Reclaim!

Eine textliche Collage anlässlich des Symposiums Reclaim! Clubnächte, Häuserkampf und urbane Freiräume.

 

Der Mariannenplatz war blau, soviel Bullen waren da
Und Mensch Meier musste heulen, das war wohl das Tränengas
Und er fragte irgendeinen: »Sag mal, ist hier heut ‘n Fest?«
»Sowas ähnliches«, sagte einer, »das Bethanien wird besetzt.«
»Wird auch Zeit«, sagte Mensch Meier, »stand ja lange genug leer
Ach, wie schön wär‘ doch das Leben, gäb‘ es keine Pollis mehr«
Doch der Einsatzleiter brüllte: »Räumt den Mariannenplatz
Damit meine Knüppelgarde genug Platz zum Knüppeln hat«
Doch die Leute im besetzten Haus
Riefen: »Ihr kriegt uns hier nicht raus
Das ist unser Haus, schmeißt doch endlich
Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus«
(Ton Steine Scherben – Rauch-Haus-Song, 1972)

 

Im Gegensatz zur leiblichen Erfahrung von Sound-Materialität
und Affektivität beim Individuum ist der Sonic Body immer ein
kollektiver Körper. Das Kollektive steht im Vordergrund, da Innovationen
in Musik und Kunst nie von einer einzelnen Person erreicht werden
(können), sondern stets aus kollektiven Prozessen hervorgehen.
Hier geht es um Scenius, nicht um Genius, um die Intelligenz
und Intuition aller Beteiligten in einer Szene. (Bianca Ludewig)

 

FLINTA* steht für Frauen, Lesben, Inter-, Nicht-Binäre-, Trans- und Agender-Personen, also für Personen, die von genderbezogener Diskriminierung betroffen sind. Es geht dabei um eine Geschlechtsidentität, nicht um die sexuelle Orientierung und auch nicht um das Geschlecht, das einem bei der Geburt zugewiesen wurde, sondern um jenes, mit dem sich die Person identifiziert. “Lesbisch“ ist in den Begriff integriert, da es nicht nur für eine sexuelle Orientierung steht, sondern im Kontext des feministischen Kampfes auch als Identität zu begreifen ist. Die Bedeutung des Begriffes FLINTA* geht über die binäre Logik des patriarchalen Konstrukts von „Mann und Frau“ hinaus. Das angeführte * schließt zudem weitere Perspektiven und Variationen mit ein. (Mika Egal)

 

In der autonomen Szene rund um den Begriff des Häuserkampfs
spielte Musik von Beginn an eine tragende Rolle. Akustische Ästhetiken
verkörperten die gesellschaftlichen Gegenentwürfe der jeweiligen
Projekte. Schon in den 70er-Jahren zeigte sich mit der musikalischen
Negation eine Praxis, die sich vor allem im Punk widerspiegelte, aber
auch in elektronischer Musik und transkulturellen Genres hörbar wurde.
Musik war und ist vergemeinschaftender Kitt und Nährboden
für kollektive Bewegungen. (Moritz Pisk)

 

Gemeinsam schärfen wir unsere auditive Wahrnehmung.
Es geht uns um einen kritischen Blick auf Medien- und Musikkonsum
und die bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen künstlerischen
Schaffen, sowie gesellschaftlichen Vorgängen. »Reclaiming«
kann dabei nicht nur in den unterschiedlichen Inputs wiedergefunden
werden, sondern bezieht sich explizit auch auf die Perspektive
der Teilnehmer*innen zum Motto des Jubiläumsjahres
der Kunstuniversität Linz: radical collective. (Lukas Jakob Löcker)

 

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Links

www.vimoe.at
www.hosilinz.at
www.awa-stern.info
www.transformativejustice.eu
www.maketechnoblackagain.com

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In der autonomen Szene rund um den Begriff des Häuserkampfs
spielte Musik von Beginn an eine tragende Rolle. Akustische Ästhetiken verkörperten
die gesellschaftlichen Gegenentwürfe der jeweiligen Projekte. Schon in den 70er-Jahren
zeigte sich mit der musikalischen Negation eine Praxis, die sich vor allem im Punk
widerspiegelte, aber auch in elektronischer Musik und transkulturellen Genres
hörbar wurde. Musik war und ist vergemeinschaftender Kitt und Nährboden
für kollektive Bewegungen. (Moritz Pisk)

 

