In der Salzburger Gemeinde Goldegg ist am 8. August 2014 erstmals in Österreich ein Gedenkstein für Wehrmachtsdeserteure errichtet worden. Der feierlichen Zeremonie war ein hart geführter Streit um den Standort vorausgegangen. Nach dem Willen der Stifterin des Denkmals, Frau Brigitte Höfert, hätte die Verlegung der schlichten Steinplatte bereits am 2. Juli 2014 geschehen sollen, exakt 70 Jahre nach der brutalen Zerschlagung einer Gruppe von Kriegsdienstverweigerern im Ortsteil Weng durch SS- und Gestapo-Einheiten im Juli 1944. Frau Höfert ist die Tochter des Wehrmachtsdeserteurs Karl Rupitsch. Nach dem »Sturm« auf Goldegg-Weng war Rupitsch am 8. Oktober 1944 gemeinsam mit einigen seiner Gefährten und Unterstützer im KZ Mauthausen erhängt worden. Der Gedenkstein sollte ihrem Vater, seinen Kameraden und den bis heute verfemten Opfern eine bleibende Erinnerungsstätte sein. Widerstand aus Gemeinde und Kulturverein verhinderten die Verlegung am Jahrestag.
Frau Höfert, die das Denkmal aus der eigenen Tasche und mit Spenden finanzieren wollte, hatte den Salzburger Bildhauer Anton Thuswaldner für die Gestaltung der Gedenkstätte gewonnen. Dieser schlug vor, im Hof des örtlichen Schlosses eine Steinplatte mit den Namen der 14 Opfer der NS-Razzia zu verlegen. Das Schloss ist das historische Zentrum Goldeggs und wird durch einen regen Kulturverein ganzjährig mit Veranstaltungen und Seminaren belebt. Der Stein sollte schlicht, im Stil eines antiken Epitaphs gestaltet werden, ohne politische Parolen, nur mit den Namen der Toten und dem Ort, an dem sie vom NS-Regime ermordet worden waren.
Bürgermeister und Kulturfunktionäre liefen gegen den Standort Sturm. Wenn, dann sollte ein Denkmal »am Ort des Geschehens«, in der erst 1939 der Gemeinde zwangsweise einverleibten ehemaligen Kleingemeinde Weng errichtet werden. Einige, so etwa der Ortspfarrer meinten, das Denkmal sollte keine Namen enthalten, denn die Wehrmachtsdeserteure hätten durch ihren Ungehorsam das NS-Regime provoziert und die daraus resultierenden Verfolgungshandlungen von SS und Gestapo großes Leid über ihre Familien gebracht. Noch skurrilere Einwände waren zu hören: Die Gedenktafel würde schlechtes Karma in das Renaissanceschloss bringen, Besucher und Seminarteilnehmer würden ausbleiben. Schließlich der Klassiker aller Standortdebatten für NS-Gedenkstätten: Man ließe sich »von außen« nicht vorschreiben, wie und wo in Goldegg der tragischen Ereignisse gedacht werden soll. Dabei hatte die Gemeinde seit 1945 Jahrzehnte Zeit gehabt, selbst ein bleibendes Erinnerungszeichen an die Opfer des 2. Juli 1944 zu errichten.
Am Höhepunkt der im Frühsommer 2014 in den landesweiten Medien geführten Debatte hatten die Stifterin Brigitte Höfert und ihre kleine Unterstützergemeinde bereits die Hoffnung verloren, dass der Gedenkstein verlegt werden würde können. In dieser kritischen Phase meldete sich der Obmann der Salzburger Gebietskrankenkasse, Andreas Huss. Er könne anbieten, dass der Gedenkstein auf der Liegenschaft der der SGKK beim Erholungsheim Goldegg zumindest vorübergehend eine Heimstatt finden kann. Auch die Gremien der Salzburger Gebietskrankenkasse segneten fraktionsübergreifend diese geschichtspolitische Geste ab.
