Das Kapital hat kein intrinsisches Interesse an der Unterdrückung der Frau, vielmehr daran, ihre Mehrarbeit ebenso anzueignen wie die des Mannes. Unter der Herrschaft des Kapitals hat die Frauenunterdrückung nicht nur Bestand, sondern eine spezifisch kapitalistische Ausprägung. Diesen Widerspruch so zu denken, dass er die Perspektive auf die Befreiung der Frau frei gibt, ist das Programm aller sozialistisch-feministischen Ansätze. Lise Vogel stellt in Marxismus und Frauenunterdrückung zunächst einige dieser Ansätze vor, die in unterschiedlicher Weise auf die unbezahlte Hausarbeit als Ursprung der Unterdrückung der Frau zielen. Bei allen behandelten Autorinnen moniert sie den Mangel eines »eindeutigen theoretischen Status« der Hausarbeit. Dieses Problem versucht sie zu lösen, indem sie orientiert am Kapital die Ware zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchung macht und Hausarbeit als Reproduktion der besonderen Ware Arbeitskraft aus dem theoretischen Rahmen des Marxismus entwickelt. Dieser Fokus erlaubt ihr, die Widersprüche der Hausarbeit und die »gravierenden sozialen, psychologischen und ideologischen Phänomene der Frauenunterdrückung«[1] aus den materiellen Bedingungen der Reproduktion selbst abzuleiten.
Insbesondere im Kapital findet sie Anhaltspunkte für diese Konzeption. Entscheidend sind die Marx‘schen Begriffe der individuellen Konsumtion, die der produktiven Konsumtion vorausgehen muss, um Arbeitskraft immer wieder herzustellen und der Wert der Ware Arbeitskraft, der auf den Unterschied zwischen notwendiger Arbeit und der ausbeutbaren Mehrarbeit verweist.
Umso mehr überrascht, dass sie Engels vorwirft, bereits am Titel von Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates sei erkennbar, dass der »Anspruch des Werkes bezüglich des Themas des Unterordnung der Frau«[2] begrenzt sei – weil es auch Privateigentum und Staat betrachte, also die Bedingungen, denen ihre zentralen Begriffe entspringen.
In ihrer abschließenden Bemerkung scheint sie den von ihr angeführten ‚sowjetischen Kommentatoren‘ zuzustimmen, dass es sich bei der von Engels implizierten relativen Autonomie von Verwandtschaftsver-hältnissen gegenüber den gesellschaftlichen Bedingungen von Produktion und Reproduktion um eine Zumutung handelt.
Dieser Einschätzung mag man zustimmen oder nicht – Engels Verschulden sind biologische Fortpflanzung, die mit ihr verbundenen Verwandtschaftsverhältnissen und der für sie notwendige heterosexuelle Geschlechtsverkehr jedenfalls nicht. Hier fällt Vogel weit hinter ihren Anspruch zurück, nicht konkrete Gesellschaften sondern die kapitalistische Produktionsweise zu analysieren: ihre These, dass es zur Reproduktion der Arbeitskraft weder der Heterosexualität, biologischer Fortpflanzung, Familienformen oder generationeller Erneuerung bedarf, ist nur haltbar, wenn man davon ausgeht, dass es ein Außen der kapitalistischen Produktion gibt, in dem sich ‚direkte Produzenten‘ auf magische Weise materialisieren, um dann zur Reproduktion der Arbeitskraft ins Innen der kapitalistischen Produktion verfrachtet zu werden. Damit widerspricht sie ihrer eigenen Diagnose, dass die Fähigkeit der Frauen Kinder zu gebären gerade Quelle ihrer Unterdrückung ist, weil es sich dabei um die Reproduktion neuer ‚unmittelbarer Produzenten‘ handelt – deren analytische Kraft bleibt davon jedoch unberührt. Sie kann zeigen, dass sich die spezifisch kapitalistische Unterdrückung der Frau aus dem Widerspruch zwischen der Gleichheit als Lohnarbeiterin – deren Arbeitskraft genauso ausgebeutet werden kann wie die ihres männlichen Pendants – und der Notwendigkeit des Austragens und Erhaltens einer neuen Generation von Lohnarbeitern, das die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft zumindest teilweise einschränkt, generiert. Von den Konsequenzen dieser Einsicht will sie jedoch nichts wissen: sie formuliert zwar die Notwendigkeit einer Analyse der konkreten Lage der Frau und deren historischer Genese, wo diese ansteht, zieht sie sich jedoch auf die Position zurück, Theorie als Theorie wäre notwendig so abstrakt, dass sie eine solche gar nicht leisten könne.
Obwohl sie es als eines der Phänomene hervorhebt, die sowohl Marx und Engels, als auch Lenin aufgreifen, hat sie selbst deswegen zu Prostitution ebenso wenig zu sagen, wie zur konkreten Gewalt, mit der Männer aller Klassen ihre Herrschaft über Frauen durchsetzen.
Unter einer umfassenden Theorie versteht Vogel letztlich nicht mehr und nicht weniger als einen Marxismus, der die Frage der Frauenunterdrückung als Frage der kapitalistischen Produktionsweise stellt. Die Stärke dieses Ansatzes ist zugleich seine Schwäche: die ahistorische Betrachtungsweise öffnet zwar den Blick darauf, dass Hausarbeit nicht notwendigerweise Frauenarbeit ist, übersieht in der Folge aber, dass sie es ungeachtet dieser Erkenntnis real ist – die Frauenfrage ist keine mehr, nicht weil sie beantwortet wurde, sondern weil sie kein Subjekt mehr hat. Ihre These, dass reproduktive Tätigkeiten nicht restlos kommodifizierbar seien, wie z.B. das Austragen und Gebären von Kindern, wird durch die zunehmende Verbreitung von Leihmutterschaften und biotechnologischer Eingriffe in die »generationelle Erneuerung« widerlegt. Auch hier zeigt sich, dass es ihrer Untersuchung zuträglich gewesen wäre, sich für die gegebenen historischen und gesellschaftlichen Bedingungen ihres Gegenstands zu interessieren.
Originär feministischen Absichten hat diese Perspektive wenig anzubieten – ohne klaren Subjekt- oder Erfahrungsbegriff gibt es nichts worauf sie zielt, sie verharrt im luftleeren Raum, den sie sich mit ihrem hohlen Theoriebegriff selbst geschaffen hat.
Lise Vogel »Marxismus und Frauenunterdrückung. Auf dem Weg zu einer umfassenden Theorie«. Unrast, Münster, 2019.