Metaverse ist, neben NFT, das Schlagwort des letztens Jahres. Oder ist es Unwort?
Der medienwirksame Pivot von Facebook und das Re-Branding zu »Meta« im Oktober hat eine breite, wenn auch oft oberflächliche, Diskussion ausgelöst. Glaubt Facebook – sorry Meta – tatsächlich, dass wir in einer derartig cheesy und kindlichen Welt arbeiten und Freunde treffen wollen? Ist das Metaverse das neue Internet, das Web 4.0? Man könnte Zuckerbergs naiv erscheinende Vision einfach belächeln und ignorieren, aber wurden nicht fast alle technischen Prothesen, die unsere heutige Lebenswelt definieren, zuerst einmal nicht ernst genommen?
Was ist das nun eigentlich das Metaverse? Zusammengefasst lautet die Zusammenfassung der Zusammenfassung der etwas komplizierten Beschreibung der deutschen Wikipedia: Ein Netzwerk von persistenten, gemeinsam und in Echtzeit genutzten, virtuellen 3D-Räumen. Das klingt relativ abstrakt.
Virtuelle Welten
»Second Life«, eine der ersten virtuellen Welten, funktionierte noch als Anwendung am Monitor. Man hat darin geheiratet, Galerien eingerichtet und manche Länder haben Botschaften eröffnet. Der Hype ist schnell wieder abgeflaut. Virtuelle Welten sind also nicht wirklich neu. Sie sind auch nicht zwingend, aber doch sehr eng mit Virtual Reality Brillen verbunden. Auch VR-Brillen sind an sich nichts wirklich Neues und wurden immer wieder in neuer Form angekündigt. Man kann diese durchaus als Fortführung und Weiterentwicklung immersiver Kunstformen verstehen, die sich von Höhlenmalereien über Rundum-Panoramas und Guckkästen bis zur VR-Brille ziehen lässt – und im übrigen auch fast immer eng mit dem militärischen(-industriellen), dem (hoch-)kommerziellen oder dem politischen Komplex (Propaganda) verbunden war. Die computerbasierte VR-Brille ist inzwischen auch über 50 Jahre alt1. Lange belächelt als schwere, klobige Klötze, die mit langen Kabeln an Computern hingen, haben aktuellen Versionen – unter anderem von Oculus (schon frühzeitig von Facebook aufgekauft) – in etwa die Ergonomie von Skibrillen erreicht, aber auch ein fähiges technisches Niveau, brauchbare Leistung und Auflösung. Sie sind im Massenmarkt angekommen – vorerst als Spielekonsolen. Aber das Erleben von virtuellen Welten durch Virtual Reality allein macht noch kein Metaverse.
Metaverse 0.1
Die Erfindung des Begriffs wird allgemein Neil Stephenson und seinem, eigentlich als Parodie gedachten, Roman »Snow Crash«2 zugeschrieben, stammt also aus der Science-Fiction Literatur. Ein anderes populäres Beispiel ist »Ready Player One«3 von Ernest Cline. In beiden Fällen Visionen einer virtuellen Parallelwelt, die in einer zerstörten, dystopischen Realwelt spielen. Diese Visionen eignen sich hervorragend für schnelle Romane oder fetzige Special-Effects von Sci-Fi-Movies (»Ready Player One« wurde in typischem Hollywood-Kitsch von Steven Spielberg verfilmt), aber die Attraktivität für echte Benutzer ist alles andere als gegeben. Es sind diese Visionen, die sich in Zuckerbergs Metaverse widerspiegeln oder auch in der Vorstellung eines Einkaufs im virtuellen Supermarkt von Walmart (aus dem Jahr 2017)4. Die schlechtesten Eigenschaften der Realwelt werden in die virtuelle übertragen: Will wirklich jemand mit dem Einkaufswagen durch einen virtuellen Supermarkt fahren, durch virtuelle Shopping-Center spazieren, seine echte Zeit mit virtuellem Pendeln verbringen, Häuser bauen, mit schlechten Avataren interagieren und sich damit beschäftigen, wie man sein digitales Alter Ego einkleidet und schminkt?