Historischer Hintergrund
Die Wehrmachtsdeserteure von Goldegg-Weng waren Bauern oder Bauernsöhne, die sich in der abgelegenen Gegend zwischen Mühlbach, Goldegg, Dienten und Taxenbach ab Herbst 1943 versteckt hielten. Eine Zentralfigur dabei war Karl Rupitsch. Dieser hatte 1936, nach dem Tod seiner Frau, den Bergbauernhof »Pauss« in Mühlbach verkauft und war in die Nachbargemeinde Weng übersiedelt. Der junge Witwer Rupitsch war zu diesem Zeitpunkt 26 Jahre alt. Im Herbst 1943 wurde er wegen des Verkaufs von schwarz geschlachtetem Fleisch verhaftet und in das Polizeigefängnis St. Johann im Pongau überstellt. Seine Fleischabnehmer um den NS-Gegner Kaspar Wind befreiten ihn unter Mithilfe der Kerkermeisterin Anna Wimpissinger. Sie brachten ihn auf der Ladefläche eines LKWs zur befreundeten Bauernfamilie Oblasser nach Taxenbach. Die Behörden setzten Rupitsch nach seiner Flucht mit einem Einberufungsbefehl unter Druck. Rupitsch ignorierte diesen und versteckte sich in Weng, mittlerweile ein Ortsteil von Goldegg. Dort lebte seine Freundin, die Bauerntochter Elisabeth Hochleitner. Sie war von ihm schwanger. In ihrer Familie am Unterdorfgut und beim Irrsteingut des Pächters August Egger verbrachte Rupitsch die ersten Wochen nach der Flucht. Rupitsch begann bald darauf, Wehrmachtssoldaten des Dorfes zu überreden, sich ihm anzuschließen und nach Front- oder Genesungsur-lauben nicht mehr zur Truppe zurückzukehren.
Nur ein Deserteur überlebte die Razzia im Juli 1944. Deshalb stammen die Informationen einerseits von Betroffenen, die im Jänner 1980 vom Autor interviewt wurden, und andererseits aus Zeugenbefragungen der KZ-Überlebenden in den ersten Nachkriegsjahren.
In der Zeit bis zum Juli 1944 haben sich Rupitsch folgende Personen angeschlossen: Georg Kössner, Richard Pfeiffenberger, Peter Ottino, und Franz Unterkirchner. Die Deserteure unterhielten in Zusammenarbeit mit der Gruppe um Wind in St. Johann/Pg. einen Warndienst. Der Gendarm Wilhelm Anderle gab Informationen über geplante Fahndungsaktionen weiter. In diesem Falle zogen sich die »Fahnenflüchtigen« in das ausgedehnte Almgebiet nördlich von Goldegg zurück.
Die Deserteure in Weng versorgten sich häufig am Abend bei ihren Familien, aber auch durch Vieh- und Wilddiebstahl. Sie waren bewaffnet und machten von den Schusswaffen bei Gefahr und Nachstellung durch die Gendarmerie auch Gebrauch. Von der Bevölkerung wurden sie gelegentlich als »Partisanen« bezeichnet. Die Unterstützung durch die Familien und die lokale Bevölkerung in Weng und Boden war sehr hoch. Im Gegensatz zur zweiten in Österreich bekannten organisierten Gruppe, den Deserteuren beim Vomper Loch bei Innsbruck errichtete die Gruppe um Rupitsch keinen festen, schwer zu entdeckenden Unterstand, sondern stand in stetem Austausch mit den jeweiligen Familien. Die aufrecht erhaltene Beziehung mit den heimatlichen Höfen und dem Dorf erhöhte aber das Risiko, aufgespürt zu werden. Die lokalen Behörden gerieten wegen ihrer Erfolglosigkeit immer stärker unter Druck. Die Gendarmeriechronik Goldegg etwa vermerkt im Dezember 1943: »Sie [die Deserteure] erhalten von der Bevölkerung, namentlich von jener der Ortschaft Boden, alle nur mögliche Unterstützung, weshalb auch eine Festnahme der Flüchtigen bis heute noch nicht erfolgte«.
Ausforschung und Zerschlagung
Im Juni 1944 erhielt Hubert Hueber, Chef der Gestapo Salzburg vom Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Ernst Kaltenbrunner den Auftrag »mit großem Aufgebot« gegen die Fahnenflüchtigen in Goldegg vorzugehen.[1] Um die Verstecke der Flüchtigen auszuforschen, schleuste Hueber die berüchtigten Gestapo-Beamten Georg König und Josef Erdmann als Spitzel in das betroffene Gebiet ein. Diese gaben sich als Touristen aus und erklärten, dass sie sich auch den hiesigen Deserteuren anschließen wollten, da der Krieg bereits verloren wäre. Für die Nacht vom ersten zum zweiten Juli 1944 wurden im Raum Mühlbach, Dienten und Goldegg 70 Gestapo- und Kripo-Beamte zusammengezogen, die von einem Bataillon Waffen-SS aus Hallein unterstützt wurden.[2] Der lokalen Gendarmerie wurde zuvor befohlen, die Fahndung einzustellen. Das weiträumige Gebiet zwischen den genannten Ortschaften wurde eingekreist und jedes Gebäude, jeder Heustadel penibel durchsucht, Verdächtige sofort verhaftet. Die Razzia wurde von der Gestapo unter dem Kommando von Hubert Hueber und dessen Stellvertreter Theodor Grafenberger von Lend im Salzachtal aus geleitet. Dort warteten auch bereits Busse für den Abtransport der Verhafteten in das Polizeigefängnis nach Salzburg.
