Weg damit!

Sudern und echauffieren, vom täglichen Einkauf bis zur Ironie – alles kann weg. Alexander Wöran hat eine Alltagspolemik geschrieben. Oder auch: Eine Empörung in sechs Absätzen.

Kann weg? Wunderbar. Danke! Als ich netterweise gefragt wurde, ob ich was für den diesjährigen STWST-Jahresclaim schreiben möchte, hat sich mein innerer Minidiktator gleich mal fest die Hände gerieben. Sudern und mich echauffieren – was für ein prätentiöses Wort ich da wieder verwende, so prätentiös wie prätentiös selbst, also erstens: Überheblichkeit, weg damit! –  kann ich mindestens so gut, wie alle anderen hierzulande und an Dingen, die wegkönnen, die einfach nur stören, weil unnötig, soll es nicht fehlen. Und wenn wir schon dabei sind, lange Sätze mit Einschüben, die einem das Hirn verknoten, können ebenfalls weg. Ich versuche, mich zammzreißn, versprochen. Aber ich gehe das Ganze schon wieder falsch an. Minidiktatoren (das generische Maskulinum ist hier vielleicht ausnahmsweise angebracht, ansonsten: weg damit!), die richten ihre Kritik nicht sofort gegen sich selber, nein, Selbstkritik ist ihnen fremd … hallo Herbert und Co., bleibt mal da in der Reihe stehen, wir treffen uns eh später noch. Denn ohne gleich zu sehr in die Offensichtlichkeiten der politischen Realität abzudriften, gibt es im Alltag tausende andere Sachen, die mir sauer aufstoßen, große und kleine Unsinnigkeiten, bei denen man sich bloß an den Schädel greift. Und ich kann bereits den Einwand hören, dass doch »alles aneinanderhängt«. Jo, eh. Irgendwo muss man anfangen. Also: alles in einen Topf schmeißen, weg damit!

Apropos alles in einen Topf, als Familie mit zwei Kindern (und zwei Katzen) versuchen wir, uns halbwegs bewusst zu ernähren und beim Einkaufen ein bisserl auf die Qualität zu achten. Wir sind froh, uns das so ungefähr leisten zu können und unsere Kinder nicht dauernd mit 1,40-Euro-Burgern abspeisen zu müssen, die unser Noch-Chancellord im erlauchten Kreis als Errungenschaft der modernen Marktwirtschaft abfeiert. Ob die Burger zu seiner panierten Leitkultur passen, lassen wir mal dahingestellt. Mein Gott, was bilden sich die »Sozifreunde« eigentlich nur ein, wenn sie über Kinderarmut sprechen? Wenn die Verdrängungsarbeit, die hier geleistet wird, um dem Christlich-Sozialen den Sozi auszutreiben, nicht zum Haarraufen wäre, wäre sie fast bewundernswert. Ups, Politik, sorry, mea culpa. Ist aber auch schwer. Jedenfalls, weil das Geld nicht auf den Bäumen wächst, gehen wir nicht zu Denn’s Bio, sondern zum Hofer, ab und an auf den Markt. Einmal beim Supermarkt angekommen, geht das Trauerspiel für ohnehin konstant von Werbung torpedierte »mündige Verbraucher*innen« los, da kämpft man sich in solipsistischer Manier durch Etikettenwälder, um herauszufinden, wo’s denn herkommt und wie’s gemacht wird. Und welche Eier waren nochmal die bösen, klar, Käfighaltung, nur, Bio-Haltung ist ein bisserl teuer, man muss doch auch auf’s Börserl schaun, bleibt Freilandhaltung oder Bodenhaltung. Welches der beiden ist nun der Sweetspot zwischen Leistbarkeit und nicht-ganz-so-schlechtem Gewissen? Also Freiland, dafür beim nächsten Mal die Bio-Eier (Zwinker-Smiley). Ja, die mündigen Verbraucher*innen sind allesamt einsame Existenzen, ganz auf ihr individuelles Sein zurückgeworfen, das doch fähig ist, gleichzeitig gute, auf den eigenen Vorteil bedachte und moralisch integre Entscheidungen zu treffen. Ein unendlicher Spaß, diese Freiheit, man sieht es in den Gesichtern der Einkaufenden, die nach einem langen Arbeitstag strahlen, weil sie endlich ihr hartverdientes Geld für die tollsten Produkte ausgeben dürfen. Na-na, mal halblang, der Markt produziert schließlich nur, was im Sinne der Konsumierenden ist. Die Homini Oeconomici, Google sagt zumindest, das ist der Plural, bekommen einfach, was sie bestellen. So wird’s halt gepredigt, und die mündigen Verbraucher*innen wollen zweifellos ihre Lebenszeit durch Preisvergleiche, Rabattgutscheine, Nachhaltigkeits-studien und Konsument-Magazine bereichern. Also: die Mär der mündigen Verbraucher*innen? Weg damit!

