IV
Kampfpiloten der Sehnsucht oder: zur politischen Ökonomie eines Rackets
Anders gesagt: die Verrücktheiten von Staudinger und seinen Getreuen sind – leider – keine bloß individuelle Psychopathologie, sondern Symptom einer objektiven gesellschaftlichen Verrücktheit. Die ganze Innerlichkeits- und Rebellions-Phraseologie, das ganze Gutmenschen- und Welterlösergetue ist keine bloß äußerliche »Stilisierung«, keine ideologische Überhöhung einer ansonsten in normalen Bahnen verlaufenden Wirtschafts- und Geschäftspraxis eines kapitalistischen Unternehmens. Es ist schlimmer und vielmehr so, daß in Heinrich Staudinger ein kleinbürgerlicher Sozialcharakter seinem höchst privaten und zufälligen Wahn unmittelbar öffentliche Geltung verschaffen kann, indem er sich eines kapitalistischen Unternehmens dergestalt bemächtigt, daß er dessen Erscheinung sowie die gesellschaftlichen Formen, in denen es sich bewegt, nach Maßgabe seiner Projektionen scheinbar äußerlich »befrachtet«, sie »politisiert« bzw. »kulturalisiert« und auf genau diese Weise ihr innerliches Unwesen, d.h. das destruktive, regressive und tendenziell barbarische Moment dieser kapitalistischen Formen, das sie in sich tragen und das zu bekämpfen er vorgibt, entbindet und freisetzt. Man muß Staudinger in einen Punkt leider recht geben, um ihm widersprechen zu können: GEA ist tatsächlich ein »Labor«[1] – aber nicht für eine bessere, humanere, friedlichere Welt, sondern für eine Welt, in der die wie immer zerrüttete und durchlöcherte bürgerliche Herrschaft abgelöst ist durch die unmittelbare Herrschaft von Rackets, Gangs und Cliquen. Das ist die logische Perspektive von Staudingers Denken und Agieren; sein Unternehmen ist gewissermaßen die Operationsbasis, von der aus er die Umgestaltung der Gesellschaft in Angriff nehmen möchte und in dieser Bestimmung geradezu ein Musterfall dafür, wie eine etablierte Institution der bürgerlichen Gesellschaft, ein Privatunternehmen, in ein Racket transformiert wird.[2]
Die Basis eines Rackets und zugleich die elementarste Form, in der es auftreten kann, ist das in sich zerfallende und aktuell oder virtuell überflüssige nachbürgerliche Subjekt, das sich, haltlos auf die Welt projizierend, als unmittelbare Allgemeinheit, als Souverän imaginiert, und auf der Suche ist nach Systemen, die seinen privaten Wahn bestätigen und Einrichtungen, in denen es ihn mit anderen ausleben kann. Staudingers System ist plattester Antikapitalismus aus dem Fundus lebensreformerischer Kulturkritik, die Einrichtung sein Unternehmen mitsamt aller angegliederten Institutionen. Racket ist, wenn – wie im Falle GEA – ein privates Unternehmen unmittelbar zugleich als öffentliches, d.h. ebenso als Wohltätigkeitsverein, wie als Kulturinstitut und wie ein politischer Souverän im Wartestand agiert. Ein selbstverständlich profitorientierter privatkapitalistischer Betrieb tritt unmittelbar zugleich als eine der Rettung der Welt dienende soziale Institution, als eine gleichsam klandestin operierende antikapitalistische Widerstandszelle auf, die wiederum in ihrer bodenständigen Aufsässigkeit beansprucht, wie ein Souverän eine ganze Region, das Waldviertel zu verkörpern. Um die minimale, aber entscheidende Differenz zu verdeutlichen: es verhält sich bei der GEA gerade nicht so, daß das Unternehmen ein soziales Projekt etwa zur Integration langzeitarbeitsloser Jugendlicher oder ehemaliger Strafgefangener wäre; und es ist in der entscheidenden Hinsicht auch nicht so, daß ein Privatunternehmer sich jenseits und außerhalb seiner ökonomischen Tätigkeit politisch betätigt – als Lobbyist, Abgeordneter oder als Funktionär eines Unternehmerverbands – oder sich sozial bzw. kulturell engagiert, als Sponsor, Mäzen oder in Gestalt von Stiftungen, was Staudinger außerdem auch noch tut und wogegen an sich nicht das Geringste einzuwenden ist. Der entscheidende Punkt ist, daß im Racket GEA eben diese Trennung der gesellschaftlichen Bereiche virtuell einkassiert und die wie immer prekären und defizitären tausch- und rechtsförmigen Vermittlungen zwischen ihnen überformt und durchsetzt werden mit Formen unmittelbarer Herrschaft – und das gilt sowohl für die Verfassung des Unternehmens im inneren als auch im Verhältnis zur übrigen Gesellschaft. In Erweiterung und Abwandlung eines Diktums von Horkheimer geht es darum, die Beschäftigten, die Teilhaber und die Kunden in eine Gefolgschaft zu verwandeln – und auf der anderen Seite den Unternehmer in einen Wirtschaftsführer.[3]