Im Morgengrauen des 2. Juli 1944 erreichten die Suchtrupps von Gestapo und SS die Bauernhöfe am Böndlsee. Die Menschen wurden durch Schreie und Schüsse geweckt und hatten sich vor den Häusern aufzustellen. Beim Gasthof Seemair lieferte sich Peter Ottino ein Gefecht mit der SS und fiel im Kugelhagel. Das Hauptinteresse der Häscher galt dem Unterdorfgut, in dessen Wohnhaus sie Karl Rupitsch vermuteten, ihn vielleicht sogar hineinflüchten sahen. Beteiligte, die König und Erdmann Tage zuvor noch in ortsüblicher Lederhose kennen gelernt hatten, waren verblüfft, die beiden jetzt in Gestapo-Uniform zu sehen. Mit roher Gewalt versuchten die brutalen Gestapo-Schläger nun, von Elisabeth Hochleitner den Aufenthaltsort ihres Liebhabers Karl Rupitsch herauszuprügeln. Sie drohten, das Bauernhaus anzuzünden. Die Gestapo ermordete, wohl um den Druck noch zu erhöhen, unweit des Hofes zwei Brüder von Elisabeth, Simon und Alois Hochleitner durch einen Herzschuss von hinten. Die beiden jungen Soldaten waren rechtmäßig auf Ernteurlaub am elterlichen Hof und keine Deserteure gewesen. Schließlich fand man Rupitsch in einer Kammer. Er brachte es nicht über sich, sich mit seinem Revolver selbst zu töten und wurde verhaftet. Karl Rupitsch wurde gemeinsam mit August Egger und ihren Unterstützern aus St. Johann im Pongau, Kaspar Wind und Alois Buder im Oktober 1944 im KZ Mauthausen durch den Strang hingerichtet. Georg Kössner konnte sich zu Verwandten nach St. Veit retten, wurde aber am 12. Juli 1944 ausgeliefert, nachdem der Familie Sippenhaft angedroht wurde.[3] Seine Hinrichtung erfolgte am 8. März 1945 in Glanegg durch Erschießen. Richard Pfeiffenberger konnte sich nach Embach retten, wurde dort aber am 15. Juli 1944 nach einem Gefecht verhaftet[4], vom Kriegsgericht der Division 418 zum Tod verurteilt,[5] zur Frontbewährung begnadigt und fiel in einer Strafkompanie.[6] Als einziger der Wehrmachtsdeserteure konnte der eingangs erwähnte Franz Unterkirchner sein Leben über den Krieg hinaus retten. Er hatte sich vorsorglich unter einem Heustadel einen schmalen Unterschlupf eingerichtet. In diesen flüchtete er in der Nacht auf den 2. Juli 1944. Dort konnten ihn die Lanzen der SS nicht erreichen. Er schlug sich in den Tagen nach dem »Sturm«, wie die Razzia in Goldegg noch heute bezeichnet wird, bis in das abgelegene Wolfsbachtal an der Schattseite von Taxenbach durch. Dort wurde er von einem Jäger versorgt und bis zur Befreiung im Mai 1945 nicht verraten. Wie viele Wehrmachtsdeserteure verbrachte er die Nachkriegszeit bis zu seinem Tod im Jahr 1972 zurückgezogen, schweigsam als Außenseiter der Gesellschaft.
