Vergiftete Nachahmung

Felix Riedel über falsche Projektionen im Stereotyp der Indianer.

Ein Lesememory von 1993 (Ravensberger) enthielt: Leiter, Kirche, Schaukel. Ausschließlich Dinge oder Tiere. Und dann noch ein Porträt eines hakennasigen Indianerkopfes in vollem Federornat. Das Bild galt dem Verlag offenbar als so starker Anreiz zum Kauf, dass es gleich auf zwei Seiten der Verpackung gedruckt wurde. In den USA verkaufen ähnliche Indianerköpfe bis heute Mohawk-Öl, Savage-Arms, den American Football der Washington Redskins, Indian Motocycles, Butter, Tabak und vieles mehr.[1] Die American Psychological Association hingegen ruft zur vollständigen Abschaffung von solchen Indianermaskottchen auf.[2] Zu nahe navigieren sie an der mimetischen Lust, die Adorno/Horkheimer am Antisemitismus beschreiben: »Wut, Hohn und vergiftete Nachahmung sind eigentlich dasselbe.«
Kopfjagd und das Skalpieren waren zwar schon aus der Antike, aus der Ethnographie, dem englischen Krieg gegen die Iren bekannt, und auch einige nordamerikanische Gesellschaften skalpierten. Abgeschnittene Köpfe von Indianern wurden jedoch im Krieg gegen die Pequot in den 1630ern zum Instrument, um die Auslöschung ganzer nordamerikanischer Gesellschaften bürokratisch zu organisieren und an Kopfjäger zu delegieren. Aus den Kopftrophäen wurden schließlich die einfacher zu transportierenden Skalpe und Ohren, die gegen Belohnungen getauscht werden konnten. In einer beispielhaften Täter-Opfer-Verkehrung verwandelte Propaganda aber ausschließlich die Indianer selbst in heimtückische Meuchelmörder mit langen Messern und Skalpgürteln. Das schuldverdrängende Moment dieser rassistischen Feindbestimmung ist zwangsläufiger Bestandteil der ursprünglichen Akkumulation. Für die Expansion feinsinnig ausgetüftelter Verwertungsprozesse fällt sie auf die stumpfe Barbarei der Mittel zurück und muss diese rationalisieren.

Die Dialektik der Aufklärung nimmt mit Kolumbus an Fahrt auf. Die durch eingeschleppte Epidemien, dann durch eine jahrhundertelange Kette genozidaler Gewalt entleerten amerikanischen Kontinente erzeugten einen gewaltigen Sog nach Arbeitskraft. Seine ersten Opfer waren Indianer, die vor allem in Südamerika und der Karibik zu Millionen durch Raubmord und Sklaverei zu Tode gebracht wurden. Ihnen folgten Schwarze, die entgegen der anfänglichen Erwartungen ebenso rasch starben: auf Jamaika vollendeten 90% der schwarzen Neugeborenen ihr erstes Lebensjahr nicht. Als der transatlantische Sklavenhandel verboten war, beschlossen die USA, den Bedarf an Baumwolle, den die britischen Spinnmaschinen erzeugten, mit einem Zuchtprogramm für schwarze Sklaven zu füllen. Die Hierarchie des Rassismus stellte die Schwarzen unter die ambivalenten »Roten«, denen man sich etwa bei der »Boston Tea Party« von 1773 noch anverwandelte. Um 1800 hielten dann auch die meisten der südostamerikanischen Indianer-Gesellschaften schwarze Sklaven.[3] Entflohene Sklaven wurden auch mithilfe von indianischen Scouts gejagt. Andere indigene Gesellschaften – darunter die Seminolen – boten entflohenen Sklaven Asyl und Kooperation an und provozierten dadurch den gesteigerten Hass der Weißen. Am offiziellen Ende der Indianerkriege im Jahr 1890 hatten nur 240,000 Indianer die Vertreibung in die Reservationen überlebt. Die Schwarzen gingen in größerer Zahl und nur geringfügig freier in die Slums. Der Kapitalismus mit seinem heiligsten Recht des Eigentums verwaltete nun die Unterworfenen wie lästige Erinnerungen an die kriminelle Vergangenheit als Enteigner an seinen Frontiers. Die Rationalisierung der Industrie verschärfte die Konkurrenz unter den an Zahl verdoppelten Weißen und ermöglichte die Bearbeitung der den Indianern geraubten Ländereien ohne Sklaven.  