Die Idee des Black Atlantic wirkt den aktuellen Versuchen
einer Entpolitisierung entgegen, beispielsweise durch Whitewashing
von Club Culture, für die diasporische, queere und feministische Ideen,
Akteur*innen, Communities sowie experimentelle
Praktiken zentral sind. (Bianca Ludewig)

 

Zentral ist das Konzept der Audiosozialen Gemeinschaft.
Dabei geht es um vernetzte kollektive Körper, die sich um musikalische
Geschwindigkeiten, Rhythmen und Atmosphären bilden. Hier steht die sonische
Materialität von Musik im Mittelpunkt und sie sollten als dynamische Prozesse
und Ökosysteme verstanden werden. Dazu gehören neben Menschen auch
Musikmaschinen, Musikmedien, Musikpraktiken oder Räume. Das Ziel solcher
Gemeinschaften ist u.a. die Bekämpfung von Ängsten, durch spezifische
Musikgenres und Sounds, um die sie sich formieren. In den audiosozialen
Gemeinschaften kommen Musik und Gesellschaft, Mensch und
Maschine zusammen. (Bianca Ludewig)

 

Yes, you got canceled, stop crying! Vom Erstaunt-Sein ganz
leere Gesichter blickten den Personen am Einlass der
FLINTA*-Only-Veranstaltung Ende April in der Stadtwerkstatt
entgegen. Vielleicht waren sie so irritiert, weil sie soeben erst
das Urfahranermarktgelände verlassen hatten und nun am Einlass
zu einer anderen Lebensrealität standen. Vielleicht aber ist auch
einfach die Tatsache schockierend, einmal nicht zum adressierten
Publikum einer Veranstaltung zu gehören. Empörung macht sich
breit. Abweisung, Unverständnis, nicht betroffen sein und
gleichzeitig die eigene Betroffenheit in diesem Moment nicht
einordnen können. Es sind schwierige Prozesse, die da
losgetreten werden, war man es doch bisher nicht gewohnt,
genderspezifische Abgrenzung und eine Konfrontation mit
seiner eigenen Sozialisierung zu erfahren. Das Awareness-Team
des Abends kann diese Prozesse nicht begleiten, nur dazu
anregen, als Cis-Mann selbst aktiv zu werden, sich selbst
zu informieren, warum es wichtig ist, Räume für
FLINTA*Personen zu respektieren. (Mika Egal)

 

Als VELODROME rotiert elektronische Musik und umkreist das Publikum.
Das Fahrrad ist Vehikel, Instrument und Akteur zugleich. VELODROME
untersucht elektronische und experimentelle Musik im
Sinne von Geschwindigkeit, Tempo und Bewegung und
schafft ein mehrkanaliges Klangerlebnis. Das relationale
Spiel mit Körpern, Formationen, Rädern und Musik ergibt
eine eigene visuell-akustische Choreographie. An der Schnittstelle
zu Performance und Sound Art wird das Fahrrad zum künstlerischen Medium.
Können Methoden der Klangbearbeitung auf das Fahrrad
bzw. die Bewegung übertragen werden? Akustische und räumliche
Erfahrungen entstehen durch die chorische Bewegung von
Performer*innen und Sound am Fahrrad. Es handelt sich um eine
fahrende Klangperformance, die sich durch die wechselnden
Positionen der Radfahrer*innen und Lautsprecher akustisch und visuell
ständig im Raum verändert und diesen dynamisch integriert. (Conny Zenk, RAD)

 

Ist ein Awareness-Team auf einer Veranstaltung anwesend, bedeutet das nicht, dass du die Verantwortung an es abgeben kannst, wie deine Jacke an der Garderobe. Das Ziel der Awareness-Arbeit ist es, sich selbst überflüssig zu machen, d.h. Aufklärungsarbeit zu leisten und neue Perspektiven aufzuzeigen, um Wege aus dem Konsumismus hin zu kollektiver Verantwortungsübernahme zu finden.
Für Awa*, ein Kollektiv für Awarenessarbeit, bedeutet Awareness vor allem »Achtsamkeit und Bewusstsein in Bezug auf den Umgang miteinander und des Vermeidens von Diskriminierung, Übergriffen und (sexualisierter) Gewalt. Das beinhaltet ein Bewusstsein im Umgang mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen und unserer eigenen Position in diesen.« (Mika Egal)

 

In der Stadtplanung der Nachkriegszeit wurde die
›alte Stadt‹ mit ihrer gewachsenen Struktur als Problem
angesehen. Nach der Idee der damaligen Stadtplaner*innen
und Politiker*innen kam es zu einer strengen Aufteilung der Stadt.
Wohn- und Arbeitszonen, Produktion und Rekreation wurden zum
Zweck ihrer jeweiligen Rationalisierung
voneinander klar getrennt. (Moritz Pisk)

