Es ist schon etwas dreist von der Autorin Eva Illouz, bzw. dem Suhrkamp-Verlag, auf das Rückcover des Buches ein Zitat zu stellen, das im Buch selbst auch nur als Zitat jemand anderes vorkommt; und das innerhalb eines trockenen Soziologieschmökers einen der wenigen unterhaltsamen Sätze darstellt: »Ohne Freud wäre Woody Allen nur ein Trottel und Tony Soprano nichts weiter als ein Gangster, gäbe es zwar einen Ödipus, aber keinen Ödipuskomplex«.
Das Buch setzt dort an, wo einst einmal die dritte Demütigung des Menschen verortetet wurde: Nach der Kopernikanischen Wende und nach Darwin stellt das Buch die Entdeckung und Proklamation des Unbewussten an den Beginn einer kulturtheoretisch-soziologischen Erzählung, die, ausgehend vom charismatischen Sigmund Freud bis heute einen unglaublichen Siegeszug quer durch alle Gesellschaftsschichten antreten konnte. Mit Autorin Eva Illouz gesprochen hat dies innerhalb eines Jahrhunderts zu einer durchpsychologisierten Gesellschaft, zu einem neuen emotionalen Stil, zu einer neuen Kommunikation und letzten Endes sogar zu einem globalen therapeutischen Habitus geführt.
Erzählungen über fiktive Personen wie etwa Tony Soprano (aus der Fernsehserie »Die Sopranos«), beschreiben eine zeitgenössische Zerrissenheit und Uneinheitlichkeit der Welt eines Mafia-Bosses genauso, wie die aktive Rolle, die dieser mithilfe einer Psychotherapeutin in den Griff zu bekommen versucht. Er leidet nämlich an Panikattacken, was für Image und Durchschlagskraft des Gangster-Selbstbildes nicht eben förderlich ist. Und auch, wenn Illouz` Buch genau derart unterhaltende Analysen nicht bietet, sagt sie in einem Interview in der taz doch, dass das Selbstbild, bzw. die einander widersprechenden Selbstbilder dieses Tony Soprano nicht mehr per se konsistent vorhanden sein, sondern nur mehr durch schiere Willenskraft zusammengehalten werden können. Diese Willenskraft scheint bezeichnenderweise genau dann kurz unachtsam zu werden, wenn Tony-Boss nur mit sich selbst im Auto fahrend Rocksongs mitsingt und in Folge einer akuten Panikattacke bewusstlos einen Unfall verursacht. Hat der gebrochene Bad Guy aber nicht auch unerhörten Glam-Faktor? Und um auf Woody Allen zurückzukommen: Sind seine ängstlichen und problembelasteten Anti-Helden gar unattraktiv? Schließlich ist die wortwörtlich gemeinte Peinlichkeit der beiden ja so gar nicht aus der Welt, sondern vielmehr symptomatisch für eine gewachsene Uneinheitlichkeit von Markt- und Intimitätsfeldern. Felder, die die Psychotherapie grundlegend mit aufgebaut und erfolgreich bearbeitet und damit auch neue Probleme konstruiert hat. Genau das macht auch den Witz der Sache aus: die wiederum nur sie zu heilen vorgibt.
