauftragt der Gesetzgeber die Landesregierung, sowohl neue künstlerische Entwicklungen zu unterstützen als auch kulturelle Vermächtnisse, überlässt es aber ihrem Ermessen, wie sie diese gewichtet. Die Letztentscheidung über Förderungen liegt bei den zuständigen Landesrätinnen und -räten, bzw. letztlich dem Landeshauptmann, sowie dessen Stellvertretung. Darüber hinaus schreibt das KuKuFöG 2005 aber auch ein – auf drei Jahre bestelltes – »Kulturkuratorium« vor, das beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung eingerichtet ist und aus »15 geeigneten, im Kulturbereich tätigen Personen« (§ 9 Abs. 1) besteht, »welche fachlich die Förderungsbereiche […] abdecken sollen.« (ebd.) Eine seiner Aufgaben besteht darin, »Ansuchen um finanzielle Förderung fachlich zu beurteilen« (§ 10 Abs. 1), worin es durch Fachexpertinnen und -experten (drei pro Bereich) unterstützt wird.
Seit Beschluss des KuKuFöG 2005 (noch unter Landeshauptfrau Waltraud Klasnic, ÖVP) gab es mehrere Landesregierungen in der Steiermark, sowohl unter Führung der SPÖ (2005-2015) als auch der ÖVP (2015-2024) – mit der generellen Tendenz, die »Volkskultur« beim Landeshauptmann oder dessen Stellvertreter anzusiedeln, die »allgemeine« Kultur aber zum Teilressort eines Landesrats zu machen.1
Das Kulturkuratorium selbst ist – wie erwähnt – für alle kulturellen Bereiche zuständig und erlaubt als vermittelnde Instanz bis zu einem gewissen Grad eine Entkopplung der Kulturförderung von politischen Mehrheitsverhältnissen, aber auch ein größeres Maß an Stabilität und Kontinuität: Zwar werden die Mitglieder von der Landesregierung bestellt, was einen gewissen Spielraum für parteipolitische Einflussnahmen bietet, für fünf von ihnen ist allerdings ein Bestellungsvorschlag vom bestehenden Kuratorium einzuholen. Damit wären wir bei den aktuellen Geschehnissen, die zur Gründung der Initiative #kulturlandretten führten:
Seit der Regierungsbildung nach den Landtagswahlen November 2024 gehört die Steiermark (neben Ober- und Niederösterreich, Salzburg sowie Vorarlberg) zu den Bundesländern, die von einer Koalition aus FPÖ und ÖVP regiert werden – allerdings ist es das einzige unter ihnen, in dem die FPÖ als stimmenstärkste Partei (34,67 %) mit Mario Kunasek den Landeshauptmann stellt. Die »allgemeine« Kultur befindet sich im Portefeuille von Landesrat Karlheinz Kornhäusl, der Ende Februar 2025 dreizehn der fünfzehn Mitglieder des Kulturkuratoriums überraschend abberufen hat. Nachdem die Funktionsperiode des Kuratoriums erst Anfang 2024 begonnen hatte (es war Ende 2023 einstimmig bestellt worden), wäre eine Neubesetzung erst Ende 2026 angestanden. Entgegen der angestrebten Entpolitisierung – und unter Missachtung gesetzlicher Vorgaben – wurden nun acht Mitglieder von der ÖVP und sieben von der FPÖ bestellt, während das vorherige Kuratorium niemanden vorschlagen durfte. Selbst wenn nicht expressis verbis von koalitionärer Arbeitsteilung gesprochen wird, dürfte sich die ÖVP wohl für die Hochkultur, die FPÖ hingegen für die – im Ressort von Landeshauptmann Kunasek angesiedelte – »Volkskultur« zuständig fühlen. Damit findet genau jene parteipolitische Parzellierung der Kulturagenden statt, die oben angesprochen wurde. Wer sind nun die Mitglieder des neuen Kuratoriums, dessen Inauguration nicht mehr warten konnte, bis die Zeit des alten abgelaufen war?
