Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch: In den 1980ern schlugen Wissenschaftler Alarm, weil die Konzentration von atmosphären- und klimaschädlichen Gasen bedrohliche Ausmaße angenommen hatte. Die Substanzklasse mit dem Namen Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) schädigt die Ozonschicht, die so etwas wie den natürlichen Sunblocker der Erde darstellt, und trägt überdies, pro Molekül gerechnet, etwa 10.000mal stärker zum Treibhauseffekt bei als Kohlendioxid. Und das Zeug war überall: in Haarsprays, Kühlschränken und in der Reinigung von Textilien und elektronischen Bauteilen. Die Existenz ganzer Industriezweige schien vom Einsatz der FCKW abzuhängen. Was dann geschah, scheint aus heutiger Sicht fast unvorstellbar. Im Montrealer Protokoll von 1987 verpflichteten sich 196 Staaten zunächst zu einer drastischen Reduzierung der Ozonkiller; und da schnell klar wurde, dass dies nicht ausreichen würde, folgte 1990 der Beschluss, bis zum Jahr 2000 weltweit komplett aus der FCKW-Produktion auszusteigen. Mit Erfolg: Das Ozonloch über dem Südpol existiert zwar immer noch, da die Verbindungen sehr langlebig sind, seit 2014 belegen Messungen jedoch, dass sich die Ozonschicht auf dem Weg der Erholung befindet. Es wird erwartet, dass sie um das Jahr 2070 herum vollständig wiederhergestellt sein wird.
Vielleicht noch erstaunlicher als diese Erfolgsgeschichte ist im Vergleich mit der heutigen Klimadebatte allerdings noch etwas anderes: Eine nennenswerte Bewegung von »FCKW-Leugnern« gab es nicht - auch wenn die Chemielobby eine Zeitlang versuchte, sich gegen ein Verbot zu wehren, etwa mit der Behauptung, der Stand der Forschung rechtfertige bislang kein Eingreifen (zur gleichen Zeit verzeichnete Australien aufgrund der verstärkten UV-Strahlung gerade einen dramatischen Anstieg von Hautkrebserkrankungen). Niemand versuchte, den Ozonschwund wahlweise für nichtexistent oder als natürliche Schwankung zu erklären, die nichts mit den FCKW zu tun habe. Weder wurde die Erwähnung des Themas aus dem Schulunterricht verbannt, noch behinderten Politiker aktiv die Forschung an dem Problem. Und selbst der damalige US-Präsident Ronald Reagan, obschon mehr für markige Worte als für überragende Geistesgaben und diplomatisches Geschick bekannt, kam nicht auf die Idee, feindliche Mächte einer Verschwörung gegen die USA zu bezichtigen.
Das Sein …
Die Auswirkungen der Erderwärmung sind ungleich verheerender und treffen nicht nur Pinguine und die paar Menschen, die das Pech haben, am falschen Ort zu wohnen, sondern den gesamten Planeten. Warum also tut sich die Menschheit so ungleich schwerer, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, beziehungsweise damit, diesen überhaupt als Realität anzuerkennen?
Zum einen liegt das fraglos gerade am Ausmaß des Problems: Die FCKW erwiesen sich schnell als verzicht- oder wenigstens ersetzbar (dass die nun verwendeten Substanzen wiederum starke Treibhausgase sind, steht auf einem anderen Blatt). Fossile Energieträger dagegen bilden das Fundament unserer Wirtschaftsordnung, wie wir sie von Anbeginn der Industriellen Revolution an kennen. Einen rollenden Güterzug mit 50 Waggons voller Kohle bringt man nun einmal nicht auf hundert Metern zum Stehen. Was an sich aber kein Grund wäre, den Bremsweg unnötig zu verlängern oder gar unbekümmert weiter auf den Abgrund zuzurasen.
Wäre der Kapitalismus die rationale Veranstaltung, für die ihn Ökonomen gerne halten, müsste die Energiewende also längst in vollem Gange sein; schließlich ist absehbar, dass die Erderwärmung umso teurer werden wird, je weiter sie voranschreitet. Bekanntlich leben wir aber nicht in einer Welt aus dem Gemeinschaftskundebuch, in der das Handeln des »Homo oeconomicus« unter dem Gesetz von Angebot und Nachfrage zur fairen Aushandlung von Interessen und damit zur größtmöglichen Zufriedenheit aller Beteiligten führt. Vielmehr ist das oberste, wenn nicht das einzige Gesetz des Kapitalismus die Produktion von Mehrwert zur Generierung von noch mehr Mehrwert – und dem ist es egal, wie er zustandekommt.
