Mythos Medienkunst: Karel Dudesek

In der Serie »Mythos Medienkunst« ist diesmal Karel Dudesek (Minus Delta t, Ponton, Van Gogh TV etc.) der Interviewpartner von Franz Xaver.

Karel Dudesek war eine schillernde Figur in der Kunstszene der 80er Jahre. Mit dem Transport eines 4,5-Tonnen-Steines durch Europa und Asien und seinem engen Kontakt mit anderen Künstlerformationen wie Stadtwerkstatt und Frigo war er einer der ersten Künstler, bei dem die Welt schon in den 80er Jahren zum globalen Dorf wurde. Dudesek hat damals der Stadtwerkstatt eine Menge neuer Ideen gebracht. Seine Gedanken waren damals schon grenzüberschreitend, nicht im geografischen Sinn, sondern visionär und Dimensionen überschreitend. Die MitarbeiterInnen und TechnikerInnen standen zeitweise vor unlösbaren Aufgaben. Auch die ersten Bildtelefone für LIVE-Übertragungen waren in den 80er Jahren im Umfeld von Karel zu finden. Dafür muss ich ihm heute noch eine Danksagung aussprechen, man konnte sich diese Geräte problemlos ausborgen. Ein Anruf genügte und ein verpacktes Bildtelefon wurde in Hamburg zur Post gebracht. Karel tat etwas für seine Familie. Aber seine frontale, kompromisslose, totale Kommunikation brachte ihm immer wieder heftige Diskussionen mit seinen KollegInnen ein. Er erzeugte aber auch dadurch ein neues Format im Kunstkontext.
Mitte der 90er übernahm er die Medienkunstklasse von Peter Weibel an der Universität für Angewandte Kunst. Und auch dort rührte er vorsichtshalber sofort mal kräftig um. Heraus kamen eine Menge StudentInnen und eine neue Expositur. Karel ging dann ans Ravensbourne College, wo er mit Armin Medosch zusammenarbeitete. Nach seiner Zeit im Königreich arbeitet er als freier Kurator in China und zur Zeit in Südostasien.


Franz Xaver: Servus Karel! In unserer Interview-Reihe geht es ja um die 1980er-Jahre. Wir haben uns Mitte der 1980er Jahre bei der ars electronica in Linz kennengelernt. Das waren ja beeindruckende Auftritte, die ihr damals hingelegt habt. Aber ihr wart ja schon früher aktiv – das erste Mal hörte ich von Euch in der Ö3-Musicbox, als ihr einen tonnenschweren Stein über zwei Kontinente transportiert habt. Die Aktion hat mich sofort überzeugt.
Kannst du ein wenig von der damaligen Stimmung berichten. In meiner Erinnerung waren die Jahre rund um 1980 ja stinklangweilig. Wie ist es überhaupt zu dem genialen Namen »Minus Delta t« gekommen?


Karel Dudesek: Minus Delta t wurde von Karel Dudesek, Chrislo Haas († 2004) und Mike Hentz 1978 in Zürich gegründet. Der Name Minus Delta t ist das Ergebnis langen Stöberns in Mathematik- und Physikbüchern. Die wenigsten Leute wissen, was die Formel bedeutet – und das ist auch gut so. Viele waren eher vom Namen und auch vom grafischen Erscheinungsbild fasziniert.
Das Schöne an dieser Formel ist, dass sie fast alles innehat, was ausdrückt, wie wir uns damals eigentlich gesehen und verstanden haben.

Es war der Zeitpunkt, an dem die goldenen Zeiten halt nicht mehr ganz so golden waren. Vieles war erreicht, die Gesellschaft war satt, faul, ängstlich, frustriert und depressiv.
Unsere damals eingesetzten Performance-Techniken wurden entweder als neofaschistisch (»Kulturpolizei« – Documenta 8) oder als Neu-Linke (»Werwölfe«, Svantz! Festival Frankfurt 1979) idealisiert.
Im Musikbereich hatten wir plötzlich die ganzen gelangweilten Punks, Skinheads, New Wave- und Heavy Metal-Freaks als Fans, weil es authentischer und manchmal auch wilder zuging als bei anderen Konzerten.

Im Kunstbereich wurde eine unserer interessantesten Arbeiten – in Rotterdam, Utrecht und Breda – durch Polizeieinsätze mit Stahlhelmen, Knüppeln und Schäferhunden beendet; außer mir wurden alle verhaftet. Erst nach langwierigen Verhandlungen wurde die ganze Gruppe wieder freigelassen, aber an unserem Tourbus wurden die Reifen aufgeschlitzt. Diese Reaktion der Gesellschaft auf unsere Arbeit – in Breda – war eigentlich der Auslöser für unsere Entscheidung, Europa den Rücken zu kehren.

