Capture your City - cyc.stwst.at

Über eine nomadische Expedition der Stadtwerkstatt durch einige allgemein eher wenig beachtete urbane Zonen von Linz berichtet Philip Hautmann.

Eine der Phantasien von Hitler für die Zeit nach dem Endsieg scheint sich, lässt man die Entwicklungen der letzten Jahre Revue passieren, immerhin zu erfüllen: Linz hat schon oder bekommt eine neue Neue Galerie, einen Wissensturm, ein neues UKH, ein Musiktheater, ein verdoppeltes AEC, und wird neben aller ambitionierter Metropolanität alsbald auch noch Kulturhauptstadt! Mit dem Projekt »Capture Your City« hat sich zu letzterem auch der Kulturverein Stadtwerkstatt vorerst etwas ausgedacht. An drei verschiedenen Plätzen in Linz lässt sich die Stadtwerkstatt an aufeinander folgenden (verlängerten) Wochenenden nieder, in einer mobilen Werkstatt, oder, wie andere sagen würden, einem aufblasbaren Gummizelt, entworfen von Architekt Siegi Miedl.

Ziel der nomadenhaften Expedition ist die Vermessung des Stadtgebietes, bzw. des näheren lokalen Umlandes der drei in herkömmlichen Touristenführern eher wenig bis gar nicht beachteten Lokationen Hessenplatz (23.8. - 26.8.), Lonstorferplatz (30.8. - 2.9.) und Pfarrplatz (5.9. - 11.9.). Von der Workstation aus Gummi aus bewegen sich die TeilnehmerInnen – KünstlerInnen, FilmemacherInnen und Schreiberlinge – mit Kameras und Notizblöcken durch die Gegend, auf der Suche nach umliegendem Interessanten oder zumindest Markanten. Die Videos werden in der Workstation geschnitten, der Tagesablauf im Netz dokumentiert, am Ende steht die Präsentation der fertigen (Video)Dokumente. Ein künstlerisches Rahmenprogramm (Filmvorführungen, Performances und Livemusik) rundet die vier bis sieben Tage währenden Sessions ab.

Kurz vor Redaktionsschluss ist der erste Teil der Reihe, am Hessenplatz, zu Ende gegangen. Die Geschichte des Hessenplatzes, beziehungsweise der Hessenplatz als Teil der Geschichte der Stadt Linz, fällt mehr oder weniger unter die Kategorie »Was wenige wissen, und kaum einen interessiert.« Die Gegenwart des Hessenplatzes findet sich durch das Hauptquartier der oberösterreischen Wirtschaftskammer geprägt, durch seine Funktion als Endstation der Buslinien 41 und 43, dessen kongeniale Gegenstücke das Zöhrdorferfeld und der Stadtfriedhof bilden, sowie durch ein Abbruchhaus, dessen punkige, obdachlose Bewohner untertags den Park bevölkern. Außerdem gibt es dort ums Eck den ältesten Sexshop von Linz, und einen viel neueren gleich daneben. Das Videokabinenprogramm ist freilich bei beiden entsetzlich, soweit ich mich erinnern kann. Aber vielleicht wird das ja 2009 zumindest für ein Jahr besser. Ansonsten fungiert der Hessenplatz als Twilight Zone zwischen Innenstadt und Neustadtviertel, von dem die Truppe kreative Eindrücke zu gewinnen versucht war, um sie in Ausdrücke umzuwandeln (wie mir in einem Anfall performativer Kontingenz einfällt).

Die Videoleute waren am Hessenplatz: Sedat Pero, Alenka Maly und Margit Greinöcker, als Cutter/Kameraleute fungierten Marc Sengstbratl und Alexander Weißenböck. Margit hat sich besonders für die hiesige Obdachlosenszene interessiert, und einige ihrer Angehörigen interviewt. Noch steht das sie beherbergende Abbruchhaus zum Teil, um aber bald gänzlich zu verschwinden; der Raum soll einem riesigen Hotelklotz frei gegeben werden. Die Punks und »Aussteiger« wissen noch nicht, wo oder was ihre zukünftige Bleibe sein wird. In schöner Doppeldeutigkeit tragen die fertigen filmischen Resultate die Titel »Hotel 1«, »Hotel 2« sowie »Hotel 3«. Was sie nicht beinhalten, ist, dass in der letzten Nacht des Aufenthalts, der vom 25. auf den 26.8., einer ihrer Leute an einer Überdosis Heroin umgekommen ist. Sein Name war Pascha, sein Alter 19. R.I.P.

