Die Ungleichheit bei den Einkommen hat zurzeit dasselbe Maß erreicht wie an der Wende von 19. ins 20. Jahrhundert. Offensichtlich stehen Einkommen aus Gehalt, Kapital oder Zinsen nicht allen gleichermaßen zu. In Gesellschaften mit »vorbildhafter« Gleichheit wie Schweden verdient das 1% der Bevölkerung mit dem höchsten Einkommen nur 10% vom Gesamteinkommen. Dagegen verdient die selbe Gesellschaftsschicht in »ungleichen[1]« Gesellschaften wie den USA 25% des Gesamteinkommens -Tendenz steigend. Hintergrund dieser Entwicklung ist die ungleiche Entwicklung von Produktivität und Einkommen. Durch zunehmende Technologisierung steigt, in bestimmten Branchen, die Produktivität massiv. Gleichzeitig aber lässt man die Einkommen gesamtwirtschaftlich nicht im selben Maße wachsen. Folglich ist die sozioökonomische Situation der Industriestaaten geprägt vom prekären Kontrast zwischen sinkenden Einkommen und steigenden Gewinnen. Selbst in politisch konservativen Kreisen hat sich die Sorge entwickelt, dass sich der Kapitalismus zu einem System der Zerstörung von Wohlstand für die Massen entwickelt hat. Dieses Auseinanderklaffen von Produktivität und Einkommen begann mit den 1970ern. Davor hatten, seit dem zweiten Weltkrieg, beide etwa gleiche Steigerungen aufgewiesen und somit mitgeholfen sozialen Frieden zu garantieren. Auch die Ungleichheit bei den Einkommen war von den späten 1930ern bis in die 1970er Jahre stetig geschrumpft.
Einkommen durch Arbeit ist für viele der bestimmende Faktor des Lebensstandards. Doch einige besitzen auch Vermögen, die ihnen arbeitslose Einkommen in Form von Gewinnen lukrieren, die von Nichtbesitzenden produziert werden. Das gesamte globale Vermögen beträgt etwa 125 Billionen Dollar: 1% der Weltbevölkerung besitzt etwa 40% dieses globalen Vermögens. Etwas weniger als 1% vom globalen Vermögen besitzt die große Masse von 50 % der Weltbevölkerung.[2]
Lösungen für diese Probleme zu entwickeln scheinen nichts mit der Kompetenz von Designer und Architekten zu tun zu haben. Doch es war genau in der vergangenen Periode der schrumpfenden Ungleichheit, dass Architekt Richard Buckminster Fuller (1895–1983) seine unkonventionellen Ideen entwickelte. Die ersten Dekaden seines Lebens waren von Misserfolgen bestimmt. Nur zögerlich wurden Fuller’s Konzepte aufgenommen, da sie in vielerlei Hinsicht mit Traditionen brachen. 1929 präsentierte er ein radikales Konzept. Der zentrale Mast seines »Dymaxion« Hauses ist nicht nur für die Lastabtragung verantwortlich, er verteilt auch die Infrastrukturen. Er pries die Effizient seines Produktes mit einem Argument für quasi-organisches Zusammenwirken an: »Dank des Arteriensystems im zentralen Mast liegen alle Verbindungen natürlich in standardisierten Punkten, ...«[3] An der Basis des Mastes befinden sich Brennstoff- und Fäkalientank, Wärme- und Energieerzeugung, Luftpumpe und Filter sowie die Wasserversorgung mittels artesischem Brunnen und ein Personenlift. Fuller verschachtelt die verschiedenen Strukturen und koppelt sie eng um Synergien zu erreichen. Fuller wurde spät in seiner Karriere sehr populär.
Buckminster Fuller, aka Bucky, wird von der Architekturströmung des High-Tech zum Vorvater herangezogen, an dem sich auch Architekt Norman Forster in Folge reiben wird. Sein Einfluss ist in der berühmt gewordenen und damals völlig unüblichen Frage pointiert ausgedrückt, die er an den noch studierenden Forster richtete: »How much does you building weight Mr. Foster?« Denn Gewicht dient hier als Indikator für die zur Erstellung eines Objekts aufgewendete Energie. Dies gibt der heute geadelte Stararchitekt Sir Norman Foster als den Katalysator an, für sein Umdenken hin zu seiner ressourcenschonenden High-Tech Architektur.
Energie war mit dem Stromlinien Design, ab Beginn des 20 Jahrhunderts, zu einem ästhetischen Designbegriff geworden. Fuller aber war der Protagonist schlechthin, der Energie auch zu einem ethischen Begriff im Design machte, indem er ihm den Begriff Synergie zur Seite stellte. Den größten Maßstab, den er für die Implementierung des Begriffspaars dachte, war die Erde selbst, der Modus ein Spiel: das World Peace Game. Alle Ressourcen der Erde, zuvorderst Energie, sollen sinnvoll zusammenwirken. Aber nicht für die Maximierung von Profit Einzelner, sondern mit einem Ziel: »make the world work, for 100% of humanity, in the shortest possible time, through spontaneous cooperation, without ecological offense or the disadvantage of anyone.«
So wird der 4. März 1969 zu einem besonderen Tag für Fuller. Zwar befinden sich die USA seit 1961 im Vietnamkrieg. Acht Jahre schon dauerte dieser Krieg, der sozusagen eingebettet ist in den eigentlichen Konflikt dieser Zeit, die globale Konfrontation des kalten Krieges. Insgesamt zwölf Jahre werden die USA, noch bis 1973, diesen Krieg führen. Wobei er für die Vietnamesen schon 1955 begonnen hatte und bis 1975 andauert. Der Tag war nicht deshalb besonders, weil zwei Tage zuvor die Concorde ihren ersten Testflug erfolgreich absolviert hatte, und auch nicht, weil ein Tag davor Apollo 9 gestartet war. Obwohl das Meilensteine der Technologieentwicklung waren, die Fuller sehr genau mit verfolgte. Beide referierten auf Fuller’sche Konzepte für das World Game: die Concorde mit ihrem Überschalltempo auf die Überbrückung von Distanzen »in shortest possible time« und die Apollo als Kapsel auf »the whole planet« und das »spaceship earth« mit seiner Besatzung.
