Haderlap Anton, Jelen Tone, Jug Anna, Kokot Andrej, Kolenik Lipej, Kukovica Franc, Kuhar Helena, Kuhar Peter, Prušnik-Gašper Karel, Vospernik Reginald: Die Lektüre der autobiographischen Werke dieser Kärntner Sloweninnen und Slowenen waren für die Literatur- und Politikwissenschafterin Judith Goetz Anlass, sich in ihrer Diplomarbeit mit den Lebensgeschichten kärntnerslowenischer Überlebender des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Damit richtet sie das Augenmerk auf eine in der hegemonialen Geschichtsschreibung Österreichs stark marginalisierte Opfergruppe. Die Arbeit ist nun beim kitab-Verlag in Buchform erschienen.
Die Autorin gibt einführend einen Überblick über die Geschichte der kärntnerslowenischen Bevölkerung, die von Ausgrenzung und Verfolgung geprägt ist. Besonderes Augenmerk wird auf die Entwicklungen seit der Volksabstimmung 1920 gelegt, deren Ausgang entgegen aller Versprechungen zu einer zunehmenden Diskriminierung der KärntnerslowenInnen führte, und natürlich auf die Gräuel des Nationalsozialismus, die sie erleiden mussten. Damit stellt ihr Buch auch eine gute Einstiegslektüre für LeserInnen, die sich bisher noch wenig mit der Minderheitenpolitik in Kärnten/Koroška auseinandergesetzt haben, dar.
Judith Goetz führt die LeserInnen durch das Dunkel der Kärntner Seele, erklärt beispielsweise, wie der in Kärnten/Koroška tief verankerte Antislowenismus mit der »Kärntner Urangst« in Zusammenhang steht. Letztere drückt sich, Goetz zufolge, in einer schier irrationalen Angst vor allem Slowenischen aus und wurzelt historisch gesehen in einer Angst vor Territorialverlusten an das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, bzw. an Jugoslawien. Besonders interessant ist das Kapitel über die in den 1920er Jahren von Martin Wutte entwickelte Windischen-Theorie, die Angehörigen der kärntnerslowenischen Minderheit ihre slowenische Identität abspricht und sie in »heimattreu« im Sinne von »deutschfreundlich« und »Landesfeinde« unterteilt. Obwohl Wuttes Ausführungen längst als pseudowissenschaftlich entlarvt wurden, sind sie bis heute weit verbreitet und nicht selten bezeichnen sich Kärntner SlowenInnen selbst fälschlicherweise als »Windisch«. Dieses Aufgeben eines Teils der eigenen Kultur passiert nur scheinbar freiwillig, entspringt es doch der langen Geschichte von Ausgrenzung und Assimilierungszwang.
Ebenso wenig wie nationalsozialistisches Gedankengut mit Ende des Zweiten Weltkrieges verschwand, war die Verfolgung der Kärntner Slowen- Innen zu Ende. ZeitzeugInnen berichten von Erniedrigungen, von Diskriminierung und Benachteiligung nach der Rückkehr. Das Verbot der slowenischen Sprache während der NS-Zeit setzte sich in der dem Staatsvertrag trotzenden Weigerung, zweisprachige Ortstafeln aufzustellen, und in Hürden für den zweisprachigen Unterricht fort. Mit Hinweisen auf aktuelle politische Diskussionen spannt Goetz den Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart. Geschichtsrevisionismus und Täter-Opfer-Umkehr in der Geschichtsschreibung Kärntens/Koroškas werden ebenso erläutert wie der Ortstafelstreit und die fragwürdige Eventkultur zur Stärkung des Wir-Gefühls der Mehrheitsbevölkerung. Zahlreiche Literatur- und Internetquellen sowie eine Auflistung von Filmen, Dokumentationen und Theaterstücken, die sich mit der Situation der kärtnerslowenischen Minderheit beschäftigen, regen dazu an, sich näher mit der Thematik zu befassen.