Nach anfänglichen Aufnahmeexperimenten im nahen Migrationsverein »Migrare« und im ebenfalls nahen Frauenhaus zielten die Videoversuche Alenka Malys in erster Linie dahin ab, den Geist des Lokalen in weniger informationsorientierter, sondern eher filmisch-impressionistischer Weise festzuhalten, und sie mit den Mitteln, die das Medium so bietet, zu überhöhen. Drei kurze Musikvideos waren das Ergebnis: »Godot«, »Du bist schön« und »Samstag Morgen«. Klassisch dokumentationsmäßig hebt sich da ein Interview-Short-Movie mit einem Mitglied der hiesigen Bürgerinitiative gegen den Bau des Hotelungetüms ab, welches zu allem Überfluss für die Anrainer auch noch durch eine groß angelegte Erweiterung des Kaufmännischen Vereinshauses flankiert werden soll.

Sedat Pero, seit Jahren in Wien lebender Kurde, legte seinen Schwerpunkt vorrangig auf die lokale MigrantInnenszene beziehungsweise deren Institutionen. So zum einen auf den MigrantInnenverein »Migrare« in den hinteren Ausläufern der Humboldstraße, und zum anderen auf einen islamischen Integrationsverein mit angeschlossener Moschee gleich gegenüber. So wirklich auskunftsfreudig waren die gläubigen Muslime nicht. Introvertierte, misstrauische, skeptische und letztendlich verschworene Islamisten, die etwas zu verbergen haben? Oder ist es ganz einfach die Enttäuschung und Beleidigtheit, weil jemand nicht, wie gewünscht, mit einem reden und am von einem selbst gestalteten »öffentlichen Diskurs« teilnehmen will? So ist man damit dann auch tatsächlich großen und weit reichenden Fragen des multikulturellen Miteinanders auf der Spur. Antwort findet man aber leider auch im Kleinen nicht wirklich. »Türkenstraße« und »Überleben«, so heißen auf jeden Fall aber Sedat Peros instantan gestaltete Arbeiten.

Das Rahmenprogramm bildete am Donnerstag ein Film Alenka Malys, ein Porträt politideologischer Fossilien, ähem, KommunistInnen aus Linz und Oberösterreich, die ihre persönlichen Motivationen für ihre Weltanschaung erklären. »Noch gibt er nicht Milch« heißt er. Bedeutet so viel wie: »Noch lässt er sich nicht unterkriegen.« Freitag waren dann drei Teile von Sedat Peros für das Wiener Okto TV produzierter achtteiliger Polit- und Gesellschaftsklamauk–Serie »Die dritte Türkenbelagerung« zu sehen, die im Grunde genommen primitive Witze über ÖsterreicherInnen und TürkInnen durch ihre vielschichtige Amalgamierung auf ein respektables inhaltliches als auch humoristisches Niveau hebt. Zuvor aber noch waren die »Phantoms of Thalia« respektive Barbara Huber und Guy van Belle in ebendiesem tätig, und zweckentfremdeten die zum Verkauf feilgebotenen Waren zu Musikinstrumenten. Samstag war Singer/Songwriter Mike Glück zu Gast, der aus dem Schatz seiner in Westcoast-Manier gehaltenen Lieder zitierte. Sonntag war es dann soweit, wie geplantermaßen immer am Ende einer Session, wurden die angefertigten Arbeiten auf der Projektionsfläche des Gummizelts öffentlich präsentiert wurden. Vorher wurde noch das Requiem von Verdi für Pascha gespielt.

So war das also damals in der guten alten Zeit. Die KulturnomadInnen zogen schließlich weiter, irgendwann wird alles längst vergessen sein. Alle waren außerordentlich engagiert, kleinere Dinge haben nicht funktioniert, aber die Arbeiten können sich sehen lassen: Wer’s will, entweder auf
cyc.stwst.at oder besser noch am So. 9.9. um 20:30 auf dem Pfarrplatz in einer Gesamtschau aller auf den drei Plätzen produzierten Videos, denn da werden auch kalte Getränke vom Strom mobil serviert.