Island als El Dorado der Meinungsfreiheit

Ein Interview mit dem Freie-Medien-Aktivisten Smari McCarthy von Anna Masoner.

In Europa herrschen derzeit nicht gerade die rosigsten Zeiten für Presse- und Meinungsfreiheit. Im italienischen Staatsfernsehen RAI stehen Zensurakte auf der Tagesordnung. In Ungarn entscheidet eine rechtskonservative Medienbehörde über zulässige Inhalte und kann unabhängige Medien durch saftige Geldbußen in den Ruin treiben.
Aber auch in Frankreich und vielen osteuropäischen Staaten machen Medienkonzentration und staatliche Eingriffe der freien Presse zu schaffen. Ein Hoffnungsschimmer geht allerdings von einer kleinen Insel im Nordatlantik aus. Der EU-Beitrittskandidat Island will sich durch gezielte Gesetzesänderungen in eine Art Schweiz der Bits und Bytes verwandeln, in dem der investigative Journalismus besonders gedeihen soll. Der Open-Source- und Freie-Medien-Aktivist Smari McCarthy ist einer der Initiatoren der sogenannten Icelandic Modern Media Initiative (IMMI), wie das Gesetzespaket heißt.

Mit eurer Medieninitiative habt ihr euch eine Menge vorgenommen. Welche Inhalte umfasst denn die Reform-Agenda?

Journalisten, aber auch Informanten sollen künftig in Island besser vor Überwachung und nachträglicher Zensur geschützt werden. In erster Linie geht es also um einen starken Quellenschutz, um das Recht, dass Journalisten die Identität ihrer Informanten geheim halten. Aber auch Internetprovider sollen nicht mehr für Inhalte haftbar sein, die sie für Dritte betreuen. Der Schutz der Meinungsfreiheit betrifft aber nicht nur die Gegenwart, sondern umfasst auch quasi historisches Material. Ein Trend, der derzeit gerade in Großbritannien um sich greift, sind Verleumdungsklagen gegen Zeitungen, die erst Monate oder Jahre nach der Veröffentlichung eines Artikels eingebracht werden. Zu diesem Zeitpunkt haben die Zeitungshäuser kein ökonomisches Interesse mehr daran, diese Artikel zu verteidigen. Deshalb kommt es oft zu Vergleichen. Die Verleger stimmen einfach zu, den Artikel aus ihrem Onlinearchiv zu nehmen. Der Artikel verschwindet somit aus dem Netz. Dabei wird die Vergangenheit zensiert. Das ist sehr schlecht, denn dadurch kann jemand rückwirkend die Geschichte verändern. Das wollen wir nicht. Bücherverbrennungen in der Vergangenheit fanden in der Öffentlichkeit statt. Das hat jeder gesehen. In diesem Fall passiert das aber so subtil, dass wir das nicht mitkriegen. Die Medienhäuser haben ein großes Interesse daran, dass das niemand mitbekommt, weil das ihrem Ruf schadet.

Wer steckt denn hinter der Icelandic Modern Media Initiative und wie ist sie entstanden?

Da muss ich ein wenig ausholen: Die Entwicklung der Meinungs- und Redefreiheit in der westlichen Welt kann man im Wesentlichen auf die Französische Revolution und die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten zurückführen. Es hat sich zwar in den vergangenen zweihundert Jahren wenig daran geändert, wie diese Grundrechte geschützt werden. Gleichzeitig haben soziale und technologische Veränderungen die Grundrechte radikal beschnitten. Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem wir darüber nachdenken müssen, wie wir Meinungsfreiheit langfristig bewahren können. Vor einem Jahr haben sich deshalb AktivistInnen aus unterschiedlichen Bereichen, aus der Politik, dem Journalismus und der Open-Source-Szene, in Island getroffen um über diese Fragen nachzudenken. Daraus wurde ein Papier für das isländische Parlament, das dreizehn verschiedene Gesetzesvorschläge enthielt, die dem investigativen Journalismus und dem freien Internet generell sehr helfen würden. Die Vorschläge wurden bereits vergangenen Sommer vom Parlament angenommen. Vor einem Monat wurde bereits das erste Gesetz verabschiedet.

Warum weht in Sachen Medien- und Meinungsfreiheit gerade aus Island frischer Wind?