Bedarf entstand aber nach einer anderen Ressource, die man den Indianern noch abnötigen konnte: Identität. Im Dokumentarfilm »Reel Injun« beobachtet Neil Diamond eine Zeremonie des »Sioux-Tribe«, einer weißen Pfadfindergruppe. Von ihrem Anführer aufgeputscht bemalen und gebärden sich die weißen Jungs »wie Indianer«, was in ihrem Verständnis bedeutet, auf Tische zu hämmern und in wildem Furor zu brüllen, kurzum: Die zivilisatorische Sau rauszulassen. Derart falsche Projektion ist der Ursprung und die Wahrheit des Begriffes »Cultural Appropriation«: Die Verhöhnung der Unterworfenen durch Nachahmung, bei der die Umwelt dem eigenen Innenleben gleich gemacht wird. Diamond blickt in befremdetem, tiefem Mitleid auf die lärmenden weißen »Sioux«: Entsetzliches mussten diese Menschen sich antun, dass sie ihre Leere dadurch anfüllen, indem sie den einst vernichteten Fremden noch posthum ihre Wut rauben und für die Formung des eigenen Kollektivs aneignen.

Wie Schwarze als Entertainer und Warenzeichen für Kolonialwaren geduldet, aber ansonsten verachtet waren, spielte sich auch die Stereotypie von Indianern in einer gespannten Ambivalenz von Identifikation und Vernichtung ab, die bis heute ihr Wesenskern ist. Typisch für die Ideologie über Indianer ist die Rückprojektion. Nachdem Cowboy- und Indianerspiele und das ululierende »Ahugahagahuga« zu Recht und Karl May zu Unrecht in der Mottenkiste verschwanden, vertritt heute nur noch »Yakari« eine konsumfähige, moderne Form des Indianerstereotyps. Es kommt ohne Indianerkriege aus und liefert ein hygienisches Bild von der spirituellen Einheit der Indianer mit Tieren und Natur. Jim Jarmusch kritisiert solche Rückprojektionen als Mythologisierung, in der Indianer »wie Dinosaurier« am Ende gar nicht mehr wirklich existieren.[4] Je stärker »die Indianer« so zur Folie, zum Mythos, zur Kulisse werden, desto mehr gerät ihre Geschichte und ihre Gegenwart und damit eigene Schuld in Vergessenheit. Daher waren militante Aktionen wie die Besetzung von Alcatraz (1969-1971) oder die 71 Tage von Wounded Knee (1973) durch das American Indian Movement (AIM) Befreiungsschläge, die in Erinnerung riefen, dass es Indianer und Reservationen mitsamt ihren Problemen überhaupt noch gibt.

An den »frontiers« der Moderne schwelte der Indianerkrieg ohnehin stets weiter. So zeichnet der nach Südamerika exilierte bayrische Sozialist Bruno Traven mit seinem Epos »Die Rebellion der Gehenkten« ein realistisches Bild der modernisierten südamerikanischen Indianersklaverei zur Zeit des Kautschukbooms. Kurz nach der Abschaffung der schwarzen Sklaverei kehrte die primitive Akkumulation zu ihren Ursprüngen zurück. Unter Androhung archaischster Gewalt, darunter das Abschlagen der Hände, wurden indigene Menschen gezwungen, Kautschuk für die Motorisierung der globalen Produktionsverhältnisse zu zapfen. Begründet wurde diese Barbarei wie je mit der Unzivilisiertheit der »Wilden«.

