Zu den »zentralen Werten« der FPÖ zählt FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache neben »Heimat, Sicherheit, Familie, kulturelle Identität« auch die »soziale Gerechtigkeit«. Am 19. Februar präsentierte die FPÖ dementsprechend ein Internet-Volksbegehren für Bankensteuer. Denn ein Jahr nach dem »Banken-Super-GAU« werde von den Banken »munter weiter gezockt«. »Der Roulette-Tisch des internationalen Kasino-Kapitalismus« habe wieder geöffnet. Die »Zeche« für die »Gier der Manager« zahle der »österreichische Steuerzahler«.
Die Thematisierung der sozialen Frage von Rechts ist keine Neuigkeit. Doch vielfach wird die Natur dieser Problematik missverstanden. Der vorherrschende Tenor unter Gegnern der Rechten lautet: Der rechte Antikapitalismus ist allein eine Täuschung. Die Rechte instrumentalisiert die sozialen Probleme der Wähler zur Mobilisierung derselben. In abgewandelter Form kommt eine ähnliche Einschätzung in der Bewertung der Machtergreifung der NSDAP in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts (die hier aus guten Gründen ausdrücklich nicht mit der FPÖ gleichgesetzt werden soll) zum Ausdruck. Damals wären die deutschen Wähler nicht dem Antisemitismus der Nazis gefolgt, sondern den politisch eher neutralen Parolen von Arbeit und Brot aufgesessen.
Die Parolen der FPÖ weisen jedenfalls eine bemerkenswerte Affinität mit weit in der Gesellschaft verbreiteten Ressentiments und Denkfiguren auf. Und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dies auf dem Feld der »sozialen Gerechtigkeit« anders wäre. Mit anderen Worten: Diese sozialen Parolen sind keine alleinige Erfindung der FPÖ, sondern entspringen einer gesellschaftlichen, bestimmten Auffassung und Bestimmung von »sozialer Gerechtigkeit«. Was sind nun die Elemente dieser Auffassung? »Arbeiter«, Hackler, kleine Unternehmer, österreichische Steuerzahler, die sich »abschuften«, ihre »Kredite abzahlen« und nun zusehen müssen, wie die »Steuerschraube« sie »aussaugt«, während »skrupellosen und unfähigen Bankmanagern« »Geld in den Rachen« geworfen wird. In dieser so banal erscheinenden Darstellung ist tatsächlich das ganze Arsenal antisemitischer und fremdenfeindlicher Ideologie in nuce enthalten.
Der österreichische Steuerzahler stellt den pflichtversessenen Untertanen dar. Der Zwang der Lohnarbeit wird als Dienst am überindividuellen, höheren Ideal – Nation, Gemeinschaft – bejaht. Die Rede vom »Misswirtschaftssystem« weist darauf, dass Herrschaft krisenfrei als Ordnung gedacht wird.
»Schrankenloser Kapitalismus« und »Wirtschaftskrise« wären nicht notwendige Folge einer verkehrten Gesellschaftsform, sondern Produkt subjektiver sozusagen privater Verfehlung. Eben der »Gier und Maßlosigkeit von wenigen«. Diese müssen schließlich bestraft werden (Helmut Elsner), um die Kumpanei von Volk und Herrschaft aufs Neue zu besiegeln. Die Selbstdarstellung als ohnmächtiges Unschuldslamm – der kleine Mann – dient der Legitimation der Aggression. Den Frust für die Enthaltsamkeit sollen jene spüren, die es angeblich besser haben. Die Zuwanderer, die »keine Miete zahlen«, die »Bonzen«, die »abkassieren« für »Geschäfte, die an ein Hütchenspiel erinnern«. Das heimlich Ersehnte wird gleichzeitig gehasst: Die Vorstellung von Reichtum ohne die Mühsal der Arbeit, zauberhafte Geldvermehrung, Luxus und Verschwendung. Gerechtigkeit meint hier, mein Elend für alle.
Diese Form Kapitalismuskritik stellt die ehrliche, schaffende Arbeit des kleinen Mannes der abstrakten Finanzwelt geldgieriger Spekulanten entgegen. Lohnarbeit bzw. die entsprechende Produktion wird nicht als bestimmte, historische Form gefasst, sondern unhinterfragt als natürliche Kategorie dargestellt. Geld und (Finanz-)Zirkulation gelten demgegenüber als Verkörperung des Übels kapitalistischer Produktion. Resultat dieser Auffassung ist die Spaltung in ehrliche Arbeit, sauber verdientes Geld und unrechtmäßige Spekulation bzw. unverdientes, schmutziges Geld (dies betrifft übrigens ebenso alle Vorstellungen eines gerechten Lohnes etc.). Der antisemitische Kern dieser Auffassung liegt historisch in der hinreichend belegten propagandistischen Verbindung des Juden mit dem »Preis-Wucher«, dem »Spekulationsgeschäft« und der »Zinsknechtschaft« (NSDAP). Ideologisch fußt dieses Stereotyp auf der ambivalenten, wahnhaften Affirmation von Herrschaft. Autoritäre Unterwerfung für die im Namen des Volkes strafende Macht. Autoritäre Aggression gegen jene, welche gegen das Prinzip von Leistung und Gehorsam verstoßen haben. Paranoia entsorgt mittels Projektion die Erkenntnis der widersprüchlichen Teilhabe der Subjekte an Herrschaft und verkörpert diese im idealisierten Feind. Für die konforme Revolte ist Herrschaft nicht die Wirklichkeit gewaltförmiger, sozialer Beziehungen, an der alle Mitglieder der Gesellschaft partizipieren, sondern das satanische Werk einer Minderheit moralisch verwerflicher Personen, welche gegen eine ansonsten vernünftige und unschuldige Menschheit intrigieren. Wir gegen die-da-oben. Diese »Elemente des Antisemitismus« (Adorno/Horkheimer) werden im offenen Antisemitismus allein durch die explizite Erwähnung des Juden ergänzt. Einzelne dieser Elemente kommen in der Fremdenfeindlichkeit zur Geltung, die globale, heimliche Macht ist jedoch den Juden vorbehalten.
