Kein isoliertes Herumeiern

Kristina Pia Hofer reflektiert mit Michi Giebl (Transformer und SSTR6, Wien) und Natascha Muhic (SSTR6, Wien) über DIY Kunstarbeit.

Im mittlerweile dritten Jahr mit Covid-19 regt sich langsam die leise Hoffnung, dass auch kleine, vereinsbasierte Kunst- und Veranstaltungsräume wieder dauerhafter Programme ent- und letztendlich auch abwickeln können. Aber wie geht eigentlich ‚Off Space‘ mit Verein? Welche Arbeitsbelastung bringt do-it-yourself Kunst- und Kulturarbeit, wenn sie sich dazu entschließt, selbstverwaltete und nichtkommerzielle Räume zu betreiben? Und in welchem Zusammenhang stehen Selbstausbeutung und Förderantrag?

Wenn ich an nichtkommerzielle, selbstverwaltete Veranstal-tungsräume wie SSTR6 und Transformer denke, fällt mir als erstes das Spannungsfeld zwischen DIY-Selbstausbeutung und ‚neuer Selbstständigen‘-Finanzierung über Ausschreibungen oder auch Förderungen ein. Wie würdet ihr euer Finanzierungsmodell für beide Räume beschreiben?

Michi Giebl: Transformer in der ersten Form, die Florian Tremmel von Totally Wired Records und ich gemeinsam zwischen 2013 und 2016 betrieben haben, war im Grunde ein erweiterter Merchandise-Stand mit dem Grundgedanken, an keinem festen Ort zu sitzen. Wir wollten mobil und flexibel bleiben, also sicher kein Lokal mieten und dann an den Kosten und dem organisatorischen Aufwand hängenbleiben. Deswegen haben wir dann diese Pop-Up Idee aufgegriffen, die in der Kreativwirtschaft herumschwirrt. Wir haben versucht, ein Pop-Up Record Store zu machen, das schnell aufgebaut und wieder abgebaut sein kann und sich sozusagen nomadisch durch die Stadt bewegen könnte.

Ich finde, der Begriff ‚Pop-Up Store‘ stellt das Licht des Raums unter den Scheffel. Für mich als damals häufige Besucherin ist dort viel mehr passiert als der Verkauf von Platten und Tapes. Es war ein Raum, in dem Leute eben genau ohne Konsumation Zeit verbringen, sich kennen- und schätzen lernen konnten.

Michi Giebl: Der Gedanke war weniger, ein Geschäft zu betreiben. Die Idee zu Transformer entstand, weil sich damals im Umfeld des Musik-Labels Totally Wired Records so viel getan hat: viele Künstler:innen, die wir gut fanden, haben dort veröffentlicht, und wir haben uns mit Leuten vernetzt, die ähnliche kleine DIY Labels betrieben haben. Transformer sollte einen gemeinsamen Ort aufmachen, an dem diese Leute gemeinsam abhängen können. Und an dem ich nebenbei die Platte, die gerade läuft, auch gleich verkaufen kann, wenn sie einer Person besonders gut gefällt. Ein besonders wirtschaftlicher Gedanke war von Anfang an nicht dahinter. Sonst hätten wir uns gar nicht drauf eingelassen – wir wollten genau keinen Mietvertrag unterschreiben, keinen Businessplan entwickelt, und keine extrem hohen Fixkosten wieder einspielen müssen. Es war ein Experiment mit wenig finanziellem Puffer.

Das klingt sehr nach klassischer Selbstausbeutung. Habt ihr euch jemals was ausbezahlt für eure Arbeit?

Michi Giebl: Nein. Manchmal haben wir uns eine Schallplatte mitgenommen, die wir zuvor aber ohnehin vom eigenen Privatkonto bezahlt haben. Unser Kaffee- und Getränkeverkauf befand sich in der klassischen Grauzone zwischen ‚noch kein Gewerbe‘ und Vereinslokal, immer weit entfernt von irgendwelchen Umsatzgrenzen. Wir hatten halt einen Kühlschrank stehen, und wer da war und konsumiert hat, musste Vereinsmitglied sein.

Gab es Vorbild-Räume, die euch inspiriert haben?

Michi Giebl: Weniger. Das ist sicher auch ökonomisch bedingt: Plattenläden sind ja oft klein; alles, was an Platz da ist, wird von Ware okkupiert. Da fehlt das Kaffehausflair. Transformer dagegen: „ein Brownie zur Gruftimusik“1 war immer zu haben.

Natascha, woher kommen die Ressourcen für SSTR6?

Natascha Muhic: Für mich war die Inspiration Transformer. Ich hab dort Zugang zu der DIY-Szene um Totally Wired gefunden und Leute kennengelernt, die sich stark gegenseitig unterstützt haben, das fand ich gut. Ich habe damals am Vinylographen2 gearbeitet und war auf der Suche nach einem eigenen Geschäftslokal mit ebenerdigem Zugang, in dem ich die Maschine lagern kann. Dann wurde in der Schönbrunnerstrasse 6 ein ehemaliger Plattenladen frei, Transformer musste zeitgleich aus der damaligen temporären Bleibe ausziehen, und ich habe Mike gefragt, ob er die Schönbrunnerstrasse mit übernehmen will. Anfangs waren wir ein kleines Kollektiv von vier Leuten mit den unterschiedlichsten Vorstellungen, was mit dem Raum passieren soll – es gab z.B. auch eine Idee für ein Kinderatelier. Ich wusste zu Beginn gar nicht so richtig, auf was ich mich da einlasse. Und dann hat sich vieles verselbstständigt. Als die SSTR6 noch eine Baustelle war, hat Mike gemeinsam mit Michaela Kisling die Konzertreihe ‚Baustellenbeschallung‘ gestartet, bei der Musiker:innen im Entstehen begriffene Arbeiten vor einem kleinen Publikum einfach einmal ausprobieren konnten. Mein erstes großes Projekt in der SSTR6 war die Sound Pharmacy, eine Rauminstallation in Zusammenarbeit mit dem Künstlerduo Itsche & Io, in die wir drei Monate lang verschiedene Künstler:innen eingeladen haben, um darin zu performen.
 
