Der Erzählband »Unzone« ist nach dem Debütroman »Der zweite Kontinent« die zweite Veröffentlichung von Alexander Keppel und enthält sieben Erzählungen des Autors auf knapp 100 Seiten. Sie eint das Wagnis, sich »die abgewrackte Schaubude der Gegenwart«, um Rolf Dieter Brinkmann zu zitieren, genauer anzuschauen.
Ausgeburten und Ausformungen unserer gegenwärtigen Gesellschaft, vor allem eines »kreativen« Milieus, werden realitätsgetreu nachgezeichnet – die Stimme des Erzählers antwortet auf deren Heuchelei und eine ins Groteske gleitende Unwahrhaftigkeit während die Trennlinie von Traum und Wirklichkeit verschwimmt und der Ausweg über den Rausch als trügerisch kenntlich wird. Keppel bedient sich dabei in erster Linie satirischer Mittel, wahrt durch Humor die Distanz und gleitet nicht ins Moralische oder Polemische ab.
»Spießernervosität kratzt hinter der love, peace & harmony Fassade deines Stirnbandes«, wird einem Sprachkunstabgänger beschieden, der sich zum Schreiben in ein Landhaus zurückziehen will. Dort zerbricht der künstlerische Anspruch einer biobesessenen, HühnereierApp-Lifestylekommune an der von ihr geschaffenen sterilen und verregelten Realität, in der am Ende doch die »To-Dos«, die Arbeit für eine Werbeagentur, der Anschein der Geschäftigkeit sowie das Austauschen von Befindlichkeiten Vorrang vor jedem schöpferischen Anklang haben.
»Die selbstmitleidigen, passiv-aggressiven Blicke ihres Stammes gegenüber allem und jedem, was nicht in ihr Raster passte, gegenüber allem, das nicht genau war wie sie, otherten mich jedoch gnadenlos weg«, empfindet der Erzähler gegenüber einer Gruppe Studierender, der er während eines Besuches auf der Leipziger Buchmesse begegnet.
Doch Keppels Kritik verliert sich nicht in einer Dualität zwischen sich und einer normierten gesellschaftlichen Gruppierung, sie schneidet entlarvend in das Gewebe des Kollektiven an sich: dort, wo der einzelne Mensch seine Einzigartigkeit verneint und sich – ungeachtet aller guten oder gegenteiligen Vorsätze, Schablonen, Ideen und Zwängen – unterwirft, anpasst und diese Anpassung zur Maxime erhebt, die für alle gelten soll.
Die Welt, die durch diese Menschen geschaffen wird, in der alles unecht, leer und falsch geworden ist, die jede Authentizität und wirkliche Substanz eingebüßt hat und die sich, psychisch pathologisch, nur über Ansprüche und Vorstellungen fern jeder Realität und Wirklichkeit definiert, wird in diesen Erzählungen anschaulich.
»Ich befinde mich hier unter Menschen, die besessen von dem Gedanken sind, einer Elite anzugehören, sich aber um deren rechtmäßige Privilegien betrogen fühlten« konstatiert der Erzähler gegenüber einer Masse, die zum »Lied der Deutschen« in Euphorie verfällt und ihm feindselig entgegentritt. Vereinzelung ist die logische Konsequenz davon, sich dem Kollektivierten zu entziehen.
Die Position des Vereinzelten gegenüber dem Kollektiven ist eine prekäre und gefährliche, denn selbst, wenn das Kollektive die Fahnen des Liberalen schwingt, sind die Mechanismen, die von ihm ausgehen, niemals liberal, sondern immer unerbittlich, unversöhnlich und brutal gegenüber jenen, die sich nicht eingliedern, nicht dazugehören und sich für ihre Vorstellungen nicht verbrauchen lassen. In diese bedrohliche Atmosphäre begeben sich die Erzählungen.
Der Weg aus der Dualität, der immer der Boden der Kollektive ist, führt in die »Unzone«, eine Zwischenzone, ein Grenzgebiet, wo die »Schaubude der Gegenwart« sich aufzulösen beginnt und die Realität in den Traum überfließt. Geschildert in einer Sprache, der Poetisches unprätentiös anhaftet. Dieses Übergangsgebiet liegt auch im Erzähler selbst, der, als wiederholendes Motiv, mit seiner Arbeit als Werbe-schreiber und seiner Entfaltung als Schriftsteller zu kämpfen hat.
Dieser Zwang zum Werbeschreiber berührt auch Bereiche der Erzählungen, wo er nichts verloren hat: So entsteht stellenweise der Eindruck, dass Gegenwartsbezüge krampfhaft hergestellt werden. Dagegen brillieren die Beschreibungen gerade da, wo sie an das Flüchtige des Heutigen erinnern, wie die Erzählerstimme über die Ostdeutschen verlautet: »Dunkel drang aus dem Boden dieser Unzone und ließ in den Menschen dieser abgeblühten Landschaften etwas keimen, das sich in Zukunft wohl nicht mehr mit den Möglichkeiten eines Kentucky Fried Chicken, IKEA oder Hornbach wird abspeisen lassen. Sie wollten, dass die Erde wieder bebt.« Dieser Stelle vorangestellt ist eine kraftvolle Analyse Ostdeutschlands, die zu einer Ernsthaftigkeit findet, die sich von den satirischen Sentenzen abhebt, denen auch etwas Effekthaschendes beigemengt ist.
Es mag der Humor sein, der Wille zur Provokation, die originellen Vergleiche, der starke Gegenwartsbezug, die einem beim ersten Lesen ins Auge springen. Mitunter auch das bübisch provozierende Lächeln eines jungen Christian Kracht, das da durch die Seiten blitzt. Darunter aber liegt Wesentliches, Gegenwärtiges in einem eigentlicheren Sinne. Wie und ob es möglich ist, in einer von Konsum und Kollektiven bestimmten Welt als schöpferischer Mensch, in diesem Fall als Schriftsteller, ein Dasein zu führen und sein Talent nicht vernutzen zu lassen. Das Werk beantwortet diese Frage alleine dadurch, dass es geschrieben wurde und gelungen ist. Das Wesentliche, das ihm zugrunde liegt, macht es für das Hier und Heute tatsächlich relevant – ein Funke in einer verwirrten und verdunkelten Welt, die dem Schöpferischen nicht gerade freundlich gesinnt ist.