Hat man unter den konkurrierenden Einzelkapitalen beispielsweise Energiekonzerne, deren Kohlekraftwerke sich längst amortisiert haben und jetzt munter Profit und CO2 vor sich hinproduzieren, liegt auf der Hand, dass diese Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Anbietern von erneuerbaren Energien haben, die ihre Infrastruktur erst aufbauen müssen. Darüber hinaus haben diese Platzhirsche das nötige Kleingeld, politische Entscheidungen per Lobbyarbeit in ihrem Sinne zu beeinflussen – oder sich gleich Posten in der Politik zu sichern. So geschehen in den USA, wo mit Energieminister Rick Perry und dem Chef der Umweltbehörde EPA, Scott Pruitt, zwei Herrschaften mit besten Kontakten zur Öl- und Gasindustrie an zentralen Schaltstellen sitzen, um die Agenda der Branche umzusetzen.1
Selbst ohne diese Faktoren, die man als Anhänger der reinen Lehre vom freien Markt als Wettbewerbsverzerrung abtun könnte, blieben weitere Hindernisse für die Energiewende: Wären staatliche Eingriffe ins Wirtschaftsleben vor 30 Jahren bereits so verpönt gewesen wie heute, stünde es wohl schlecht um die Ozonschicht. Nur in China, dessen Kommandokapitalismus man dennoch nicht mögen muss, ist diese neoliberale Doktrin noch nicht so richtig angekommen, und so ist es kein Zufall, dass die größte Volkswirtschaft der Welt inzwischen Vorreiter im Ausbau der erneuerbaren Energien ist. Aber auch dort wird man nicht so schnell komplett auf die Kohleindustrie verzichten können, von der ja auch zahlreiche Arbeitsplätze abhängen.2
… bestimmt das Bewusstsein
Eine Erörterung, warum der Zwang zum Verkauf der Arbeitskraft ein grundsätzliches Problem des Kapitalismus darstellt, würde an dieser Stelle zu weit führen. Als Beispiel, welche schrägen Argumente das hervorbringen kann, sei aber Armin Laschet erwähnt. Der CDU-Politiker ist Ministerpräsident des Kohlelandes NRW, denkt aber im Zuge der Koalitionsverhandlungen im Bund auch an die Brüder und Schwestern im Osten: »Wenn Braunkohlewerke in der Lausitz schließen und das die Erwerbsgrundlage für Tausende Menschen entzieht, dann haben Sie demnächst 30 Prozent AfD.«
Mal abgesehen davon, dass auch der frustrierteste Mensch keine rechtsradikale Partei wählen würde, wenn er nicht schon eine entsprechende Grundhaltung mitbringt, bleibt nach Laschetscher Logik also nur die Wahl zwischen Klimakatastrophe und Protofaschismus. Tatsächlich allerdings wäre das eher die Entscheidung zwischen Weltuntergang mit oder ohne AfD, denn wie es sich für eine Partei gehört, deren Weltbild auf massiver Wahrnehmungsverzerrung beruht, glaubt man dort auch nicht an den menschengemachten Treibhauseffekt. Die entsprechenden Passagen im Parteiprogramm lesen sich wie eine Hitliste des Klimawandelleugnens: Das Weltklima hat schon immer geschwankt,3 die Prognosen der Wissenschaft stimmen nicht mit den Beobachtungen überein (Spoiler: Doch, tun sie; und je mehr Messungen hinzukommen, umso alarmierter sind die Klimaforscher), und überhaupt ist Kohlendioxid ja etwas Gutes, weil nötig fürs Pflanzenwachstum.4
Eine reaktionäre Politik ist also nicht nur Gift für das gesellschaftliche, sondern auch für das Weltklima, wie nicht zuletzt der Ausstieg der USA aus dem internationalen Klimaabkommen beweist. Und es verwundert auch nicht, dass diejenigen, die besonders aggressiv auf jede Art von Veränderung reagieren, auch die originellsten Einfälle haben, um die globale Erwärmung wegzuerklären.
Man muss den Klimawandel allerdings nicht rundweg abstreiten, um den Ernst der Lage zu kleinzureden. Denn eins können Menschen besonders gut: nämlich, auch noch die dümmsten Dinge rationalisieren, wenn es den eigenen Interessen dient. (Es ist z.B. immer wieder erstaunlich, wie Menschen, die ihr Leben lang mit einem Kleinwagen wunderbar klargekommen sind, plötzlich unzählige zwingende Gründe für die Anschaffung eines SUVs entdecken, sobald das nötige Kleingeld vorhanden ist.) Auch die Äußerungen von Herrn Laschet fallen in diese Kategorie – man könnte ihn ja mal fragen, ob er wegen der Arbeitsplätze auch für die Legalisierung des Heroinhandels ist, von dem schließlich auch viele Menschen leben.
Dass die Bevölkerung der Industrienationen ihren Konsum eigentlich drastisch einschränken müsste, hört niemand gerne; und so reagieren die einen mit Verleugnung, andere mit Verdrängung beziehungsweise einer »Nach uns die Sintflut«-Haltung. Bestenfalls hofft man auf eine grüne Marktwirtschaft, in der es sich dank neuer Technologien weiterleben lässt wie gewohnt. Das ist allerdings schon wegen des inhärenten Zwangs zum Wachstum illusorisch; für die meisten aber offenbar leichter vorstellbar als Szenarien für einen geordneten Ausstieg aus dem Kapitalismus, bevor dieser sich auf wenig menschenfreundliche Weise selbst überwindet. So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen und im Bioladen einkaufen.