 

Eingehautete Biogurke – Ironie nicht mehr wirksam. (Bild: Tanja Brandmayr)

 

Wer sich die Mühe antut, wer sich die Produziert-in-abgepackt-in-Rally gibt und das schlechte Gewissen beim Kauf von importierten Produkten noch nicht wegrationalisiert hat, wird trotzdem mit erstaunlichen Dilemmata konfrontiert. Ein Schmankerl sind die Bio-Gurken beim Hofer, die aus Spanien kommen und in Plastikverpackung eingehautet sind, während die Nicht-Bio-Gurken aus Österreich unverpackt sind. Pest oder Cholera? Fassungslosigkeit. Der Plastikmüll ist das Nächste. Abermillionen Tonnen an Plastikmüll, es überfordert jegliche kognitiven Kapazitäten, sich diese Mengen zu vergegenwärtigen. Doch Verzicht ist keine Lösung, Verzicht ist ein schlimmes Wort, lasst uns bloß weiterproduzieren, wie gewohnt, die liebe Technik löst es elegant, etwa durch Recycling – zumindest 14% davon weltweit, 26% in Österreich. Slow Clap. Und der Rest? Der verschwindet auf wundersame Weise wie die Scheiße im Abflussrohr, einfach weg (oder in Luft, aka Atmosphäre, aufgelöst). Aber die Technik, die wird sicher besser. Sicher. Während wir darauf warten und einkaufen gehen, geben sich Ja! Natürlich und wie sie alle heißen aufgereinigt, Natur*pur, d.h., wenn die Natur erst aus den Plastik- und Aluhüllen geschält wurde, dann, ja dann haben wir quasi ihre Essenz vor unseren Nasen und bald in den Mäulern. Überhaupt, die Natur, die eine, die da anfängt und dort aufhört ist eine schöne Erfindung von uns Menschen. Während Mikroplastik durch unsere Blutbahnen spaziert, halten wir an der Natur fest, lässt sich im Prinzip alles schön trennen, wie der Müll. Wir verbrauchen zu viel Plastik, Punkt, mit der Natur, die wir uns wie ein Hintergrundbild am Screen vorstellen, von dem sich die Icons feinsäuberlich entfernen lassen, hat das nichts zu tun. Wir sind klebrige Wesen. Klebrig! Die Natur, aufgereinigt, ist etwas für die Werbung, staubige Heimatromane und abgeschmackte Landschaftsmalerei. Wir sind hier, wir sind klebrig, keine Halbgottheiten, die die Icons von »dort oben« verwalten, löschen, verschieben und neue machen, wie es uns passt. Also: Plastik? Verzichtbar! Reposts alter Memes von der Natur, die wahlweise entweder durch den Menschen und seine Technik oder seine Abwesenheit in der »perfekten« Balance gehalten wird? Weg damit!

Hat man dann schließlich den Einkauf endlich in seinen Taschen verstaut, geht es – klaro mit dem Rad – auf nach Hause. Wer im Asphaltdschungel noch immer das Sagen hat, daran besteht null Zweifel. Stets aufs Neue verwundert über das Ausmaß der Blechkolonnen, die sämtliche Fassaden in der Stadt anschwärzen, schiebt man sich durch die Straßen und fragt sich, wie das mit den achsovielen Kilometern an neuen Fahrradwegen, die laut Politik jährlich dazukommen sollen, genau gerechnet wird. Oder zählt das Aufpappen von Farbe auf dem Bereich der Straße, auf dem Radfahrer*innen vorher auch gefahren sind, bereits als »neuer« Radweg? Wahrscheinlich gelten die Radstreifen, die einen gegen die Einbahn schicken und hervorragend für das Sammeln von Nahtoderfahrungen sind, ebenfalls als neu. Gewusst wie, mit dem Rechenschieber muss man halt umgehen können. Neben allerlei im Bau befindlichen Brücken, Tunnels und Umfahrungen (den Rechenschieber packen wir lieber wieder ein) für die Pendler*innen und, sowieso, den Wirtschaftsstandort, wirken die infrastrukturellen Maßnahmen für Radler*innen wie ein Pflasterl für eine Fleischwunde. Aber äußerst gnädig, dass in einem Verbrenner-first-Land überhaupt an sie gedacht wird. Wenn Autos über den Hauptplatz der drittgrößten Stadt jagen dürfen (wtf?!), sind die Prioritäten eindeutig. Und mit dem täglichen Flächenverbrauch durch Betongeilheit, der in diversen Zeitungsartikeln zum allgemeinen Verständnis in Fußballfelder übersetzt wird, will ich gar nicht erst anfangen. Also: Um was ist‘s in dem Absatz eigentlich gegangen? Miese Infrastruktur? Autofahrer in der Innenstadt? Fake-Radwege? Egal. Sowas halt. Weg damit!

