Cherry Sunkist mag Soundflächen und Songlines. Verzerrung. Verstörung auch. Sie mag Gitarren, wenn sie nicht klingen wie Gitarren, und sie mag das, was man so gern, es sich ein wenig leicht machend, als elektronische Musik bezeichnet. Aber ums Leichtmachen geht es nicht bei Cherry Sunkist. Es geht nicht um Unterhaltung (unsere), um Pop aber schon. Expression ist ein Riesenthema. Was wir (die ZuhörerInnen) dann aber mit dem Ausgedrückten machen, ist unsere Sache. Das ist genauso klug wie außergewöhnlich.
Cherry Sunkist schafft Projektionsflächen. Dazu gehört auch, dass die Stimme zwar die Songs dominiert, trotzdem aber ziemlich in den Hintergrund geschoben wird. Leicht verzerrt, Lyrics schwer verständlich. Was auch am Gesangsstil liegt: Vokale werden an überraschenden Stellen gedehnt, die Stimme wird als Instrument eingesetzt, nicht als Sinnträger. Das ist, siehe Albumtitel, nur konsequent. Gleichzeitig ist Wiederholung ein sich durchziehendes Stilmittel. Manche Songs (BODY z.B.) kommen mit wenigen, sich immer wieder wiederholenden Worten aus, das titelgebende (PROJECTION SCREENS) benötigt immerhin 14 Zeilen. Für jemanden wie mich, die ihre Hörgewohnheiten an Vielrednern geschult und im HipHop angesiedelt hat, ist das verblüffend genug. Es funktioniert aber auf Song- und auf Albumlänge. Worte und Sätze werden wiederholt, neu interpretiert, mit unterschiedlicher Instrumentierung unterlegt. Durch diese Wiederholung und Abwandlung erzeugen sich Slogans, Bauchgefühle und Begrifflichkeiten. Bilder beginnen in den Köpfen zu kreisen.
OLD PARTS erinnert an die frühe PJ Harvey, mit seiner scheinbösen Hard-Core-Gitarre, die sich furios steigert bis zum Full Stop. Danach geht es bittersüß und melancholisch weiter. Möglicherweise ein Liebeslied, auch wenn es genauso möglicherweise davon erzählt, dass uns die Füße eingeschlafen sind und die Arme und der Mund, die Nase, der Schädel und das Herz.
Und wenn wir schon bei Melancholie sind: Das melodiöse und sehnsüchtige SHE nimmt uns mit ins Nachtleben. Dort wird verlangsamt getanzt, dort verliert man sich und sehnt sich nach dem Gefundenwerden. Der Beat ist dezent, aber treibend. Eine Frau, wartend an der Bar, ein besungenes DU und die beobachtende Sängerin: »What are you waiting for?« Wer genau damit gemeint ist, bleibt natürlich offen. Wir sind eingeladen, uns selbst und unsere eigenen Beobachtungen in das Szenario zu projezieren.
Und während sich bei DOG/DOLL jede Menge hinter den wabbernden Flächen versteckt, das sich bei Gigs wohl besser herausschälen lässt, als über die Wohnzimmeranlage, geht es bei WEEPING OVER MY IDEALS konkret zur Sache: Mit wunderbarer Stimmarbeit lässt Cherry Sunkist da ihr Weltbild in Teile zerfallen: Stereotype, Rollenvorstellungen und vorgefasste Meinungen. Dagegen halten kann man das eigene, die eigenen Worte und den eigenen Rhythmus, die eigene Musik. Aber passen die überhaupt zusammen? »I´m standing here, not sure if a hat, a snare, a base, a kick can beat my words, my words, my words, my words. It splits me up inside.« Der Track lässt sich rhythmisch zerfallen, der Beat und die Wörter arbeiten kurzzeitig tatsächlich gegeneinander, marschieren einfach stur in die jeweils eigene Richtung. Im Refrain wird mit Streichern aus der Dose auch mal ein wenig auf die Pathostube gedrückt. Und vielleicht ist es das, worum es bei Cherry Sunkist geht: Die große Geste, ironisch gebrochen und via Homerecording, das keine Angst davor hat, nach Homerecording zu klingen, konserviert.
Apropos ironische Ikone: GOODBYE, der Abschiedstrack der CD, ist Marilyn Monroe gewidmet. Und lese ich zu viel in dieses popkulturelle Zeichenspiel rein, wenn ich da schon wieder an PJ Harvey denken muss, die ja auch nicht von ungefähr Polly Jean Harvey heißt und die von Cherry Sunkist ja auch schon gecovert wurde? Wenn wir schon bei Vorbildern und Referenzpunkten sind: Kevin Blechdom, Chicks on Speed, Le Tigre nennen sich da ja fast wie von selbst. Allesamt Bands bzw. Musikerinnen, die nicht nur mit emanzipatorischem Ansatz Musik machen, sondern die auch ein Gesamtkonzept in ihre Kunst einbringen. Visuals, ausgefeilte (und gerne auch mal etwas durchgeknallte) Bühnenoutfits gehören da selbstverständlich dazu. Auch bei Cherry Sunkist, die als Karin Fisslthaler Multimediakunst macht. Cherry Sunkist ist übrigens eine One-Woman-Show, auch live. Das erklärt einerseits, warum so wenig, so absolut untypisch wenig Bass auf PROJECTION SCREENS zu finden ist, Cherry Sunkist spielt nunmal Gitarre und sie kann sich ja schlecht beides umhängen. Sie hat, vor allem live, auch so schon genug zu tun. Alle nötigen Instrumente werden gleichzeitig von ihr in Gang gesetzt, Cherry Sunkist ist ihre eigene Backupband und Frontfrau. Was aber nicht heißt, dass Cherry Sunkist ein Einzelgängerinnenprojekt ohne Umfeld ist. Im Gegenteil: ohnehin schon gut vernetzt, hat Cherry Sunkist jetzt auf dem wunderbaren und engagierten Label comfortzone – betrieben von Christina Nemec – eine Heimat gefunden.