Dies führte zu einem der umfassendsten Projekte, das »Bangkok-Projekt«, wo eben der 4,5 Tonnen schwere Stein von Wales in den Himalaya transportiert wurde. Warum haben wir uns entschlossen, Europa zu verlassen? Weil die Interaktion mit Polizei, Veranstaltern oder Publikum immer nach dem gleichen Muster ablief.
Entweder wurden wir verhaftet oder die Gage wurde nicht ausbezahlt oder das Publikum flippte so aus und versuchte die Bühne zu stürmen – nur mehr auf Zerstörung aus. Das wiederholte sich immer wieder. Dagegen waren unsere Konzerte und Performances immer anders und einzigartige Aufführungen.

Wir waren inspiriert vom Living Theater, Reindeer Werks und auch den Situationisten, also von der Auflösung der Bühne und des Zuschauerraums, der Einbeziehung der Psyche und des Körpers. Die Auflösung des »Freiraumes« da wo Kunst stattfinden konnte, vorbehalten für Theater, Konzerthallen, Museen und Galerien. Wir entwickelten etwas, das ich heute »zappen« nennen würde, das eigentlich vom Fernsehen her bekannt ist – durch die Programme zappen. Wir zappten mit dem Publikum, durch die Erwartungshaltungen und Rollenverteilungen, live aber im Vollkontaktmodus, nicht wie die spanische Gruppe La Fura dels Baus in ihren Inszenierungen: 5 cm vor dem Aufprall stoppen und so den Zuschauer mit filmtechnischen Mitteln erschrecken. In unseren Konzerten und Performances kam es zu Körperkontakt. Diese Position, die wir bezogen haben, ist nicht einfach und auch nicht jedermanns Sache. Unser Ziel war es eben nicht, die Leute zu unterhalten, sondern wir wollten klar machen, warum sie und wir in diesem Moment an diesem Ort sind, und dass es auf jeden Fall nicht so wird, wie es erwartet wurde oder wie es angekündigt worden ist.

Unsere Instrumente waren nicht nur Synthesizer, Gitarren, Cellos, Geigen, Motorsägen, Bohrer oder Selbstgebautes, sondern auch die Emotion, die Psyche, der Geruch, der Körper und der Raum waren instrumentalisiert. Wir selber wussten oft nicht, wie alles ausgehen wird, trotz Partituren und einstudierten Musikstücken verlief vieles anders. Auch in der Musik wurde es immer anders als einstudiert, da zum Beispiel Chrislo Haas oft die Einstellungen an seinen Synthesizern im Live-Konzert nicht mehr nachstellen konnte, oder aufgrund von Tumulten verschiedene Instrumente in Sicherheit gebracht werden mussten oder Ton, Rhythmus und Pausen der Musikstücke manchmal auch live durch die emotionalen Vorgänge determiniert wurden. Dies war unsere
Antwort auf den damaligen mentalen, sozialen und psychischen Zustand der Zeit, den wir vorgefunden haben.

Franz Xaver: In den frühen 1980er Jahren gab es ja auch den Kontakt zur Stadtwerkstatt Linz, da ergaben sich ja auch Synergien. Später gab es durch die ars electronica die Möglichkeit Live-Fernsehen zu machen. Stadtwerkstatt-TV versuchte mit Fernsehsystemen auch die Zuschauer mit einzubinden. Interaktion und Interdisziplinarität, Sensorik und der elektronisch bespielbare Raum waren die Eckpfeiler von STWST-TV und der Medienkunst. In dieser Zeit habt Ihr auch öfters den Namen gewechselt, Ponton, dann Van Gogh TV usw. …  auch an viele Streitereien wegen des Urhebergedankens usw. kann ich mich erinnern. Ich habe den Eindruck, STWST-TV agierte ein wenig mehr mit technischer Komplexität. An der Grenze des Machbaren. Ihr hattet den Schwerpunkt auf den performativen Aktionen, wie du sie oben beschrieben hast. Aber bis zum heutigen Tag wird STWST-TV immer wieder mit Van Gogh TV verglichen. Wie siehst du das?