Geleitet wird es von Christian Buchmann, der bereits einmal als Landesrat für Kultur zuständig war, von diesem Posten aber nach plagiatsbedingter Aberkennung seines Doktortitels zurückgetreten war. Die FPÖ entsandte zwar keine einzige Frau, dafür aber mit Franz Koiner den Marketingleiter des rechtsextremen Stocker- und Ares-Verlages. Geht man die Liste durch, finden sich bei den ÖVP-Nominierungen zumindest Leute vom Fach – die kulturpolitische Personaldecke der FPÖ scheint aber doch eher dünn zu sein. Wie die Empfehlungen des Kuratoriums für Einreichungen abseits von Hoch- und Volkskultur aussehen werden, wird sich zeigen. Generell lässt sich bei Förderungen im Kunst- und Kulturbereich allerdings beobachten, dass der Transparenzgedanke recht einseitig gedacht wird und die Entscheidungen der Fördergeber oftmals kaum nachvollziehbar sind.
In der Steiermark formierte sich einstweilen breiter Widerstand – neben Demonstrationen, Protesten und regelmäßigen Treffen, die von hunderten Menschen besucht werden, gibt es auch eine Petition, die dem Land Steiermark übergeben werden soll und bereits von über 11.500 Menschen unterschrieben wurde. Gefordert wird darin eine Neubesetzung des Kulturkuratoriums, der Ausbau des Förderbudgets sowie die Umsetzung der (2024 beschlossenen) Kulturstrategie 2030. Die erste größere Arbeit des neuen Kulturkuratoriums besteht jedenfalls in der Begutachtung der Mehrjahresverträge 2026-2028, welche bis Sommer abgeschlossen sein soll. Darüber hinaus müsste es sich aber auch um die Projekt- und Jahreseinreichungen kümmern. Wer diese Arbeit letztlich leisten soll, ist unklar – ein Vorschlag besteht darin, sie den bestellten Bereichsexpertinnen und -experten zu übertragen (die allerdings lediglich Sitzungsgelder bekommen).
Zwischenzeitlich hat Landesrat Kornhäusl Ende April das Kulturbudget für 2025 präsentiert. Vieles ist noch unklar und auch die proklamierte 1,3-Millionen-Euro-Erhöhung in absoluten Zahlen ist mit Vorsicht zu genießen: Zum einen müsste man die Zahl in Bezug zu ausgebliebenen Valorisierungen in den letzten Jahren setzten – zum anderen aber gab es bisher zusätzliche Mittel für den Kulturbereich, die in der beschlossenen Fassung des Kulturbudgets nicht abgebildet waren, weil sie etwa aus anderen Quellen kamen. Diese soll es 2025 – so die Ansage – nun nicht mehr geben. Außerdem wird diese Summe überwiegend über drei Sondercalls ausgeschüttet: Einer davon soll – im Sinne des »Fair Pay« – zur Erhöhung der Entlohnung (Honorare und Gehälter) dienen, was allerdings kleinen Initiativen ohne Angestellte wenig hilft und generell eher diejenigen bevorzugt, die sich die – doch recht arbeitsintensive – Abwicklung personell leisten können.
Historische Notiz zum Schluss
Ein Gebot der Stunde ist also, feudalen Elementen in parteipolitischem Gewand entgegenzutreten: Der Tritt in den Hintern Wolfgang Amadeus Mozarts, mit dem Oberstküchenmeister Graf Arco der Erzählung nach das Dienstverhältnis zwischen Fürsterzbischof Colloredo und dem Salzburger Komponisten 1781 endgültig beendet haben soll, gilt manchen – zumindest symbolisch – als der Akt, mit dem freie Selbständigkeit Einzug in die künstlerische Produktion gehalten hat. Seitdem existierte in ihr – zusätzlich zur Abhängigkeit von Auftrag-gebern und Mäzenen – die einfache Freiheit, sich auf dem Markt bewähren zu müssen, die sich von der doppelten Freiheit unselbständiger Lohnarbeit bestenfalls durch die Verfügung über die Produktionsmittel unterscheidet. Die bis heute erkämpften (und bisweilen auch wieder verlorenen) demokratischen Strukturen bieten zumindest Möglichkeiten, Willkürherrschaft entgegenzutreten. Kulturpolitisch können sie auch sicherstellen, dass künstlerische Entwicklung, bzw. die Bewahrung von Kulturgütern weder vom volatilen Markt noch den persönlichen Eitelkeiten herrschaftlicher Eliten abhängig sind.
Dieser Beitrag konnte auf die kulturpolitische Expertise von Tanja Brandmayr (Referentin/Versorgerin) und Simon Hafner (IG-Kultur Steiermark) zurückgreifen. Die Petition ist unter dieser Adresse zu finden: https://kulturlandretten.at/