 

Wir beschäftigen uns einerseits mit der oszillierenden
Wechselwirkung von Klang und Gestaltung per se, und
andererseits mit der Frage nach radikalen Kollektiven der
Soundsystem- bzw. Clubkultur — von The Belleville Three
und Jenn Nkirus »Black to Techno« über Alexander Ghedi
Weheliyes »White Brothers With No Soul« zu Madison
Moores queerem Techno-Manifesto »Contents Under
Pressure« oder der Noisey-Dokumentation »Out and
Bad« über die LGBTQ+-Dancehall-Szene in London.
(Lukas Jakob Löcker)

 

Noch in der Straßenverkehrsordnung von 1960
war das »unbegründete Stehenbleiben« am Gehsteig
als Delikt vorgesehen. Die Beeinflussung bzw.
Verlangsamung des »Verkehrs« auf den Gehwegen
der Stadt konnte mit einer Verwaltungsstrafe
geahndet werden. (Moritz Pisk)

 

Die Idee des Black Atlantic nach Paul Gilroy ist für Club Culture zentral. Der Black Atlantic ist als Dynamik zu verstehen, eine Kraft und Bewegung expressiver diasporischer Kulturen, die sich aber nicht auf die Diaspora beschränkt. Diese prägte auch die Clubkulturen hierzulande – von HipHop bis Techno. Gilroy legte den Grundstein für eine andere Lesart der Moderne und von Musikgeschichte, denn diese beginnt für ihn mit der Sklaverei und dem Kolonialismus. Das utopische Potenzial des Black Atlantic entfaltet sich in seinen kulturellen Ausdrucksformen, die die Zwischenräume der Kulturindustrie kolonisiert haben. (Bianca Ludewig)

 

Das Streben nach kulturellen, gesellschaftlichen und
somit oftmals urbanen Freiräumen prägt die Stadtbilder der
Gegenwart seit den 1970er-Jahren. Im Häuserkampf trafen (und treffen)
Welten aufeinander. Die neoliberale Stadtplanung verfolgte lange
Zeit die Idee der »Entflechtung«, also der konsequenten Einteilung
der Stadt in funktionalistische Zonen. Arbeiten, Wohnen, Kommerz,
Produktion oder Freizeit, alles sollte streng getrennt und klar
zugeordnet sein. Demgegenüber steht die Idee der Stadt als Werkstatt,
als dynamische, multifunktional gewachsene Struktur. Erst durch
die Vielschichtigkeit und die Geschichte können
in weiterer Folge Freiräume jeglicher Art entstehen. (Moritz Pisk)

 

»In Bezug auf popkulturelle Freiräume können Hausbesetzungen
als eine Art von Aktivismus betrachtet werden, der alternative Räume
für künstlerische und kulturelle Aktivitäten schafft und dabei auch
den öffentlichen Raum neu definiert. Oft sind diese besetzten Räume
als Orte des kreativen Austauschs und des Engagements für
politische und soziale Veränderungen bekannt.« (ChatGPT, nachdem
der Begriff Häuserkampf von seiner kriegsstrategischen Bedeutung
auf seine urbane und aktivistische Anwendung hin konkretisiert wurde)

 

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Symposium

Reclaim! 
Clubnächte, Häuserkampf und urbane Freiräume

 

Mittwoch 28. Juni 2023, 17:00 Uhr
STWST Donaulände und Stadtwerkstatt

 

mit: Eugenia Seriakov, Bianca Ludewig, Chrislane Barros Bomfim da Silva, RAD Performance, Studierenden der Kunstuniversität Linz

Party und DJ-Line

Das Symposium findet als Kooperation von Kunstuniversität Linz und STWST statt:
 
Moritz Pisk bringt die Erfahrungen aus seiner Lehrveranstaltung »reclaiming spaces: Häuserkampf und Popkultur« ein, Lukas Jakob Löcker steuert das Wissen aus seinem Seminar »Sound: Klang & Gestaltung« bei. Mika Egal hat im ersten Halbjahr 2023 für die STWST die Reihe »Night Creature’s Deamons. Clubkultur im Kontext ihrer politischen Schlagkraft« kuratiert.

nightcreaturesdaemons.stwst.at
kunstuni-linz.at/Kulturwissenschaft.1401.0.html
kunstuni-linz.at/Mediengestaltung-Lehramt.7381.0.html

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