Jura Soyfer und der heutige Aufstieg der Rechten

Zum 80. Todesjahr Jura Soyfers schreibt Herbert Arlt über den bis heute zu wenig beachteten Autor und die Aktualität seiner Texte.

Die Sprache des Nationalsozialismus ist ihnen in Österreich verboten, nicht aber die Sprache der heutigen Massenmörder und des Faschismus. Fallweise wird auch immer noch die Lingua Tertii Imperii (Viktor Klemperer: Sprache des Dritten Reiches) verwendet. Und Jura Soyfer war und ist ihr bedeutender Kritiker.

Vor 80 Jahren starb Jura Soyfer am 16. Februar 1939 im Konzentrations-lager Buchenwald. Was Mut macht, ist seine Lebendigkeit. Bis heute ist er in über 50 Sprachen übersetzt. Mit ihm verbunden ist die Verwendung des Internets in einem demokratischen Sinn. Weltweit gab und gibt es Theateraufführungen seiner Stücke. Seine Gedichte spielen zum Beispiel im arabischen Raum heute eine besondere Rolle.

Bedauerlich ist, dass seine Kritik aktuell geblieben ist und es bisher wieder nicht verstanden wird, die Rechten in die Bedeutungslosigkeit zu schicken, gerade weil Soyfer nicht der Platz eingeräumt wird, der ihm gebührt.

Er wird auf eine »Rasse« reduziert, obwohl er sich selbst in Auseinandersetzungen mit den weltbürgerlichen Leistungen diverser Juden in der Tageszeitung »Wiener Tag« nach dem Februar 1934 als Internationalist verstand. Es wird versucht, seine spezifische Stellung im österreichischen Widerstand gegen Austrofaschismus und Nationalsozialismus umzudeuten, weil das Gedenken an die Opfer im Mittelpunkt gerade der Täter steht, nicht die Erinnerung an den Widerstand. Die Aufführungen werden ideologisch strukturiert, anstatt die Bedeutung seiner Kunst auf den Bühnen wirksam werden zu lassen.

Gerade im Angesicht der rechten Vorbereitungen zur »Machtergreifung« möchte ich daher folgende Elemente hervorheben, die die grundsätzliche Bedeutung seines literarischen Werkes beispielhaft zeigen:

»Wir sind die Nummer im Katasterblatt«

Das ist eine Verszeile aus dem »Lied des einfachen Menschen« von Jura Soyfer. Das Stück »Pinguine«, in dem das Lied Teil war, konnte bisher nicht aufgefunden werden. Aber allein das Interesse daran verweist auf die Antinumerik als grundlegendes Element kultureller Prozesse.
Den Menschen zu einer Nummer zu machen, ist ein wesentliches Merkmal von rechter Politik. In diesem Sinne ist die heutige gesellschaftsrelevante Digitalisierung im großen Stil im Kern nichts anderes als eine Herabsetzung des Menschen, deren dehumanisierende Formen seit Jahrtausenden bekannt sind.
Die Menschen als Nummern in Gefängnissen und Konzentrationslagern sind bekanntlich nichts Neues. Ihre millionenhafte industrielle Vernichtung in der Zeit des Nationalsozialismus schon.
Digitalisierung heute bedeutet nicht nur andere Möglichkeiten der Öffentlichkeit, es bedeutet mehr und mehr automatisierte Bürokratisierung.
Bei Soyfer aber ist der Mensch nicht schwarz oder weiß, nicht 0 oder 1. Bei Soyfer heißt es: »Auf ja und nein ist der Mensch da«.
Das ist auch der Ansatz der Kunst, der Ansatz für die Freiheit der Kunst.
Das ist die Basis für menschliche Freiheit.
Und dass 0 auch 1 sein kann, ist ein Prinzip der Quantentechnologie.
Erkenntnisse als Erkenntnisse, die sich per se gegen Unterdrückung, Militarismus wenden.

