Radio FRO: Interkultur im öffentlichen Raum?

»Weißt du, bis zu welchem Punkt du wissen kannst? Unsere Freiheit steht auf dem Spiel.«

»Kritik ist die Kunst der freiwilligen Unknechtschaft, der reflektierten Unfügsamkeit. Ihre Funktion liegt in Entunterwerfung…« Diese vom französischen Philosophen Michel Foucault 1978 in seinem Vortrag mit dem Titel Qu`est-ce que la critique? aufgeworfene Frage zeigt uns, dass die Funktion der Kritik darin besteht, ungehorsam und widerständig zu sein.
Entunterwerfung bedeutet in der Praxis, sich selbst zum Spieleinsatz zu machen im Ungehorsam gegen die gegenwärtige Ordnung; im Wider-stand gegen die vorgegebenen Begrenzungen, die uns von einer Politik auferlegt werden. Einer Politik, die von vornherein eingrenzt, was als »richtig« und »normal« zu gelten hat, und was nicht. Entunterwerfung bedeutet weiters, die vorgegebenen Herrschaftsstrukturen durch kritisches Denken zu entautorisieren.

Integration als Exklusion

Besonders die Integrationspolitik mit ihrer Aufforderung zur Integration an eine vorgegebene nationale Werteordnung ist ein plakatives Beispiel für solch normative Vorgaben der Politik. Denn die darin vorgegebene Ordnung wird nicht demokratisch – also auch mit MigrantInnen –
ausgehandelt, sondern ist schon von vornherein existent und zwingt daher zur Unterwerfung bzw. Anpassung.
Der aktuelle öffentliche und politische Diskurs über ethnische Konflikte und Probleme im Zusammenleben, die häufig auf unterschiedliche Herkunft und Kulturen zurückgeführt werden, ist ein bewusst konstruiertes Problem zur Argumentation der Aufrechterhaltung des Systems der Normen. Das, was als ethnischer Konflikt (schein-)problematisiert wird, ist vielmehr soziale Ungleichheit und unfaire Chancenverteilung, die einzig und allein der Zementierung der etablierten Machtverhältnisse dienen soll.

Was kann ich angesichts der gegenwärtigen Ordnung des Seins sein?

Was können MigrantInnen in einer Gesellschaft mit für sie bereits festgelegten Normenkonstrukten werden? Und was, wenn sie etwas zu werden beginnen, für das es im vorgegebenen System der »Wahrheit« keinen Platz gibt? Ist es nicht so, dass gerade Exkludierte, nicht der Norm entsprechende, mehr Sinn für die Orte der Systemkritik und -überschreitung haben?
Uns gefällt in diesem Zusammenhang die Idee des Paradigmas Interkultur (nach Mark Terkessidis), der – anstatt von Integration – von einem »einzigen gemeinsamen kulturellen Prozess aller Beteiligten« ausgeht. Der Begriff Interkultur bezeichnet dabei als »Kultur-im-Zwischen« einen nicht abgeschlossenen Vorgang, der erst ausgehandelt werden muss, dessen Ausgang offen ist und in welchem jede/r Beteiligte die ihm/ihr innewohnende Kultur einbringen kann. Interkultur ist etwas, das im Werden begriffen ist, »etwas, das nicht ist, oder noch nicht ganz ist – ein Prozess«. Interkultur kennt im Unterschied zur Integration keine zu erreichenden Normen und keinen vorgegebenen Ausgang. Der zentrale Ansatz für eine Neuorientierung der Gesellschaft ist nach Terkessidis im Subjekt selbst verortet: »Es wird Zeit, sich von alten Ideen wie Normen und Abweichung, Identität und Differenz, von Deutschsein und Fremdheit zu trennen und einen neuen Ansatzpunkt zu finden: Die Vielheit, deren kleinste Einheit das Individuum als unangepasstes Wesen ist, als Bündel von Unterschieden. Die Gestaltung der Vielheit muss für dieses Individuum einen Rahmen schaffen, in dem Barrierefreiheit herrscht und es seine Möglichkeiten ausschöpfen kann.«

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Von Susanne Baumann und Daniela Schopf

 

Von der Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden

Eine dreiteilige Symposienreihe

Um dem oben beschriebenen Paradigma in einem ersten Schritt gerecht zu werden, veranstalten wir derzeit eine dreiteilige Symposienreihe, angelehnt an ein Foucault–Zitat: »Von der Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden«. Damit möchten wir einen Raum zur Reproblematisierung des Politischen in Distanz zur herrschenden Politik eröffnen. Als Versuch eines »Gegenortes« und einer antihegemonialen Intervention widmet sich die Symposienreihe in Kooperation mit der Kunstuniversität Linz und Radio FRO 105.0, dem Freien Linzer Stadtradio, den inflationär verwendeten Begrifflichkeiten Integration, Kultur und Gender. Der Begriff Integration und die Integrationspolitik werden als Instrumente der Macht dekonstruiert und das Paradigma der »weltoffenen Stadt« wird als Praxisbeispiel für gelebte urbane Vielfalt vorgestellt. Darüber hinaus findet eine Auseinandersetzung mit dem Kulturbegriff und dessen (historische und gegenwärtige) Verortung in der politischen Praxis zur Legitimation von Herrschaftsverhältnissen statt. Anhand des Programms Interkultur wird eine »Kulturrevolution in den Institutionen« als neues Paradigma und Handlungsan-leitung in der Einwanderungsdebatte vorgeschlagen. Außerdem werden der Begriff Gender und die damit verbundenen Gender-Mainstreaming Maßnahmen als Instrumente zur Umverteilung gesellschaftlicher Machtverhältnisse kritisch auf den Prüfstand gestellt.
Die Idee zur Symposienreihe ist im Rahmen einer gemeinsamen Masterarbeit entstanden, in der wir am Beispiel Integration die systemimmanente Diskriminierung gesellschaftlich marginalisierter Gruppen aufzeigen wollen.
Wir, das sind Susanne Baumann (Psychologin und Politische Bildnerin) und Daniela Schopf (Juristin, freie Redakteurin und Politische Bildnerin). Wir kommen beide aus dem Feld der Migrations-arbeit und schreiben derzeit an einer gemeinsamen Dissertation im Fachbereich Kulturwissenschaften an der Kunstuniversität Linz über die Entunterwerfung
des Selbst.

»…dass die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewusstsein besitzen muss, um sie wirklich zu besitzen« (Karl Marx)

Verwendete Literatur
Birge Krondorfer: Kritik der Integration, Integrität als Kritik
Mark Terkessidis: Interkultur
Michel Foucault: Was ist Kritik?

Autorinneninfo
Susanne Baumann ist Psychologin und Politische Bildnerin.
Daniela Schopf ist Juristin und Politische Bildnerin. Beide schreiben derzeit ihre Dissertation im Fachbereich Kulturwissenschaften an der Kunstuniversität Linz.

Termine

Symposium #2: Wem nützt Kultur? 20. April 2012
Symposium #3: Wem nützt Gender? 15. Juni 2012

Beginn: jeweils um 14.00 Uhr im Audimax der Kunstuniversität Linz, Kollegiumgasse 2

Nähere Infos zur Symposienreihe finden sich unter: www.fro.at/symposium