Wenn ich lebend mit dem Rad zuhause ankomme, den Einkauf im zu kleinen Kühlschrank der zu teuren Mietwohnung verstaut habe und gemütlich mit der Zeitung auf der Couch sitze, geht die Galle gleich das nächste Mal über. Da tarnen sich Faschisten als Populisten und Populisten als lupenreine Demokraten, die dann lupenreine Demokraten als Antidemokraten hinstellen, weil sie ihnen ja dauernd den Mund verbieten würden, obwohl ihnen selbst eh ein – nicht-anonymer – Furz nach dem anderen aus dem nie geschlossenen Schließmuskel im Gesicht läuft; aber, die armen Unterdrückten, von Woke-Mind-Virus und Deep-State Bedrohten, dürfen ja ned sagen wie’s »wirklich« is‘ in unserm Laund. Sie machen es trotzdem und befreien, schwer bedroht von allen Seiten, »das Volk« in heroischer Manier. Oida – und ich hab‘ mir gedacht, ihr seids‘ gegen Impfungen! Na, wenn es gegen den Woke-Mind-Virus geht, dann habt’s natürlich des Gegengiftl‘. Dann werdn‘ die Jaukerl verteilt. Die blaue Pflichtimpfung. Hallo Herbert, jetzt aber. Ich würde ja was Gemeines sagen, aber den Anwalt kann ich mir nicht leisten, außerdem, es sagen eh genug andere so viele böse Dinge über dich und deine Hawara, eure Anwälte sind sicher ausreichend mit SLAPP-Klagen beschäftigt. SLAPPstick à la FPÖ, brav austeilen, aber dann petzen laufen, wenn es ums Einstecken geht. Was glauben die auch, zu sagen, was sie sich denken. Außerdem, a little love goes a long way, als linkslinkes Hippiekind in Erwachsenenhaut würde ich ja eine Umarmung anbieten, um den Grant auf alles und jeden, wo nicht rechts ist (linksdrehende Milchsäure, z.B.), a wengl zu lösen, blöd nur, dass du dir die Liebesgrüße schon aus Moskau holst, vom nächsten »starken« Mann, der gaaaaaaaaaaaaanz genau weiß, was die Welt braucht. Also: Großsprecherei und autokratische Allmachtgelüste? Weg damit!

Aber wie. Solls in dem Text nicht auch um Kunst und Kultur gehen? Beuys, Fettecken, wer rettet die Kunst und so? Ja, wer? Die Hoffnung auf Rettung und Erlösung durch irgendwen geht fix in Stoa‘, die Türkisen wissen es, oder wollen es noch ned wahrhaben, die Gläubigen fürchten es. Und der Kunst- und Kulturbetrieb stellt solche Fragen zu Hoffnung und Rettung in gezeitengemäßer Form, die sich beim leisesten Verdacht von Naivität zumindest in die Ironie retten kann, die wiederrum eine stabile Währung ist, um auf das Bordieu‘sche kulturelle Kapital einzuzahlen. Und klar, alles, was hier steht, ist sehr ernst und direkt zu lesen. Und nächster Zwinker-Smiley. Na bum, aus dem Ironieding kommt man schwer raus. Vielleicht ist die Frage nicht »Wer«, sondern »Was rettet die Kunst?«, oder: »Was turns the tide?«. Vielleicht melancholischer Spaß, oder spaßige Melancholie, und Klebrigkeit. Wir sind klebrige Wesen. Und Plastik ist ein Spielzeug! D.h., bis es das nicht mehr ist und zum Wegwerfprodukt wird. Klebrige Sache, das, vom Spielzeug zum Wegwerfprodukt. Könnte uns die Kunst die Spielzeuge zurückgeben, die uns die Big Boys weggenommen haben, um Grown-up-stuff wie Massenproduktion zu machen? Ein bisserl? Bitte nicht schon wieder so ein halbgarer, unverständlicher »Ansatz« von einem Nebelwerfer hinter der Tastatur. Und nedmal guat! Überhaupt, die Ansätze, die Lösungen, die werden von den Ernsten gemacht. Oder? Andererseits, wann haben Empörte jemals was Produktives beizutragen gehabt. Produktive Empörte? Contradictio in adiecto. Oder? Empört bin ich auch, dass ich mir irgendwann gedacht habe, die Kunst und die Provokation gehen Hand in Hand, ein wenig gesunde Unvernunft, Bürgerschreck sein, yada yada yada, aber jetzt, wo rundherum nur Verrücktes passiert, ist die Vernunft der Unvernünftigen vielleicht die wahre Provokation. That’s a lot to take in und den Revoluzzer in mir ziehts zitronensauer zusammen. (Pause, der Empörte atmet tief durch). Mei-Mei, was für ein negatives Burscherl ich da wieder war, passt gar nicht zum Hippiekind in Erwachsenenhaut, aber spaßig war’s … und traurig, jedenfalls für mich. Also: Schachterl- über Schachterlsätze – excusez moi – und 11863 Zeichen mit Leerzeichen später sag ich zu den Leser*innen: Dieser Text?

Weg damit!

 

Alexander Wöran wurde von der Versorgerin angefragt, zwischen dem 2024er-Jahresclaim der STWST, »Kann weg«, und dem STWST48x10-Claim NOPE einen Text zu verfassen.