Und eben darin ist das, was GEA propagiert und praktiziert, gerade kein Widerstand gegen die kapitalistische Vergesellschaftung, sondern die mit Willen und Bewußtsein vorgenommene Vollstreckung der ihr innewohnenden regressiven Tendenzen, die längst im Gange sind: unter den beliebten Parolen von »Transparenz«, »Bürokratieabbau« und »Bürgerbeteiligung« drängen jene informellen Bünde und Cliquen, ohne die die formellen, ökonomischen, politischen und rechtlichen Vermittlungen der bürgerlichen Gesellschaft nicht funktionieren würden, an die gesellschaftliche Oberfläche und beanspruchen die offizielle Anerkennung ihrer Praktiken, in denen Ökonomie und Politik eine trübe Fusion eingehen. Daß die Fähigkeit, »Netzwerke« zu bilden, zur am meisten nachgefragten Tugend werden konnte, zeigt an, wie sehr die Herrschaft solcher Rackets bereits gediehen ist. Ihre Erscheinungsform sind etwa de facto weltanschaulich ausgerichtete »Tendenzbetriebe« oder die einschlägigen »NGO‘s«, also private Unternehmen, die de facto öffentliche, staatliche und/oder kulturelle Zwecke verfolgen, ohne selbst staatliche Institution zu sein und die sich nur deshalb so nennen müssen, weil man sie sonst mit einer Behörde verwechseln würde. Und die Bedeutung solcher Einrichtungen nimmt im selben Maße zu, in dem die einstigen Wohlfahrtsstaaten nicht mehr unmittelbar als kollektive Sozialfürsorger auftreten, sondern diese Aufgaben großzügig an gesellschaftliche Vorfeldorganisationen delegieren, in denen die kapitalisierten Subjekte zu »eigenverantwortlicher« moralischer Selbst- und Fremdkontrolle abgerichtet werden. Und dabei kommt es entscheidend auf die Art der weltanschaulich-ideologischen Ausrichtung an, denn Massenloyalität und Gefolgschaft kann erfolgreich nur organisieren, wer sich am allgemeinen Entwicklungsstand von Subjektivität orientiert: wer es schafft, daß die Individuen sich für ihre Unterwerfung unter objektivierte Zwänge »frei« und »eigenverantwortlich« entscheiden und wer vor allem instinktiv begriffen hat, daß das weitverbreitete refraktäre Rebellentum die zeitgemäße Gestalt des Konformismus und der moraline Antikapitalismus daher die verläßlichste Form des Einverständnisses mit dem Kapital darstellt. Mit anderen Worten: gesellschaftlich nachgefragt sind derzeit exakt solche abseitigen Knallköpfe und verschrobenen Sektierer wie Staudinger, die sich anschicken, das in Zeiten der Krise verlorengegangene »Vertrauen« in den Gang des Kapitalismus mit unkonventionellen Mitteln wiederherzustellen, d.h. das subjektive Einverständnis, ohne das die ökonomischen Abstraktionen nicht gelten könnten, auf politische Weise zu organisieren.[4] Nicht zufällig ist »Vertrauen« eines der am häufigsten gebrauchten Schlagworte von Staudinger; und regelmäßig redet er darüber wie über eine Geldwährung: die Leute schenken der globalen Wirtschaft kein Vertrauen mehr, sie wollen ihr Vertrauen aber anderweitig anlegen[5] und deshalb sei es notwendig, hier und heute schon mit dem Aufbau einer »lebensbejahenden und vertrauenswürdigen Wirtschaft«[6] zu beginnen und eine »Humanisierung des Geldes«[7] einzuleiten. Kaum verwunderlich, daß er vor zehn Jahren eine Regionalwährung, den »Waldviertler«, zur Verhinderung des Abflusses von Geld und Stärkung der regionalen Wirtschaft initiiert hat.[8] Aber das ist im wesentlichen eine kindische Flause – worauf es ankommt, ist das, was hinter solchen verschrobenen Pfuschereien steht: die politische Währung nämlich, die Staudinger mittels seiner Erzeugnisse in Umlauf bringt und mit der er seine Anhänger im Tausch gegen das Vertrauen, das sie ihm als ihrem Erlöser entgegenbringen, auszahlt, besteht in Gesinnungszertifikaten, in der Bestätigung, daß sie schon heute zum Kreis der Erleuchteten und Eingeweihten auf der »Arche Noah« gehören und in der Verheißung, daß ihnen ihr Engagement im Falle, daß die gute Sache dereinst erfolgreich sein wird, im vollen Umfang vergolten werden wird.