»Eine Stadt im Grünen inmitten eines herrlichen, weiten Naturparks mit reiner himmlisch duftender Luft«, so bewirbt der Baumeister Quadratus im Asterix-Band »Die Trabantenstadt« seine geplante Römersiedlung in der Nähe des bekannten gallischen Dorfes. Mit dem Bau dieser »Trabantenstadt« soll nach den Vorstellungen von Julius Cäsar die Zivilisation Einzug bei den widerständigen Barbaren halten. Das Dorf wäre dadurch nur noch ein unbedeutender Vorort, der sich anpasst oder verschwindet. Anstelle des gefällten Waldes schwebt dem Imperator eine soziale Musterstadt vor, deren Alltag der willfährige Quadratus im steinernen Werbeprospekt wie folgt beschreibt: »Wenn der Mann von der Arbeit heimkommt, hat er die Wahl, entweder mit seinen Freunden ins Sportzentrum zu gehen oder mit seiner Frau einen Spazier-gang durch die Parkanlagen zu machen. Am Abend gibt es Zirkusspiele im geplanten Galliseum oder einfach eine kleine Orgie mit den Nachbarn.« Die Vorstadt als Vormundschaft und Disziplinierungsmittel. Am Ende des Asterix-Abenteuers ist davon selbstverständlich nichts verwirklicht oder gar über. Im Showdown machen die Gallier das einzige errichtete, dreistöckige Mietshaus binnen weniger Bilder in gewohnter Manier platt.
Abgesehen vom Unterhaltungswert erscheint daran zweierlei bemerkenswert: Erstens, dass sich »Die Trabantenstadt« auch als frühes Statement der Asterix-Schöpfer Goscinny und Uderzo zu den französischen Banlieues lesen lässt. Und zweitens, dass die gewitzten Comic-Gallier sämtliche römische Mieter vor der Demolierung vertreiben, indem sie ihren einzigen Künstler in der »Trabantenstadt« einquartieren: den Barden Troubadix. Dieser vermag Kraft seiner nächtlichen Sangeskünste das Idyll von Ruhe und unbedarftem Leben im Grünen wirkungsvoll zu (zer)stören.
Während die flüchtenden Mieter der römischen »Trabantenstadt« ihr Verhältnis zu den Künsten mit der Bemerkung: »Leute, die so singen, sind zu allem fähig« beschließen, scheinen die Bewohner der realen Linzer Trabantenstadt Auwiesen gegenüber der baldigen Präsenz der Kunstschaffenden des »Festivals der Regionen« in ihrem Viertel aufgeschlossener zu sein. Ein wenig Troubadix, etwas Kultur? Ja, bitte! Abwechslung scheint dieser Tage und überhaupt in Auwiesen willkommen zu sein. Immerhin meinten es Lokalpresse, öffentliche Meinung und gefühlte Stimmungslagen zuletzt nicht übermäßig gut mit der Wohnanlage im Linzer Süden. »Jugendgewalt in Auwiesen ufert aus« und »Das harte Leben in einer Musteranlage« sind nur zwei Zeitungsaufmacher der letzten Monate. Schon vor fünf Jahren wies eine Bürgerbefragung des Amtes für Stadtforschung auf ein »Ausländerproblem« im Viertel hin, das gut ein Drittel der Befragten ausgemacht hatte. Ein für Linz überproportional hoher Wert, der sich allerdings reziprok vom Auslän-deranteil unter den Auwiesenern ableitet. Dem wäre entgegenzuhalten, dass laut dieser Befragung 80 Prozent weiterhin sehr gerne hier wohnen – und nur 13 Prozent lieber anderswo. Das einstige Vorzeigeviertel städtischer Reißbrett-Entwicklung kämpft offenbar schwer um sein Selbstbild.
In vier Etappen zwischen 1979 und 1994 von der städtischen Gemeinnütz-igen Wohnungsgesellschaft (GWG) auf namensgebenden Boden gebaut, verfügt das weithin im Stile einer Gartenstadt errichtete Auwiesen heute über rund 2800 Wohneinheiten, Volkshaus, Kindergärten und Einkaufszentrum. Bevölkert von rund 10.000 Menschen bzw. 4609 Wahlberechtigten, von denen bei der Nationalratswahl im September des Vorjahres auch zwei Drittel wählen gingen. Um den regierenden Sozialdemokraten und Konservativen Stimmenverluste zu bescheren. 30 Prozent der Auwiesner wählten FPÖ, für das BZÖ entschieden sich 8 Prozent. Die ÖVP erreichte gerade einmal 6 Prozent, die SPÖ immerhin noch 46; auf einem ihr tendenziell zugeneigten Terrain. Jedoch: 38 Prozent für die rechtsextremen Parteien – das sind harte Fakten in einem Viertel, wo die Straßen und Plätze die Namen von linken Politikerinnen und Politikern tragen. Salvador Allende, Bruno Kreisky, Victor Adler, Olaf Palme, Adelheid Popp. Ein Ergebnis, das die lokalen Parteizentralen scheint’s wachzurütteln vermochte. Mit unterschiedlichen Reaktionen. Während die einen ihr jahrzehntelang bewährtes Wohlfühlnetz wieder engmaschiger zu weben begannen, bemühen die anderen weiter den Sound der Unzufriedenheit, wohl wissend, dass ihnen eine restaurierte Auwiesener Idylle keine zusätzlichen Wähler bei der im Herbst 2009 anstehenden Gemeinderatswahl bringen wird. Das Ringen um Hegemonie als schwebendes Verfahren.
