Nicht reich, aber freiStil

Das freie Medium »freiStil – Magazin für Musik und Umgebung« feierte sein fünfjähriges Jubiläum. Tanja Brandmayr traf Herausgeber und Redakteur Andreas Fellinger in Wels.

Das Datum der Geburt lässt sich präzise bestimmen, nämlich mit 1. Mai 2005. Pünktlich am 1. Mai 2010 hat Herausgeber Andreas Fellinger seinem Fünfjährigen selbst ein Geschenk gemacht, in Form eines Manifestes. Es beginnt mit einem Zitat von Antonio Gramsci: »Eine Zeitschrift kann, ebenso wie eine Zeitung oder ein Buch oder jedes andere didaktische Ausdrucksmittel, das im vorhinein auf eine bestimmte Zielgruppe von Lesern, Zuhörern usw. ausgerichtet ist, nicht alle im gleichen Maße befriedigen, nicht für alle im gleichen Maße nützlich sein usw.: es kommt darauf an, dass sie auf alle anregend wirkt, denn keine Publikation kann das denkende Hirn ersetzen oder dort intellektuelle oder wissenschaftliche Interessen aus dem Boden stampfen, wo allein Interesse an Kaffeehausklatsch vorhanden ist.«

Dass diese Passage aktuell ist, mag an Gramscis zeitlos präzis formulierter Kritik liegen. Und dass das Problem auch heute noch das denkende Hirn sein könnte, das permanent ersetzt werden soll, durch jede Art von Simplizität, praktisch vorsichtshalber und selbstredend, als Abklatsch der journalistischen Form, als kulturelle Verengung und sich selbst wiederkäuender Marktmechanismus… tja, das ersetzen wir lieber durch ein weiteres Stück freiStil-Manifest, auch als Danksagung für mitarbeitende und sonstige UnterstützerInnen zu lesen: »Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass das gutgeht? Wer hätte gedacht, dass der Arbeits-, der gedankliche und erst recht der finanzielle Aufwand bewältigbar sind? Dass die Luft dafür ausreicht, der Atem lang genug hält, um fünf Jahre lang im Zweimonatsrhythmus 20-32 Seiten speziell für experimentierlustige Musiken zu fabrizieren?«

Einige Daten mehr: Herausgeber und verantwortlicher Redakteur von freiStil ist Andreas Fellinger alias Felix, und mit ihm hat das Magazin seinen örtlichen Redaktionssitz in Wels aufgeschlagen. Die derzeit 12 Redaktionsmitglieder verteilen sich auf die Städte Wien, Linz, Graz, ebenso wie die gut 300 AbonentInnen (plus Ausland). Die Auflage beträgt 1200 – 1500 Stück, eine große Menge des Versandes geht an Clubs, Kulturinitiativen und sonstige MultiplikatorInnen. Es entstand insofern ein günstiges Inseratenklima, als dass freiStil in der Szene eine Nische bedient, die selbst Multiplikatorin für Festivalanbieter ist. Wenn zu Beginn Andreas Fellinger eigenes Geld investiert hat, dann schreibt das Magazin mittlerweile schwarze Zahlen, was mit der Verbilligung des Drucks zu tun hat (leider ist dem neuen, günstigeren Digitaldruck das farbige Titelbild zum Opfer gefallen). Eine ausgeglichene Bilanzierung inkludiert außerdem Honorare für Schreibende sowie Geld für grafische Gestaltung. Insgesamt bleibt das ganze Projekt aber mit geringen öffentlichen Förderungen am finanziellen Minimum, denn die schwarzen Zahlen inkludieren nämlich vor allem viel Aufwand und unbezahlte Arbeitsstunden, die Andreas Fellinger in sein Produkt freiStil hineinsteckt.

Damit lieber zur Lust – zur Musik und zum Experimentellen. In einer inhaltlichen Diskussion frage ich nach dem Avantgarde-Begriff, ob dieser Begriff für die musikalische Ausrichtung des Heftes noch irgendeine Relevanz hat. Antwort im O-Ton: »Nein, das ist zu ausgelutscht. Vielleicht im Wortsinn, in der ursprünglichen Bedeutung. Aber der Begriff ist mittlerweile vordefiniert, auch als etwas, das sich gegen andere künstlerische Praktiken richtet. Das bedeutet Ausschließung und ist damit völlig abzulehnen.« Alles in allem gehe es freiStil um »experimentelle Musik in allen Ausformungen bis in den Jazz und in den Pop hinein, Pop ein bisschen zumindest«. Im Sinn der Offenheit firmiert die Blattlinie, die zur Musik auch die »Umgebung« dazu nimmt, siehe Internet-Text, als »Hybrid aus Fanzine, Wissenschafts- und Selbstermächtigungs-Magazin, aus Illustrierter, Special-Interest-Zeitschrift und Agit-Prop. Ein Bastard – und hoffentlich inglorious«. Fellinger dazu: »Es hat keinen Sinn, so ein Unterfangen einer Blattlinie oder was auch immer in dieser Art zu unterwerfen, auch nicht, dem Heft einen akademischen Anstrich zu verpassen. Es ging immer darum, ein anderes Format zu entwickeln, eine andere Mischung auszuprobieren«. Eine Blattlinie lässt sich im Nachhinein, wenn schon nicht konstruiert, insofern logisch feststellen, als dass Anregungen und Schreibintentionen der MitarbeiterInnen immer erwünscht waren und sind. So gab es zum Beispiel gleich zu Beginn eine Forderung von außen, speziell Musikerinnen zu featuren, »damit das nicht das hundertste Habererheftl wird«. Bis dato entstanden 25 Portraits, 11 dieser Musikerinnen wurden danach auf einer Samplerin veröffentlicht, und es wird eine Fortsetzung davon geben – in bester Zusammenarbeit mit dem Grazer Label chmafu nocords. Zum redaktionellen Teil von freiStil merkt Fellinger insgesamt an: »Es gibt keine Aufträge im herkömmlichen Sinn. Es gibt höchstens eine Liste an relevanten Dingen, Themen werden von mir zwar vorgeschlagen, aber die Vorschläge kommen auch von den Kollegen. Insgesamt ist es schon eine kommunikative und selbstinitiative Sache«.