Illouz versucht zu zeigen, dass ein neues kulturelles Schema nicht zufällig entsteht, sondern vielmehr auf die bekannte Kultur aufbaut, in dem sie sie abwandelt, umerzählt, umschichtet, neu erzählt. Und interessanterweise hatten sowohl Markt, Staat UND die Zivilgesellschaft von Anfang an großes Interesse, die Paradigmen der Psychotherapie in die vorhandene Gesellschaft einzuschleusen. Vor allem in Amerika fiel der therapeutische Duktus auf fruchtbaren Boden. Sie gab den Männern und Frauen weiter Gesellschaftsschichten ein emanzipatorisches Werkzeug in die Hand, um ihr modernes Selbstbild neu zu konstituieren. Vielleicht ist das auch das zentrale Element der Psychotherapie: sie wertete die Vergangenheit nicht moralisch, sondern legte die Wirkkraft von bereits Erlebtem in Transformation und aktive Gestaltung von Zukunft. Bevor allerdings die Zivilgesellschaft im großen Stil in den Genuss des psychotherapeutischen Paradigmenwechsel kommen konnte (besonders nach dem 2. Weltkrieg), hatten Institutionen und Wirtschaft bereits im ganz frühen 20. Jahrhundert die Stoßrichtung der Psychoanalyse in Richtung Gesundheit = Produktivität festgeschrieben. Genannt sei hier die Ärzteschaft, die die noch junge Psychotherapie für ihren Kampf gegen nichtwissenschaftliche Heilpraktiken wie etwa der »mind-cure«-Bewegung, der Emmanuel-Bewegung (eine Gruppe Ärzte und Priester), der Neugeist-Bewegung, der Christlichen Wissenschaft sowie weiteren spiritualistisch oder religiös geprägten Gruppen einsetzte. Es stellte sich gegen diese »Quacksalber« ein Legitimitätsgewinn der Psychotherapie ein, der sich vor allem aus der Behandlung von (Unfall-)Neurosen, der Hysterie, und nach dem 1. Weltkrieg der »Kriegszitterer« manifestieren konnte.
Bemerkenswert sind aber vor allem die neuen Markt-Kommunikationsstrategien zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern, die bereits in den 20er Jahren als diverse Versuchsreihen in die US-amerikanischen Firmen Einzug gehalten und eine Atmosphäre des »Zuhörens« und »Verstehens« in eine hierarchisch strukturierte Organisation gebracht haben. Bereits in den 50er Jahren verlangten allerdings laut diversen Studien die Firmen von ihren MitarbeiterInnen »emotionale Arbeit« und »emotionale Selbstkontrolle«; um denselben vorschreiben zu können, was sie in bestimmten Situationen zu fühlen hatten, um das Image der Firma besser zu verkaufen – wir kennen das heute zur Genüge. Besonders »fruchtbar« erwies sich auch der Gegensatz der 50er/ 60er Jahre, der sich aus dem Widerspruch der Psychostil-Verwertung mit dem Feminismus ergab, der letzten Endes zu einer zwar nicht unumkämpften, aber gegenseitigen Einspeisung der Begrifflichkeiten geführt hat. Heute ist es bei Managern durchaus üblich, und das bei vollständiger Integration eines »feminin-verstehenden« und sogar »empathischen« Führungsstiles, einen »emotionalen Ausdruck« von MitarbeiterInnen als negativ zu werten, insofern, als dass er die rein prozedural gewordenen Abläufe einer Kommunikation stört, die wiederum zu Produktivität führen soll. Besonders paradox wird es, wenn man den in den 90er Jahren aufgekommenen Begriff der »emotionalen Intelligenz« betrachtet. Diese scheint insofern eine etwas unappetitliche Fortsetzung eines kommerziellen Selbstverwertungs-Dilemmas zu sein, als dass der psychotherapeutische Stil eine Konstruktion des Selbst etabliert hat, das sowohl für »die Firma« (Anm: Sopranos!) als auch sich selbst strategisch einsetzbar ist. Es kann mit Illouz gesagt werden, dass »eine Umwandlung in Kapital bei gewissen emotionalen Stilen wahrscheinlicher ist als bei anderen« – und diese Umwandlung sich vor allem in einem Agieren des »global therapeutischen Habitus des neuen Mannes« durchgesetzt hat – dank des strategischen Einsatzes der »emotionalen Intelligenz«. Dieser psychotherapeutische Duktus macht in Management-Seminaren für das persönliche Fortkommen und für das persönliche Glück fit und eigenverantwortlich – und das in einer anscheinend immer diskrepanter werdenden Form der Ich-Erzählung und Selbstkonstruktion. Der Rest der Menschheit rennt irgendwie hinten nach. Ein Detail dazu aus dem Bereich der klinischen Psychiatrie: Wurden in den 70er Jahren Vietnam-Veteranen Medikamente verabreicht, die die Bewältigung der Kriegserlebnisse erleichtern sollten, werden solche Medikamentsorten heutzutage bei »Posttraumatischen Belastungsstörungen« verschrieben, die als Burn-Out, Depressionen, Borderline, Panikattacken oder ähnliches diagnostiziert werden.