Creator’s Economy
Genau davon erhofft man sich aber den Boom einer neuen Wirtschaft, virtuelles Eigentum, seien es Sportschuhe, ein Motorrad oder NFT-Kunst, die man sich in sein virtuelles Wohnzimmer hängen kann. Das Beispiel »Ready Player One« führt vor: Die Nutzung von OASIS (dem Metaverse der Story) ist grundsätzlich umsonst, aber ohne Transportmittel oder Teleportation (extra zu erwerben) verbringt man seine Zeit damit, stundenlang von einem Ort zum anderen zu laufen. Immobilien und Grundeigentum sind schon in »Snow Crash« Thema. Land-grabbing und der Verkauf von real-estate ist der Anfang jeder kommerziellen virtuellen Welt. Auch Kleidung, Waffen, Frisuren, etc. müssen erworben werden – und zuvor von findigen Nutzern geschaffen, um verkauft zu werden. Wohin die Monetarisierung nutzergenerierter Inhalte führen kann, zeigt uns unter anderem die Spieleplattform Roblox: die Grenzen zu Ausbeutung und Kinderarbeit sind fließend.5 Im Metaverse der Konzerne kann jede Aktion, Kreation und Interaktion monetarisiert und/oder zumindest als Datenspur wiederverwertet werden. Benutzergenerierter Content wird zu benutzergenerierten Assets. Soziale Konstrukte wie das Privateigentum – Grundlage der westlichen Kultur und Wirtschaft – müssen auf jeden Fall und um jeden Preis in diese digitalen Welten eingeschrieben werden.
Interoperabilität
Der Austausch und die Interoperabilität virtueller Besitztümer, seien es Sneakers oder ein rosa Laserschwert mit Dildo-Funktion, ist zentral für diese Wirtschaft des Metaverse. Man scheint sich in der Tech-Wirtschafts-Szene – zumindest an der Oberfläche – einig, dass es nicht ein Universum geben wird (man nenne es ja auch Meta(uni)versum) und nicht nur einen Gatekeeper einer Welt, sondern mehrere Räume, also mehrere gated communites, die miteinander verbunden sind und bei denen Transfer von Eigentum untereinander möglich sein muss. Zumindest in der Theorie. Dazu brauchte es Standards, sowie Währungen und klare Eigentumsverhältnisse. Nicht zufällig trifft man in diesen Vorstellungen auch oft auf Kryptowährungen und NFTs, die im Metaverse eine erste reale Anwendung zu
finden hoffen.
Jetzt, wo wir die Möglichkeiten hätten, neue digitalen Räume zu schaffen, die frei von physikalischen Gesetzen und den Beschränkungen der realen Welt sind, wo Information, Wissen, Medien frei und endlos kopier- und bearbeitbar wären und frei fließen könnten, sich Personen – wenn nicht real, so zumindest virtuell – frei bewegen könnten, verschwenden wir jedoch enorme Mengen an Energie, um künstliche Verknappungen, Grenzen, Besitz und neue Mehrklassengesellschaften zu schaffen. Selten bis gar nicht wird die Frage gestellt, ob wir etwas wirklich brauchen. Angesichts des Status-Quo der Welt sollten die wichtigsten Fragen lauten: Benötigen wir diese Technologie(n)? Hilft sie, die Probleme unserer Zeit zu lösen? Ist der massive Einsatz von Energie gerechtfertigt?