[9] Was von Staudingers Seite ein ungedeckter Wechsel ist, ist auf Seiten seiner Anhänger eine vage Hoffnung – und damit ist die GEA, die sich so bodenständig gibt, in Wahrheit ein einziges Spekulationsunternehmen. Daß sich beispielsweise für die bei GEA Beschäftigten ihre Arbeit finanziell nicht wirklich auszahlt, geben sie selber (und gibt auch Staudinger) offen zu – aber das ficht sie offenbar nicht im geringsten an, wie man einem Redebeitrag einer Mitarbeiterin und Anteilseignerin auf der »Bürgerrecht statt Bankenrecht«-Demonstration 2012 entnehmen kann, der deshalb so gespenstisch wirkt, weil in diesem Tonfall und mit Rechtfertigungen dieser Art Angehörige einer Sekte zu ihrem Guru halten, wenn dieser öffentlichen Angriffen ausgesetzt ist: »I hob soviel Vertrauen in die Firma, daß i mei Göld, das i mir erspar, liaber in die Firma gib… Reich wird ma bei de Waldviertler eher ned – aaaber: bei uns gibt’s a guade Firmenkultur, die eigentlich a Lebenskultur is‘ [!], bei uns gibt’s a Gmüs‘ vom Biobauern, das ma jede Woch‘ ins Haus gliefert kriagn und das jeder Mitarbeiter kostenlos mit ham nehma kann…«[10] Der ultimative Wunschtraum von Unternehmern – bei GEA ist er bereits Realität: eine Betriebsgemeinschaft nach dem Muster des ältesten Rackets überhaupt, der Familie: »Wer mag, kann auf dem Firmengelände wohnen, etwa in kleinen Wohngemeinschaften. Ein Angebot, von dem vor allem die Jüngeren gern Gebrauch machen«[11]; abhängig Beschäftigte, die maximal 2000.-EUR im Monat verdienen, den Rest in Naturalien ausbezahlt bekommen, ihr Erspartes als Teilhaber gleich wieder in die Firma stecken und genau das dankbar als »Lebenskultur« bezeichnen. Laut Staudinger gibt es bei GEA zweimal pro Woche auch Psychotherapie – »braucht man vermutlich, wenn man für eine Sekte arbeitet«, merkte dazu lapidar und treffend jemand im Netz an.[12]
Auch Staudingers »Sparverein«, den er lange Zeit betrieb und den er nun »Apfelbäumchen« nennt, ist ein Mittel, um sich über finanzielle Teilhabe einer Gefolgschaft zu versichern. Das sogenannte »Crowdfunding« ist ein Finanzierungsmodell, das seit etwa zehn Jahren verstärkt praktiziert wird; in ihm spielen ökonomische und politische Bestimmungen trübe ineinander, das Operieren am Rande der Legalität und der Ruch des Halbseidenen und irgendwie Widerständischen gehört hier zum Wesen der Sache. Denn bei den Unternehmen, die sich auf diese Weise finanzieren, handelt es sich in der Regel um solche, die irgendeine hehre Idee von »Ökologie«, »Nachhaltigkeit« oder »Kreativität« verfolgen, die die privaten Darlehensgeber mit ihrem Beitrag unterstützen; daß sie ihr Geld der Firma sozusagen »unbürokratisch«, d.h. ohne den Umweg über eine Bank, zur Verfügung stellen, nährt genau jene Vorstellungen aus dem Fundus eines kleinbürgerlich-wirtschaftsdemokratischen Anarchismus, die in den Köpfen von Wutbürgern herumspuken und die Staudinger ihnen gerne bestätigt: daß man als Bürger nicht auf »die da oben«, auf den Staat und etablierte Institutionen, sondern nur auf sich selbst vertrauen soll, daß eine gesunde und »lebensbejahende« Wirtschaft nur »von unten« wachsen kann und in der demokratischen Selbstbestimmung aller besteht: »Die NOTwendige Veränderung muß kommen. Von unten. Nie von oben«[13] und daher »ist es umso notwendiger, daß wir selber… Verantwortung für die Gestaltung unserer Lebensräume übernehmen.«[14] Denn: »Milliarden sind auf der Suche nach Sinn… Natürlich ist es so, daß Milliarden Menschen Sinn suchen. Oft, und immer öfter, ist es auch so, daß Milliarden-Vermögen auf der Suche nach Sinn sind. So gibt es viele Menschen, die für ihr Vermögen oder ihre Ersparnisse sinnvolle Landeplätze suchen, wo sie darauf vertrauen können, daß ihr Geld sinnvoll eingesetzt wird.«[15] Wir sind das Volk, wir sind das Geld, wir sind der Staat: hätte es noch irgendeines Beleges bedurft, daß, zumal im postnazistischen Zustand der Gegensatz von Staatsfanatismus und Radikalliberalismus ein nur scheinbarer und das eine nur die Kehrseite des anderen ist, dann hat Staudinger sie ihn hiermit erbracht. Und leider ist er auch darin nur die Spitze eines Eisbergs, wie ein Interview mit dem »Entrepreneur«, CDU-Wirtschaftspolitiker und Präsident der europäischen Mittelstandvereinigung Peter Jungen offenbart: »Alle, die Armut beseitigen wollen und Menschen bessere Chancen für ein selbstbestimmtes Leben wünschen, müssen Verteidiger des Kapitalismus sein. Natürlich ist er die größte NGO der Welt. Erstens gibt es keine größere und zweitens ist es eine Non-Government-Veranstaltung. Da können die Regierungen machen was sie wollen, wenn die Menschen nicht mitgehen, läuft nichts, er ist eine Bewegung von unten. Niemals kann der Staat die Tatkraft einzelner Menschen ersetzen... Und wenn NGO regierungsunabhängige Initiative meint, dann ist der Kapitalismus prädestiniert, als solche eingestuft zu werden. Immer mehr Menschen werden durch ihn einbezogen. Immer mehr Menschen akzeptieren seine Regeln und Gesetze. Insofern meine ich, entspricht das einer der schönsten Definitionen von NGO, daß die Leute auf eigene Initiative ihre Ideen umsetzen und vom Staat daran nicht gehindert werden.«[16]
