Die Welt ist um eine ihrer wichtigsten Denkerinnen und Aktivistinnen ärmer. bell hooks, geboren als Gloria Jean Watkins am 25. September 1952 im US-amerikanischen Bundesstaat Kentucky, ist am 15. Dezember 2021 verstorben. Die schwarze Feministin prägte wie kaum eine Andere das, was wir heute unter intersektionalem Feminismus verstehen.
In den Südstaaten aufgewachsen, war ihre Kindheit von den Segregationsgesetzen geprägt. Zum Zeitpunkt ihrer Einschulung war Brown vs. Board of Education zwar bereits gewonnen, dennoch verbrachte sie ihre ersten Schuljahre in einer ausschließlich schwarzen Schule. Sie empfand dies keinesfalls als Nachteil und schildert das dort vorherrschende Gefühl des Behütet-Seins, welches in krassem Gegensatz zu den späteren Rassismuserfahrungen in gemischten Bildungseinrichtungen stand. In vielen ihrer autobiographisch geprägten Texte nimmt sie Bezug auf das von Armut geprägte Leben in ihrer achtköpfigen Familie und in der African American Community. Als Liebeserklärung an ihre Urgroßmutter Bell Hair Hooks ist zu lesen, dass sie von ihr ihr Pseudonym entlehnte. Sie bestand auf dessen Kleinschreibung, um der Bedeutung ihrer Texte mehr Ausdruck zu verleihen als ihrem Ego. Eine Symbolik, die die Persönlichkeit der Frau widerspiegelt, deren Leben von der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung ebenso geprägt war wie ihr Aufwachsen als Mädchen und Frau in einer patriarchalen Arbeiter_innenfamilie.
Diese Sozialisation trug wesentlich dazu bei, dass bell hooks die Kategorien race, class und gender in ihrer Verwobenheit begriff und diese in einer Klarheit und Deutlichkeit erklären konnte, die für uns alle verständlich war. Noch Jahrzehnte bevor die schwarze Juristin Kimberley Crenshaw den uns heute geläufigen Begriff der Intersektionalität ins Leben rief, beschrieb bell hooks in ihren Texten bereits die Auswirkungen sich überkreuzender Diskriminierungen auf das alltägliche Leben von Women of Color. Sie kämpfte gegen weiße Vorherrschaft und entlarvte den white gaze, bevor über toxische Männlichkeit geredet wurde und forderte lange vor der Existenz von Critical Whitness Studies ihre weißen feministischen Kolleginnen zur Reflexion von Privilegien und Wissenslücken auf.
Eines ihrer bekanntesten Werke »Ain’t I a Woman. Black Women and Feminism« begann sie noch während ihres Studiums in Englischer Literatur. Es folgten ein Masterabschluss und 1983 das Doktorat, das sie mit einer Dissertation über Toni Morrison abschloss. Ihr primäres Interesse galt aber nicht akademischen Erfolgen. Wichtiger war ihr, dass ihre Texte dazu beitrugen, die Welt zu verändern. Dies bedeutete in bell hooks‘ Worten konkret die Beendigung der Vorherrschaft des weißen, kapitalistischen Patiarchats. (Sie prägte den Terminus »white supremacist capitalist patriarchy«.) bell hooks unterrichtete zwar an Elite-Universitäten wie Yale, Stanford und dem New York City College, am meisten lag ihr aber die Arbeit am Berea College in ihrem Herkunftsbundesstaat Kentucky am Herzen. 2004 kehrte sie dorthin zurück, um zu unterrichten. Dieses College, 1955 von einem abolitionistischen Priester gegründet, sieht sich seit Beginn in antirassistischer Tradition und verlangt keine Uni-Gebühren, was in den USA schon per se radikal ist. Seit 2015 beherbergt es das bell hooks Institut, das ein Ort des Treffpunkts und Austausches ist, wo unter anderem Talks mit Gloria Steinem und Cornel West stattfanden.
Ein wesentliches Ergebnis von bell hooks‘ Bemühungen, ihr Denken nicht nur in der Akademia wirksam werden zu lassen, war, dass ihre Texte zur Politisierung und Organisierung vieler schwarzer Frauen beitrugen. bell hooks ermöglichte ihnen eine klare Benennung und Analyse der Unterdrückungen, die sie erfuhren. Und das waren nicht wenige. Selbst die Frauenbewegung in Europa und den USA der 1960er und 1970er Jahre war von tabuisierten Differenzen zwischen Frauen geprägt. »Der« Feminismus wurde in der weißen, christlichen Mittel- und Oberschicht verortet. Betty Friedan fand in den USA mit ihrem Buch »Der Weiblichkeitswahn« eine große Leserinnenschaft, wandte sich damit allerdings ausschließlich an weiße, heterosexuelle Akademikerinnen und klagte, dass es für gut gebildete Frauen frustrierend wäre, keine beruflichen Chancen zu haben und deshalb nur in der Perfektionierung der Rolle der Ehe- und Hausfrau aufgehen zu können. Diese Gesellschaftskritik äußerte Friedan sehr pointiert, ignorierte dabei allerdings, dass zur selben Zeit viele schwarze Frauen und Arbeiterinnen in den USA zur Existenzsicherung einer Erwerbsarbeit nachgehen mussten und sich danach gesehnt hätten, mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen und der Ausbeutung als Arbeiterin entgehen zu können. Auf diese, von hooks und anderen Black Feminists geäußerte Kritik reagierten weiße Feministinnen empfindlich, gingen sie doch von einer »identical oppression« aller Frauen aus, die alleinig auf Sexismuserfahrungen basierte und von Klassismen und Rassismen unbeeindruckt blieb.