Infrastruktur
Das Metaverse ist natürlich auch Infrastruktur. Als »Cloud Computing« bezeichnet man – halb scherzhaft – die Computer von anderen. Diese anderen sind aber fast immer Amazon, Microsoft oder Google, ein riesiger Teil von dem, was wir heute als Internet erleben, hängt von diesen drei Firmen ab. Auch das Metaverse existiert nicht im luftleeren Raum, sondern braucht Server, Rechenzentren und Energie. Der Kampf um die Dominanz in Hard- und Software hat längst begonnen. Wer wird das »Gregarious Simulation Systems«, die »Global Multimedia Protocol Group« (die Metaverse-Monopole der Romanvorlagen) unserer Zeit werden? Welcher CEO wird den Romanfiguren Halliday und Bob Rife nacheifern? Die Quasi-Monopolisten Meta, Google, Amazon, Microsoft und Apple habe ihre Stellungen bezogen, neben den Big-Playern aus China - Tencent und Baidu.6 Spielehersteller, die eine Menge an Erfahrung in geteilten Welten und Echtzeitinteraktion haben, sind relevant – und werden in die Imperien eingekauft7. Auch bei NVIDIA, vielen nur als Grafikkartenhersteller bekannt, laufen diverse Fäden zusammen: von Entwicklertools bis zu den Chips, die sowohl für Grafik, Simulation, Künstliche Intelligenz und das Mining von Cryptocoins verwendet werden.
Next Layer?
Das Metaverse ist nicht das neue Internet, aber es kündigt sich eine Schlacht um einen neuen Layer für das Internet an. Im Gegensatz zum Internet mit militärisch/akademischem Ursprung, startet das Metaverse gleich mit hochgradig kommerziellen Interessen durch. Wer diese Visionen verstehen will, muss bei Venture-Kapitalisten nachlesen.8 Ein Metaverse virtueller Realitäten hat durchaus Potential, neue Handlungs-, Erlebnis- und Interaktionsräume zu eröffnen. Wer es entwickelt und wie es aussehen wird, wird sich aber erst zeigen.
Der Computerwissenschaftler David Gelernter hatte 1991 mit Mirror Worlds die Vision von Spiegelwelten beschrieben - eine Art duplizierte Realität: Firmen und Institutionen werden digital in Software gespiegelt und eins-zu-eins abgebildet. Anstelle eines echten Amtes oder Krankenhauses besucht man den digitalen, virtuellen Zwilling. NVIDIA nennt das Digital Twin und schafft virtuelle Duplikate von Fabriken oder Repräsentationen von Realwelten, aktuell um Prozesse zu optimieren bzw. autonome Fahrzeuge oder Künstliche Intelligenzen zu trainieren. Kündigt sich hier bereits ein Metaverse für Maschinen an? Ist es Zufall, dass viele im Silicon-Valley, darunter Milliardäre, die an Marskolonien bauen, an die Simulationshypothese glauben, also die Theorie, dass wir sowieso alle in einer Computersimulation leben?
Wenn du diese Welt schlecht findest, tja, du solltest die anderen sehen.9
Eben jener David Gelertner verlor 1993 seine rechte Hand durch die Explosion einer Briefbombe. Ted Kaczynski, ehemaliges Wunderkind und Mathematikprofessor in Berkely, hängte seine Karriere an den Nagel, baute sich eine abgelege Hütte in den Wäldern von Montana und mutierte zum Terroristen namens »Unabomber«, der sich gegen die Versklavung durch die Technologie zur Wehr setzte und versuchte, den unweigerlichen Verfall der technischen Zivilisation zu beschleunigen.
Die Rückkehr zu einer Welt ohne Technologie kann natürlich keine Lösung sein. Die Probleme von Technologie werden durch mehr Technologie aber auch nicht gelöst: neue Technologien lösen nicht unbedingt vorhandene Probleme, sondern schaffen oft neue. Nach dem Biologen Edward O. Wilson besteht die menschliche Natur aus paläolithischen Emotionen, mittelalterlichen Institutionen und gottähnlicher Technologie.[10] Das Metaverse der Industrie ist eine kommerzielle Utopie und eine menschliche Dystopie.
Es ist die Hoffnung auf ein neues Wirtschaftswunder für die Wachstumsmaschine. Aber welche Kosten entstehen uns dabei? Könnte es ein freies, offenes Metaverse geben? Tatsächlich ist unsere größte Hoffnung, die großen Probleme unserer Zeit, wie Klimawandel, Ungleichheit etc zu lösen, wohl mit freier, fairer und offener Technologie realisierbar.[11] Liegt also primär in sozialen, statt technischen Innovationen.