Schöne genrelose Zukunftsmusik

10 Jahre »The Future Sound« in der Linzer Stadtwerkstatt. Anlass für eine Ausschweifung, was clubmäßig in Linz geht und was nicht.

Ein Mann, eine Gitarre, ein Laptop, ein Controller. Wir hören per Hand gespielte Melodieskizzen, die sich, elektronisch manipuliert, zu Ambient-Kaskaden verdichten.

Dann eine Frau, ein Mikro, ein samplebeladener Laptop, ein Keyboard. Es bleibt inwendig, wird dann songorientiert, schließlich beatlastiger, tanzbarer. Das Publikum taut auf.

Dann wieder unser Mann von eben, jetzt mit Live-Drummer. Das Schlagzeug, präpariert mit Tüchern und Triggern, schickt Soundimpulse an den Laptop des Kollegen. Es steigt jetzt eine munter dahinfrickelnde Perkussionsparty zum Staunen, Hören und Grooven, was praktisch jede und jeder Anwesende auch tut.


Die Rede ist hier von The Future Sound (TFS) #90, das am 7. Februar 2020 in der Stadtwerkstatt über die Bühne ging. Kirk Barley ist der Name des Mannes, der den Beginn des Abends bestritt und später an der Seite von Drummer Matt Davies als CAMD bestätigte, warum der House-Querschläger Matthew Herbert so große Stücke auf ihn hält. Er releast als Bambooman auf Herberts Accidental Records und war als solcher auch schon bei TFS zu Gast. Dazwischen konnten wir Elsa Hewitt kennenlernen, die aus Gitarrenloops, Field Recordings und Vokalharmonien Kleinodien des Dreampop zauberte, die in den berückendsten Momenten einer FKA Twins gut zu Gesicht stünden, aber im Gegensatz zu dieser durchaus auch treibende Kräfte jenseits der Selbstbeschau entwickeln können.

Alles in allem ein Abend, wie sie ihn sich wünschen, sagen Fino und Abby Lee Tee. Die beiden Veranstalter und DJs sind die Betreiber von TFS. Zusammen mit Wolfi Ortner, der das grafische Erscheinungsbild – ein schönes, weil auf Lese- und Sehgewohnheiten genüsslich pfeifendes, visuelles Pendant zur musikalischen Ausrichtung – beisteuert.

Zusammen kultivieren die drei ein Formatpflänzchen, das über das aus dem Clubkontext gewohnte Crowdpleasing doch recht weit hinausgeht. Es ist ein durchlässiges Format, das Experimente in den Club hineinträgt, aber auch ohne elektroakustische Vorstudien Spaß macht. Zwischen den Stühlen, so denn 2020 überhaupt noch welche zum Verschnaufen bereitstehen, tanzt es sich nach Future-Sound-Maßstäben einfach am besten.

Überhaupt Future Sound: Was soll das eigentlich sein? Ist die Zukunft nicht, wie der britische Musikautor Mark Fisher sinngemäß meinte, längst eine Parade von Phantomen der Vergangenheit, die uns eine Zukunft vorgaukeln, die letzten Endes aber doch nichts anderes sind als die gleißende Fratze des Spätkapitalismus?

Vielleicht besteht ja doch noch Hoffnung, ehe wir uns vom Spotify-Algorithmus in den ewigen Überwachungsschlummer gestreamt haben werden. Und die Hoffnung heißt in unserem Fall »Post-Genre« oder »Off-Genre« und beyond. Denn das sind die einzigen wackeligen Eckpfeiler, auf die man sich als stilistische Klammer bei TFS einigen kann. »Ich würde sagen, der einzige rote Faden ist, dass wir Leute einladen, die irgendwo im Umfeld von elektronischer Musik sehr eklektisch agieren. Ich sehe nicht, dass wir einen Abend gestalten mit einem Act, der Techno macht, einem der Ambient macht usw., sondern dass die Gäste in sich schon sehr breit gefächert sind«, umschifft Abby Lee Tee die Frage nach der Stoßrichtung von TFS.

