Da schwebt ein Unheil in Form einer Finanzbombe über der Stadt Linz und die Stadt ist wie gelähmt; entweder wird auf irgendeinen Retter gewartet oder man wird diese Katastrophe schon irgendwie überleben. Da werden Lebensgrundlagen, eine Infrastruktur einer ganzen mittleren Stadt zur Ware zum Zwecke der Kapitalvermehrung in Form eines verwinkelten Zinswettgeschäftes. Eine Finanzbombe, die, wenn gezündet, sich weitgestreut wie ein Schwelbrand ausbreitet und die sozialen Lebensgrundlagen der Stadt verbrennt, in alle Poren eindringt und existenzielle Ermüdung bewirkt. Wie weit ist uns durch diese Warengesellschaft allen schon die Schädel gewaschen worden, dass man so einen Unsinn auch nur erwägt, als sinnhaft hinzunehmen.
Wäre der Schaden durch das Spekulationsgeschäft SWAP 4175 von zur Zeit ca. 500 Millionen Euro für die Stadt Linz und die davon betroffenene Bevölkerung nicht so enorm, könnte man sich über derlei banale Episoden ergötzen, wie der kapitalistische Fetisch es schafft, die Tollpatschigkeit der Protagonisten mitsamt dem umgebenden institutionellen Gefüge vorzuführen. Hier könnte man auch sinngemäß David Graebers bestimmende Aussage über die Macht des Geldes anführen, indem er dem Geld, genauer wäre dem Kapitalfetisch, die Kraft zuspricht, Moral in eine Sache unpersönlicher Arithmetik zu verwandeln. Nicht umsonst hat die Mathematik einen fulminanten Aufstieg in der Finanzwirtschaft erfahren; ihre abstrakte Logik entspricht am ehesten der abstrakten Finanzkapitallogik; sie ist frei von allen Schrammen und Leiden der Menschen, Gesellschaft und Natur. Es geht um »reine« Verwertung, Anhäufung, Optimierung.
Erinnert sei daran, dass der SWAP nur als Ergänzungs- und Zinsabsicherungsgeschäft zu der Frankenanleihe der Stadt Linz um 135 Millionen Euro gedacht war. Inzwischen übersteigt aber das Absicherungsgeschäft, das in Wahrheit eine Zinswette ist, das Basisgeschäft von 135 Millionen Euro um das drei- bis vierfache. Der SWAP-4175-Prozess treibt unweigerlich seinem desaströsen Höhepunkt zu: Von beiden Seiten werden Experten, Gutachter, Wissenschafter, Rechtsanwaltskanzleien, Gerichte, Medien aller Art in Stellung gebracht, um das schon fast religiös anmutende Unheil abzuwenden, das niemand verursacht haben will. Und damit haben sie ungewollt nicht unrecht, weil das Übel, das wirklich dahintersteckt, auf keiner Anklagebank sitzt, sondern als fetischistischer Anstifter realabstrakt umherschweift, und dessen Aufgabe großteils schon erledigt ist. Das systemische Fetisch-Monster schaut zu, wie sich die Akteure im rechtlich, politisch, medialen Nahkampf zerfleischen, das Publikum aber nicht einmal johlt, lacht, weint und stöhnt, sondern in ohnmächtig Lähmung verharrt; der Fetisch selbst aber macht sich dadurch unsichtbar, so wie eine negative Verzauberung alle beteiligten Akteure verrückt macht. Uns erscheinen in diesem Fall BAWAG und Stadt Linz als Kontrahenten, die sie in unserem Rechtssystem vordergründig auch spielen müssen, aber im anderen Bezugsrahmen, dem System des Kapitalverwertungszwangs sind sie nicht Kontrahenten, sondern haben unterschiedliche Funktionen als Geldverleiher/Wettanbieter und Geldleiher/Wettenannehmer und sie haben somit immanent eine »sinnvolle« Funktion in der Schaffung des kapitalistischen Reichtums, des abstrakten Geldreichtums. Die Ware Geld, Kapital, kann nicht selber zu Markte gehen, sie braucht Träger, die in diesem Fall mit den fetischistisch getränkten Charaktermasken Geldverleiher und Leiher introjektiert und durchdrungen werden. Die zugerichteten Träger, die als bürgerliche Subjekte an der Oberfläche als autonom handelnde Personen erscheinen, unterwerfen sich dem Geldfetisch und führen im Sinne des Kapitalverwertungszwangs,- aus Geld mehr Geld zu hecken – das Geschäft in einem blinden Taumel durch.
Das Rechtssystem in unserer Gesellschaft hat die gewohnheitsmäßige Aufgabe, die auf abstrakten Eigennutz und Konkurrenz aufgebauten Verhältnisse, die eigentlich zur Gewaltförmigkeit neigen, wenn möglich, einigermaßen gewaltfrei und reibungslos zu regeln, aber auch große, ungustiöse, kotzige Brocken in einer verdaulichen Form abzuwickeln, damit nicht der Verdacht gefördert wird, dass das ganze System unverdaulich ist.
Kapitalfetisch und Personifikation der Schuld
Das bürgerliche Subjekt handelt sich mit seinem Omnipotenzwahn, Selbstbehauptungszwang, Glauben an den freien Willen Lasten und Versagen des Systems auf, für die es zwar nicht bzw. nur eingeschränkt verantwortlich ist, die es sich aber mit seinen Einbildungen, Glauben daran als individuelles Versagen, Last, Schuld selber anrechnet. Das bürgerliche Recht hat dabei die Aufgabe, die Lasten und das Versagen des Systems (positivistisch) auszublenden, um eine Personifikation der Schuld veranstalten und vollziehen zu können. Der Geld- und Kapitalfetisch hat damit sein Werk verrichtet.