Hervorzuheben ist der geschlechtssensible Ansatz der Wissenschafterin. Abgesehen davon, dass die Kärntner Sloweninnen den Geschlechterklischees trotzten und auch am bewaffneten Kampf teilnahmen, entwickelten sie eigene Formen des Widerstands. Das Bedürfnis einer realistischen Darstellung der Rolle der Frauen im Kampf gegen den Faschismus war vermutlich der Grund dafür, dass Goetz das Buch über die Partisanin Jelka (Helena Kuhar) in ihre Analyse mit einbezogen hat, auch wenn es sich dabei um kein autobiographisches Werk in klassischem Sinne, sondern um Tonbandmitschnitte von Interviews, herausgegeben von Thomas Busch und Brigitte Windhab, handelt. In einem anderen Kapitel geht sie auf die spezielle Situation der Kinder der PartisanInnen ein, die als Banditenkinder beschimpft wurden, sowie auf die Autobiographien jener, die als Kinder die Gräuel erlebt haben.
Durch den interdisziplinären Zugang bietet das Buch auch für KennerInnen der Geschichte Neues. In einem Kapitel werden die Begriffe Minderheitenliteratur, Memoirenliteratur, Zeugnisliteratur und Lagerliteratur auf ihre Brauchbarkeit hin untersucht. Diskussionen innerhalb der Literaturwissenschaft um legitime Darstellungsformen der Verbrechen der Nazis sowie Debatten um Authentizität werden ebenfalls näher ausgeführt. Im Weiteren wird die Geschichte der kärtnerslowenische Literatur verlegenden Verlage Drava, Hermagoras, Wieser und kitab erzählt. Der Großteil der von Judith Goetz verwendeten autobiographischen Texte erschien in der Reihe Bücher gegen das Vergessen im Drava-Verlag, der diese Reihe bedauerlicherweise nicht mehr fortsetzt. Neuere autobiographische und wissenschaftliche Texte zum Thema erschienen, wie auch die vorliegende Publikation, im kitab-Verlag.
Besonders spannend liest sich das letzte Kapitel, in dem Goetz die Werke der oben genannten Autorinnen und Autoren analysiert und auf deren Biographien eingeht. Viele haben sich erst in fortgeschrittenem Alter und in zeitlicher Distanz zum Erlebten entschieden, ihre Lebensgeschichten aufzuschreiben. Peter Kuhars Buch wurde beispielsweise in seinem achtzigsten Lebensjahr veröffentlicht. Die Autobiographien erschienen zuerst auf Slowenisch, was in die Richtung zu deuten ist, dass sich die Opfer so ihre eigene Sprache zurückeroberten und nicht in der Sprache des Feindes beschreiben wollten, was ihnen angetan wurde. Schreiben wurde so zum Prozess der Selbstermächtigung. Gemeinsame Referenzpunkte der Überlebenden sind die Erfahrung der Deportation, das Leben in Lagern und Konzentrationslagern, der Kampf der PartisanInnen und die schwierige Rückkehr in die Heimat sowie die Enttäuschung über die mangelnde Anerkennung des antifaschistischen Widerstandes der PartisanInnen. Die AutorInnen stellen in der Regel keine großen literarischen Ansprüche an sich selbst, steht doch das Bedürfnis, an die Ermordeten zu erinnern und gegen das Vergessen der Geschichte anzuschreiben, im Vordergrund. Eine häufige Motivation war zudem, »beweisen« zu wollen, was wirklich passiert ist. Dies ist angesichts der erdrückenden Fakten über die nationalsozialistischen Verbrechen nicht mehr notwendig, aber es ist erschütternd, dass die Würdigung des Einsatzes der Kärntner SlowenInnen gegen die Nazis bisher weitgehend ausblieb. Umso wichtiger ist es, dass ForscherInnen wie Judith Goetz dafür sorgen, dass ihre Geschichte nicht in Vergessenheit gerät.