Der Konnex zwischen Vermarktung, Konsum und Glücksversprechen hat auch auf privater und »ziviler« Ebene eine unglaubliche Banalisierung erlebt: Eine therapeutische Bewältigung des Lebens schlechthin soll mit einer Masse an Lebenshilfe-Ratgebern, Talkshows, Selbstfindungsgruppen oder Psycho-Wellness gelingen – nicht selten angereichert mit New Age Elementen aller Art. Eine »therapeutische Erzählung und Inszenierung des Selbst« hat mitunter eine recht eigenartige Erzählung des Selbst als »leidendes Selbst« etabliert, das ebenso an Tyrannei zu leiden imstande ist wie an Mangel an Intimität: Die Grenzen zwischen Privat und Öffentlich verschwimmen gerade an der Grenzenlosigkeit der Vereinzelung und Autonomisierung dieser »Selbste«, und der komplett ineinander geschichteten Vermarktungsstrategien dieser vermeintlich erfolgreich-reflexiven Ich-Erzählungen. Wie Illouz in einem Kapitel ausführt, sind Glück und Wohlbefinden aber nicht allen Schichten gleich zugänglich, vielmehr habe eine psychotherapeutisch-gesellschaftliche Hegemonie für die Vorstellung eines funktionierenden, in den Griff zu bekommenden Selbst gesorgt, die für weitere (schichtspezifische oder individuelle) Exklusionen verantwortlich gemacht werden kann.
Alles in allem Doppelstrategien, deren sozialphilosophisch relevanter, ideologischer Erzählstil aber das eigentlich Beunruhigende darstellt: Die Theodizeefrage (die alte Frage nach der ungerechten Verteilung des Leids), die die Weltreligionen und modernen Gesellschaftsutopien umgetrieben hat, ist von einem Diskurs, der das Leid in der zeitgenössischen therapeutischen Weltsicht »in ein von Experten der Seele zu managendes Problem« verwandelt hat, auf eine noch nie da gewesene Banalität reduziert worden. Das kann in voller Ambivalenz so verstanden werden: Die klinische Psychologie ist das erste System, das sich des Problems der »Verteilung des Leides« gänzlich entledigt hat, indem sie Unglück zur Folge einer verletzten oder schlecht gehandhabten Seele macht. Andererseits wird, mit Max Weber gesprochen, der mächtigsten Form der Aufrechterhaltung eines gesellschaftlichen Status Quos auch Rechnung getragen: »Glück und Unglück nachträglich durch verborgene Tugenden oder Laster zu erklären und somit zu rechtfertigen« – es gibt im therapeutischen Ethos weder Unordnung noch sinnloses Leid. Und indem das Glück derart legitim sein will, lässt die Psychologie diese alte Form von Theodizee mit aller Macht wieder aufleben.
Illouz führt zahlreiche Anknüpfungspunkte an die Kulturwissenschaften an, deren Methoden sie sich in ihrer Analyse unter anderen ja bedient hat: Kulturtheoretisch hochinteressant, allerdings in den soziologischen Methoden teilweise etwas beliebig, pendelt es zwischen selbst verordneter »Wertfreiheit« der Autorin und doch recht scharfen Ansagen hin und her – das ganze in einer Methode des beobachtenden Pragmatismus gehalten. Wie auch immer: Freud gilt auch als Mitbegründer, als Vorläufer der jungen Wissenschaften der Kulturtheorie – im Gegensatz dazu hat
er in der zeitgenössischen Psychologie und der Psychotherapie nur
mehr wenig Bedeutung (mit Ausnahme einer starken Vertretung in Argentinien). Man möchte meinen, gerade weil die psychotherapeutische Vorstellungskraft sowohl praktisch als auch theoretisch vollständig in die Menschen, ihre Beziehungen und in die kulturelle Systeme eingegangen ist.