»Bitte übertreten Sie bei Bedarf die Linie«, ermuntert eine Aufschrift an der Wand. Der Besucher betritt sodann ein Scherbenmeer. Er oder sie hätte ebenfalls ein Häferl von einem Holzgestell nehmen, es zertrümmern und damit der Wut freien Lauf lassen können. An einem Holzgerüst haben andere Gäste ihre Spuren in Form von beschriebenen Zetteln hinterlassen. Der erste, zufällig herausgegriffene: »Diese nervöse Unruhe kotzt mich an«.
Die Ausstellung »Zorn_Aggression« war bis Ende Juli im KunstRaum Goethestrasse xtd zu sehen, die eingangs geschilderte Installation schuf die gebürtige Kirchdorferin Janina Wegscheider. Ihre Arbeit könnte exemplarisch für das Wirken der Kulturstätte stehen: Grenzüberschreitungen.
Der KunstRaum Goethestrasse xtd ist ein Angebot der pro mente Oberösterreich, einem Non Profit Unternehmen für Menschen mit psychischen und sozialen Problemen. Und gerade über die Kunst soll es möglich werden, andere, noch nicht begangene Wege zu erproben, sich zwischen verschiedenen Disziplinen, Zielgruppen, AkteurInnen, sozialen Räumen und Orten zu bewegen und zueinander Kontakt zu suchen.
Die VERSORGERIN besuchte Susanne Blaimschein und Beate Rathmayr, die zwei verantwortlichen Köpfe, Kuratorinnen und Organisatorinnen, des KunstRaum Goethestrasse xtd. Erste erfreuliche Mitteilung: Der KunstRaum übersiedelt voraussichtlich am 1. Jänner 2008 von der Goethestraße 22 ein paar Gebäude weiter in die Goethestraße 30. Dann stehen statt bisher 120 (plus 10) 470 Quadratmeter Arbeits- und Ausstellungsfläche zur Verfügung. Mehr Raum, das fügt sich bestens in das neue Konzept »KunstRaum extended«. Mit 2007 erfolgte die Umsetzung des Konzepts xtds. Methoden- und Zugangsschärfung, thematische Verdichtungen hin zur Vision einer »city of respect«, Ausstellungen in Steyr und Wien und eine verstärkte Einbindung des öffentlichen Raums und des Neustadtviertels kennzeichnen die Arbeit des KunstRaum Goethestrasse xtd, der sich in der »Schnittmenge« von Kunst und Psychosozialem ansiedelt. Was bisher schon in Ansätzen vorhanden war, gilt seit diesem Jahr programmatisch. Susanne Blaimschein erläutert: »Wir wollen nicht nur präsentieren, sondern auch den Prozess des Schaffens sichtbar machen. Wir initiieren und verdichten die Auseinandersetzung mit psychosozialen Themen und Lebensrealitäten und mischen uns in die Stadt und direkt vor der eigenen Haustüre ein.« Beate ergänzt: »Mir geht es um die ‘Gestimmtheit’ als Stadtbewohnerin. Woher kommen die Bedingungen, unter denen man lebt? Wodurch entsteht - und hier gibt es keine gute Übersetzung - mental disorder?«
Das heißt, der oder die KünstlerIn produziert vor Ort, diskutiert über seine/ihre Arbeit, setzt sich dem Einfluss anderer aus. Schlicht: Gefragt ist der Mehrwert künstlerischen Schaffens.
Kein »Einzelschicksal«
Wir kommen auf die Philosophie des KunstRaums zu sprechen. Es gehe um einen »grundsätzlichen Blick auf die Gesellschaft, und da kommst du an der sozialen Dimension nicht vorbei«. Wir würden in einem gesellschaftlichen System leben, in dem »Menschen funktionieren oder eben nicht«. Es heißt, in Österreich erkranke jede/r Vierte mindestens einmal in seinem/ihrem Leben psychisch. (Das sind die offiziellen Zahlen. Menschen, die sich tagtäglich ins Hamsterrad der Arbeitswelt begeben und dafür auch noch »Danke« sagen - soll man sie »gesund« nennen?) Mit anderen Worten: Die neoliberale Doktrin spricht gerne von »Einzelschicksalen« und übersieht dabei geflissentlich den gesellschaftspolitischen Handlungsspielraum.