Mit SSTR6 seid ihr viel längerfristiger auch finanzielle Verpflichtungen eingegangen, als sie Transformer je hatte. Wie habt ihr das geschultert?

Natascha Muhic: Aus der eigenen Tasche. Die Miete war für die Lage günstig, und anfangs waren wir ja auch zu viert, aber es war natürlich immer noch ein finanzielles Risiko. Wir hatten die vage Idee, später mal um Förderungen anzusuchen, aber anfangs war alles total selbstorganisiert. Für mich war es ein Experiment, ich habe so etwas vorher noch nie gemacht. No risk, no fun (lacht).

Transformer und SSTR6 waren bzw. sind Publikumserfolge: Veranstaltungen beider Räume sind immer wieder aus allen Nähten geplatzt. Woran liegt das?

Natascha Muhic: Das lag an den Leuten und der Szene, in der wir uns bewegt haben. Für mich war es immer wieder wunderschön zu sehen, wie viel Unterstützung da kommt. Und was gibt es Schöneres, als wenn viele Leute fragen, ‚Hey, können wir hier veranstalten? Können wir hier unsere Releasekonzert machen‘? Die Stimmung bei Konzerten war immer extrem aufmerksam. Ich erinnere mich an Konzerte, bei denen alle im Publikum mucksmäuschenstill waren, aber die Luft war vor lauter Emotion zum Schneiden.

Michi Giebl: Um nochmal auf den Begriff der Selbstausbeutung zurückzukommen: Wenn viele DIY Leute mit selbstausbeuterischen Tendenzen zusammen etwas machen, also gemeinsam im Gegensatz zu ‚yourself,‘ dann funktioniert das für eine gewisse Zeit lang vielleicht besser, als wenn alle isoliert herumeiern. Transformer war auch ein niederschwelliges Mittel zum Zweck, in dem Konzerte auch mal nachmittags stattfinden konnten, und für den man nicht schon monatelang vorher einen Termin reservieren musste – im Gegensatz zu den Wiener Nachtlokalen, die alle schwer gebookt waren.

Verwaltungsnachfrage: Konzerte veranstalten, brauche ich dafür eine Genehmigung? Was darf ich eigentlich alles in so einem selbstverwalteten Raum?

Natascha Muhic: SSTR6 zahlt eine Vereinspauschale bei der AKM. Damit können wir auch lokale Musiker:innen finanziell unterstützen. Wenn wir ihre Songs bei einem DJ Set spielen und das bei der AKM melden, schüttet diese dann ein bisschen Geld an sie aus. Aber eine Genehmigung an sich braucht es in unserer Größenordnung – bis zu fünfzig Leute im Raum – nicht.

Wie ist euer Verhältnis zu Förderungen?

Natascha Muhic: Bis zu Beginn der Covid-19 Pandemie waren uns Förderungen zu mühsam zu beantragen, weil es eben auch funktioniert hat, indem wir unsere Arbeit als Eigenleistung eingebracht haben, und weil wir dadurch unabhängiger und flexibler im Handeln waren. Förderungen einreichen und verwalten bedeutet immer auch zusätzliche unbezahlte Arbeit. Seit Pandemiebeginn wäre es aber ohne Förderung unmöglich, den Verein weiter zu betreiben. Hilfreich war besonders der NPO Unterstützungsfonds.

Wie geht es nun weiter?

Natascha Muhic: Mir ist erst während dem ersten Lockdown bewusst geworden, wie groß unsere Selbstausbeutung bis dahin war. Wir hatten 2019 beinahe wöchentlich Veranstaltungen, an denen viel unsichtbare Arbeit hing: es musste der Raum hergerichtet, eingekauft, geputzt werden. Anfangs hab ich diese Arbeit gar nicht vermisst. Jetzt, nach dem vierten Lockdown, habe ich schon wieder mehr Lust drauf. Zur Zeit finden vereinzelt Recordingsessions mit dem Vinylographen im sehr kleinen Rahmen und ohne Publikum statt, maximal 25 Leute, 2G+. Wenn das vorbei ist, wird SSTR6 hoffentlich einen zweiten Frühling erleben. Eine Veranstaltung von Transformer, den Tape Store Day, verlegen wir seit Sommer 2020 immer und immer wieder – vielleicht schaffen wir es im Juni 2022 endlich, den auch abzuhalten.

https://www.facebook.com/sstr6/
http://www.transformermusic.at/

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[1] Review im Falter vom 20.3.2013, https://www.falter.at/zeitung/20130320/ein-brownie-zur-gruftimusik/1608400042.
[2] Vinyograph ist eine automatische Vinylschneidemaschine, die Natascha Muhic in Zusammenarbeit mit Christoph Freidhöfer entwickelt: http://vinylograph.at.