Es ist wieder Gespensterstunde. Nachdem es uns nun nicht mehr so gut geht, weil es auch der Wirtschaft nicht mehr so gut geht, versammeln sich Verursacher wie Betroffene im selben Rettungsboot und streiten sich um »Politiker- oder Managerversagen«. Plötzlich hat die Politik zu wenig reguliert, soll für den Schaden aufkommen, dabei aber gleichzeitig am Konzept der Deregulierung der Finanzmärkte festhalten. Immerhin habe der Kapitalismus beim ideologischen suvival of the fittest schon immer jedes Casting gewonnen. Zudem sei die »Krise« ja auch eine ungeheure »Chance«. Weil sonst droht der Sozialismus. Da muss also Aufklärung her.
Denn eines ist sicher: Nicht der Kapitalismus hat versagt, sondern die Hardcore-Auswüchse des Neoliberalismus, die als eine Art Light-Version aber eh okay sind und sicher auch den Weg aus der Krise pflastern werden.
Also betrachtet »Die Zeit« das Thema Führungskräfte einmal »nüchtern« und kommt zu dem Schluss, alles »nichts als Angestellte – keine Kapitalisten, sondern nur die monströs überbezahlten Lakaien des Kapitals.« Alle sitzen also im selben Schlauchboot und haben nur einen Gedanken: »Der empörteste Bürger, selbst der Arbeitslose oder der um sein Hab und Gut gebrachte Bankkunde, wird sich nicht den Sozialismus wünschen.«
Der ist laut »Zeit« an »seiner Untüchtigkeit und Unmenschlichkeit zusammengebrochen«. War also nicht nur totalitär, sondern auch faul. Da sind wir aber froh, dass der bekanntlich nicht durch innere Konflikte in sich zusammengebrochene Nationalsozialismus (Tüchtigkeit und Unmenschlichkeit) von Außen zerstört wurde.
Dennoch warnt »Die Zeit«: »Wenn es schlimm kommt, könnte am Ende der Sozialismus wieder als die humanere Alternative erscheinen.«
Was aber wird heute unter »Sozialismus« verstanden? Die FPD hält das »S« der CSU mittlerweile schon für verdächtig und sieht gar in der von der CDU geführten Bundesregierung »sozialistische Planwirtschaft« am Werkeln. Die »Kronen Zeitung« warnt vor einem Linksruck der ÖVP, weil sich Teile davon plötzlich wieder an die »christlichen Soziallehre« erinnern.
Noch Schlimmeres verkündet die »Süddeutsche« und analysiert ein »besorgniserregendes Geschichtsbild der einstigen DDR-Bürger«. Die würden die alten DDR-Verhältnisse wieder »verherrlichen«. Zwar geht es dabei nicht um einen Wunsch zurück zu Stasi, Mauer und Russischkursen, aber der fehlende »Bezug zu Freiheit und Demokratie«, so der Berliner Politikwissenschaftler Klaus Schröder kann sich heutzutage auch schon darin zeigen, den Verlust »der Sicherheit des Arbeitsplatzes«, »der Anzahl von Krippen- und Kindergartenplätzen« und auch »einstmals niedrigen Mieten« zu beklagen.
Dass die diversen Datenaffairen (Deutsche Bahn, Telecom, Lidl, Schlecker, Daimler) und der Kontrollwahn (zuletzt forderte ja die FPÖ für Wien einen »Städtischen Ordnungsdienst« und die ÖVP – auch in Linz – eine »Stadtwache«) dabei näher an der Stasi sind, wird hingegen weniger artikuliert. Klar – hier geht es ja um freie Privatinitiativen. Zudem müsste auch die Frage gestellt werden, wie sehr sich Demokratien unter privatwirtschaftlich organisierten Kontrollinstanzen zu einem (unsichtbaren) totalitärem Staat verwandeln. Und ob der Westen seit 9/11 nicht vielleicht weniger »Demokratie« exportiert, als eher Totalitarismus importiert hat.
