»Wir sind ein freiwilliger und privater Zusammenschluss von Menschen jeden Alters, aller Geschlechter, unterschiedlicher Herkunft und mit allerlei sonstigen individuellen Vorzügen und Fehlern. Wir verstehen uns als aktive, überparteiliche und unabhängige Bürgerrechtsbewegung. Die unantastbare Menschenwürde zu achten und zu schützen, ist unsere Verpflichtung. Unser Ziel ist es, jedem und jeder aus der Spirale des Hasses und der Enthemmung herauszuhelfen. Wir holen die Wirklichkeit zurück ins Netz. Wir lassen uns nicht alleine, wir halten zusammen und treten sowohl alleine als auch zusammen jeder Form von Ungerechtigkeit entgegen. Wir begegnen Hass, Gewalt und Ignoranz mit Vernunft und Liebe. Auf #ReconquistaInternet entwickeln, organisieren und koordinieren wir online und offline. Mit Herz und Hand und mit Verstand. Auf, auf!«
So stellt sich die Kampagne »Reconquista Internet« vor, die Anfang Mai von Jan Böhmermann ins Leben gerufen wurde. Der Kastenteufel der deutschen TV-Satire knüpft damit an eine Recherche des Netzwerks »funk« von ARD und ZDF über die rechtsradikale Trollarmee »Reconquista Germanica« an, deren Ergebnisse der Youtuber Rayk Anders in der Dokumentation »Lösch Dich! So organisiert ist der Hate im Netz« veröffentlicht hat.
Von Nerds und Nazitrollen
Ausgehend von der Frage, wie fünf Prozent der deutschsprachigen Social-Media-Accounts es schaffen, 50 Prozent aller Hetzkommentare in die Onlinelandschaft zu kübeln beziehungsweise ihr »Like« dafür zu bekunden, stieß das Rechercheteam auf die gut vernetzte Struktur mit dem ungermanischen Namen[1], der hier im Weiteren mit RG abgekürzt werden soll. Auf der Chatplattform Discord, die ansonsten vor allem von Onlinegamern zur Koordination genutzt wird, holen sich die rund 6.000 Mitglieder des RG-Forums, streng hierarchisch organisiert unter einem »Oberkommando«, tägliche »Marschbefehle«, unter denen sie gezielte Hasskampagnen gegen ihnen unliebsame Personen starten und mit ihrer Propaganda die Lufthoheit über die virtuellen Stammtische beanspruchen. Anleitungen, wie man mit einer großen Zahl Fake-Accounts Masse vorgaukelt, finden sie in einem schon vor längerer Zeit bekannt gewordenen Handbuch ebenso wie Hinweise, wie man am effektivsten beleidigt und bedroht.
Die Verantwortlichen brüsten sich damit, die AfD erst groß gemacht zu haben, und so verwundert es nicht, dass das Rechercheteam unter Goebbels‘ geistigen Erben unter anderem auf den Account von »Lars (Jungpolitiker)« stieß, der als Themenschwerpunkt »AfD« angibt und bei dem es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um den Vorsitzenden der Jungen Alternative Niedersachsen, Lars Steinke, handelt. Auch die Social-Media-Accounts, die die »funk«-Leute den selbsternannten »Infokriegern« zuordnen konnten, sind eng mit der Hasspartei vernetzt und pflegen auch gute Kontakte zu den Hipsternazis der »Identitären Bewegung«.
Ein Jahr Arbeit hat es die Recherchegruppe gekostet, das Netzwerk zu infiltrieren und ihre Erkenntnisse daraus zu ziehen. Damit ist nun unter anderem klar, dass es gar keine ominösen russischen Trollfarmen braucht, um die öffentliche Meinung in Europa zu beeinflussen; auch wenn sich der Putin-treue Propagandasender RT Deutsch unter den Online-Abendlandsern großer Beliebtheit erfreut und deren Aktivitäten - etwa Kampagnen unter bestimmten Hashtags – nicht selten auch von russischen Bots, also automatisierten Social-Media-Accounts, mitgetragen werden. Der Hass im Netz aber ist ein Produkt aus heimischen Landen.
Dass sich die sogenannten Infokrieger ausgerechnet über eine Gamer-Plattform organisieren, passt wie der sprichwörtliche Arsch auf Eimer. Die Szene der Online-Zocker, wie überhaupt weite Teile der sogenannten Nerdkultur, ist ein Tummelplatz für allerhand Erscheinungsformen eines Phänomens, für das der britische Buchautor Jack Urwin den Begriff der toxischen Maskulinität geprägt hat; also die Konditionierung von Jungen und Männern auf Dominanzverhalten, das Verstecken von Emotionen und die Verachtung alles vermeintlich Schwachen. Ein idealer Nährboden für reaktionäres und autoritäres Gedankengut und antisoziales Verhalten also, und so überrascht es nicht, wie wenig sich der Umgangston der Gamerszene gegenüber Frauen, Homosexuellen oder ethnischen Minderheiten von den RG-Mobbingkampagnen unterscheidet.