Die Gestapo verhaftete an diesem Tag und in einer zweiten Welle ca. eine Woche später, dutzende Frauen. Sie hatten ihre Brüder, Kinder oder Nachbarn nicht verraten, sondern beherbergt und verpflegt.[7] Nach den Verhören sind fünfzehn Frauen aus Goldegg in das KZ Ravensbrück verschleppt worden. Elf von ihnen kehrten nach dem Krieg, körperlich und seelisch verwundet zurück. Bislang ist es gelungen, 41 Verhaftete oder Ermordete namentlich zu identifizieren. Ein Zeitungsartikel aus dem Oktober 1945 spricht von 70 verhafteten Personen.[8]
Die gesamte Razzia am 2. Juli 1944, die Verhaftungen und Hinrichtungen sind durch Gestapo und SS im Rahmen des von Ernst Fraenkel als »Maßnahmenstaat« charakterisierten Herrschaftsgefüges erfolgt.[9] Also ohne Anwendung von auch im Nationalsozialismus noch rudimentär existierender rechtsstaatlichen Normen. Die Folge ist ein eklatanter Mangel an schriftlichen Quellen. Umso bedeutsamer sind Quellen, wie die Erinnerungen der österreichischen Architektin Margarethe Schütte-Lihotzky, die im Zuge einer Transferierung vom Zuchthaus Aichach an das Landesgericht Wien im Salzburger Polizeigefangenenhaus im Juli 1944 die verhafteten Goldegger Frauen kennenlernte:[10]
»Mitten in der Nacht kam ich in einen finsteren, überfüllten Raum im Salzburger Polizeigefängnis. Jemand faßte mich an der Hand und führte mich zu einer Art Podium, wo einige Frauen auseinanderrückten, um mir Platz zu machen. Die Insassinnen waren noch keine zwölf Stunden in Haft. Alle waren Bäuerinnen oder Sennerinnen und stammten aus dem Dorf Weng bei Goldegg im Salzburgischen. (…) Die Älteste, eine weißhaarige Frau über 70, mit einem großen Kreuz auf der Brust, saß still in einer Ecke. Die anderen nannten sie Kösserbäuerin. Ihr Sohn war im Frühsommer 1943 von der Ostfront auf Urlaub nach Hause gekommen. Er verabscheute den Krieg und wollte nicht mehr für die Nazis kämpfen. Stalingrad war längst befreit, die Niederlage Deutschlands unvermeidlich, und der Soldat hielt es für Mord, noch weiter auf Menschen zu schießen. Er blieb im Dorf ein Jahr lang versteckt. Niemand verriet ihn, das ganze Dorf hielt zusammen. Dann gingen noch vier andere Urlauber nicht zurück an die Front. Die Dorfbewohner sorgten für Nahrung und Kleidung, bis die Behörden schließlich Wind von der Sache bekamen. SS-Einheiten riegelten das Gebiet um Goldegg ab, umstellten das Dorf und durchsuchten jeden Bauernhof, jede Sennhütte. Es kam zu einer Schießerei, die SS erschoß einen Versteckten. Was mit den anderen vier geschah, wußten die Frauen nicht. Sie und alle Männer aus Weng wurden verhaftet, die Kinder der NS-Frauenschaft übergeben. Alle diese Frauen haßten den Krieg, keine einzige weinte oder jammerte, alle standen für ihre Überzeugung voll und ganz ein. Wer wußte damals in Österreich und wer weiß heute, daß sich in den Salzburger Bergen ein ganzes Dorf gegen den Krieg erhob und dafür das Leben einsetzte?«
Auf den verwaisten Höfen übernahmen nach der Razzia Nachbarn die Versorgung von Kindern und Vieh.
Der »Sturm« kostete 14 Menschen das Leben, nicht eingerechnet jener KZ-Rückkehrer, die in den Nachkriegsjahren an den Folgen der KZ-Haft starben. Für ein Dorf, in dem laut Volkszählung 1934 lediglich 550 Menschen in 100 Häusern lebten,[11] eine traumatische Erfahrung.
Täter-Opfer Umkehr nach dem Krieg: Die NS-Funktionäre des Ortes stilisieren sich zu Rettern der Heimat
In den ersten Jahren nach dem Krieg erfuhren auch die Wehrmachtsdeserteure in Goldegg eine gewisse Anerkennung. Die neu begründete Republik sammelte Informationen zu Widerstandshandlungen in ganz Österreich, um die in der Moskauer Deklaration 1943 geforderten eigenen Befreiungshandlungen nachzuweisen. In Goldegg selbst fand am 25. Oktober 1945 auf Initiative eines SPÖ-Funktionärs eine Gedenkfeier und ein Gottesdienst für die Opfer des 2. Juli 1944 statt.[12] Mit der Rückkehr der Wehrmachtssoldaten aus der Gefangenschaft verschärfte sich aber dann das Klima gegen Deserteure. Sie wurden als Kameradenschweine, Feiglinge und Eidbrecher verunglimpft und an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. So auch in Goldegg.