Kaum eine Nummer der beiden GEA-Hauspostillen, in denen Staudinger nicht gegen den Konsumismus wettert[17] – während gleichzeitig, teilweise auf denselben Seiten die Produktpräsentation seiner Firma sich formell der gleichen kulturindustriellen Strategien bedient, wie andere Unternehmen sie in einer kapitalistischen Gesellschaft praktizieren, in der der »Konsum« zum dominierenden Leitbild der Subjekte geworden ist: nicht einfach nur nützliche Dinge zu verkaufen, sondern einen bestimmten »Lifestyle«, eine »Kultur« oder »Gemeinschaft«, der man sich zugehörig fühlt, wenn man ein Produkt kauft. Im Falle der GEA-Kundschaft ist es der Glaube, zum erlauchten Kreis der Guten, der Aufgeklärten, der »bewußten Konsumenten«, der Vorkämpfer für eine bessere Welt zu gehören: Stiefel heißen etwa »Wilderer«, »Jaga«, »Goar« (von »GoArt«, die Kunst zu gehen) oder »Rosa Lux« und letztere werden selbstverständlich einmal mit einem Zitat von Rosa Luxemburg, ein andermal mit dem Spruch »Wadeln aller Frauen, vereinigt euch!« beworben, ein Regal heißt »illegal«, eine Werbung für Taschen wird ganzseitig mit einer Darstellung der sozialen Dreigliederung nach Rudolf Steiner bestückt, eine andere Werbung für Einkaufstaschen aus Schweinsleder steht unter dem Motto »Sag NEIN!«
Von Robert Musil stammt die Bemerkung, daß ohne Philosophie heutzutage nur noch Verbrecher wagen würden, anderen Menschen zu schaden. Anspruchsvoll und erlesen geht es also zu im Reich der GEA, kein Stiefel, der nicht mit irgendwelchem ledernem Zeug aus den Beständen der Innerlichkeitsphilosophie, kein Schuh, der nicht mit eilig zusammengeschusterten Zitaten aus dem reputablen Bildungsfundus literarisch garniert würde. Aber in eben diesem Erhabenheitsdünkel, der die Firma, ihre Geschäftspolitik und ihren Chef mit seinem Publikum verbindet, liegt auch der wesentliche Unterschied zum ähnlich aufdringlichen Lifestyle-Marketing etwa der Modefirma »Hollister« beschlossen: während dieses über kurz oder lang als »Masche« im Dienst der Geschäftmacherei durchschaut und auch angeprangert wird, gilt die vom Prinzip her gleiche Vorgehensweise bei GEA als Ausdruck des glatten Gegenteils, von »Vertrauenswürdigkeit« und »Authentizität«. Und das hat schlicht damit zu tun, daß das, was die Kundschaft von GEA und Staudinger bezieht und bereitwillig konsumiert, eine im wesentlichen politische Botschaft ist. Wofür er wirbt, ist die vage Verheißung, mit seinem Geschäft der Geschäftemacherei ein Ende zu machen, indem es durch personalisiertes »Vertrauen« überformt und perspektivisch ersetzt wird. Man sieht: die erfolgreichste Geschäftemacherei besteht darin, zu behaupten, daß man »eigentlich« gar kein Geschäft betreibt, sondern eine Weltverbesserungsagentur. Staudinger zum Thema Werbung: »Als wir 1997 in einer Krise steckten, begannen wir, die Werbung selber zu produzieren. Wir wollen die Bürger aber nicht mit Scheiße belästigen, sondern ihnen Brennstoff für Herz und Seele liefern. Es geht um Fragen und Inhalte, die zum Nachdenken anregen sollen: Woher kommen wir, was bedeutet unsere Lebensreise und wohin gehen wir? Daher kommen in den Heften und auf der Webseite oft Sprüche, Zitate und literarische Texte vor.« Und weiter: »Wer die Inhalte kennt, weiß, daß sich meine Themen um Leben, Wahrheit und Aufklärung drehen.[18] Alles schamlos gelogen, jeder Satz, jedes Wort, jede Silbe. Es ist die pure Gegenaufklärung, die Staudinger als Exponent und rasender Opportunist des linksökologischen Zeitgeists betreibt und zu diesem Zweck gießt er auf die Menschen in jedem neuen Heft eimerweise den ganzen Unrat an un- oder halbverdautem Bildungsgut und echtem Bildungsmüll aus, Tickets und Schlagworte, die ihm selbst und seinem Club der Selbstgerechten Kompetenz und Bescheidwissen signalisieren und in Wahrheit nur die tiefsitzende Erfahrungsunfähigkeit und Phantasielosigkeit seiner selbst und des ganzen kleinbürgerlichen Milieus demonstrieren.
