Draußen in der Welt ist allerhand los. Manches dringt zu mir durch in meinen Hühnerstall und in meinen Gemüsegarten. Es führt kein Weg daran vorbei: Die Rettung der Welt muss Chefsache werden, sonst funktioniert es nicht. Hühner sind wie viele meiner Mitmenschen nur einfache Diener. Die können das nicht. Corona, Ukraine-Krieg, der kleine Mann in Moskau, die kleinen Leute mit ihren Verschwörungsphantasien und dann noch die Wetterkapriolen. Okay, wenn es nur Kapriolen sind, dann ist der Spuk der Trockenheit bald vorbei. Aber glauben tue ich dieses vor Hoffnung nur so wabernde Gesülze nicht, auch wenn es aus meinem eigenen Munde kommt.
Wenn wir schon mal dabei sind: Sehen Hühner alle gleich aus oder ist diese Frage diskriminierend und eine Art von Hühner-Rassismus? Man neigt schnell dazu, »die anderen« und die sonstigen Fremden als gleich zu etikettieren. Das hilft, sich Orientierung im Dschungel des Alltags zu verschaffen. Aber falsch ist es trotz allem. Deswegen tun wir das hier erst gar nicht. Denn der in diesem Falle unvermeidliche – und leider belegbare – Vorwurf des Hühner-Rassismus käme so sicher wie seit 2000 Jahren das berühmte Amen in der Kirche. Und das wäre schlecht fürs Kleingärtnerimage. Da stehe ich lieber als Strahlemann auf dem Podest, als den intellektuellen Deppen zu mimen, dem die irdischen Freunde in Scharen weglaufen.
Davon ist aktuell der Gerhard Schröder betroffen. In seiner Blütezeit war er von 1998 bis 2005 Kanzler von Deutschland und hat mit viel prolligem »Basta« die Deutschen geführt. Und danach hat er einfach weitergemacht. Man könnte meinen, er wurde nie abgewählt. Er hat sich gut angefreundet mit dem kleinen Mann in Moskau, man besuchte sich gegenseitig, schenkte sich Rohstoff-Verträge und im Gegenzug Posten in Gremien russischer Firmen, Schwamm darüber. Jetzt sind »alle« in Deutschland mächtig sauer auf den Gerhard. Und keiner will ihn jemals gekannt haben. Die SPD nicht, deren Vorsitzender und Kanzler er war, die Grünen nicht, deren Koalitionspartner er war, die CDU nicht, die seine Russlandpolitik einfach fortsetzte und die FDP nicht, die einfach mitmachte und kassierte. Niemand macht mehr Selfies mit ihm. Gerhard ist ganz allein auf der Welt. Der Mensch ist sehr wandlungsfähig: Die, die ihm jahrelang den Hof machten, den roten Teppich ausrollten und sich in seiner Umgebung als freundliche Diener:innen des Neoliberalis-mus mit devotem Gang austobten, meiden jetzt seine Anwesenheit und kommen mit Geifern und Stänkern gegen ihn gar nicht mehr schnell genug hinterher.
Seine Männer-Dingsbums-Freundschaft mit dem kleinen Mann in Moskau gibt die Blaupause für die Empörung ab.
Die Deutschen sind komisch. Das sagen auch meine Hühner. Es ist immer gut, wenn man die Verantwortung auf andere abwälzen kann. Ja, schon richtig, Schröder ist unsympathisch und ein autoritär gestrickter Kotzbrocken. Nur, genau genommen war er das schon immer. Aber diejenigen, die JETZT gegen ihn pöbeln, haben ihm jahrelang die Stange gehalten, ihn angehimmelt und zum Teil unter seiner Protektion Karriere gemacht wie der aktuelle deutsche Präsident Frank Walter Steinmeier. Wo war denn der Protest der jetzigen Schröder-kritiker, als er in Deutschland Anfang der 2000er mit seiner SPD und mit den Grünen (!) zusammen die Agenda 2010 einführte, die den Reichtum von unten nach oben umverteilte, öffentliche Leistungen wie Sozialhilfe oder Renten reduzierte oder teilweise privatisierte. Mit all dem werden bis heute millionenfach Menschen nachhaltig in Armut gestürzt. Die Kritik kam damals von linksaußen, aber nicht aus der sozialdemokratisch-grünen Mitte der Gesellschaft. Jetzt mit der moralischen Axt auf ihn draufzuhauen, ohne die eigene devote Rolle von damals – und von heute? - zu thematisieren heißt nur, dass man weiterhin offen ist für den nächsten parteipolitischen Heilsbringer. Irgendwie schaffen es die Deutschen nicht ohne Kaiser, König, Gott und Chef. Dann sollen sie doch mich als Chef nehmen. Ich produziere schließlich das Futter für die Menschheit und ich kann gut mit Hühnern.
Der Ukraine-Krieg hat die nationalen Trommler des Guten in opulenter Breite nach oben gespült. Sie reden von guten Flüchtlingen, vom gutem Stopp der Energieimporte aus Russland, von guten Waffenlieferungen, von einer guten, kollektiven Reaktion des Westens, vom guten Staat, der das richtige tut und von der guten NATO ist die Rede. So viel Gutes war nie auf Erden. Da ist es selbst für einen gestandenen Kleingärtner wie mich schwer einen Platz unter all den Gutmenschen zu finden. Weitestgehend unmöglich ist es, diesen Chor der Millionen zur Ordnung zu rufen. Nicht wenige haben sich abgeschottet und gegen einfachste Fragen immunisiert – die Immunität gegen Corona ist dagegen noch lange nicht erreicht. Wer Fragen stellt, und ich meine damit nicht »alternative Fakten«, gehört nicht mehr zur Gemeinschaft der Guten.
Drei Praxistipps:
1. Sei vorsichtig, wenn Millionen Deutsche und Österreicher etwas gut finden.
2. Kriege sind von jeder Seite betrachtet schmutzig.
3. Der kleine Mann in Moskau ist ein großer Diktator, den der Siegeszug des Kapitalismus nach oben gespült hat. Dumm gelaufen.