Für Fuller war der Tag bedeutend, weil er sein World Peace Game vor einem Kongressausschuss präsentierte, der sich mit Technologie und menschlichem Lebensraum befasste. Damit war sein World Peace Game höchst offiziell anerkannt, das er dem War Game der Kriegsstrategen entgegen stellte. Später wurde sogar noch ein eigener Unterausschuss zum World Game gegründet. Interessanterweise war dann das Wörtchen Peace aus dem ursprünglichen World Peace Game verschwunden. Wohl weil sich die USA im Krieg befanden. Von Fullers Präsentation ist ein umfangreiches Dokument[4] archiviert. Es beschreibt über viele Seiten, wie Fuller an jenem Morgen des 4.3.69 auf seine wortreiche Art das World Game Szenario vor dem Kongress Ausschuss auslegt. Erst beim Begriff »Synergy« bremst er sich abrupt ein und stellt eine Frage an den Senator:
»I have to ask you, sir, are you familiar with the word ‚Synergy‘?«
Der Senator bejaht und stellt aber auch klar, dass er gerne mehr darüber wissen möchte.
Fuller definiert den Begriff in einer Kurzversion so: »behavior of wholes unpredicted by behavior of their parts«
Bedauernd stellt er weiter fest: »... we have
proven experimentally that it (Anm.: the word synergy) is not used by the public, ...«
Heut verhält sich das anders. Die Kurzversion ist als ein populärer Slogan in aller Munde: »Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.« Fuller würde sich wohl freuen, wenn er heute seine Umfrage wiederholen würde.
Diese Vorstellung vom Verhältnis eines Ganzen zu seinen Teilen findet sich auch schon in Aristoteles (Metaphysik).[5] Aristoteles verdeutlicht den Begriff anhand der Laute in der Sprache, die durch synergetisches Zusammenwirken in Worten, als Bedeutungsträger fungieren. Diesem 1969 allgemein kaum bekannten Begriff Syn-ergie, stellt Fuller den Begriff En-ergie zur Seite: »Synergy is not a popular word. The word synergy is a companion to the word ‚energy‘. Energy and synergy. The prefix ‚syn‘ of synthesis meaning ‚with, to integrate‘ and the ‚en‘ of energy means ‚separating out‘.« Das kann man sich so vorstellen, wie etwa wie das Integrieren dem Differenzieren gegenübersteht.[6]
Das Engführen der ästhetischen und der ethischen Inhalte von Design fasste Fuller mit dem Begriff Synergie. Mit diesem konzeptuellen Kniff gelingt es ihm, die Ästhetisierung und Ethisierung von Energie miteinander zu verflechten. Schon vor den Energiekrisen der 1970er Jahre provoziert Fuller eine Veränderung der Sinnhaftigkeit, einen Wechsel der Kriterien für die Beurteilung von Design und damit für dessen soziale Rolle. Ein Verständnis von Energie wird eröffnet, das die Wahrnehmung ihrer Erscheinungsformen, sowie den Umgang mit ihr in unbedingte Verbindung mit Fragen nach der moralischen Vertretbarkeit stellt.
Um den Sachverhalt zu illuminieren, kann man als zeitgenössisches Thema von Synergie unerwünschte Lichtemission nennen. Diese so genannte Lichtverschmutzung ist eine der vielen Ausprägungen des ethischen Aspekts von Energie, geprägt vom Handeln und Verhalten von Individuen und Institutionen sowie Regelwerken und Infrastrukturen. Der ethische Aspekt von Lichtverschmutzung verweist aber gleichzeitig auch auf den Maßstab, in dem Synergie als ein ästhetischer Designbegriff noch zu etablieren ist.
Eine Aufgabe, der sich heute alle Design-disziplinen zu stellen haben: Wie wird Synergie als ästhetischer Designbegriff fruchtbar? Das wäre eine allgemeine Ästhetik, die über Fullers eigener Formensprache und die des High Tech und dessen Nachfolgern hinausgehen kann. Also, es gilt, die Wahrnehmung der Erscheinungsformen von Synergie zu designen, die einen Zugang zum globalen Maßstab der Vertretbarkeit von Handeln und Verhalten in Regelwerken und Infrastrukturen ermöglicht.
In Fullers World Game würde die Erde zu einem Automaten für ein kollektives Organisationsspiel auf Basis all der Daten, die gesammelt und synergetisch organisiert werden können. Der Überfluss, der auf der Erde produziert wird, kommt nach wie vor nicht »100% of humanity« zu Gute. Nun, Überfluss kann als Redundanz verstanden werden, was auch Verschwendung, Missverwendung und Fehlplatzierung bedeutet. Deshalb ist im Design die Redundanz der Gegensatz zu Synergie. Denn die positiven Eigenschaften von Redundanz stellen eine Art von Mannigfaltigkeit in Netzwerken dar, deren Variabilität und Adaptierbarkeit. Damit hat Designethik ein Narrativ, das es zunehmend zu ästhetisieren gilt, um der zunehmenden Ungleichheit Widerstand zu bieten.
Infos:
Brynjolfson Erik; Andrew McAfee: The Second Machine Age. Work. Progress and Prosperity in a Time of Brilliant Technologies. New York/London 2015
http://www.worldgamelab.org
http://bfi.org/about-fuller/big-ideas/world-game