Der letzte linke Kleingärtner, Teil 10

Der Ukraine-Krieg macht uns durcheinander

Wer beim Ukraine-Krieg Fragen stellt, macht sich verdächtig. Die Claqueure »des Westens« erinnern mich an diejenigen, die eben noch mit fanatischem, wie gleichsam starren Blick und glasig hervor tretenden Augen gegen eine vermeintliche Corona-Diktatur zu Felde zogen und sich in ihrem wirren Kampf gegen das Impfen als Opfer auf einer Stufe mit Juden und Jüdinnen im NS sahen. Der Mensch ist zu allerhand Peinlichem fähig und das schon lange bevor die Bruthitze des nächsten Sommers sich wieder über Europa, also »den Westen« legt, und das Denken erschwert. Wer nur dann bereit ist zu »denken« und Fragen zu stellen, wenn diese Tätigkeit ihm widerspruchsfreie Heimat beschert, hat den Sinn von Freiheit nicht verstanden. So schön Denken und Freiheit sein mögen, manchmal sind sie eben auch die Boten der Einsamkeit. Sorry, »Heimat« darf man ja als Linker nicht sagen. Die zweite Sorte Mensch, die mir suspekt ist, ist die, die in ihrem Keller hockt und keine Fragen und keine Witze oder Ironie zulässt. Wie schön, dass ich einen Garten habe und mir diese muffige intellektuelle Kellerluft nicht antun muss.

Was soll das eigentlich mit dem Energiestopp aus Russland? 

Das ist doch nur ein empörungsgeladener Reflex, der aus der idyllisch-romantischen Einteilung der Welt in Gut und Böse erfolgt. Würde man die gleichen Maßstäbe, die gleiche Moral und die gleichen Menschenrechte an die anderen Lieferketten und Handelswege anlegen, müsste man drei Viertel alle Produktwege kappen. Die Folgen wären nicht auszudenken. Die Fußball-Ultras in Österreich und Deutschland hätten plötzlich keine Schals mehr zur Verfügung, die von zarten chinesischen und pakistanischen Kinderhänden genäht werden. Die sensiblen und ökologisch inspirierten Kund:innen müssten ihren Status als engagierte Verbraucher:innen an den Nagel hängen, weil ihre Öko-Textilien und Bio-Tomaten, die in den gleichen Schwitzhütten und Gewächshäusern entstehen, wie die der bösen »konventionellen« Konkurrenz, nicht mehr zu Ihnen auf den sehr korrekten Fair-Handels-Warentisch kämen. Wie bitter, dass die Bio-Landwirtschaft kein anderes Wirtschaftssystem, sondern nur ein anderes Anbausystem ist. Dem WachstumsZWANG sind Biobäuerinnen und Biobauern genauso ausgesetzt wie ihre konventionellen Kolleg:innen. Es ist richtig schlimm: Der real existierende Kapitalismus kennt kein Erbarmen und nimmt uns, den Spiegel vorhaltend, auch noch die berechtige Empörung über den Autokraten Putin. Selbst eine stringente Analyse des Kapitalismus verschafft uns keinerlei moralgesättigte heimatliche Unterkunft, sondern lässt uns zitternd und nackt zurück. Da habe ich es als Kleingärtner einfach. Wann immer ich will, verschwinde ich morgens, mittags oder abends in meinen Garten und lebe fernab der bösen kapitalistischen Welt des Ukraine-Kriegs.

Was tut sich im Garten? 

Im späten Frühjahr benimmt sich der Garten wie ein Motor, der nach langem Winterschlaf, mitunter sogar einem zweijährigen, anspringt und sich schwitzend, und dampfend auf den Weg macht, seine Existenzberechtigung unter Beweis zu stellen. Es wächst und gedeiht, dass es eine Freude ist. Die Bohnen streben aus der Unterwelt hervor und beginnen die Stangen hoch zu klettern, der Mangold dehnt sich langsam aber gleichmäßig, wenn auch noch etwas zäh, nach oben und mit seinen Pfahlwurzeln nach unten aus. Die Zuckererbsen küssen die Rankhilfe und wollen in den nächsten Wochen in üppiger Fülle geerntet und gefuttert werden, die Pflücksalate wie der US-Brauner oder Rucola haben mit anderen Kumpels sowohl in meinem Garten wie in meinem Innersten eine vorübergehende Heimat gefunden. Die ersten frischen Salate sind schon angerichtet und bevölkern mein Innerstes. Die Zucchini haben es immerhin schon aus der Erde herausgeschafft und nehmen Fahrt auf; die Kürbispflanzen werden es ihnen gleichtun, halten sich aber im Moment noch etwas zurück und geizen mit Fruchtansätzen, das Kartoffelkraut geht steil und lockt leider auch schon die ersten Käfer an. Es lohnt sich, die wenigen Käfer geschwind zu eliminieren, da sie zwar nicht die Kartoffeln wegfuttern, wohl aber das dazugehörige Kraut. Und ohne Kraut, als Grünzeug, gibt es keine Photosynthese und ohne Photodingsbums gibt es keine Früchte, kein Pflanzenwachstum und damit letztlich nichts zu essen.

Drei Praxistipps: 

1. Der Kapitalismus ist ein Freund Putins aber nicht des Kleingärtners.
2. »Der Westen« ist das Gute. Stimmt, da geht ja auch die Sonne auf.
3. Höre auf den Kleingärtner, der hat sich und die Welt unter Kontrolle.

Roland Röder ist Geschäftsführer der Aktion 3.Welt Saar e.V. (www.a3wsaar.de), einer allgemeinpolitischen NGO in Deutschland, die bundesweit arbeitet, u.a. zu Landwirtschaft, Asyl, Migration, Islamismus, Antisemitismus, Fairer Handel. Er mag den Begriff „Hobby“ nicht und lebt einen Teil seines Lebens als aktiver Fußballfan. Die Gartenkolumne erscheint auch in der Luxemburger Wochenzeitung WOXX .