Und als wäre dies nicht schon genug Belästigung, unterhält die GEA noch zusätzlich eine »Akademie« mit allerlei Workshops, Kursen und Seminaren zu Themen wie: »Leib- und Schwertarbeit«, »Ein Schnitter kommt gezogen. Die fast vergessene Kunst des Sensenmähens«, »Spirituals und afrikanische Lieder. Mit Stimmbildung und einer Einführung in die Kunst des Obertonsingens«, »Lach-Yoga. Die Kunst des Lachens«, »A lidele in yiddish« »Steinbildhauerei. Eine Pilgerreise für die Hände«, »Moving Clowns. Clowntheater und Körperbewußtsein«, »Schamanischer Bauchladen. Begegnung mit den 4 Elementen«, »Voll da und ganz weg. Tage mit Meditation und Wanderungen« usw.usf. Eine Art alternativer Volkshochschule, mit Veranstaltungen, bei denen die Mitglieder des GEA-Rackets sich ihrer Gesinnung versichern und neue Gefolgschaft rekrutieren, Angebote für Angehörige des kleinbürgerlichen Lumpenmittelstands, sich nicht nur in der Erwerbsarbeit, sondern auch in der Freizeit freiwillig zu ertüchtigen mit läppischen Verrichtungen, die dann auch noch wahnhaft und willkürlich mit »Sinn« befrachtet, d.h. zur Kunst oder zur politischen Tat oder am besten zu beidem erklärt werden. Das unheilvolle Wirken des Rackets GEA besteht auch darin, daß es, wiederum in völligem Einklang mit dem unheilvollen Gang der Gesamtgesellschaft und den postmodernen Rackets, sich kunstsinnig und gebildet gibt, nur um beides, Bildung und die Kunst dem politisierenden Kunstgewerbe auszuliefern, es als Schmiermittel abgefeimtester Aftergesinnung einzusetzen. Und wer wäre, wenn es essentiell um Schmieriges geht, dafür besser geeignet als – genau: Konstantin Wecker. DER Wecker, den der »Heini« so sehr zu seinen besten Freunden zählt, daß er ihn bereits zweimal, 2012 und 2015 nach Schrems eingeladen hat. Staudinger und Wecker: in der Tat, da haben sich zwei Schmierenkomödianten gefunden, die einander würdig sind in ihrer Unwürdigkeit, der eine ein Krawallschädel und erbärmlicher Sprücheklopfer, der andere fast noch schlimmer, weil mit Klavier bewaffnet, ein Nichtskönner, Linksopportunist und hemmungsloser Abgreifer. Übertrieben? Dann lesen Sie das Gespräch, das die beiden mit »moreau« geführt haben und das im »brennstoff« Nr. 38 abgedruckt ist. Eine unfaßbare Orgie an Peinlichkeit, Selbstbeweihräucherung, Schamfreiheit und Heuchelei, von der hier nur ein paar Kostproben wiedergegeben werden: »Heini: Ich hab irgendwo den wunderbaren Satz gelesen: ‚In der Handarbeit werden innere Fähigkeiten außen sichtbar.‘ Weißt eh‘, bei deiner Singerei ist das natürlich auch so…Konstantin: Du, ich bin Handarbeiter, ich kann das gut verstehen. Ich nenne Klavierspielen Handarbeit, denn das ist es ja auch.« Beim Wecker ganz sicher, und so hört es sich dann auch an. Anfang 2015 hat »der Heini« dann entdeckt, »daß wir, GEA, Waldviertler und der Wecker, ja genau dasselbe wollen: Eine GEMEINSINNIGE Wirtschaft…FRIEDEN…, FREIHEIT… SPIRITUALITÄT als eine Notwendigkeit in unserer Zeit, denn wir wissen, daß es mehr gibt als wir wissen… Konstantin: Das ist optimal, besser kann man es nicht ausdrücken. Es ist genau das, was uns vereint… Es ist unsere gemeinsame Sehnsucht.« Und deshalb gehen sie jetzt gemeinsam auf die Menschheit los: »Konstantin: Ich empfinde es als ein Politikum, daß ein Linker wie ich mit Unternehmern kooperiert, deren Unternehmen ich gut finde…. Ich bin nicht für eine Welt ohne Unternehmen, sondern ich bin für eine Welt mit anständigen Unternehmen und ohne Konzerne… Und als radikale Demokraten müssen wir natürlich versuchen, unseren Staat in die Pflicht zu nehmen.« Die »Anständigen«, das sind natürlich der Heini und: der »Konstantin: Also dieser Gedanke, zu sagen, unsere Zusammenarbeit ist auch ein Politikum, dieses Sponsoring ist nicht das Übliche, ist mir wichtig. Sinn der Sache ist nicht, daß du, Heini, jetzt mehr Schuhe verkaufst an die Leute, die ins Konzert kommen. Sinn der Sache ist eine gemeinsame Idee.« Nämlich die Idee, für ihre werbewirksam inszenierte Anständigkeit ordentlich abzukassieren. Weckers Tournee, die Staudinger sponserte, hieß übrigens »40 Jahre Wahnsinn«, der im Laufe des Gesprächs denn auch einen einsamen Höhepunkt erreichte: »Konstantin:…diese Art von Zusammenarbeit gibt es, weil jeder von uns, jeder auf seinem Weg, die gleiche Sehnsucht hat. Heini: Dem stimm‘ ich gerne zu. Wir sind beide Kampfpiloten der Sehnsucht.«[19]
Nehmen wir diese Selbstbeschreibung einfach in Demut an und lassen sie lange nachwirken. Denn immerhin schätzt er die gutmenschliche Aggression und die enorme Lärmbelästigung, die von ihnen beiden ausgeht, halbwegs richtig ein. Und danken wir Staudinger auch für seinen hellen Moment, den er in einer Ansprache vor dem Wecker-Konzert 2012 hatte, als er dem Publikum lauthals Bescheid gab, daß Konstantin Wecker »kein Konsumgut« sei, sondern »Brennstoff«[20]. Nun, so hart würde nicht einmal ich das ausdrücken, aber es wird schon stimmen, was der eine »Kampfpilot der Sehnsucht« über seinen Kompagnon, die einander gleichen wie ein faules Ei dem anderen, sagt: zu mehr als zum Verfeuern taugen dessen Lieder in der Tat wohl nicht.
