Association Hinterwald

Tanja Brandmayr begab sich ins hintere Mühlviertel, wo John Tylo in Nachbarschaft zur »IG Sonntagsruhe« beharrlich an der Erweiterung des Kulturbegriffs arbeitet.

Karl Katzinger alias John Tylo betreibt in Harrachstal 8 bei Weitersfelden einen Kulturverein, der sich je nachdem Backwood/Backwood Associate/Backwood Association (Culturelle) nennt. Und der sich, wie diverse Namensvariationen nahe legen, an einer Schnittstelle befindet, wo sich das Hinterwäldlertum an der Kultur reibt – und auch umgekehrt.

Anlass für den Besuch bildeten unter anderem zwei Einreichungen von Backwood beim diesjährigen KUPF-Innovationstopf, die sowohl durch ihre Projektinhalte bestachen, als auch durch die Backwood-Selbstdefinition, die da unter anderem wäre: »Backwood Association ist ein auf den Bau der Pyramiden zurückgehender Kulturverein«. Ein Mysterium, das seitens John Tylo leider keine ausführlicheren erklärenden Worte fand, aber symbolisch gesprochen bedeuten könnte, dass nicht immer, wenn einer recht ausdauernd schwere Steine schleppt, Sisyphus im Spiel sein muss. Es könnte auch ein langfristig und beharrlich denkender Mensch am Werk sein, der seine Steine nicht nur nach einem internationalen, sondern nach einem ausgesucht universalgültigen Plan aufschlichten möchte, Kosten und Mühen des Nonkonformismus inbegriffen.

Umfasst man die Aktivitäten Backwoods in aller Kürze, erstreckt sich das Spektrum von dokumentarfilmerischen Reisen John Tylos durch die zweite und dritte Welt bis hin zu einigen Kulturveranstaltungen pro Jahr in der »hauseigenen Immobilie Garage Drushba« und einem permanenten Workshopangebot im Sensen und Dengeln. Ganz generell gesprochen scheinen Tylos Vorzugsgebiete Regionen zu sein, in die sonst so schnell niemand hinkommt, bzw. der durchschnittlich ausgeprägte Interessenskopf auch gar nicht hin will, weil es sich um unbequeme Randgebiete einer wie auch immer definierten ersten Hauptwelt handelt. Seien diese Randgebiete nun geografisch verortet als Afrika, Russland oder Osten benannt, durch die Tylo bis vor ein paar Jahren billigst und »mit allen möglichen Transportmitteln« gereist ist; so etwa mit dem Titel eines entstandenen Dokumentarfilmes gesprochen »Along The Nile« von Kairo bis in den Sudan. Oder auf den Veranstaltungsbetrieb umgemünzt als Veranstaltungen mit KünstlerInnen, die zwischen Musik, Performance, Kunst und Widerstand angesiedelt sind: Subversivität muss jedenfalls nicht erst durch wie auch immer geartetes kulturelles Labeling erarbeitet werden, sondern erzwingt sich durch die kulturelle wie existenzielle Selbstbehauptung der eingeladenen Gäste wie des Betreibers John Tylo selbst, der gewählt oder nicht, schlichtweg sein höchstpersönlich eigenes Ding macht.

Wie sehr sich dabei der Hinterwald an Details der Standardkultur und die freie Kulturarbeit wieder am Unterholz des erweiterten Kulturbegriffes reiben können, sollen in der Folge Beispiele dokumentieren. Eine Projekteinreichung von Backwood zum KUPF’schen »Macht:Demokratie«-Topf war etwa die »Kanale Vernetzung«. Dazu muss man wissen, dass John Tylo in seinem von den Großeltern ererbten Haus zwar sehr stimmungsvoll, aber jenseits jeder Romantik auch sehr reduziert lebt. Es sei wegen seiner sprachlichen Raffinessen der Einreichungstext zitiert: »Das Veranstaltungsgebäude von Backwood Association Garage Drushba ist wahrscheinlich die einzige location, die über kein WasserCloset verfügt sondern mit einer Trockentoilette ausgestattet ist. Detto die Immobilie, die das Büro der Association beherbergt. Wir verwenden nun aber nicht zufällig die trockene Lösung (Kompostierung) und nichts liegt uns ferner als ein Kredit, um die kanalmässige Vernetzung zu finanzieren. Die Betreiber der Anlage in Coop mit den Umweltexperten der Administration wollen hier aber keine Dissidenten sehen und drohen mit dem verordneten Anschluss. Wie man aus der Geschichte weiss, kann ein Anschluss eine problematische Sache sein. Mediale und juristische Massnahmen dagegen erfordern finanzielle Mittel.«