Eine von bell hooks‘ Stärken war es, durch historische Einbettung gegenwärtige Zustände zu erklären. In »Ain’t I a Women« wirft sie – wie der Titel, unter dem bereits die Sklavin Sojourner Truth Frauengeschichte schrieb, vermuten lässt – einen Blick auf die Geschichte der Sklaverei und thematisiert die unglaubliche Fülle an Gewalterfahrungen, welchen schwarze Frauen ausgesetzt waren. Sie zeigt auf, dass sexualisierte Gewalt von weißen Männern an schwarzen Frauen im öffentlichen Diskurs unsichtbar ist, während schwarze Männer von weißen Mobs ermordet wurden, wenn sie eine weiße Frau auch nur ansahen. In »Feminist Theory: From Margin to Center« setzt sie diese Kritik fort, indem sie Ausschlüsse weißer Feministinnen von schwarzen und Chicana- Feministinnen in der sogenannten Zweiten Frauenbewegung enthüllt.
Auch während des Civil Rights Movements ab Mitte des 20. Jahrhunderts waren schwarze Frauen umkämpfte politische Subjekte. Um die Schwarze Bewegung nicht zu schwächen, wurde von ihnen erwartet, Sexismen seitens schwarzer Männer* nicht zu thematisieren und um die Frauenbewegung nicht zu schwächen, wurden Rassismen in Frauenzusammenhängen geleugnet. hooks stellte sich gegen diese Konkurrenzsetzung unterschiedlicher Diskriminierungsformen. Es ist kein Zufall, dass ihre scharfsinnigen Beobachtungen den Debatten um Haupt- und Nebenwiderspruch ähneln, ist hooks doch auch von marxistischem Denken und Kapitalismuskritik geprägt. Class matters.
Bei ihren identitätspolitischen Ausführungen wurde bell hooks nie essentialistisch. In ihrem Aufsatz »Postmodernes Schwarzsein« aus dem Jahr 1996 räumt sie ein, dass die postmoderne »Kritik am Konzept der Identität« zwar durchaus irritierend und bedrohlich sein kann, wenn sich eine Gruppe von Unterdrückten Gehör verschaffen will: »Mich überrascht es nicht, wenn Schwarze auf die Kritik des Essentialismus, besonders wenn sie die Richtigkeit der Identitätspolitik bestreitet, mit den Worten reagieren: ,Klar, Identität aufgeben ist ganz leicht – wenn man eine hat.‘« Allerdings sah sie in postmodernen Zugängen primär Stärken und Chancen. Postmoderne Bündnispolitiken abseits fixer Identitätszuschreibungen stellten für sie eine Bereicherung zusätzlich zu ihrer festen Bindung an die Schwarzen Communities dar. Der Verzicht auf essentialistische Vorstellungen würde, so hooks, eine ernste Herausforderung für den Rassismus bedeuten.
Die Idee einer »Schwarzen Identität« mit stereotypen Zuschreibungen unter Bezugnahme auf vermeintliche Authentizität lehnte sie entschieden ab und hielt fest: »Es besteht ein grundlegender Unterschied zwischen dem Verwerfen der Idee, daß es ein schwarzes ,Wesen‘, eine schwarze ,Essenz‘ gibt und der Erkenntnis, wie sich schwarze Identität in der Erfahrung von Exil und Kampf auf besondere Weise gebildet hat.«
Dieses Bestreben, »die Grenzen von Klasse, Geschlecht, Hautfarbe usw. [zu] überschreiten«, machten ihren Feminismus auch attraktiv für LGTBIQ-Personen. Im legendären Talk mit der trans Aktivistin of Color und Schauspielerin Laverne Cox durfte das Publikum der Geschichte lauschen, wie wichtig bell hooks für Lavernes Biographie war. Gerade in diesem Gespräch wird aber auch klar, wie wenig Interesse bell hooks daran hatte, allen zu gefallen und »cool« zu sein. Ihre teils sehr harte Kritik an Pop-Feminismen und der Musikerin Beyoncé, die vermutlich in der Angst vor einer Entpolitisierung des Feminismus begründet liegt, kostete hooks sicherlich einige Beliebtheitspunkte bei jungen und alten Feminst_innen. Dass sie es nicht vermied, diese Debatten zu führen und dabei auch angreifbar zu sein, zeigt, wie wichtig es ihr war, mit Menschen im Gespräch zu sein und zu bleiben. bell hooks als Freundin und Diskussionspartnerin statt Ikone.
Nie trennte sie ihre Politiken von Gefühlen. Geprägt von Paulo Freire, gibt sie in Teaching to transgress: education as the practice of Freedom (1994) einen Einblick in ihre Lehrmethoden, die das Schaffen eines angstfreien Lernraums und den Beziehungsaufbau zu den Studierenden als wesentliche Basis haben.
Ihr christlicher Glaube und ihre große Bewunderung für den buddhistischen Mönch Tich Na Than, einen Meister der Achtsamkeit und Meditation, waren für viele Feminist_innen irritierend. In ihrem Buch »All about love« läuft sie an mehreren Stellen Gefahr, in Richtung einer Selbsthilfeliteratur zu gleiten, überzeugt aber gleichzeitig mit ihrer Deutung von Liebe als revolutionärem Akt und füllt eine wichtige Leerstelle in feministischer Fachliteratur, in der Gefühle in Freund_innenschaften und abseits sexueller Beziehungen oft nebenher stehen.
Zu ihren über 30 Büchern zählen neben feministischen Fachbüchern auch Poesie und Kinderbücher. Viele wurden erst in den letzten Jahren ins Deutsche übersetzt. Es gibt also noch viel nachzulesen von der Frau, die schmerzlich vermisst wird.
May she Rest in Power. And Love.