Abby Lee Tee, der neben Fino zwischen den Acts die Turntables bedient, kommt eigentlich aus dem HipHop. Bei den Dialektrappern Hinterland legt er die Beats vor, ist aber auch im DJ-Zirkus kein Unbekannter. Über die Jahre schlichen sich in seine Sets immer abstraktere, verspieltere, manchmal sogar in Richtung House hinüberlugende Tracks ein. In diesem diffusen Off-Genre-Nebel ist er dann mit Fino kollidiert, der von den weirderen Ecken der Elektronik kommend, sich bei Broken Beats und Wonky eingegroovt hatte. Experimenteller HipHop traf auf moderne Bassmusik: Und da tat sich ein weites Feld auf, das seit dem 21. April 2010 jede Menge Früchte trägt.

Zufall und Notwendigkeit

An besagtem Tag fand in der Stadtwerkstatt eine Veranstaltung mit dem Titel »The Future Sound of Vienna« statt. Der Name weist eigentlich zurück in die 1990er, als das von Kruder & Dorfmeister betriebene Label G-Stone seinen längst sattsam bekannten Signature Sound in die Welt schickte. In unserem Fall war das aber keines dieser Handtaschen-Shmoove-Clubbings, sondern der Anfang von etwas Neuem, das, wie die meisten Dinge von Dauer, aus Zufall und Notwendigkeit entstand. Zufall, weil das heute international reputierliche Wiener Produzentengenie Dorian Concept mit einer Handvoll Kollegen den Science-Fiction-Film »The Cosmic War of the Planets« in Linz zur Aufführung bringen wollte. Und Notwendigkeit, weil es aus finanzieller und räumlicher Beengtheit einer Kooperation von Kapu und Stadtwerkstatt bedurfte, um das Ding zu wuchten.

Es wurde ein Erfolg, dem weitere folgen sollten und die seither in ein- bis zweimonatiger Regelmäßigkeit daran erinnern, dass man in Linz tatsächlich auch live avanciertere elektronische Musik entdecken kann. Gebrannte Stahlstadtkinder haben ja im kleinen clubmusikalischen Glücksspiel nicht gerade das große Los gezogen. Cocktails schlürfen in der wochenends zum Club umfunktionierten Bar geht dankenswerterweise, ja. Auf den Tinder-Strich gehen, während der DJ von Daft Punk zu Helene Fischer switcht, ebenso kein Problem. Und für eine Volldröhnung bei Gabba, Ragga, Psy-Trance oder Drum’n’Bass ist auch nicht unbedingt eine Reise in die nächstgrößere Stadt nötig. Aber der Alltag macht elektromusikalisch gesehen eher mürbe, gäbe es da nicht Initiativen wie den Raumteiler, Holy Hydra, Tresor, den Club Unten oder kürzlich das von einer Ausstellung im OK begleitete Klubinstitut, um die umtriebigsten zu nennen.

Wenn’s mal etwas mehr sein darf, braucht es die Potenz eines geförderten Festivals. Weil aber bei der Ars Electronica die musikalische Komponente seit Jahren eher eine Randexistenz fristet und als wohlfeiler Türöffner zum Nicht-Fachpublikum herhalten muss, flüchtet man als elektronisch gepolter Linzer eben in Städte, die nicht viel größer oder gar kleiner sind: Nach Graz zum Elevate, nach Krems zum Donaufestival oder nach Innsbruck zum Heart of Noise. Von Wien, Berlin, Barcelona, Krakau etc. ganz zu schweigen.

Aber selbst bei den größeren Festivals macht sich mittlerweile oft ein programmatischer Gleichklang breit. Es werden alljährlich jene Namen von einem zum anderen durchgereicht, die gerade Hype-Status genießen, Trendgenres wie Footwork oder gqom abgehandelt und zusammen mit zugkräftigen Dauergästen in die Auslage gestellt.

Bei TFS liegt die Sache etwas anders. Naturgemäß auch deshalb, weil man sich das Hype-Pingpong schlicht nicht leisten kann. Lieber hat man sich nach eigenem Gutdünken einen scheuklappenbefreiten Bildungsauftrag auferlegt: Fino: »Es war schon unser Anspruch, eine Reihe zu kreieren, die es Leuten abnimmt, sich intensiv mit der Musik zu beschäftigen. Sondern das Vertrauen in die Kuratorenschaft zu legen, und zu sagen: Dort gehen wir hin, dort erleben wir was, was mir ein Programm bietet, das nicht nur dancy ist. So gesehen sind wir definitiv in einem totalen Aufklärungsunterricht unterwegs.«