V
Der Tod, das muß ein Waldviertler sein oder: Der Unternehmer als Einpeitscher
Bei näherer Betrachtung ist es gar nicht verwunderlich, daß gerade ein Unternehmer zu einem Volkshelden und einer veritablen Führerfigur avancieren konnte, die weit ausstrahlt über das Milieu, der sie entstammt und das sie vorrangig bedient. Unterscheidet doch gerade der spontane und primitive Antikapitalismus mit stets offener Schlagseite zum Antisemitismus peinlich genau zwischen einem parasitären, raffenden internationalen Kapital in Gestalt von Bonzen, Konzernen, Banken und ihren politischen Helfershelfern und ehrlich schaffenden, bodenständigen und heimatverbundenen Unternehmern, die Arbeitsplätze schaffen und damit den Leuten Sinn und Perspektiven bieten. Daß er schaffender Unternehmer ist, verschafft dem Volkstribunen Staudinger genau jene Seriosität, die ihn positiv von Volkstribunen à la Heinz-Christian Strache unterscheidet, der einerseits allzu dumm und plump agiert, um beim anspruchsintellektuellen Mittelstand dauerhaft reüssieren zu können und außerdem das Image eines windigen Wiener Vorstadtstrizzis mit Türstehermanieren nicht wirklich loswird. Dieses Distinktionsmerkmal fällt umso mehr ins Gewicht, als sich der Waldviertler und der Wiener programmatisch in den wesentlichen Punkten ja ohnehin einig sind: beide kämpfen für die Bewahrung von Traditionen und Werten, für den Schutz der Heimat vor einer Überfremdung, die für Strache durch Asylbewerber und Flüchtlinge, für Staudinger hingegen durch die chinesische und vietnamesische Schuhindustrie und für beide gemeinsam durch amerikanische Konzerne und Spekulanten verkörpert wird. Im Gegensatz zur verstockten Borniertheit der FPÖ ist die entgrenzte Borniertheit Staudingers, die sich scheinbar neugierig und weltoffen mit allem Bildungsramsch umgibt, den sie erhaschen kann, gesellschaftlich tatsächlich mehrheitsfähig – und deshalb läßt man dem »Messias aus dem Waldviertel«[21] auch scheint‘s alles durchgehen: seine Predigten gegen die »Droge Konsum«[22] und für die Kraft, die in der Entbehrung liegt (»Not is‘ für mi ganz wos Inspirierendes«[23]) und seine logisch daran anschließende Ernst-Jünger-kompatible Stahlgewitterprosa (»Nur im Kampf findet der Mensch zu sich selbst«[24]), kurz: das ganze Ertüchtigungs- und Mobilmachungsgeschwätz, bei denen die angeblich so kritische und mündige Öffentlichkeit sonst – zurecht – laut aufheulen würde.
Daß er auch noch Kleinunternehmer in einem allgemein als »Krisenregion« gehandelten Landstrich Österreich ist, qualifiziert ihn nach eigener Ansicht und für seine Gemeinde noch zusätzlich für seine Rolle als Bußprediger und Volksrebell. Gerade als Mittelständler spricht er unumwunden das aus, was dieses schwer faßbare Milieu beständig umtreibt, das sich sowohl aus Kleinunternehmern und abhängig Beschäftigten oder zunehmend outgesourceten und formell unternehmerisch agierenden abhängigen Beschäftigten zusammensetzt und dessen Selbstverständnis mangels objektiver Kriterien immer schon von Grund auf ein negatives war: in ihm fließt die Kränkung, nicht zu »den Oberen« zu gehören, nahtlos zusammen mit dem unbedingten Willen, nicht noch weiter abzusteigen zu den Hacklern und Prekären, selbst wenn die eigene Existenz per definitionem eine prekäre ist, längst bevor vom »Prekariat« die Rede war. Deshalb befindet sich der Mittelständler in dauerndem Zweifrontenkrieg: gegen »die Oberen« in Wirtschaft und Politik, von denen er sich vernachlässigt, ausgenutzt, übervorteilt und betrogen sieht und von denen er lediglich das zum Bildungsschrott abgesunkene Kulturgut bezieht, mit dem er seine Weltanschauung ideologisch ausstaffiert und das er wiederum wie eine Trophäensammlung als Distinktionsmerkmal zur Unterschicht einsetzt. Von vergeblichen Aufstiegshoffnungen wie von chronischen Abstiegsängsten gleichermaßen geschüttelt, nehmen die Anstrengungen zur Selbsterhaltung beim Mittelstand eine besonders verbissene und engherzige und andererseits entgrenzte, stets zum Rebellentum neigende Form an: namentlich im Bereich der »Kreativen« in all ihren Kleinklitschen ist die Bereitschaft zur gegen sich selbst und andere rücksichtlosen Selbstzurichtung und die Willigkeit, dieselbe nahtlos in die sogenannte Freizeit hinein »politisch« zu verlängern, besonders hoch – und ebenso die mit ihr nahtlos konform gehende Bereitschaft, das ungelebte Leben im Dauereinsatz mit Konfektionsware aus dem breiten Sortiment der Halbbildung ideologisch zu verklären und es für andere zur moralisch verbindlichen Richtschnur zu erklären: als ein Engagement für ein besseres Leben, für eine gerechtere Wirtschaft, für Frieden überall auf der Welt. Aus der prosaischen Lebensnot wird kurzerhand eine Tugend gemacht, die trostlosen Zwangshandlungen, aus denen das eigene Leben besteht, willkürlich mit Weltanschauung befrachtet – und das Resultat ist dann jene – besonders für das deutsche und österreichische Kleinbürgertum – so typisch lebensreformerische Gesinnung, die sich in einer Reihe praktischer Ersatzhandlungen immer wieder aufs Neue bestätigt und erhält: daß »urban gardening«, vegane Ernährung, bewußtes Atmen, kreatives Töpfern, Mahnwachen gegen rechts und Blockupy-Lager gegen Banker die Welt verändern, glauben nicht einmal die einschlägigen Akteure selber: vielmehr geht es darum, wie sie selber offen zugeben, ein »Zeichen zu setzen« zur Umkehr. Es ist dies alles ein gigantisches Selbstdarstellungstheater, mit dem die längst selbstzweckhaft gewordene ökonomische Selbstzurichtung ins Politische verlängert wird. Der Typus des refraktären Widerständlers, der sich zur Rettung der Welt berufen sieht, bei geringstem Anlaß seiner »Empörung« Ausdruck verleiht und mit seinem missionarischen Gutmenschentum andere unter Druck setzt, es ihm gleichzutun, findet in diesem Milieu, aus dem längst ein kleinbürgerlicher Lumpenmittelstand geworden ist, seine zuverlässigste Massenbasis.
