Der letzte linke Kleingärtner, Teil 5

Meine Hühner können Handy

Es ist eine Geißel der Menschheit geworden. Außerhalb meines safe space, dem Hühnerstall, treffe ich zunehmend auf die Spezies Mitmenschen, denen jede Form von Manieren und Ordnung abhold sind. Ich rede mit meinem Gegenüber, es piept und er oder sie unterbricht jedes Gespräch mit mir und beginnt digital via Handy herum zu gackern. Es sei nur ganz kurz und dann sei es erledigt. Seit wann ist eine Sucht beendet, wenn man sich wieder ein bisschen von dem Zeug zuführt? Ein Drogenabhängiger und sein weibliches Pendant ziehen sich immer nur den letzten Schuss herein und dann sei alles gut. So wie die Spezies der Drogenabhängigen aus der analogen Welt, so tickt auch die allgegenwärtige Spezies aus dem digitalen Hühnerstall. Wie soll mit solch gackernden Hühnern im Menschenkleid jemals die Rettung der Welt gelingen?

Gott, was bin ich froh, dass meine Hühner nicht so ticken. So bleibt der Hühnerstall mein Rückzugsort, um dem gackernden Einerlei der ansonsten recht eindimensionalen Zweibeiner zu entkommen und in ein Meer von analoger Ruhe wie gleichsam rhythmischem Gegackere abzutauchen. Hier entspricht die Welt der aus den Yoga- und Achtsamkeitsseminaren bekannten Entspannung und Energieströmen. Wenn ich mir das so überlege, dies wäre eine veritable Geschäftsidee. Achtsamkeitsseminare gehen quantitativ und kostenmäßig durch die Decke. Auf diesem Marktplatz wäre Platz für mich, ich müsste nur 10% billiger sein, was bei der überteuerten Entspannungssause eh kein Problem ist. Und die Ersparnis würde ich meinen Kunden gleich wieder durch den überteuerten Verkauf frischgelegter Hühnereier abknöpfen. So hätten meine Gäste und meine anderen Hühner ein gutes Gefühl und mein Bankkonto würde sich ebenfalls positiv auf mein Gefühl auswirken. Das wäre eine dreifach gefühlsverstärkte Wand im kalten digitalen Gegenwartsetwas. Eine klassische Win-win-Situation. So sprach der Herr der Hühner, so geschah es und der Frieden hielt Einzug bei den Menschen.

Und zwischendurch hätte ich meinen Hühnern noch die nimmermüden und ständig piependen Handys ausgewählter Mitmenschen unter ihren Hühnerarsch gelegt. Der zum Teil ins flüssige übergehende Hühnerkot würde sich geschmeidig um die Handys legen und sich fein säuberlich ihrer Innereien annehmen. Und schwups, könnte man wieder normal mit seinen Mitmenschen reden, ohne Unterbrechungen durch die gottverdammte Pieperei. Früher hieß die Zauberformel, um wieder Luft zum Atmen zu bekommen »Wenn dein starker Arm es will, stehen alle Räder still.« Heute erledigt dies der Hühnerkot. Wenn man mich nur lässt.

Und es gibt mehr Anknüpfungspunkte zu der schweißtreibenden Gartenarbeit und der sonstigen Arbeit auf dem Lande, als sie sich die Städter so vorstellen. Holzspalten beispielsweise. Gemäß einfältiger Metropolenbewohner sagen sich auf dem Land Fuchs und Hase gute Nacht und jeder Eingeborene spaltet sein Holz selbst. Das stimmt zwar nicht, aber das interessiert jetzt kein Huhn. Aus der Holzspalterei lässt sich ein brummender Geschäftszweig entwickeln. Denn eigentlich ist Holzspalten eine Art Klangschalen-Vibration, die von deinem Körper Besitz ergreift und jedes zu viel angefutterte Kilo auf deinen Rippen in scheinbar niemals endende Schwingungen versetzt, bis es zu Boden plumpst.

Wenn es mir gelingt, landhungrige Metropolenbe-wohner mit diesem schwingenden Unfug zu ködern, kann ich Ihnen kostengünstige Seminare in meinem Hühnerstall vermitteln und in den Pausen würden sie meine Holzscheite, die jetzt Klangschalen hießen, mit der Axt verkleinern. Das wäre ein Gaudi. Die dummen Stadtbewohner würden mir die Arbeit »schaffen« und dafür noch ordentlich bezahlen. Und nach der Arbeit würde ich sie einladen in meinen Hühnerstall zu einer kostenlosen Lesung aus dieser Gartenkolumne. Ich würde dabei die Pose des »Vorlesers« einnehmen. Das war in der deutschen Tabakindustrie im vorletzten Jahrhundert eine Mischung von Agitator und Lehrer, der von den Arbeitern und Arbeiterinnen bezahlt wurde und ihnen während ihrer eintönigen Arbeit Gesetzestexte und anderes Zeugs vorlas. Die deutsche Gewerkschaft NGG (Nahrung-Genuss-Gaststätten) verwendet diese Figur. Mich erinnert sie an den »Lesenden Klosterschüler« des Bildhauers Ernst Barlach. Als Statement gegen den Ungeist der Nazis ist sie einer der Handlungsstränge in dem Roman »Sansibar oder der letzte Grund« von Alfred Andersch. Der Lesende sollte nach Schweden ins rettende Exil gebracht werden, was gelang.

Drei Praxistipps:
1. Gib den Hühnern das piepende Handy deiner Mitmenschen und das Problem wird erledigt.
2. Lass dir deine Plackerei im Garten von den Achtsamkeitssüchtigen aus den Städten gut bezahlen.
3. Knüpfe als »Vorleser« an die Vision einer besseren Welt an.

 

Diese Kolumne wurde ihnen präsentiert von der Aktion 3.Welt Saar e.V. (www.a3wsaar.de), frisch geprüft und versiegelt in der Abteilung Ackerbau & Viehzucht. Die wissen, was gut ist und bringen die Saat des Lachens auf die Felder.

 

Roland Röder ist Geschäftsführer der Aktion 3.Welt Saar e.V. (www.a3wsaar.de), einer allgemeinpolitischen NGO in Deutschland, die bundesweit arbeitet, u.a. zu Landwirtschaft, Asyl, Migration, Islamismus, Antisemitismus, Fairer Handel. Er mag den Begriff „Hobby“ nicht und lebt einen Teil seines Lebens als aktiver Fußballfan. Die Gartenkolumne erscheint auch in der Luxemburger Wochenzeitung WOXX .

Der »lesende Klosterschüler« von Ernst Barlach (Bild: Rufus46)