Das Schreckgespenst der DDR als scheinbar einzig vorstellbare Manifestation des Begriffs Sozialismus malte unlängst auch in einem »Club 2« zum Thema »Droht ein neuer Klassenkampf?« der Journalist Christian Ortner in penetranter Permanenz an die Wand.
Dabei würde allein ein Blick auf Ortners Homepage (für den Franz Voves wegen dessen »Kernölsozialismus« die heimische Version von Venezuelas Hugo Chavez ist) mit dem Untertitel »Zentralorgan des Neoliberalismus« reichen, um zu sehen mit welchem intellektuellen Überbau hier argumentiert wird. Als »Club 2«-Mitdiskutant zählt Ortner etwa den »deutschen Marxisten Michael Altvater« auf. Der heißt zwar eigentlich Elmar mit Vornamen, aber es soll ja auch Leute geben die Marx zu lesen aufgehört haben, weil sie darin nichts über Winnetou fanden.
Was nun unter »neoliberal« zu verstehen ist, erklärt Ortner anhand eines Wikipedia-Eintrags (»inhaltlich vom Autor überprüft«), bei dem der Neoliberalismus u.a. als Abkehr von »der Politik des Laissez-faire im 19. Jahrhundert« dargestellt wird. Versehen mit einem Zitat des neoliberalen Vordenkers Alexander Rüstow aus 1932 heißt das dann: »Der neue Liberalismus (...) fordert einen starken Staat, einen Staat oberhalb der Wirtschaft, oberhalb der Interessenten, da, wo er hingehört.«
Aber lesen wir doch einfach bei Rüstow im Original weiter. Denn zur Gewinnmaximierung fordert er nicht weniger als »eine neofeudale, räuberische, monopolisierende Tendenz, die ohne die Unterstützung durch den Staat, die Gesetzte, die Gerichte, die Verwaltungen, die öffentliche Meinung nicht erfolgreich sein kann«.
Schon 1979 wies Michel Foucault bei seinen Vorlesungen zum Neoliberalismus darauf hin, das es sich hierbei um das Konzept einer kapitalistischen Markwirtschaft handelt, die zwar innerhalb eines Rahmens demokratischer Institutionen und Gesetzte organisiert ist, sich von diesen aber weder planen, noch lenken, noch regulieren lassen will.
Das bringt uns wieder zur Verwechslung von Karl Marx mit Karl May. Denn um welchen Neoliberalismus geht es eigentlich? Den der »Freiburger Schule« (zu der auch Rüstow gehörte), der durchaus staatliche Sozialinterventionen inkludierte, oder den, der als radikale Antithese zu Roosevelts »New Deal« als »Chicagoer Schule« einen »Anarcho-Liberalismus« (Foucault) ohne begleitende Sozialprogramme forderte und dessen Standardwerk Henry Calver Simons' 1934 veröffentlichte Kampfschrift »A Positive Programm for Laissez-Faire: Some proposals for a liberal economic policy« darstellt?
Jetzt könnte sich natürlich ins Fäustchen gelacht werden, wenn sogar das selbst ernannte »Zentralorgan des Neoliberalismus« scheinbar nicht genau weiß, worum es geht und sich dergestalt als Jausengegner präsentiert. Nur, wird hier nicht eher der real existierende Neoliberalismus der »Chicagoer Schule« durch das Phantasma des Freiburger-Modells weiter propagiert?
Und ist die Wiederkehr des Sozialismus nicht auch ein rechtes Phantasma? Wie Slavoj Zizek unlängst ausführte, ist es ein linker Wunschtraum zu hoffen, dass, angsichts der Krise des Kapitalismus und des Scheiterns des Neoliberalismus, der Sozialismus sozusagen automatisch sein Revival erleben würde. Ganz im Gegenteil werden vor allem Lockerungen von ArbeitnehmerInnenrechten als Sanierungsmaßnahmen propagiert und der »class-struggle« zum »race-struggle« umgedeutet. Nicht die DDR droht, sondern August Bebels »Sozialismus der dummen Kerls«. HC StraCHE weiß das ganz genau.