Die Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU) widmet sich in ihrem zweiten Sammelband dem Thema der Prävention und politischen Bildung. Eine fundierte Auseinandersetzung mit der Frage, wie rechtsextremen Tendenzen in der Pädagogik und in der sozialen Arbeit begegnet werden, beziehungsweise wie solchen Entwicklungen vorgebeugt werden kann, ist wichtig und notwendig, denn politische Bildung steckt im postnazistischen Österreich noch in den Kinderschuhen. »Zwischen Symbolpolitik und hektischem Aktivismus« verorten die Forscher_innen von FIPU bisherige Versuche seitens der Politik, Extremisierungstendenzen zu begegnen. Politische Bildung pendelt hierzulande somit zwischen völliger Bedeutungslosigkeit und absoluter Überhöhung hin- und her.
Nach einem historischen Überblick über die Geschichte der politischen Bildung von Günther Sandner folgt von Nico Bechter eine Einschätzung dessen, wie neoliberale Ideologien Einfluss auf die österreichische Bildungspolitik haben. Stefanie Mayer und Bernhard Weidinger stellen in ihrem Beitrag die Frage, ob Pädagogik gegen Rechts einem Kampf gegen Windmühlen gleichkommt und untersuchen Erkenntnisse der kritischen Antisemitismus-, Rassismus-, und Rechtsextremismusforschung auf ihre Relevanz für die politische Bildungsarbeit. Ihre eingangs formulierte Feststellung, dass die Gründe für den Hass auf die imaginierten »Anderen« im hassenden Subjekt und nicht in jenen, die angefeindet werden, zu suchen sind, mag banal klingen, bildet aber die Basis für pädagogische Interventionen.
Karin Kuchler diskutiert die Bedeutung der Kategorie Geschlecht in der politischen Arbeit und zeigt Potentiale geschlechterreflektierter Pädagogik auf. Die Feststellung, dass die Normsetzung heterosexueller Lebensweisen und der gesellschaftliche Zwang, sich in einem Zweigeschlechtersystem zu verorten, rechtsextremen Ansichten förderlich ist, führt zur logischen Schlussfolgerung, dass politische Bildung auch Kritik an Geschlechterverhältnissen implizieren muss. Ihr Aufsatz endet mit dem Aufruf, Sojourner Truth endlich jene feministische und rassismuskritische Vorreiterinnenrolle zuzusprechen, die sie verdient.
Elke Rajal und Heribert Schiedel widmen sich der Rechtsextremismusprävention in der Schule. Eine folgenreiche Fehlannahme ist, dass bei vielen pädagogischen Ansätzen davon ausgegangen wird, dass eine feindliche Einstellung den vermeintlich »Anderen« gegenüber in einem fehlenden Wissen über sie wurzelt. Deshalb macht es, so Rajal und Schiedel, wenig Sinn, Schüler_innen etwas über das Judentum zu erzählen, um im Sinne Adornos dazu beizutragen, dass Ausschwitz sich nicht wiederholen möge. In diesem Aufsatz zeigt sich ein grundlegendes Problem der politischen Bildung: Sie kann auf qualitative Art und Weise nur von jenen geleistet werden, die selbst einen gewissen Grad an Auseinandersetzung mit dem Thema aufweisen. Da Diskriminierungen jedweder Art an den Ausbildungsstätten für Pädagog_innen unzureichend behandelt werden, kann bislang nicht davon ausgegangen werden, dass Rassismus- und Antisemitismuskritik selbstverständlich in den Lehrplan Einzug finden.
Wer sich einfache Rezepte gegen Rechtsextremismus erwartet, wird enttäuscht. Zurecht, denn dazu ist das Thema zu komplex. Judith Goetz räumt mit der Annahme auf, der Besuch von Gedenkstätten, wie er in vielen Schulen vorgesehen ist, würde automatisch zu einer nachhaltigen Sensibilisierung führen. »Entgegen weit verbreiteter Erwartungshaltungen und Wunschvorstellungen funktionieren KZ-Gedenkstättenbesuche eben nicht als ,Allheilmittel‘, ,Schutzimpfung‘ oder ,Immunisierung‘ gegen rechtsextremes oder neonazistisches Gedankengut«, so die Wissenschaftlerin. Der Umkehrschluss, dass diese sinnlos wären, sei allerdings ebenso falsch. Auch hier steht die Qualität in engem Zusammenhang mit der Qualifizierung der Begleiter_innen und den Zeitressourcen, die für diese Besuche geschaffen werden.
Da insbesondere die Primärprävention zu wenig Aufmerksamkeit genießt, stellt der Beitrag von Jana Sommeregger zu Kinder- und Jugendliteratur zum Thema eine Besonderheit dar. Dass einige der von ihr erwähnten Bücher nicht nur auf junge Menschen, sondern auch auf Erwachsene Einfluss haben, zeigt die Bedeutung von Autorinnen wie Christine Nöstlinger, Käthe Recheis und Mira Lobe.
In dem Beitrag mit dem provokanten Titel »Die hilflose Profession« beschäftigt sich Eva Grigori mit dem Umgang mit rechtsextremen Erwachsenen in Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit. Sie weist darauf hin, dass Beziehungsarbeit politische Kritik nicht ausklammern darf. Allerdings hängt es, so die Autorin, bislang vom Engagement Einzelner ab, rechtsextremen Tendenzen etwas entgegenzusetzen.
Carina Klammer, von der im ersten Band der FIPU-Reihe ein Artikel über antimuslimischen Rassismus zu finden ist, erforscht in diesem Beitrag den Begriff der »Deradikalisierung«, dessen Blüte eben ein Ausdruck dieses Rassismus ist. Fabian Reicher knüpft daran thematisch mit seinen Ausführungen zur sozialarbeiterischen Praxis in der Jugendarbeit an.
Im letzten Beitrag gehen Judith Goetz und Matthias Falter auf aktuelle Entwicklungen rund um Pegida in Österreich ein, wobei der Fokus nicht auf rassistischen Täter_innen, sondern auf »der« Linken liegt, die – so die Autor_innen – teils problematische Erklärungsmuster für die Entstehung der Bewegung hat.
Abschließend sei mit Carina Klammer festgestellt, dass pädagogische und sozialarbeiterische Präventionsarbeit zwar wichtig ist, dass es für umgreifende Veränderungen aber vor allem eines braucht: »eine solidarische, antirassistische, antifaschistische und emanzipatorische Zivilgesellschaft.« Das Buch ist deshalb nicht nur für Pädagog_innen und Sozialarbeiter_innen geeignet, sondern bietet für uns alle wichtige Implikationen zur eigenen Politisierung.
FIPU (Hg.in):
»Rechtsextremismus. Band 2: Prävention und politische Bildung.«
Mandelbaumverlag, Wien 2014