Als Lady Gaga vor wenigen Monaten ihre Single »Born This Way« veröffentlichte, musste sie vor allem von Seiten queerer Aktivist_Innen (die Lady Gaga bis dato alles andere als abgeneigt waren) herbe Kritik einstecken. Grundtenor: Was soll bitte dieser essentialistische Scheiß? Meinte die Madonna-Vorlage »Express Yourself« noch eine Aufforderung zu »Doing Gender«, so postulierte Lady Gaga nun ein reaktionäres »Ich bin halt so wie ich bin« und forderte zudem »Don't be a drag/Just be a Queen«. Andererseits ließe sich das alles auch anders deuten. Nicht als »Ich wurde/bin so geboren« (wo es auch keine Änderungen, sondern nur noch Selbstoptimierungen braucht), sondern als »Ich war so geboren« (als instabiles Subjekt mit unterschiedlichem Begehren), das jetzt halt mal so tut, als wäre es »Born This Way«.
Womit wir bei »Hedwig And The Angry Inch«, dem 2001er Spielfilm-Debüt des spätestens seit seinem 2006 veröffentlichten Queer-Klassikers »Shortbus« einschlägig bekannten und geschätzten James Cameron Mitchell (der hier auch die Hauptrolle spielt) gelandet wären.
Erzählt wird dabei die Geschichte eines in Ost-Berlin aufgewachsenen »girly boy« namens Hänsel, der sich seiner Gender-Identität alles andere als sicher ist. Immerhin gibt es erste Orientierungshilfen eines Lebens jenseits des tradierten Boy/Girl-Schemas via West-Radio und dem dort zu hörenden David Bowie. Als sich ein US-Sergeant in Hänsel verliebt, scheint der Weg in den goldenen Westen (bzw. dem, was sich Hänsel anhand von Bowie-Songs darunter zusammen fantasiert hat) zum Greifen nahe. Jedoch braucht es zur Hochzeit und der damit verbundenen Ausreise aus der DDR noch einer kleinen Operation. Und die geht gründlich schief. Zwar ist aus Hänsel nun Hedwig geworden, aber der übrig gebliebene, dysfunktionale »angry inch« zwischen ihren Beinen schleudert sie nun in noch mehr Gender Troubles als zuvor. Auch Westen ist nicht so golden wie erwartet. In einem Trailercamp in Kansas nahe einer Army-Base wohnend, wird sie am ersten Hochzeitstag von ihrem Sergeant wegen eines anderen Mannes verlassen. Wenige Tage später fällt die Berliner Mauer – Hänsels/Hedwigs Operation erscheint nun noch mehr als unnötiges Unterfangen. Auch weil sich Hedwig selber nicht sicher ist, ob sie nun »wirklich« ein Mann/eine Frau sein möchte. Nicht umsonst kommt sie dabei immer wieder auf die Rede von Aristophanes in Platos »Symposium« zu sprechen (so auch im Song »The Origins Of Love«) wo es um jenen klassischen Mythos geht, der besagt, dass die Menschen einmal zweigeschlechtlich waren und nur von bösen Göttern in Männer und Frauen geteilt wurden.
Es ist daher kein Zufall, dass Hedwig ein Popstar werden will. Nicht nur, um vom Westen doch noch etwas Gold/Geld ab zu kriegen, als vielmehr, weil sie hier als Performerin das Spiel der Maskeraden, Transformationen und Rollenwechsel bis zur extravaganten Groteske ausreizen kann. Was mit einer in Waschsalons aufspielenden Band aus Koreanischen Army-Hausfrauen beginnt, kommt jedoch zuerst nicht weiter als zur »Internationally ignored" Band Hedwig & The Angry Inch – einer Gruppe osteuropäischer Drop Outs, deren Gender Troubles denen von Hedwig nicht wirklich nachstehen. Gespielt wird in Coffee-Bars, Shopping Malls und Fast Food-Lokalen. Nicht unbedingt glamouröse Orte – jedoch von Cameron in Szene gesetzt, als würden wir die »post-punk neo-glam rock«-Version eines grellbunten MGM-Musicals aus den 1940er/1950er Jahren sehen. Und das nicht ohne Grund. Denn ursprünglich war »Hedwig and the Angry Inch« ein erstmals 1998 in New York aufgeführtes Off-Broadway-Musical, dass es in kurzer Zeit zu einer ebenso beträchtlichen wie verschworenen Fan-Gemeinde brachte. Schon zu den Theatervorstellungen kamen die Leute in selbst gemachten Hedwig-Outfits und überdimensionierten Hedwig-Wigs (also Perücken).
Als der Film dann 2001 in die Kinos kam, konnte er daher auch schon auf eine Fan-Basis bauen, die jede Vorstellung zu einer Party machte, wie es sie zuvor eigentlich nur bei den Mitternachtsvorstellungen der »Rocky Horror Picture Show« gab.
Dabei taten die über 40 Kostüm- und Perückenwechsel sowie die umwerfenden Karaokemomente ihr Übriges. Als wunderbares, surreales wie campes Glam-Rock-Musical erneuert »Hedwig And The Angry Inch« nicht nur das Musical-Genre (bis hin zu subtilen Einflüssen bei TV-Serien wie »Glee«), sondern zeigt auch eine unangestrengte diskursive Ernsthaftigkeit, die queeres Denken und Leben nicht einfach als Art Kostümball schriller Freaks, sondern als durchaus schmerzhaften Kampf um Anerkennung abhandelt. Die »Chicago Sun-Times« schrieb dazu ganz richtig: »Strange, how the movie seems to be loud, flashy and superficial, and yet gives a deeper dimension to its characters.«
Und Lady Gaga schenken wir eine DVD davon.