Maschinen

Im Mittelpunkt des Soyferschen Stückes »Der Lechner Edi« stehen der Arbeitslose Lechner Edi, seine Freundin Fritzi und ein Roboter. In diesem Stück wird das zum Ausdruck gebracht, was im Mittelpunkt der Digitalisierung im Sinne einer sozialen Demokratie zu stehen hätte: dass es auf den Menschen ankommt. Das wird zwar immer wieder so gesagt, in Wirklichkeit aber das Gegenteil gemacht. Es wird vor allem in Europa, der Russischen Föderation und China etc. versucht, die analoge Welt in die digitale Welt zu transferieren, um tradierte Machtstrukturen zu erhalten.
Soyfers Dichtung zeigt aber immer wieder, welche Grenzen die Technik hat. In seinem literarischen Werk ist die Technik ein Mittel, ein Instrument. Ihre Möglichkeiten liegen in ihrer Anwendung durch Menschen.
Bereits im literarischen Werk von Soyfer eröffnet sie Möglichkeiten, die einmalig sind. Zum Beispiel im Bereich Technik und Kommunikation im Stück »Der Weltuntergang«:

Von den neunundneunzig Rändern
Dieser kugelrunden Erde
Flitzen flink aus tausend Sendern
Die Berichte. –
Durch die zarten, blitzend harten
Kupfernerven dieser Erde
Surrt die Weltgeschichte.


Das war noch nicht das Internet, sondern der Telegraph. Aber die Grenzen der Technik sind die Menschen, die sie erfinden, sie verwenden.
Das steht diametral gegen die faschistische Ästhetik und den heutigen »Futurismus«. Dieser »Futurismus« drückt nichts anderes aus als die Hässlichkeit der Klassenherrschaft in einem anderen Gewand.
Aber im 21. Jahrhundert versteckt sich die Maschine nicht hinter Menschen, sondern die Hässlichkeit der Macht hinter Maschinen, »magischen« Wörtern wie Digitalisierung. Es werden keine Götternamen für Autos mehr verwendet, sondern die Anhäufung des Kapitals wird selbst zum »Goldenen Kalb«.
Es ist diese Nicht-Menschlichkeit, gegen die nach Jura Soyfer Bündnisse geknüpft werden müssen. Denn die Natur als Natur wird nicht vernichtet werden können, die Menschen aber schon. Soyfer hat versucht, dies in seinem Stück »Der Weltuntergang« darzustellen.

»Astoria«

Am 11.5.2019 hatte im Landestheater Innsbruck das Soyfer‘sche Stück »Astoria« Premiere. Das ist das Stück über Faschismus und Kommunikation. Eines Tages wird es vielleicht in seiner sprachlichen Polyphonie den Weg auf die Bühne des Burgtheaters finden. Andere große Theater haben es bereits gespielt. Zum Beispiel das Badische Staatstheater in Karlsruhe in der Inszenierung von Walter Weyers. Wilhelm Zobl hat das Stück »Der Weltuntergang« in Form einer Oper auf die Bühne gebracht. Die »Schmetterlinge« haben ein breites Publikum für Soyfer‘sche Gedichte gewonnen.
Wesentlich an dem Stück »Astoria« ist, dass es zeigt, dass das Aussprechen der Wahrheit allein noch nicht zum politischen Sturz der Lügner führt. Vielmehr bekennen die Gewalttäter sich zur Lüge. Trump zum Beispiel scheint diese astorianische Ästhetik studiert zu haben. Er ist der Numeriker, der auf Gewalt setzt.
Aber auch in Österreich ist heute evident, dass H.C. Strache ein Neonazi war, auch wenn er es bestreitet. Aber er bekennt sich nun offen zu einer Sprache, die auch heutige Massenmörder verwenden. Er verteidigt sie. Und es ist evident, dass es nicht um Sprachspiele geht, sondern um die Vorbereitung von Bürgerkrieg und Krieg. Daher kommt es nicht nur darauf an, auf die Wörter zu schauen, sondern vor allem auf die Taten: zum Beispiel auf die Durchdringung des Staatsapparates in Österreich durch Österreichfeinde, die auf die alten Formen der Gewalt- und Kriegspropaganda zurückgreifen. Und diese sind – wie Soyfer hervorragend zeigte – kulturelle Konstruktionen.

