Menschen in die Lage zu versetzen, sich des Massenmediums Radio zu bedienen, ist soetwas wie das »Kerngeschäft« von Radio FRO in Linz. Sendungen, die von ehrenamtlichen RadiomacherInnen gestaltet werden, machen auch ca. 70% des Programms von Radio FRO aus. Im Rahmen dieses »Offenen Zugangs« können alle, die wollen, ihre individuelle Vision von Radio Wirklichkeit werden lassen. »Nein,« wirft die Programm-Chefin von Radio FRO, Sabina Köfler, hier gerne ein, »man muss nicht nur wollen!« Sabina koordiniert seit 2010 den offenen Zugang und zeichnet auch für die Programmentwicklung verantwortlich. In ihrer täglichen Arbeit ist sie immer wieder mit Schwierigkeiten potentieller Radiomachender konfrontiert, Schwierigkeiten, die manchmal unüberwindlich sind. Denn so offen wie er gedacht ist, ist der Offene Zugang bei Freien Radios gar nicht. Im Frühjahr startete daher unter Sabinas Leitung das Forschungsprojekt »openAIR«, das es Menschen mit Bewegungseinschränkungen ermöglichen soll, Radio zu machen ohne dabei auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Das mag eine kleine Gruppe sein. Die Ergebnisse der Forschungen werden aber größeren Kreisen zugute kommen.
Seit 2006 bietet Radio FRO barrierefreie Radioworkshops an, aus denen sich über die Jahre eine offene Redaktion gebildet hat, die regelmäßig auf Radio FRO sendet. Da die Redaktion großteils aus Menschen mit Cerebralparese, also eingeschränkter Feinmotorik bzw. Beweglichkeit der Arme und Hände besteht, richtet sich openAIR explizit an diese Gruppe.
Freie Radios verfügen nicht wie öffentlich-rechliche oder privatkommerzielle Radiostationen über eine Aufgabentrennung zwischen Technik, Moderation und Beitragsgestaltung, sondern verfolgen den Ansatz, alle Teilschritte des Radiomachens gleichermaßen an die RadiomacherInnen zu vermitteln.
Da ein Radiostudio eine Vielzahl an technischen Geräten beinhaltet, die meist durch kleine Knöpfe, Dreh- und Schieberegler zu bedienen sind, ergeben sich hier für die Zielgruppe größere Barrieren, als sie für Menschen ohne diese Beeinträchtigung bestehen. Aus diesem Grund zielt das Forschungsprojekt speziell darauf ab, die Bedienbarkeit der vorhandenen technischen Geräte zu analysieren und Möglichkeiten zu finden, diese zu verbessern. Dabei steht im gesamten Forschungsprozess im Vordergrund, keine völlig neuen Technologien zu erfinden, sondern weitgehend bestehende Mittel aufzugreifen und durch geschickte Kombination von Hard- und Software eine einfache und kostengünstige Lösung anbieten zu können. Schon aus diesem Grund soll weitestmöglich auf Open Source Technologie zurückgegriffen werden. Zudem soll die daraus entstehende Bedienungseinheit möglichst nicht nur im professionellen, sondern auch im privaten Bereich einsetzbar und eben auch leistbar sein. Ziel ist es also, eine Interfacelösung zu entwickeln, die als Prototyp im Studio von Radio FRO zum Einsatz kommen und dort auf ihre Alltagstauglichkeit getestet werden kann. Um eine möglichst reibungslose Durchführung einer Livesendung gewährleisten zu können, müssen mehrere Einzelprozesse gesondert betrachtet werden:
Bedienung des Mischpultes
Beim Mischpult stehen im Besonderen die Bedienbarkeit der Schieberegler (Fader), die zum Öffnen der einzelnen Kanäle, wie z.B. der Mikrofonkanäle und der Kanäle für externe Zuspielgeräte, im Mittelpunkt. Diese sind für Menschen mit eingeschränkter Feinmotorik nur schwierig zu bedienen, da hier oft ruckartige Bewegungen möglich sind. Selbiges gilt für die sehr klein ausgeführten Drehregler, die die Lautstärke und Klangqualität des Audiosignals steuern.
Bedienung des Computers
Da bei Livesendungen auch vorproduzierte Beiträge zum Einsatz kommen und häufig Musik eingesetzt wird, muss auch die Bedienbarkeit des Computers gewährleistet sein. In diesem Bereich stellen einerseits die handelsüblichen Eingabegeräte wie Maus und Tastatur Schwierigkeiten dar, andererseits kommen aber auch softwareseitige Probleme zu tragen. So muss etwa die Musik in einer Playlist gereiht werden. Die dafür verwendeten Programme bieten aufgrund ihrer kleinen grafischen Darstellung schlechte Voraussetzungen für eine flüssige und schnelle Bedienbarkeit.
Vorproduktion
Um beispielsweise im Vorhinein geführte Interviews oder Berichte einspielen zu können, müssen einzelne Beiträge vorproduziert werden. Dafür kommen Aufnahmegeräte und Audioschnittsoftware zum Einsatz, die ebenfalls über Knöpfe und Schalter gesteuert werden. Da gerade dieser Bereich sehr arbeitsintensiv ist, weil hier sehr genau gearbeitet werden muss, um eine entsprechende Qualität zu erreichen, sollte dieser Prozess so einfach und intuitiv wie möglich gestaltet werden.
Wenn man nun die oben genannten Probleme genauer betrachtet, wird schnell klar, dass eine Vereinfachung bzw. Erleichterung der Bedienbarkeit nicht nur Menschen mit Beeinträchtigung zugute kommt. Auch Menschen mit geringen technischen Kenntnissen oder beispielsweise ältere Menschen, die erst spät den Umgang mit Computern erlernt haben, können von dieser Verbesserung profitieren.
In einem ersten Forschungsschritt wurden somit eine Reihe von Problemen aufgezeigt, die in weiterer Folge Schritt für Schritt genauer analysiert werden und für die Lösungsansätze gesucht werden. In Folge bedarf es einer kombinierten Einbettung aller nötigen Arbeitsschritte in eine modulare Steuerungseinheit, die mit verschiedensten Eingabegeräten bedienbar gemacht werden soll. Da am Markt bereits eine Vielzahl an alternativen Eingabegeräten existiert, können hier individuelle Lösungen für einzelne Radiomacher und Radiomacherinnen angeboten werden, bzw. bereits vorhandene, persönliche Eingabehilfen auch zur Radioproduktion verwendet werden. Läuft alles so, wie es der Zeitplan der Forschungsgruppe vorsieht, so wird der Prototyp Ende des Jahres getestet werden können.
Dieses Forschungsprojekt leistet einen entscheidenden Beitrag zur Einbindung von Menschen mit Beeinträchtigung in den Arbeitsbereich des Radiojournalismus, der momentan noch vielen Menschen aufgrund technischer Hürden verschlossen ist. Eine dahinter liegende Zielsetzung ist, neue Stimmen im Medienkanon hörbar zu machen. Stimmen die bisher nicht, oder kaum gehört wurden.
Das Projekt openAIR wird durch impulse gefördert und mit Unterstützung der Forschungseinrichtung Ars Electronica Futurelab umgesetzt.