– Und in Staudinger seine idealtypische Verkörperung. Seit nunmehr über 20 Jahren, seit die Krise der alten Wohlfahrtsstaaten begann, tritt sie in unterschiedlichen Gestalten immer wieder auf den Plan: die Figur des Unternehmers, der sich selbst unmittelbar zum politischen Führer erklärt und so beschränkt, wehleidig und größenwahnsinnig, wie er nun mal ist, d.h. mit seinem ökonomischen Hausverstand und mit dem Rückenwind der Volksmeinung auszieht, um es den unfähigen, korrupten Eliten und allen von ihnen Protegierten einmal richtig zu zeigen, und damit angibt, daß er, wenn er an der Macht ist, ordentlich anpackt, nicht lange fackelt und es im Zweifelsfall mit Recht und Gesetz nicht so genau nimmt. Oder anders gesagt: der Unternehmer als Anführer und Moderator einer konformistischen Rebellion, die sich als Freiheitsbewegung mißversteht, aber in Wahrheit nur das präfaschistische Ressentiment gegen die »Unproduktiven« im Namen der »ehrlichen Arbeit« postfaschistisch wiederholt und dabei die bösartigen anti-autoritären Züge des Liberalismus hervorkehrt; und was dabei am Ende herauskommt, ist die noch üblere Herrschaft jener »sauberen« Bünde, Cliquen und Rackets, die ausgezogen waren, um angeblich mit Protektion, Freunderlwirtschaft und Filz endgültig aufzuräumen. Silvio Berlusconi, Frank Stronach und, etwas abgeschwächt, Hans-Olaf Henkel sind die Prototypen des Unternehmers als Einpeitscher – und Heini Staudinger ist nicht, wie die wenigen kritischen Stimmen meinen, ein Wiedergänger von Beppe Grillo, sondern von Berlusconi im Format einer weinerlich-wütenden Waldviertler Witzfigur, die bei allem Rabaukentum so bieder daherkommt, daß man ihr viel nachsagen kann, aber sicherlich keine noch so erbärmlichen Sex-Affairen wie dem Berlusconi. Es ist im übrigen eines der gewichtigsten Argumente gegen die sogenannte »Globalisierung«, daß sie keineswegs, wie ihr Anhänger und Gegner gleichermaßen bescheinigen, »gewachsene Kulturen« zerstört und die Menschen zu Individualismus und Weltläufigkeit erzieht, sondern daß sie umgekehrt das organisierte Dorfdeppentum aller Länder und Regionen verallgemeinert und auf Weltniveau in der Einheitswährung »Kultur« einander kommensurabel werden läßt. Weil also die globalen Verkehrsformen dem Horizont von Provinztrotteln entgegenkommen, anstatt ihn zu brechen, fühlen diese sich wiederum in dem bestätigt, was sie schon immer zu wissen glaubten und wähnen sich daher gerade in ihrer Engstirnigkeit und Erfahrungslosigkeit bestens qualifiziert, in Fragen der Weltpolitik kompetent mitzureden. Und werden, wenn sie nur oft und laut genug daherschmarren, von ihresgleichen ernsthaft für den Job des Weltenlenkers ins Spiel gebracht: »Es ist bedauerlich, daß Weltpolitik nicht in Händen von Menschen wie Heini Staudinger liegt. Da würde es auf der Welt bedeutend friedlicher und lebenswerter für die Menschen zugehen!«[25] Anlaß für diese als Bedauern verkleidete Aufforderung war ein Leserbrief, den Staudinger der »Kronen Zeitung« anläßlich der Ermordung von 11 Redaktionsmitgliedern von »Charlie Hebdo« geschrieben hatte – es geht nicht anders, den müssen wir abschließend leider auch noch zitieren, und zwar in voller Länge: »Der Terror in Paris ist also ein Angriff auf einen der Grundpfeiler der Demokratie: die Presse- und Meinungsfreiheit. Ich seh das anders. Wenn diese Morde in meinem Bekanntenkreis oder in unserer Gasse oder in unserem Dorf passiert wären, dann würde ich jetzt nicht sofort sagen: Wir müssen jetzt unsere Pressefreiheit verteidigen, sondern ich würde sagen, jetzt ist notwendig, daß wir alles tun, daß Friede und Freundschaft zurückkommen. Wir würden möglichst schnell mit allen ausmachen, daß jetzt keine blöden Witze über den Propheten Mohammed gemacht werden. Wir würden vereinbaren, daß wir uns in den nächsten Wochen nicht in Selbstgefälligkeit das Maul zerreißen über all die alleridiotischsten Anschläge von irgendwelchen islamischen Desparados [!]