Unklar ist weiter, wie stark die Sozialen Medien (und deren Manipulation) nun tatsächlich zur Verbreitung eines hasserfüllten Klimas und zum weltweiten Rechtsruck beitragen. Der Einfluss auf die US-Wahlen durch die Facebook-Datensammlung der Firma Cambridge Analytica - die mittlerweile Insolvenz angemeldet hat - und die entsprechende Platzierung von Wahlwerbung wird vermutlich überschätzt; selbst Aleksandr Kogan, der Entwickler des dabei genutzten Analysetools, bezeichnet die gesammelten Daten als ungeeignet für das sogenannte Microtargeting.
Andererseits spielten Hasspropaganda und »Fake News« im Internet im vergangenen Jahr eine unbestreitbare Rolle bei der Verfolgung und Vertreibung der Rohingya in Myanmar – während andererseits Social-Media-Nutzer anprangernde Postings mit Bildern von vermeintlichen Massakern an der muslimischen Minderheit verbreiteten, die aus anderen Konflikten stammten, und so die Glaubwürdigkeit von Hilfsorganisationen und seriösen Berichterstattern untergruben.
Nun aber »dem Internet« die Schuld an Hetze und Greueltaten zu geben, wäre zu einfach, wie ein Blick in die Geschichte zeigt. Die Propaganda der Nationalsozialisten kam völlig ohne Facebook und Twitter aus; was sie neben der Ideologie mit ihren politischen Urenkeln von RG verbindet, ist, dass sie die damals vorhandenen Massenkommunikationsmittel ähnlich effektiv und perfide zu nutzen wussten. Die Frage ist also vielleicht eher, ob linke und demokratische Kräfte – damals wie heute – die technisch-kulturelle Entwicklung verschlafen haben oder einfach deshalb ins Hintertreffen geraten, weil es nun mal in der Natur der Sache liegt, dass Faschisten im Gegensatz zu anständigen Menschen einfach keine Skrupel bei der Nutzung neuer Medien haben.
Was es für den Erfolg von Hetzkampagnen - auf welchem Weg auch immer sie verbreitet werden - allerdings außerdem braucht, ist ein gesellschaftlicher Nährboden, auf dem sie verfangen können. Oft erwecken Debatten über den Hass im Internet den Eindruck, man suche hier nach einer simplen Erklärung, um sich keine Gedanken über Ursachen im Real Life machen zu müssen.
All You Need Is Love?
Jan Böhmermann etwa bemüht in seinem Aufruf zur Kampagne »Reconquista Internet«, mit der den Netznazis begegnet werden soll, das abgedroschenste Trollklischee seit den ersten Usenet-Newsgroups: »Traurige Jungs, die in ihren Jugendzimmern sitzen, schon alle Pornhub-Videos durchgewichst haben und darum jetzt aus Langeweile die Kommentarspalten im Netz zuscheißen.« Richtig daran ist, dass die Übergänge vom Trollen »for the lulz«, also disruptive Kommunikation aus reinem Spaß an der Sache, zur organisierten Hetze von Rechtsradikalen fließend sind; gefährlich verharmlosend ist dagegen das vermittelte Bild einer Handvoll armseliger Würstchen[2], die sich selbst zu wichtig nehmen.
»Reconquista Internet«, im Folgenden RI genannt, will nun also, siehe oben »mit Vernunft und Liebe« der Trollarmee entgegentreten und das Internet wieder zu jenem Forum von Aufklärung und demokratischem Austausch machen, das es noch nie war. In erster Linie heißt dies, das Vorgehen von RG unter umgekehrten Vorzeichen zu kopieren: Interessierte können sich ebenfalls auf einem Discord-Server registrieren; über 50.000 haben das bisher getan. Statt Hasskampagnen organisieren die Teilnehmer »Flauschangriffe«: Das können zum Beispiel massenhafte Kommentare à la »Niemals in der Welt hört der Hass durch Hass auf! Hass hört durch Liebe auf!« auf rechtsradikalen Facebook-Seiten sein - so etwas erinnert stark an Tucholskys »Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft« oder auch an christliche Singegruppen auf Demonstrationen.[3] Immerhin scheinen die meisten inzwischen begriffen zu haben, dass es nichts bringt, mit Nazis zu diskutieren, und beschränken sich aufs liebevolle Vollspammen der Kommentarspalten.