Mit der Trabantenstadt Auwiesen ist es natürlich wie mit allen aus dem Boden gestampften Wohn- bzw. Schlafvierteln weltweit: Wer als Citadin dort nichts zu erledigen hat, wird sich nie dorthin verirren. Und was sollte jemand an einem Ort wie Auwiesen schon zu erledigen haben? Der niederländische Architekturtheoretiker Roemer van Toorn schrieb in diesem Zusammenhang* unlängst: »Die neuen Linzer Vorstädte – wie die solarCity – sind vielleicht als sichere, saubere, effiziente, ordentliche und grüne Orte gedacht, aber es fehlen ihnen alle möglichen, einer Stadt zuschreibbaren Qualitäten. Es mangelt diesen Vorstädten an wirtschaftlicher Aktivität und stimulierenden kulturellen Unterfangen, und ihre Stadtgestalt und Architektur kann Veränderungen nicht bewältigen.« Die von Van Toorn dann weiter ausgeführten sozialen Ableitungen und freigelegten Wunschvorstellungen stadtoberer Lebensführungsplaner klingen dann endgültig nach der »Trabantenstadt« aus Asterix. Nach der Arbeit mit Freunden ins Sportzentrum, ein Spaziergang mit der Frau entlang des Kanals. Die Idylle im Sinne des Baumeisters Quadratus und der Linzer Sozialdemokraten hätte doch alle Voraussetzungen, warum stellt sie sich dann nicht nachhaltig ein? Vermutlich weil das zweifellos Positive nicht vor dem Wunsch nach mehr schützt – etwa nach einer Idee, warum das Leben wie geschmiert und unter ganzjährig rosarotem Himmel ablaufen soll. Dafür müsste man jedoch erst einmal eine Idee haben. »Aber wenn es vollkommen an ideologischem Bewusstsein und politischer Vision mangelt, wird man zum Opfer der Mittel der Instrumentalität«, wie Roemer van Toorn schlüssig interpretiert. Was derartige Vor- oder Trabantenstädte per se auf zwei Zustände reduziert: Entweder funktionierende aber sinnfreie Zone oder nicht funktionierender, sozialer Brennpunkt. Und irgendwo dazwischen, am südlichen Linzer Stadtrand, liegt wohl auch Auwiesen.
Wer als Vorortetourist an einem sonnigen Frühlingstag durch Auwiesen flaniert, ist zuerst einmal überrascht. Dass einige hier ein »Glasscherben-viertel« oder gar »Ghetto« ausmachen wollen, wirkt angesichts der friedlichen Stimmung und Aufgeräumtheit im zu weiten Teilen autofreien Viertel völlig unverständlich. Wäsche flattert auf den Leinen, Spaziergänger führen Hunde aus und generell gibt es wenig bis nichts zu bemerken, das auch nur annährend besonders oder gar besonders im Argen wäre. Abgesehen von zahlreichen ausgeschilderten Verboten: Müll und Laub ablagern, Fußballspielen, Rollerskaten und Skateboardfahren sowie die Einfahrt mit gasbetriebenen Fahrzeugen in Bewohnerparkgaragen. Zwei Straßenbahn-fahrer der Linz Linien stehen an der Endhaltestelle in der Sonne und rauchen. Im gleich daneben befindlichen Einkaufszentrum ist trotz Umbaus ungestörter Betrieb. »Einkaufszentrum Auwiesen wird modernisiert! Sanierungsfall wird gelöst« titelte dazu die SPÖ-Postwurfsendung »Leben in Auwiesen«. Mit der bald abgeschlossenen »vitalen Umgestaltung dieses nicht mehr zeitgemäßen Gebäudekomplexes«, der so etwas wie das Herz des Stadtteils bildet, wird es der Stadt wohl leicht gelingen, die Auwiesener Befindlichkeit in absehbarer Zeit ein paar Prozentpunkte zu heben. Eine transparente Glaskonstruktion, Erweiterung des Branchenmix statt ungenutzter Verkaufsflächen, Edding-Schmierereien und anderer Bestätigungen für das Zutreffen der »Broken-Windows-Theorie«. Mit der alten, revitalisierten Linzer Tuchfabrik Himmelreich & Zwicker, in der interessanterweise auch das Pfarrzentrum samt Taufgrotte am alten Mühlbach untergebracht ist, verfügt das Viertel um ein bemerkenswertes Industriedenkmal samt 35 Meter hohem Schlot. Weiter östlich lauert sogar ein zusätzliches Ensemble mit alten, zurzeit leer stehenden Industrie- und Wohnbauten, die Überreste der Kunstmühle Löwenfeld & Hofmann an der Dauphinestraße, deren historischer Charme und Architektur im revitalisierten Zustand alle Voraussetzungen für eine weitere Aufwertung des Viertels hätte. Bleibt zu hoffen, dass die Stadt nicht nur bei dem Einkaufszentrum Instinkt beweist, sondern auch diesen aufgelegten Impuls zu mehr urbaner Qualität zu nutzen versteht.