Karel Dudesek: Die Stadtwerkstatt war das Beste, was der Stadt Linz passieren konnte, soweit ich blicken kann, das agilste und interessanteste Biotop in Österreich in dieser Zeit. Aus diesem Biotop ist viel Neues und Künstlerisches entstanden. Mein persönlicher Favorit ist das »Hauptplatz-Konzert«, diese Arbeit hatte möglicherweise Weltklasseniveau. In musikalischer Hinsicht vielleicht hätte eine Vertiefung nicht geschadet. Als Gruppenarbeit habe ich davor und bis zum heutigen Tage nichts Ähnliches (Bahnbrechendes) gesehen.
Vom STWST-TV hab ich leider nur marginal etwas mitbekommen, weil ich parallel dazu mit unserem eigenen Arbeitsdelirium beschäftigt war.
Ich konnte zwischendurch einzelne Aktivitäten, einzelne Sendungen sehen, zu wenig um etwas genaues darüber zu sagen. Was ich sagen kann ist, dass dies das einzige Kunstfernsehprojekt einer österreichischen Gruppe war, die den damaligen Stand der Medien-Gesellschaft per se thematisiert hat. Schade ist, dass viele Projekte der STWST in Linz isoliert blieben und nur selten über Linz hinaus eine Plattform bekommen haben.

Falls es Video-Kopien gibt von STWST-TV Sendungen, würde ich die, aus Interesse und Studienzwecken, mit gutem Kaffee versorgt, gerne anschauen. Vielleicht können wir einen Videoabend machen, aber ohne Alkohol und Zigaretten mit den Akteuren, wie z.B. Thomas Lehner, Franz Xaver, anderen und mir, in der STWST Kneipe, hinter einer Glasscheibe und die Kneipenbesucher können uns zuschauen wie Goldfischen im Aquarium und parallel digitalisieren wir alles und recyceln es auf den diversesten Videoplattformen.

Zum Vorgang: die ars electronica hatte damals Geld – und hat das Geld auch in die Hand genommen und in künstlerische Projekte investiert. Ohne ars electronica und ORF wäre es nur schwer gewesen, all die Fernsehprojekte zu machen, die Van Gogh TV realisiert hat. Das Verhältnis zwischen STWST und Ponton war angespannt, die STWST war lokal vorhanden und kämpfte sich das ganze Jahr durch Lokalpolitik und Lokalkultur. Ponton oder Van Gogh TV ist immer nur nach Linz gekommen, wenn Projekte von der ars electronica übernommen wurden. Wie du weißt, war damals Fernsehen machen immer ein technischer Overkill. Das erste mediale Projekt in dieser Reihe war die »Containercity«, das zweite »Debile immobile Monotonie«, »Hotel Pompino«, und das letzte »Service Area a.i.«.
Die ars electronica hatte »Piazza Virtuale« nicht gewollt und auch »Balkan TV« wurde aus politischen Gründen abgelehnt. Was ich der ars electronica ankreiden muss, ist dass bis heute nicht verstanden wurde, ein neues Genre aus diesen Erfahrungen zu kreieren, nämlich »Fernsehkunst«. Das Fernsehen würde anders ausschauen in Europa als diese Verblödungsmaschine von heute. Aber da fehlt es an medialem Verständnis und gesellschaftlichem Sendebewusstsein. Die ars electronica mutierte und wurde sowohl in der Lokalpolitik als auch in der österreichischen Bundespolitik marginalisiert. Zwangsweise durch die einfließende konzeptuelle Schwäche und die versiegenden finanziellen Mittel, die der Neubau verschlang, wurde das Festival auf einen »Franchising Network Event« reduziert und dem Familientourismus der Vorzug gegeben.