Weniger wahrnehmbar ist dagegen der Versuch, Netzdiskussionen zu aktuellen Themen zu übernehmen oder gar selbst welche zu setzen. Zwar unterstützten die Teilnehmer etwa die Proteste gegen die Verschärfung des bayrischen Polizeigesetzes oder versuchen (mit mäßigem Erfolg), rechte Hashtagkampagnen zu kapern, der größte Teil der Twitter-Postings unter dem Schlagwort #ReconqistaInternet besteht jedoch aus niedlichen Katzenbildern mit Kalendersprüchen, deren einzige Wirkung im Wohlfühleffekt für die eigene Filterbubble liegt.
Mehr dürfte hingegen die erste »Amtshandlung« von RI bewirken: die Veröffentlichung von zwei Listen, deren Zustandekommen die Netzinitiative »Mimikama« so erläutert: »Dabei spielte beispielsweise die Analyse von Hashtags/Aktionen eine Rolle. Eine der beiden Listen enthält Profile von mutmaßlichen RG-Mitgliedern bzw. Twitter-Accounts, die wiederholt einen RG-Hashtag inhaltlich entsprechend genutzt haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Accounts in dieser Liste aktiv Reconquista-Germanica-Aktionen folgen, ist somit recht hoch. Ebenso wurde die Quantität ausgewertet, wie diese Accounts untereinander vernetzt sind und wer ihnen folgt. Daraus ist ebenso eine dieser Listen entstanden.«
Zusammen mit einer Anleitung zum Herunterladen und Einfügen in die Block-Funktion von Twitter ergab das eine praktische Handreichung, wie man mit ein paar Klicks dafür sorgt, dass man für diese Nutzer nicht sichtbar ist und man sie auch nicht zu Gesicht bekommt. Worauf einige Premiumdenker wie Jochen Bittner von der »Zeit« sich nicht entblödeten, sich um die Meinungsfreiheit der in den Listen Vertretenen – darunter auch rechte Prominenz wie etwa Erika Steinbach - zu sorgen.[4] Nach diesem Verständnis zensiere ich wohl auch die »Bildzeitung«, weil ich dieses »Organ der Niedertracht« (Max Goldt) nicht lesen mag.
Begründeter ist die Kritik, dass die Listen in rechten Kreisen als Empfehlung gehandelt würden – allerdings scheint deren Vernetzung ja auch ohne dieses Hilfsmittel nur allzu gut zu funktionieren. Insgesamt dürfte tatsächlich der Nutzen überwiegen, gerade für engagierte Menschen, die regelmäßig Ziel von Hassattacken werden und diese durch massenhaftes Blocken einschlägiger Accounts zumindest eindämmen können.
Viel einzuwenden gibt es also gegen Böhmermanns multimediale Intervention nicht. Es darf aber auch bezweifelt werden, ob ihr großer Erfolg beschieden sein wird. Im schlechtesten Fall ergeht es »Reconquista Internet« wie der im vergangenen Jahr ausgerufenen Kampagne #ichbinhier, die auf ähnliche Weise versuchte, auf die Kommunikation im Netz einzuwirken und inzwischen längst im Sande verlaufen ist. Bestenfalls gelingt es, eine dauerhafte Präsenz in den sozialen Netzwerken zu etablieren und den Hassschleudern die Arbeit zumindest zu erschweren. Einfangen lassen wird sich die Diskursverschiebung ins Braune dadurch allerdings nicht, denn die findet nun einmal auch massiv offline statt. Und gegen den Twitter-Obertroll als US-Präsidenten oder die Machtbefugnisse eines CSU-Innenministers helfen weder Blocken noch Herzchensmileys.
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[1] Immerhin klingt der Duktus aber stark nach jenem Bildungsbürgertum, das vor 85 Jahren zur Bücherverbrennung schritt.
[2] »Im Netz radikalisiert« gilt offenbar nur als Erklärung für islamistischen Terrorismus. Rechtsextreme Bluttaten hingegen werden gerne »verwirrten Einzeltätern« zugeschrieben, auch wenn sich, wie etwa im Fall der sogenannten Amokläufers von München, heraustellt, dass sie sich zuvor in einschlägigen Onlineforen rege über Waffen und Anschlagsziele ausgetauscht haben.
[3] Zugegeben: Wer solche Demonstrationen kennt, weiß, dass dies eine todsichere Strategie ist, Freund und Feind gleichermaßen den letzten Nerv zu rauben. Vielleicht haben die »Flauschkommentare« ja einen ähnlichen Effekt.
[4] Das ähnelt frappierend dem Geheule, das ebenjene Klientel regelmäßig anstimmt, wenn ihr geistiger Sondermüll nicht unwidersprochen hingenommen wird.
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Svenna Triebler lebt in Hamburg und schreibt für die Zeitschriften Konkret und Jungle World.