Soyfer zeigt in »Astoria« zentrale Elemente der faschistischen Propaganda. Er zeigt die Funktionsweise der Lügen. Aber seine Figuren imaginieren auch Traumwelten, so wie »Massenkulturen« von »magischen« Welten, Traumwelten beherrscht werden. Es kommt Soyfer darauf an, zu zeigen, in welchem Fall ein Traum humanen Charakter hat und in welchem Fall er faschistisch, antihuman wird.
Sein Stück Astoria endet damit, gemeinsam ein Lied zu singen.
Das hat Bühnentradition, aber es verweist auch auf die Bedeutung der Künste in gesellschaftlichen Prozessen.

Poesie, einem breiten Publikum Wissenschaft

Gegen Faschismus, Nationalsozialismus zu sein, bedeutet daher nicht einfach, deren Dummheit, deren Sprache, deren Nummernwelt etc. zu kritisieren, sondern Kunst als Kunst ist zum Beispiel ein Widerstandsprogramm. Wissenschaft als Wissenschaft stellt den Kontrast zur Welt der Lügen dar.
Es geht nicht nur um Wörter, Sätze. Es geht um ein gesellschaftliches Programm. Soyfer hat das erkannt. Das ist einer der Gründe, weshalb es dieses weltweite Interesse an ihm gibt. Und er hat erkannt, dass im Zentrum nicht die Machtspiele stehen.
Die Welt der Machtspiele ist die Welt der Inseratenbezahler. In der realen Welt aber hat anderes eine Bedeutung: der Arbeitslose Lechner Edi ebenso wie die Theorien von Albert Einstein, die beide und vieles mehr in Soyfers Stücken eine Rolle spielen.
In der gesellschaftlichen Wirklichkeit hat die Entdeckung des Eisens, der Kartoffeln, des Mais etc. eine größere Bedeutung als alle Herrscher. Daher ist der Kampf um »die Geschichte« für die Herrscher auch nicht wirklich zu gewinnen. Es geht – wie im Fall des »Hauses der Geschichte Österreich« in Wien – auch nicht um Geschichte, sondern um die Organisierung des Vergessens.

Die vorhersehbare Niederlage der Rechten

Wie immer sich die Auseinandersetzungen nun entwickeln werden: Soyfer wusste, dass die Anti-Humanen verlieren werden. Historisch gesehen haben sie immer verloren. Auch die gegenwärtige Rechtsregierung ist gescheitert – sogar nach kürzester Zeit. Und nach der Niederlage versuchen sie, die Erinnerung zu löschen. Sie wollen nicht, dass ihrer Anti-Humanität gedacht wird. Und damit wollen sie auch nicht, dass ihrer selbst gedacht wird.
Soyfer hat über diese »Gespenster« geschrieben. Sein Stück »Vineta« ist ein Stück über die Vergessenden. Und Jahrzehnte wurde nicht nur in Österreich versucht, das Vergessen bezüglich des Austrofaschismus bzw. des Nationalsozialismus zu steuern.
Aber auch wenn Soyfer mit 26 Jahren im Konzentrationslager Buchenwald verstarb, so gibt es doch die Erinnerung an ihn: Vereine, Theater, Hörsäle, Straßen etc., die nach ihm benannt sind. Vor allem aber gibt es seine Texte. Und es gibt vor allem Menschen, für die seine Lieder, Stücke, Prosatexte etc. heute eine Bedeutung haben. In seinem Dachaulied heißt es:

Hell wird uns die Freiheit lachen,
Schaffen heißt‘s mit großem Mut.
Und die Arbeit, die wir machen.
Diese Arbeit, sie wird gut.


Freilich sollte auch allen bewusst sein, dass diese Niederlage der Rechten nicht automatisch der Fall sein wird. Es wird darauf ankommen, sie herbeizuführen. Und zwar bevor es den Rechten gelingt, Gewalt zu entfesseln.
Wichtig ist zu verstehen, dass dies ein kultureller Prozess sein muss.
Die Erfolge des »roten Wien«, der Kreisky‘schen Reformen haben dies gezeigt.
Und im Sinne Soyfers wird es darauf ankommen zu verstehen, dass es um Menschen in ihrer Widersprüchlichkeit, um Menschenrechte gehen wird. Und gerade in diesem Sinne wird es um ein Friedensprojekt gehen.