Wir sind 1987, und nach mehrjährigem Asienaufenthalt, eigentlich nur zufällig wieder nach Europa gekommen.
Das letzte Konzert, das wir gegeben haben als Minus Delta t, war »Die Todesoper« – die Erstaufführung war übrigens in Linz im Brucknerhaus. In voller Besetzung und Ausbaustufe in Berlin im Tempodrom, ein 3-Tages-Festival, an den beiden anderen Tagen spielten die Einstürzenden Neubauten und eben La Fura dels Baus.
Zum ersten Mal experimentierten wir mit einem großen Orchester und mehreren Performern in einer Indoor-Performance. Ich möchte hier nicht näher eingehen auf diese Arbeit, aber als Resultat der Erfahrungen in Asien und auch dieser Aufführung entschlossen wir uns, nur mehr mit Medien zu arbeiten. Wir gründeten Ponton und Van Gogh TV – Ponton war die Produktionsgruppe und Van Gogh TV die künstlerische Seite.
Ziel war immer, das Rundfunkmonopol zu brechen und auch die gewohnte Radio- und Fernseherfahrung zu verändern.
Dass es zu einem Sendeplatz in 3sat/ORF/SRG gekommen ist, ist dem Umstand zu verdanken, dass wir aus Moskau einen Brief an den damaligen Bundeskanzler geschrieben haben. In diesem haben wir uns über das Medienmonopol beklagt und angedroht, im Exil zu bleiben falls nichts passiert. Dieser Brief wanderte unverstanden vom Bundeskanzleramt in die ORF Intendanten-Etage und nur dank Hannes Leopoldseder kam es zu diesem Sendeplatz. Es ist zwischen STWST und Ponton oder VGTV nie zu einer ernstzunehmenden Zusammenarbeit gekommen. Was im Nachhinein betrachtet unklug war, aber Kooperation war in ganz Europa ein Fremdwort, außer in Holland, aber da auch nur unter Holländern. In dieser Zeit rieben sich Individuen und Gruppen auf, die, wenn diese kooperiert hätten, wesentlich mehr Geld und Möglichkeiten für ihre Arbeit zur Verfügung gehabt hätten.
Unter Kooperation meine ich nicht Fusionierung sondern Zusammenarbeit; ähnliches passierte mit der »Neuen Deutschen Welle« – die Musikbewegung war enorm, überall schossen Musikstudios, Produktionsorte und Musikgruppen wie Pilze aus dem Boden, aber es gab z.B. nur einen Vertrieb, der später wieder in die Hände von Bertelsmann fiel. Die meisten unabhängigen Labels konkurrierten miteinander und kollabierten. Am Ende war wieder die konservative Musikindustrie der Gewinner. Es gab keine Vermittler, zu wenig langfristige Strategien und die meisten hatten als einziges Ziel, an den etablierten Strukturen vorbei Geschäfte zu treiben. Das ist zu wenig und zu kurzfristig gedacht.

Franz Xaver: Es haben damals viele KünstlerInnen an diesen Fernseh-Live-Events mitgewirkt. Die STWST hatte ja Heimvorteil und konnte sehr viele »Freiwillige« organisieren. Diese trauern leider heute noch diesen Großevents nach und reden immer wieder in langen Nächten nach dem fünfzehnten Bier von der guten alten Zeit in der STWST und überhaupt.
Bis vor einigen Jahren war das ein richtiger Klotz am Bein, man konnte fast nichts Neues mehr machen. Vor allem alle notwendige strukturelle Kleinarbeit wurde mit den Fernseh-Events verglichen. (Ich würde solche Events nicht mehr machen.)
Aber nicht nur durch diese notwendige strukturelle Arbeit, auch im Umgang mit den Medien änderte sich etwas Mitte der 1990er Jahre. Genau zu dem Zeitpunkt, als das Internet mit voller Breitseite in unsere Gesellschaft einschlug. Den KünstlerInnen aus den 1980er Jahren wurde viel Wind aus den Segeln genommen. Gleichzeitig gab es diese Open Source- und Hackerbewegung.
Und dazu kam noch das Museum der Zukunft mit der neuen Leitung, die inzwischen rückwirkend pragmatisiert im Amt ist …
Also, Mitte der 1990er, als alle demokratischen Ansprüche der Medien, die Interaktion und die Interaktivität durch das Internet eingelöst wurden, gingen uns zu dieser Zeit kurz die Argumente aus?


Karel Dudesek: Wie du weißt, wurde die Arbeit immer komplexer statt einfacher, es mangelte an gut ausgebildeten Personen, da waren zumeist nur schlecht ausgebildete Kunststudenten, die gerade einmal mit Ach und Krach mit Photoshop arbeiten konnten. Die meisten, die wirklich etwas konnten, waren Autodidakten und wenn ich »komplexer« sage, dann meine ich »richtig komplex« – ohne tiefgehende Software-, Hardware-, Struktur- und Organisationskenntnisse war da nichts mehr zu machen.
Ich hatte den Vorteil, mit einigen sehr inspirierenden Köpfen arbeiten zu können, mit Benjamin Heidersberger, Christian Wolf, Martin Schmitz, Julean Simon und Michael Breidenbrücker, alles Kollegen mit einem sehr feinen technischen Verständnis, Weitsicht und Talent.
Mode in dieser Zeit war aber auch, dass schlechte KünstlerInnen plötzlich Video- oder MedienkünstlerInnen wurden, um so vorwiegend mit rein technischem Know-how im Powerplay zu brillieren.

