Glasschock!

Christian Wellmann hat ihn. Und Linz die Bauwut.

Gedanken zur Baugrube 4020 lassen mich in eine wütende Starre verfallen. Ein Thema, inzwischen so umfassend wie das Neue Testament. Mein Leben wird dadurch immer mehr zur Baustelle ohne Ablaufdatum. Jeden Tag neue in Beton gegossene Luftschlösser. Dreckiger Lärm. Modernisierungswahn manifestiert in Prunkbauten und einer cleanen Stadtansicht für sonnige Konsumfreudigkeit. Ablenkung vom Wesentlichen durch Armutszeugnisse in den Disziplinen Kunst, Kultur und Architektur. Eine Stadt in einem ähnlichen Zustand wie mein Gebiss, also fehlendes Zahnwerk, Wurzelhorror, Plombenwahn, Weisheitszahnterror. Immobilien tröpfeln unaufhaltsam herab und tätowieren mir mit einem Presslufthammer ein »09« auf die Unterlippe. Verfangen in irrwitzigen Baukonstrukten, entsinne ich mich Felsbrocken gegen die düsteren Glasfassaden zu treten.

Wer in Tagen wie diesen durch das innerstädtische Linz flaniert, kann sich folgenden Eindruck nur schwer verkneifen: Tatsächlich sind mehr Bauarbeiter am Werken, als durch Geburtenarmut bestrafte Generationen durch die smogvernebelten, feinbestaubten Stadtfluchten ihre verbrauchten TV-Körper schleifen. Eine Straße ohne Baustelle ist schwer aufzufinden, außer man begibt sich in »Slum-Gegenden«. Gebiete, in denen (09)Touristen oder Geschäftsleute nichts verloren haben. Also Zörndorferfeld oder Franckviertel, das Glasscherbenviertel. Benannt nach einer Glasfabrik, die einer Bundesheerkaserne weichen musste, moderner wär da die Bezeichnung Design- oder Garnisonsviertel. Überhaupt sollte auch beim (unzeitgemäßen) Namen Linz dazu gebaut werden. Zlinz, Linzzz oder vielleicht gar Schlinz. Immerhin hat Linz jetzt mindestens so viele Kräne wie Florenz Kirchen. Die gelben Wächter der Nächte sollten unbedingt ins Stadtwappen eingebaut werden.

Der Bauschutt-Container vorm Haus oder der leer rumstehende Kran im Innenhof ist Pflicht. Hauseigentümer wollen ihr Schmuckstück natürlich auch so schick wie die Stadt rausputzen. Spatenstich, Neugestaltung, Sanierung, Modernisierung, Stadtplanung, Fassadenerneuerung, Umbauten – Schlagwörter in Zeiten des (Bau-)Konjunktur-Booms. Garniert mit Kanal- und Straßenbauarbeiten, wie immer ausufernd in der Sommerzeit. Laut Baustellenplan des Linzer Mobilitätsressorts »stehen im heurigen Jahr rund 47 Großprojekte mit möglichen größeren Verkehrsbeeinträchtigungen auf dem Arbeitsprogramm«.
143,5 Mio. fürs Musiktheater, schlappe 30 fürs Ars Center und 32 für den Wissensturm. Die 265 Mio. Euro Investitionen in Kulturbauten lassen die Bauverwaltung freudig eine »kulturelle Bauoffensive« ausrufen. Gut angelegt z.B. in den 1.100 Fassadenglasscheiben des Ars Centers, wenn's scheitert kann man dann immer noch eine Sprungschanze oder einen deluxe Ruderverein daraus machen. Die 5.100 Quadratmeter große Glasfassade mit »eingebauten Leuchtdiodenscheiben wird eine stufenlose Farb- und Helligkeitsveränderung des Ars Centers ermöglichen« (Presseaussendung der Stadt Linz, 21.4.08).
Entlang der Dametzstraße sieht die Stadt die zweite innerstädtische Kulturmeile, »die mit dem bewusst offen gestalteten Pfarrplatz noch Erweiterungspotenzial besitzt«. Sicher, Beachvolleyball oder Krone Fest sind da schon ein Beginn.
Das Bahnhofsviertel mausert sich zum OÖVP-Erlebnispark, dem El Dorado des Bildungsbürgers, das Downtown-Regierungszentrum mit Fast-U-Bahn und »dem modernsten Bahnhof Österreichs«. Die Slums von übermorgen? Die grandiose Idee über dem Bahnhof das neue Linzer Stadion zu errichten, ist leider nicht von mir, folgende schon: das altmodische, störende Postgebäude beim Bahnhof könnte zugunsten einer Abtragung und Neuaufstellung des Lentia 2000 geschliffen werden, allein schon der Optik wegen... Dieses Wissens-Mecca zwingt mich eine Linz-Quiz-Frage in den Raum zu werfen: Was ist das höchste Gebäude von Linz? (Auflösung s.u.)
Der Zubau beim Schloss wirkt zur Zeit wie ein Fuß-ballstadion, das über der Stadt bedrohlich thront und protzig die unten verbleibenden Baugeschä-digten beschwört. Dort steht auch Mobilitätsstadtrat Himmelbauer und fantasiert sich die Promenade als »durchgehenden städtischen Boulevard« herbei. Bodenstrahler und Leuchtkörper in den Blumen-beeten werden verzaubern und die Promenade zum Schmuckkästchen der Stadt machen.
»Trotz Baustelle ungestörter Betrieb« ... »bei uns auch« – so das kreative Landestheater-Schild vorm Eingang. Von diesen »Postive Vibrations« sichtlich gerührt, vergesse ich glatt, das sich der OK-Platz (mit Umfeld) irgendwie als Bastard-Klon des Wiener Museumsquartiers entpuppt. Oder das ÖGB-Gebäude am Schillerpark, das sich nicht lumpenproletarisch in der schnicken Bahnhofsgegend zeigen möchte, und neben umfassenden Sanierungsarbeiten bereits einen Glasaufbau nach OK-Muster übergestülpt hat. Oder der Posthof, der eine Beschattungsanlage (!) für den Glasfassaden-Zubau bekommt.
Auf der Baustelle Neuer Dom hantieren an einem sonnigen Tag die meisten Arbeiter linzweit. Das zu entstehende Domhotel, Seminarzentrum, Restaurant samt obligater Tiefgarage und der vorübergehenden »Dombauhütte« behauptet sich als Daueraufreger Nummer Zwei, knapp nach dem Ars Center. Quiz-Frage Nr. 2: Wie viele Personen werden im Domhotel Platz finden? (s.u.)
Nun beginnt die große Umzugswelle von Finanzamt, PVA, Energie AG, etc. gen Bahnhoftowers. Planungsstadtrat Luger zur weiteren Nutzung des Energie AG-Gebäudes: »Es ist schwierig eine Lösung zu finden. Teile stehen unter Denkmalschutz.« (OÖN 13.5.08) Aber, aber, das ist doch kein Problem, Linz09 braucht ja noch massigst Nutzflächen und außerdem kann man beim Denkmalschutz schon mal zwei Augen zudrücken. Außerdem steht das Zollamtsgebäude leer rum, da werden sicher Ateliers oder ein Kunsttagesheim oä. reingepfercht. Linz ist nunmehr die Nr. 2 am Büromarkt in Österreich. 275.000 Quadratmeter zusätzliche Bürofläche sind »disponibel«.