. Wir würden uns vornehmen, daß wir ab sofort, wöchentlich, in allen unseren Gesprächen und auch in den Medien Schönes aus der muselmanischen Welt berichten wollen. Von Rumi, dem Poeten der Liebe, der die Liebe zu Gott und den Menschen praktiziert und auf berührende Weise besungen hat, auf ihn gehen die tanzenden Derwische zurück. Wöchentlich würden wir vom islamischen Zinsverbot berichten, wir sollten von meinen ägyptischen Freunden erzählen, die in einer Selbstverständlichkeit den Armen ihrer Umgebung einen nennenswerten Teil von ihrem Wohlstand schenken. Ich finde es nicht witzig und auch nicht wertvoll, wenn wir in unserer Kultur alles, auch alles, was heilig ist, jederzeit anpinkeln dürfen. Da bleiben Freiheiten für alle auf der Strecke. Sollten wir nicht doch den Friedensgesprächen den Vorrang geben? Ein aufrichtes [?] Bemühen um Gerechtigkeit und ehrlichen Dialog ist die beste Friedenssicherung. Das meint im Ernst: Euer Heini Staudinger.«[26]
Daß ihm Leser der »Krone« für derartige Einlassungen Beifall spenden, verwundert nicht[27] – aber was ist mit all jenen, die sich so aufgeklärt und fortschrittlich dünken? Hat ihn irgend jemand ausgeladen? Wurde er sonstwie öffentlich zur Rede gestellt? Sind seine Umsätze eingebrochen? Er meint es, wie alles andere, wirklich »im Ernst«, nehmen wir ihn also beim Wort: Staudinger höhnt den Ermordeten, die noch kaum kalt waren, hinterher, daß sie an ihrem Tod eigentlich selber schuld sind, wo sie doch alles, was heilig ist, »anpinkelten« – daß sich unter den insgesamt 17 Toten auch drei Polizisten und vier jüdische Franzosen befanden, die mit irgendwelchen Karikaturen gar nichts zu tun hatten, nimmt der Freund der »muselmanischen Welt« als Kollateralschaden wohl billigend in Kauf. Nun pinkelt Staudinger gewiß nichts an, was heilig ist, er schreibt nur wie mit dem Harnstrahl; und er kann im Gegensatz zu den »Charlie Hebdo«-Redakteuren nicht einmal »blöde Witze«, sondern in seiner aufdringlichen Gutartigkeit gar keine machen, also auch nicht über »den Propheten Mohammed«, wie er ihn ehrerbietig nennt, weil er sich ihm wohl ebenso nahe fühlt wie Jesus, Buddha oder Gandhi. Und schon gar nicht über den Islam, an dem er das »Zinsverbot« rühmt, das er als einschlägiges Kreditopfer wohl auch gerne eingeführt sähe und über das er jede Woche berichten möchte, bis es so weit ist. Nun, hier hat der Spaß jetzt auch wirklich einmal ein Ende – entziehen wir diesem furchtbaren Schwätzer endlich das Wort und enden diese Betrachtung mit einem konstruktiven Vorschlag zur Güte: wenn denn Staudinger im politischen Islam offenbar eine Verwirklichung seiner Vorhaben erblickt, dann spricht nichts dagegen, in Zeiten globaler Wanderungsbewegungen diese auch in umgekehrter Richtung stattfinden zu lassen und beispielsweise so lebensbejahende und vertrauenswürdige Staaten wie Saudi-Arabien oder den Iran offiziell zu ersuchen, die ganze Waldviertler Bagage bei sich aufzunehmen. Dort würden dann Staudinger und die Seinen eine Kultur vorfinden, in der bei Androhung der Todesstrafe kein Heiliges je angepinkelt werden darf und sie könnten nicht nur das Zinsverbot, sondern gleich alle Freuden der Sharia in vollen Zügen genießen. Und wir hätten vor ihm und seinesgleichen endlich unsere – äußere und innere – Ruhe und könnten uns wichtigeren Dingen zuwenden.
VI
Postscriptum
Ach ja, eines hätte ich fast noch vergessen: Schuhe machen kann er übrigens auch nicht, der Heini. Meinen Arbeitskollegen hört man immer schon von weitem, weil seine komischen Waldviertler so entsetzlich quietschen, obwohl er sie schon zweimal hat reparieren lassen. Den Staudinger hält er aber ohnehin für einen Öko-Spinner und außerdem wird er sich bald andere Schuhe kaufen. Solche, die nicht quietschen und außerdem elegant sind.
Der erste Teil seines Artikels erschien in der Versorgerin #108 und auch ist hier nachzulesen.