Unmissverständlich hatte Marx dagegen im Kapital klargemacht, dass das Kapital ein gesellschaftliches Verhältnis darstellt, dessen Fundament Ware, Wertform und Lohnarbeit sei. Er stellt im Kapital dar, wie aus Wertform bzw. wertförmiger Arbeit (Lohnarbeit) notwendig Geld, aus diesem ebenso notwendig Kapital, Zins etc. erwachsen. Die Mehrwertschöpfung ist kein parasitärer, subjektiver Anschlag des Bourgeois auf eine ansonsten vernünftige Produktion, sondern ist in dem Kapitalverhältnis notwendig angelegt. Die Herrschaft des Kapitals vollzieht sich in der bewusstlosen Bewegung aller gemäß dieser gesellschaftlichen Formen, die im Übrigen auch für das Denken der Subjekte ausschlaggebend sind (was nichts mit Basis-Überbau zu tun hat).
Die soziale Frage ist keine ökonomische, statistische Gegebenheit, sondern Produkt gesellschaftlicher Vermittlung. Solange die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht als unakzeptabler Anschlag auf das egoistische Glück der Individuen begriffen werden, muss sich jede Revolte gegen sinnlose Not als Dienst an der Gemeinschaft, als Gang der Geschichte, als sachliche Notwendigkeit, als höhere Moral, als höhere Instanz rechtfertigen und damit die Negation individueller Freiheit fortschreiben. Die Kapitalismuskritik der FPÖ ist keine populistische Finte, sondern originärer Ausdruck der Volksstimme. Im Nationalrat streiten die Parteien längst darum, nun die »Banken zur Kasse« zu bitten. Selbst der österreichische Finanzminister nimmt laut der Boulevardzeitung Österreich die »Spekulanten ins Visier«. Die Ernsthaftigkeit der Bankensteuer bzw. deren ökonomischer Sinn spielt dabei nur eine sekundäre Rolle. Das dynamische und ausschlaggebende Moment liegt in der Mobilisierung und Konstituierung der übervorteilten und rachlustigen Gemeinschaft. Dem paradigmatischen Schema Luxus, Spekulation, Gier vs. Arbeit, Opfer, Pflicht folgt mit schlafwandlerischer Sicherheit die Trennung in (moralisch) anständige und verwerfliche Menschen.
Der strategische Vorteil der FPÖ liegt darin, konforme Kapitalismuskritik mit autoritärer Aggression verbinden zu können. Wo den Subjekten bei jeder Gelegenheit beigebracht wird, sie wären ahnungslose Opfer der Medien, der Pharmaindustrie, der internationalen Konzerne etc. führt dies tendenziell zur Verhärtung der bestehenden paranoiden und kollektivistischen Denkformen, jedenfalls kaum zur grundsätzlichen Kritik an dieser Gesellschaft. Der FPÖ obliegt es, die Konsequenz aus der Konstruktion des repressiven Wir zu ziehen. Gegen den »Ausverkauf« unserer Gewinnbeteiligung am falschen Ganzen helfen allein drastische Maßnahmen. Deshalb verlangt die FPÖ offen die legale und systematische Diskriminierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe, die als Nicht-Staatsbürger definiert wird, und Härte gegen »Sozialschmarotzer«. »Mindestsicherung auf österreichische Staatsbürger beschränken«. »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen« (Bibel/Lenin).
Die hier skizzierte Auffassung von »sozialer Gerechtigkeit«, die unauflöslich mit der historischen Erfahrung der NS-Volksgemeinschaft verbunden ist, taugt allein zur Affirmation von Arbeit und Gemeinschaft. Es ist der kulturindustriellen Zerstreuung und Vereinzelung, der geschmähten Heuchelei und Kurzlebigkeit und dem weiterhin unvergleichlichen Wohlstand der bestehenden sozialen Situation zu verdanken, dass der Ruf nach der breiten Masse größtenteils verhallt. Unter der Bedingung einer umfassenden sozialen Krise ist dies die Grundlage für die Formierung der Ausgebeuteten zur Verfolgungsgemeinschaft.