Willkommen im »Deutschen Budapest«, wo sich der Führer in der Pension gemütlich Kultur in der weltgrößten Galerie, dem »Hitlerkunstmuseum«, reinziehen und mit dem Rollstuhl an Reiterdenkmalen zur Oper vorbei cruisen wollte. Dort, wo die Oper errichtet werden hätte sollen (Blumau), wird jetzt leider nur ein schnödes Musiktheater hingepflanzt. Aber der Herr Adolf wäre sicher heil zufrieden mit der monumentalen Umsetzung, die sich in seiner Lieblings-stadt abzeichnet. Und das mit der immer noch fehlenden Baubewilligung für das Musiktheater (Stand Mai 08) wird, da Chefsache, bald vom Tisch sein. Wer jetzt dem Luftsanierungsgebiet Linz die Nachhaltigkeit absprechen will, hat nun wirklich nichts kapiert. Die Geschichte erinnert sicher nicht an kritisierende Wichte, wohl eher an den LH oder den größten Sohn, den die Stadt jemals hervorbrachte: Baumeister Franz Dopepush, der »als abgesandelter Typ in die Stadt« kam (siehe VersorgerIn #77).

Vergangenheit wird unter den Teppich gekehrt, neuer Glanz ist von nöten. Sanierungsbedürftigt wäre unter anderem die Linzer Synagoge in der Betlehemstraße 26. 1968 errichtet, weist das jüdische Gebetshaus etliche Mängel auf. Die Stadt Linz putzt sich ab, man hat ja den jüdischen Friedhof saniert, und außerdem fällt dieser Bereich in Bundesagenden. Das vor der Synagoge stehende Haus, das von 1945 bis 1968 als provisorisches Gebetshaus diente und von dem aus der geschäftsführende Präsident Simon Wiesenthal agierte, ist in einem abbruchsreifen Zustand und muss, da totgeschwiegen, weiter verfallen. Eine Schande für eine derart »baugeile« Stadt. Ein weiteres Beispiel für den Umgang mit Denkmalschutz ist in Alt-Urfahr zu finden: Von einem alten Haus wurde nur die (Front-)Fassade stehen gelassen – dahinter befindet sich ein neues Haus... Oder, obwohl das Sache der Vöest ist, die Schleifung des geschichtsträchtigen Werksport-Platzes am Vöest-Gelände, wo nun ein riesiger Bürokomplex entsteht. Platz machen für die Turbo-Moderne. So, ich muss jetzt die Segel (schwarz) streichen, und mir schleunigst ein Haus bauen.

Auflösung:
1. Neuer Dom 135 m, Terminal Tower 99 m, Energie-AG-Tower 73 m.
2. 71 Persone
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