Das Heft richtet sich, um die, Zitat, »besten Musiken der Welt« ans Tageslicht befördern zu können, naturgemäß auch gegen kunstfernere Geschäftspraktiken, die sich allseits fest etabliert haben. Vor seinem »kulturnahen« Brotjob im Medien Kultur Haus in Wels hat Fellinger jahrelang in Zeitungsredaktionen von Graz über Wien bis OÖ gearbeitet: »Das Schreiben über Musik wurde da immer unbefriedigender, man scheitert da immer am Grundsätzlichen. Nämlich an der Frage der Chefs, wen das überhaupt interessieren solle«. Und das ebenso weitläufig praktizierte Inserat-gegen-Artikel-Geschäft zieht sich hinauf bis zu Musikmagazinen, die einmal »mit Anspruch« gestartet sind: »Es gibt bei freiStil eine Ambition, Abstand zu halten zu derartigen kommerziellen Zwängen und Machenschaften, auch wenn wir damit nie reich werden«. Im Manifest-Klartext heißt das unter anderem auch »Prostitution und Doppelbödigkeit, die dieses Land gespenstisch durchziehen«. Und auf Nachfrage, wie man denn überhaupt Kritik üben kann, wie diese Balance zu halten ist – daraus, was man inhaltlich bringen will, weil es schlichtweg gut ist, und dem üblen Rest, der auch benannt werden will: »Das ist die Frage, die man sich selbst dauernd stellt. Es geht um eine Positionierung in dem ganzen Nichts, das sonst behandelt wird. Gegen die äußeren Zwänge des Kommerzes. Oder es geht eben auch um gesellschaftspolitische Statements. Im Wesentlichen übt man Kritik durch eigene Auswahl oder subjektiven Stil; oder etwa durch Buchbesprechungen, die Gesellschaft und diverse Zwänge kritisieren.«

Die »Positionierung in dem ganzen Nichts« scheint dabei bestens zu funktionieren – die Redaktion bekommt mittlerweile Unmengen an unaufgefordert eingesandtem Material »mit sehr, sehr viel guter Musik drauf«, so Fellinger. Und mit den »äußeren Zwängen des Kommerzes« scheint man mittlerweile relativ zwanglosen Umgang zu pflegen: Einer Inseratschaltung eines großen öffentlichen Energieunternehmen im freiStil folgte einst »Kritik der Redaktionsmitglieder«, wegen Unfairness dieses Betriebes gegenüber ihren Dienstleistungsnehmern, was alles im Detail zu erörtern hier zu weit führen würde. Auf meine Nachfrage, wer hier letztendlich über eine eventuelle Ablehnung von Geldquellen entscheide, meint Andreas Fellinger, er würde sich nicht wissentlich über die Kritik seiner Redaktionsmitglieder hinweg setzten: »Finanziell ist es letzten Endes egal, wenn bei diesen breit gestreuten Inseraten einmal eines ausfällt. Probleme gibt es bezeichnenderweise nie mit den kleineren Unternehmen oder VeranstalterInnen, den anarchistischen oder autonom organisierten Vereinen, mit denen man sich immer auf was einigen kann, und wenn ‚nur‘ ein Tausch dabei heraus kommt«. Probleme gibt es allerdings mit den größeren Organisationen: »Für dieses eine Inserat hätte ich zwar das Vierfache verlangen könne, wie ich später erfahren habe, andererseits halten sie einem immer ihre angebliche Armut vor. Das ist oft bezeichnend für größere Kulturhäuser: Dass sie als quasi mittlere Unternehmen gegenüber freien Medien mit dem Armutsfaktor hausieren gehen«. Bezeichnend für eine tiefe Verstrickung in der Kulturindustrie – nach dem Motto: Je tiefer diese Verstrickung, desto mehr greifen die betriebswirtschaftlichen Mechanismen.
Um zwar nicht reich, aber garantiert kulturindustriefrei zu enden, ein freiStil-Versprechen, das auch auf http://freistil.klingt.org/ nachzulesen ist: »Die Charmeoffensive der Partisaninnen pflegt auch in den nächsten fünf Jahren die Ästhetik des Widerstands, strebt nach Freiheit, bemüht sich um Stil. Es gibt viel zu tun.« Alles Gute, und so sei es!