Während im ungeliebten Ortsteil Weng zwischen den Opferfamilien lange ein solidarischer Zusammenhalt spürbar war,[13] hatte sich im Hauptort Goldegg in den Jahrzehnten nach dem Krieg ein konkurrierendes Narrativ entwickelt. Die Hauptkommunikatoren des Ortes, die Wirte, waren tief in den Nationalsozialismus verstrickt, einer von Ihnen war NS-Bürgermeister. Sie hatten während der Phase der Entnazifizierung großes Interesse daran, sich als Retter Goldeggs in Szene zu setzen. Die Ungehorsamen in Weng hätten durch ihre Fahnenflucht Unglück über ihre Familien gebracht, seien verantwortlich für die vielen KZ-Schicksale und letztlich hätten sie fast die Aussiedlung Goldeggs verursacht. Diese Aussiedlung sei vom damaligen NS-Bürgermeister und vom Adjutanten des Gauleiters Scheel, Herbert Mader verhindert worden. Diese perfide Opfer-Täter-Umkehr findet sich auch in der im Jahr 2008 (!) erschienen neuen Chronik der Gemeinde Goldegg. Nicht nur, dass darin die Deserteure im NS-Jargon als Landplage und öffentliches Ärgernis dargestellt werden, die Chronik bietet auch dem ehemaligen SS-Obersturmführer Herbert Mader seitenlang Gelegenheit, die Mär seiner angeblichen Rettung Goldeggs vor der Umsiedlung nach Wolhynien auszubreiten.[14] Dabei war das genannte Gebiet in der heutigen Ukraine im Frühjahr 1944 bereits Evakuierungsgebiet und teilweise von der Roten Armee besetzt gewesen. Die Autorin Hanna Sukare hatte in der Recherche für ihren Roman »Schwedenreiter«[15] herausgefunden, dass Mader in seiner Verteidigung im Rahmen eines volksgerichtlichen Verfahrens nach dem Krieg diese angebliche Rettung kein einziges Mal zu seiner Entlastung ins Treffen geführt hatte. Ein untrügliches Zeichen, dass die Verantwortlichen die Lüge von der Rettung Goldeggs zwar ihrer Ortsbevölkerung zumuteten, aber keinem Gericht aufzutischen wagten. Es scheint jedoch durchaus plausibel, dass die Verfolgungsbehörden wegen der örtlichen Solidarität in Weng mit einer Aussiedlung der Bevölkerung von Weng gedroht haben.
Schlussbemerkungen
Man fragt sich, warum gegen ein paar Bauernburschen einer entlegenen Region in den Salzburger Bergen mit derartigem Aufwand und solch brutaler Gewalt vorgegangen worden ist. Das Regime wollte wohl in dieser prekären Phase des Krieges ein Exempel statuieren, um Massendesertionen vorzubeugen.
Um die Opfer der Goldegger Wehrmachtstragödie hat sich nach dem Krieg kein politisches oder konfessionelles Kollektiv dauerhaft bemüht. Keine Religionsgemeinschaft, keine Partei hat die Opfer auf ihr Schild gehoben und damit dem Tod und Leiden einen Sinn zugesprochen. Mit den Vorwürfen, ihre ermordeten Väter hätten »Furchtbares angerichtet«, Tod und Leid über Goldegg gebracht und wären für die geplante Aussiedlung der Gemeinde verantwortlich gewesen, mussten die Opferfamilien allein zurechtkommen.
Die Führung der Gemeinde Goldegg hat jahrzehntelang diesem Narrativ zugearbeitet und es bis heute verabsäumt, öffentlich zu erklären, dass die Opfer des 2. Juli 1944 achtenswerte Gemeindebürger sind. Stattdessen hat man zehn Jahre lang eine Chronik verkauft, in der die Opfer zu Tätern gemacht wurden. Es ist zu hoffen, dass die Gemeinde in naher Zukunft die Kraft hat, sich für die Chronik zu entschuldigen, die Opfer des 2. Juli 1944 offiziell zu ehren und ihren Beitrag zur Verkürzung des Krieges und zum Wiedererstehen eines freien Österreichs zu würdigen.