Eine andere dem sozialistischen Realismus verpflichtete Autorin war Liselotte Welskopf-Henrich (LWH). Sie lebte zwischen 1963 und 1974 zeitweise bei Lakota-Indianern und nahm ihre Überlieferungen ebenso auf wie ihren Alltag in der Reservation. Ihre Reihe »Die Söhne der großen Bärin« ist in der Endphase der Indianerkriege im 19. Jahrhundert angesiedelt. Der junge Harka arbeitet sich durch Exil und Not hindurch zum Kriegshäuptling hoch, kämpft letztlich vergeblich und flieht schließlich mit den Überlebenden nach Kanada. Als Klassenkämpfer verbündet er sich stets mit anderen Indianern, Künstlern und Proletariern, hat jedoch in dem skrupellosen Lumpenproletariat für die Drecksarbeit an der frontier ebenbürtige Gegner. Auch wenn LWH wegen ihrer humanistischen und realistischen Erzählungweise von den Lakota als Schutzheldin gewürdigt wurde, mangelt es nicht an Stereotypen. Harka wird von LWH permanent als »drahtig« und »sehnig« erotisiert, mit übermenschlichen Fähigkeiten versehen, seine Gegner hingegen sind hässlich, verweichlicht, altersschwach oder zur Solidarität unfähig. Dabei verliert LWH allerdings nie die materiellen, ökonomischen Zwänge außer Augen, die die Psychologie der Halunken hervorbringt und meist Ambivalenz von Hass und Mitgefühl zulässt.
LWHs zweite Reihe »Das Blut des Adlers« folgt den Reservationsindianern zur Zeit der späten Bürgerrechtsbewegung. Der ebenfalls sehr »sehnige« Rebell Joe arbeitet sich gegen alle Widrigkeiten der Reservation hoch zum erfolgreichen Züchter von Büffeln und Rassepferden. Unter den Widersachern Joes befindet sich unter anderem Jenny, ein Homosexueller, gegen den LWH ihre Abscheu deutlich artikuliert: Bei der Verfolgung Joes stirbt er in einem Autounfall. Ein »unnatürlich hoher Schrei« sei das letzte, was man von ihm gehört habe. Trotz solcher homophoben und an Stellen chauvinistischen Stereotypie können LWHs Romane insgesamt als antirassistische Dokumente und bislang unübertroffener Stand des Indianerromans gelten. So inspirierten sie auch die weniger von Wut als von ehrlichem Eskapismus geprägten »Indianerkommunen« in der DDR.

Aus der Jugendliteratur sind Indianer abseits von Yakari und literarisch bedeutungslosem Kitsch spurlos verschwunden. Dafür hat sich der Indianerfilm modernisiert. Ein Vorbote dessen war die Figur John Rambo. Der Sohn einer Navajo-Mutter tritt als modernisierter kosmopolitischer Indianerkrieger mit sprengsatzbewehrtem Pfeil und Bogen auf, der Tarnung und Guerillakrieg meisterhaft beherrscht. Die eigentliche Revolution erfuhren Indianerfilme aber durch eine Reihe indigener Spielfilme seit den 1990ern. Die Selbstironie und Beobachtungsgabe von Filmen wie »Smoke Signals« und »Atanarjuat« erlaubten, das romantisierende Melodram als Form zu überwinden. Für die Massen im Westen allerdings schlug das zunächst übersteigerte Interesse nach letzten Zuckungen im sehr weißen Film »Dances with Wolves« (1990) in absolutes Desinteresse an Indianern um. In der Linken führte die Tatsache, dass sich deutsche Nazis und Palästinenser gleichermaßen auf Indianer berufen, zu ihrer ungerechten Einordnung als Teil einer völkischen Globalen. Dieser verdinglichende, ignorante Blick ist nur eine weitere Facette der Rationalisierung der Dialektik der Aufklärung als Fortschritt.

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[1] S. Images of Native Americans in Advertising. William M. O‘Barr: Advertising & Society Review, Volume 14, Issue 1, 2013, S. 1-51.
[2] http://www.apa.org/pi/oema/resources/indian-mascots.aspx
[3] Red Indians, Black Slavery and White Racism: America‘s Slaveholding Indians, William G. McLoughlin, American Quarterly, Vol. 26, No. 4 (Oct., 1974), S. 367-385.
[4] Jim Jarmusch: Reel Injun. 13:15.

Bild: Felix Riedel