Auffällig kleinlaut rund um das SWAP Desaster sind die großen Moralisten und besonnenen Vernunftaposteln, die sonst immer sofort die Gier und das maßlose Anspruchsdenken als Ursachen für fehlgelaufene Finanzspekulationen diagnostizieren. Bei dem beteiligten Personal, auf seiten der Stadt Linz insbesondere die Herren Dobusch, Mayr und Penn, auf seiten der BAWAG Frau Prehofer und andere Beteiligte, blamiert sich offensichtlich die Gier. Es ist der heilige Geist des abstrakten Selbstzwecks der Geldvermehrung, der durch sie hindurch wirkt. Durch diese Art von heiligem Geist wurden sie zu einer zügellosen Nacht mit dem neoliberalen Zeitgeist in der Form des Finanzspekulations-gespenstes inspiriert.
Das Zustandekommen derartiger Geschäfte wie des SWAP 4175 muss ohne dem Wirken des Kapitalfetischs unverständlich bleiben, denn sonst müsste man ja den Beteiligten der Stadt Linz und der BAWAG sofort einen Sachwalter zur Seite stellen, weil sie ja im Sinne der Gesellschaft nicht geschäftsfähig sind, sondern großen Schaden über sie bringen. In anderen, persönlicher verfassten Gesellschaften wären alle Beteiligten über Nacht aus der Stadt gejagt worden.
Kapitalismus ist in seiner autokannibalistischen Phase
Als die Phase des fordistischen Kapitalismus sich in den 1970er Jahren dem Ende zuneigte, weil die Kapitalverwertung über die Arbeitskraftvernutzung immer weniger rentabel wurde, entwickelte sich auf vertrackte Weise das Finanzkapital im Sinne eines immer weiteren Vorgriffs auf zukünftigen Mehrwert als Motor der Kapitalakkumulation. Lag das weltweit akkumulierte globale Geldvermögen im Jahr 1980 noch bei rund 10 Billionen Dollar, wird es nach Berechnungen des »Global Wealth Report 2011« derzeit mit 231 Billionen Dollar veranschlagt, stellt man die abgeleiteten Finanzprodukte (Derivate) von einem Volumen im Jahr 2007 mit 600 Billionen Dollar dazu, bekommt man eine Vorstellung über die obszöne Aufblähung des Finanzkapitals. Nach alter Logik hätte sich die Realwirtschaft mindestens vervielfachen müssen, um in einer halbwegs nachvollziehbaren Relation zur Finanzwirtschaft zu stehen. Hat sie aber nicht und könnte sie auch nicht, sonst wäre dieser Planet schon jetzt unbewohnbar.
Die Explosion des Umfangs der Geldvermögen um das Zwanzigfache innerhalb von 30 Jahren lässt erahnen, in welch hohem Grad an Fiktion das Finanzkapital sich befindet; d.h. die fiktiv halluzinierten Bänder zur Realwirtschaft werden immer dünner und reißen immer öfter, weil sich die halluzinierten Erwartungen an die Realwirtschaft nicht erfüllen. Aber dieses riesige, hochgepuschte Finanzkapital rast über die Welt und sucht nach Verwertbarem; alles was sich auch noch irgendwie eignet, wird in seinen Kapital-Verwertungssog gerissen. Die Bevölkerungen ganzer Länder, Städte, (Detroit lässt grüßen) Kommunen, werden ins Elend gestürzt, die Umwelt, die Natur, die Tiere werden der Kapitalverwertung unterworfen. Die Regierungen, die die Entfesselung der Finanzmärkte deregulierend mitbetrieben haben, wollen ihnen nun wieder Zügel anlegen; so als ob man ein Nashorn mit einer Schnur anbinden könnte. Dieses System tritt nun in seine autokannibalistische Phase ein, es werden die Bedingungen zerstört, auf denen es sich selbst reproduziert; so wie ein Alkoholiker anfängt, Türen, Holzböden, und letztendlich das Dach zu verheizen, damit ihm warm wird.
Pactum non est servandum
In der Klagsbeantwortung an die Stadt Linz fordert die BAWAG: »Pacta sunt servanda« (Verträge sind einzuhalten). Dieser aus dem römischen Recht stammende Vertragsgrundsatz hat unter dem damaligen System seine spezifische historische Legitimitätsform, aber im System der brutalen Kapitallogik, der abstrakten Herrschaft der Geldform, und schon gar nicht in der Phase des autokannibalistischen Kapitalismus, darf man diesen Rechtsgrundsatz akzeptieren: »Pacta non sunt servanda« (Verträge sind nicht einzuhalten): Sonst müsste man alle Verträge, die das Kapital in seinem Verwertungszwang hervorbringt, akzeptieren, egal ob dabei die Welt zugrunde geht, die Umwelt zerstört wird, die Menschen physisch und psychisch ausgesaugt werden. Dabei wird ersichtlich, mit welcher monströsen Gewalt das Kapital seine Ziele durchzusetzen gedenkt. Es ist die Pflicht der Menschen, die ihre Würde behalten wollen, solche Verträge nicht zu akzeptieren.
Das warenproduzierende System muss insgesamt aufgehoben werden, weil es Verträge zulässt, die die Existenzgrundlagen der Menschen, kleiner, großer Kollektive, ja der gesamten Menschheit als Waren degradiert, für Finanzspekulationen zulässt und zum Objekt abstrakter Reichtumsanhäufung missbraucht.
SWAP 4175: Pactum non est servandum! (Der Vertrag ist nicht einzuhalten!)
Franz Primetzhofer, Seefahrer und Wirt