Laut Antwortschreiben der KUPF reagierte die Jury ablehnend ob des fehlenden konkreten Umsetzungsrahmens und der Undeutlichkeit der »kollektiven Strategie«, was das Abschmettern des »brisanten Themas« einer möglichen Zwangskanalisierung anbelangt. Man gab sich außerdem zweigeteilt, was das »Dazupassen« zum Ausschreibungsthema anbelangt. Und als ob John Tylo letzteres sowieso schon immer gewusst hätte, schickte er eine zweite Einreichung mit dem Titel »Macht Demokratie ohne Jury«. Sie begann mit folgendem Satz, der ein allgemeines Problem von Kulturschaffenden haarscharf auf den Punkt bringt: »Das gnadenlose Schicksal von KulturaktivistInnen ist, dass sie sich Ideen aus den Fingern saugen müssen für Themen von Ausschreibungen und Wettbewerben«. Der Vorschlag einer Finanzvergabe durch das Zufallsprinzip Lotterie wurde dann laut zweitem Antwortschreiben »lange diskutiert«. Tatsächlich bestechen Projekte wie »Kanale Vernetzung« oder »Macht Demokratie ohne Jury« durch die Gewitztheit ihres Widerstandes in sich, werden zu Sympathieträgern oder sorgen für Verwunderung. Sie scheinen sich mit ihrer kategorischen Uneinordenbarkeit aber auch an den alleräußersten Rändern von freier Kulturarbeit zu befinden, wenn es um den Ernst der qualitativen kulturpolitischen Empfehlung geht.

Weil sich Tylos Leben außerhalb einer durchschnittlich standardisierten Alltagskultur befindet, ist manchmal nicht ganz klar, ob der Backwood nun einen Ort des Rückschrittes oder eine Art Zukunftslabor darstellt. Was das Sensen und Dengeln anbelangt, Tylos drittes Standbein, eröffnen sich auch hier ungeahnte Reibungsflächen, die Tylo aus seiner Tätigkeit der »Forschungsstation Emissionsfreies Mähen« unter anderem so beschreibt: »Ich gebe aber zu bedenken, dass vor gut einem halben Jahrhundert der grönländische Fabrikant John Aebi den Mähbalken auf den Markt gebracht hat und sich seit diesem denkwürdigen Zeitpunkt der Zusammenhang zwischen Landwirtschaft und Sensenmähen diametral auseinanderbewegt. Sich also etwa so verhält, wie zwei divergierende Gerade, die sich gegen Unendlich bewegen. Oder anders gesagt: Deren Affinität sich auf ungefähr Null eingependelt hat […] Wir unterrichten eine Spezialtechnik, die nur noch von ganz wenigen Experten […] beherrscht wird«. Dieses Zitat stammt aus einem mehrjährigen kafkaesken Briefverkehr mit dem Umweltressort des Landes Oberösterreich und diversen anderen Stellen. Die Förderungen wurden auf ein Minimum zusammengestutzt und sind auf Grund der Verwendungsbedingungen kaum verwertbar. Andererseits hat sich eine zusätzliche Reibungsfläche mit den Nachbarn aufgetan, die aktuell einen Feldzug gegen Tylos Forschungsstation »Emissionsfreies Mähen« führen. Die einige Male im Jahr stattfindenden Workshops zum Sensen und Dengeln, die emissionsfrei und lärmarm der Entschleunigung, der Naturnähe und der Ökologie zu Gunsten kommen, haben eine »Interessensgemeinschaft Sonntagsruhe« provoziert, die die »handfesten Umtriebe« des Herrn Katzinger nicht länger als »entschuldigendes Feigenblatt« eines »Kulturevents« verstanden haben möchte.

Nach Linz09 befragt, meinte Tylo, dass er ein Projekt eingereicht habe, die »Forschungsstation Langsam«, die an der Donaulände situiert eine Station des beschaulichen Lebens sein sollte: Gras mähen, Holz schneiden, Musik machen, Brot backen. Ins Vorprojektstadium gekommen scheiterte das Projekt allerdings aber am Unwillen Tylos, seine Station der Langsamkeit in eine Woche komprimiertes Entschleunigungsprogramm zu verwandeln – was soll man dazu sagen.
Fragt man John Tylo nach den Highlights seiner langen Veranstaltertätigkeit, ist bemerkenswert, dass er zuerst sagt, er sei »als Veranstalter sowieso immer mit anderen Dingen als nur Zuschauen beschäftigt« und habe außerdem »das meiste schon vergessen«. Ganz Skeptiker der reibungslosen Abwicklung könne er sich aber vor allem daran erinnern, »wenn etwas nicht so gelaufen ist, wie es laufen sollte«. So hätte ein Mitglied einer Tschechischen Perfomancegruppe den Reisepass vergessen und dann - über die grüne Grenze kommend - von Tylo erst in Österreich gefunden werden müssen, während das Publikum schon wartete.

Als Veranstaltungen sind über den Sommer geplant: Theaterperformance und Konzert mit »Vojta Svejda« (Prag); zwei Dokumentarfilme aus Südosteuropa: »Koraci« (The Steps) by Vladimir Perovic (Beograd), »Chipurile Deltei« (Faces) by Adrian Voicu (Romania); Sound Experimente von Ivan Palacky (Brno) und Lukas Simonis (Rotterdam); die Ethno Chaos Group Dacha Bracha (Kiew, Ukraina); Buchpräsentation und Performance von Mieze Medusa und Markus Köhle.

Termine und Infos: www.backwood.at
Kurse Sensenmähen und Dengeln: am 08. Juni und am 22. Juni im Raum Freistadt, weitere Termine: www.sensenmaehen.at