Der TFS-Lehrplan bleibt indes erfreulich durchlässig, verlangt aber sowohl Künstlern als auch Publikum eine grundsätzliche Sprungfreudigkeit ins kalte Wasser ab. »Spiel das einmal nachmittags jemanden vor und sage: Da gehen wir heute Abend hin. Das wäre normalerweise ein Griff ins Klo«, ist sich Fino des Risikos bewusst, den Partybedürfnissen nicht unbedingt gerecht zu werden. Aber auch ein Artist wie der Experimentaldrummer Julian Sartorius kann durchaus ins Schwitzen kommen, wenn vor seinem Auftritt der Saal bereits im Four-to-the-floor-Tanzmodus ist und er die Veranstalter darauf hinweist: »Aber ihr wisst schon: Ich spiel’ keine Beats.« Finos Antwort: »Julian, egal, was du machst, wir stehen hinter dir. Hau mal rein.«

So undogmatisch läuft das bei TFS. Und so liest sich die Liste der Namen, die während der zehn Jahre bei TFS vorbeigeschaut haben, wie ein höchst subjektiver, alle Nischen ausleuchtender Rückblick auf die elektronischen Zehnerjahre. Da finden sich neben Künstlern, deren man noch vor ihrem Karrierehöhenflug habhaft werden konnte, wie z.B. Nosaj Thing, Floating Points oder Om Unit, eine ganze Reihe von verlässlichen Eigenbrötlern wie Jan Jelinek, Ritornell, Busdriver oder Daedelus. Meistens aber haben wir es mit Acts zu tun, die unter oder überhaupt jenseits des Hype-Radars frei dahin flottieren, die einmal einen eher kompositorischen Ansatz verfolgen, ein andermal von der Improvisations-ecke kommen, jedenfalls aber die Rezeptionsgewohnheiten eines durchschnittlichen Clubgängers auf die Probe stellen.

Es wird was geben

Davon dürfen wir auch ausgehen, wenn am 16. und 17. April 2020 zum Doppelschlag TFS #91 ausgeholt wird. Für das zehnjährige Jubiläum hat man am ersten Abend mit der Kopenhagenerin Sofie Birch und der kürzlich von Berlin nach Wien gewechselten Rosa Anschütz zwei Künstlerinnen geladen, die im weiten Feld der synthiebasierten Ambient Music irgendwo zwischen Neo-Romantik und Dark Wave operieren. Und tags darauf kündigt sich ein Heimspiel mit namhaften Wiener Future-Sound-Freunden an. Neben zwei zu Redaktionsschluss noch nicht bestätigten Acts werden Katharina Ernst und Peter Kutin vom Ventil-Label mit einer polyrhythmischen Noise-Performance aus der Komfortzone locken.

Und danach? Ob die Marke TFS weitergeführt wird, bleibt vorerst offen. Wenn, dann gender equal wie bisher. So weit, so selbstverständlich. Und weil man ja auch nicht jünger wird und schon gerne mal einen Abend vor vier beschließen möchte, könnte das Konzertformat in Zukunft eine größere Rolle spielen. Aber letzteres ist jetzt bloß eine Vermutung. Sicher ist nur: Es wird was geben.

The Future Sound #91 / 10 Jahre The Future Sound / The End of the Future

16. und 17. April 2020, Stadtwerkstatt

16. April 2020 / 19:00
Rosa Anschütz (Quiet Love Records / AT)
Sofie Birch (Proton /DK)
WM_EX10 WM_A28 TCM_200DV BK26  (Stefan Tiefengraber / AT)
TFS DJ’s
 
17. April 2020 / 20:00
Katharina Ernst (Ventil Rec. / AT)
Peter Kutin (Ventil Rec. / AT)
Dorian Concept Ambient Set (Affine Rec. / AT)
TFS DJ's

The Future Sound Plakate #01-#91

Das Format »The Future Sound« besteht als Reihe für elektronische Musik seit 10 Jahren. Aus diesem Anlass wird es mit der Veranstaltung eine Plakatpräsentation aller veranstalteten Soundartists geben.

STWST Foyer im 1. Stock, Eröffnung 16. April

club.stwst.at

Sofie Birch (Pressephoto)