Island hatte eine Menge Probleme in letzter Zeit. Die Finanzkrise brachte gesellschaftlich einen ziemlichen Diskussionsprozess in Gang. Man erkannte, dass der Kollaps im Wesentlichen auf ein Informationsdefizit zurückzuführen ist. Die Banken, die Regierung, die Regulierungsstellen, sie alle hatten nicht genug Informationen, um zu begreifen, was passiert. Die Öffentlichkeit hatte keine Ahnung, was vor sich ging. Man glaubte alles wäre schön und nett. Wir sind der Meinung, dass die Verbreitung einer Kultur der Transparenz der einzige Weg ist, um sicher zu gehen, dass so etwas nie wieder passiert.

Die Whistleblowing Plattform WikiLeaks war und ist in Island ja sehr populär, da sie Korruption und grobe Misswirtschaft innerhalb der Kauphting Bank im Rahmen der isländischen Finanzkrise aufdeckte. Welche Rolle spielt denn Wikileaks für die IMMI?

Der Zündfunke kam unter anderem von WikiLeaks-Mitarbeitern. Sie erstellten eine Art Best-Of verschiedener Mediengesetze aus Ländern wie Schweden, den USA oder Belgien. Aber WikiLeaks ist nur eine der Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten.

Eine unabhängige Presselandschaft, egal ob sie sich aus freien oder öffentlich rechtlichen Medien, Blogs oder Zeitungshäusern zusammensetzt, ist demokratiepolitisch wichtig. Das steht außer Frage. Ihr argumentiert aber, dass Gesetzesänderungen auch ökonomische Auswirkungen haben sollen.

Es ist bekannt, dass es sich auch ökonomisch rentiert, einen guten Nährboden für Meinungs- und Redefreiheit zu schaffen. Das letzte Land, das viel darauf setzte, nämlich die USA, ist noch immer eines der mächtigsten Länder der Welt. Wir wollen aus Island jetzt keine Weltmacht machen, aber es gibt entschieden ökonomische Vorteile. Wenn heute jeder im Web präsent ist, sogar die Verlags- und Zeitungsbranche, müssen diese Daten irgendwo gehostet werden. Datenzentren sind ein wirklich großes Ding. Island hat mit seinen natürlichen und sauberen Energieressourcen und seiner guten Lage zwischen Europa und den USA enormes Potential. Wenn es aber keine guten Gesetze gibt, die diese Daten schützen, ist das alles nicht viel wert.

Nun ist es ja schön und gut, wenn Island sich in einen Datenfreihafen verwandeln will, aber hat das auch Auswirkungen auf JournalistInnen in anderen Ländern?

Wenn man die Diskussion in einem Land anregt, färbt das natürlich auf andere Staaten ab. Journalisten oder Blogger können aber in der Zwischenzeit auch einfach nach Island ziehen. Gut, das ist wahrscheinlich nicht sehr realistisch für die meisten Menschen. Eine andere Option, die viel einfacher ist, besteht darin einen Blog oder eine Webseite direkt in Island zu hosten. Es ist ja nicht wichtig, wo auf der Welt du deine Daten lagerst. Von Island nach Australien sind es im Netz 200 Millisekunden. Das ist die längste Entfernung, die man haben kann. Konkret bedeutet das, dass es durchaus Sinn macht seine Daten dort zu hosten, wo sie den besten Schutz genießen. Egal ob in Island oder Neuseeland oder woanders. Darüber hinaus wollen wir die Initiative natürlich über Island hinaus ausdehnen. Island ist ein kleines Land, wir können Dinge schneller umsetzen als größere Länder. Es ist ein gutes Testgelände für neue Gesetze. Und dann kann man es exportieren. Das ist zwar kein sehr gutes Businessmodell, aber es kann sehr vielen Menschen helfen.

Habt ihr schon dementsprechendes Feedback bekommen?

Die europäische Union ist bereits auf die Initiative aufmerksam geworden. Speziell die Idee, dass Informationsfreiheit ein Standortvorteil sein kann, gefällt manchem EU Politiker bzw. Beamten. Außerdem beraten wir tunesische AktivistInnen zu Open Government und Open Data. Denn Open Governance und ein guter Schutz der Redefreiheit gehen Hand in Hand.

Anna Masoner hat in Wien, Linz, Paris und Melbourne Geschichte und Medientheorie studiert. Von 2007 bis 2009 war sie im Team der Stadtwerkstatt. Derzeit ist sie freie Mitarbeiterin bei Radio Österreich 1.