»Piazza Virtuale« (1992) war schon ein äußerst komplexes Projekt. Ich kann mich erinnern, als damals in Kassel jemand aus USA einen Laptop mitbrachte und uns Mosaik gezeigt hat, das noch nicht offiziell erhältlich war, den Vorläufer von Netscape. Das hat ein Fieber ausgelöst.

Hier einige Daten zum geschichtlichen Kontext:

1989 wird Ponton gegründet, Tim Barnes Lee erfindet das Internet, Berliner Mauerfall, »Van Gogh TV« tourt in Osteuropa, GNU GPL-Release durch Richard Stallman
1990 »Hotel Pompino«
1991 Linux-Release durch Linus Torwalds
1992 »Piazza Virtuale«, Mosaik Browser 1992/93
1994 Service Area a.i., (Vorwegnahme von sozialen Netzwerken, FCBK, MySpace usw.)
1996 »Worlds Within« (technische Entwicklung von Telephone-to-Computer Voice-Kommunikation, verteilte Serversysteme, Server-Client-Software, 3D Visualisierung)
1998 Gründung von Google
1999 Endemol produziert zum ersten Mal »Big Brother«
2000 Dotcom-Blase platzt
2003 Skype
2004 Facebook
2005 YouTube

Diese Ausweitung in die Technik oder mediale Arbeit nahm natürlich aus der aktiven Szene die Luft raus, nicht nur wurde es technisch komplexer, sondern auch konzeptuell – theoretisch, finanziell und auch künstlerisch. Ich erinnere mich an einige Projekte von uns, wo schlichtweg keine Energie und Zeit mehr dazu vorhanden war, um in diese Richtung Verbesserungen durchzuführen. Dazu kam, wie du richtig schreibst, der politische Auftrag, oder der gesellschaftliche (DiY) – die medialen Projekte konnten nur mehr in Teamarbeit bewältigt werden, hier fehlten das Geld und auch die Disziplin. Mit der Freundschaft war es schnell vorbei, wenn es ums Eingemachte ging.
Eigentlich waren es weniger »politische Kunst-«, sondern eher strategische Medienprojekte, die zu mehr Transparenz in der Gesellschaft führten. Von Vote-auction.net, von Uebermorgen.com bis WikiLeaks, nur der Irrtum hier ist, dass alle Beteiligten glaubten, dass es ohne Opfer geht, irgendwo und irgendwann musste für all diese Transparenz jemand einen sehr hohen Preis zahlen.

Ich leitete lange Jahre einen Postgraduate-Studiengang an einer Londoner Uni, der sich MA Interactive Digital Media nannte. Ich war die ganze Zeit damit beschäftigt, den Studenten sinnlose Interaktivität der Interaktivität wegen auszureden. Für mich ist Interaktion nur sinnvoll, wenn sie analog und digital funktioniert und signifikant die Situation des Menschen verbessert, aber meistens rutschte dieses Genre in Architektur-, Design- und Mode-Features ab.
Mein Rat an die StudentInnen: »Never wake up a sleeping professor, sit and wait aside, observe and think, till he wakes up. Then you can ask your question.«

Mit der Hackerbewegung und Open Source – wenn man es andersrum sieht, was man schlauerweise auch tun sollte – verschoben der Staat und die Industrie Verantwortung und unbezahlte Arbeit an das Volk, an die NutzerInnen, mehr Möglichkeiten, mehr Arbeit, mehr Ablenkung und mehr Verwirrung.
Das Volk wurde zum Beta-Tester, und die Entwickler? Nur wenige wurden für ihre langjährige Arbeit entlohnt.
Dies sind alles Übergangsphasen in denen viel Mist passiert, aber auch Interessantes, aber meistens werden Sachen durcheinandergebracht und sorgen so für Verwirrung in persönlicher, aber auch gesellschaftlicher Sicht. Viele altgediente Kollegen wie z.B. Marc Adrian, meinen heute, dass es besser gewesen wäre, die Büchse der Pandora nie zu öffnen.
Die überwiegende Mehrheit hat sie auch nie geöffnet, sie wusste gar nicht von ihrer Existenz, sondern beschäftigten sich mit dem »rat race« (dem schonungslosen täglichen Konkurrenzkampf), wie es die Engländer so trefflich formulieren.