Mittlerweile sind auch (Sicherheits-)Behörden und Journalisten in Deutschland dazu übergegangen, zwischen Reichsbürgern und Staatsverweigerern zu unterscheiden. Laut der Welt am Sonntag vom 23. Juli 2017, wo man aus einem vertraulichen Lagebericht des deutschen Bundeskriminalamts (BKA) zitiert, werden Reichsbürgern neuerdings »äußerste Gewalt« und auch »terroristische Aktionen« zugetraut. Im selben Lagebericht, ein paar Zeilen weiter, stuft das BKA Selbstverwalter dennoch gefährlicher als Reichsbürger ein: »Während Reichsbürger ein autoritäres Staatsverständnis haben und die Behörden zumindest grundsätzlich als notwendig erachten, lehnen Selbstverwalter (fremd-)staatliche Bevormundung ab und sind zum Teil bereit, ihre Autonomie auch mit Waffengewalt zu verteidigen.« Auch wird angemerkt, dass die Grenzen zwischen Reichsbürgern und Selbstverwaltern fließend seien.
Was man auf den ersten Blick für einen Widerspruch oder Begriffsklauberei halten könnte, folgt dennoch einer Logik: »Terroristische Aktionen« und »äußerste Gewalt«, die den Reichsbürgern laut BKA zugetraut werden, sind dem Staat zumindest nicht unvertraut und erscheinen ihm dadurch erstmal weniger bedrohlich. Doch dieser Erklärungsversuch allein würde sich schlicht blamieren. Reichsbürger, deren Handlungen vor allem darin bestehen, dass sie staatlichen Behörden wie Wüterichs gegenübertreten, sorgen mit ihrem Verhalten nicht nur für Aufsehen, sondern werden damit bei den Behörden regelrecht vorstellig.[1] Sie benötigen staatliche Institutionen geradezu als Abstoßungs- und Reibungsmoment, um daraus ihre Legitimation zu begründen. Man könnte glatt meinen, dass sie den Sprung zum klandestiner auftretenden Selbstverwalter nicht schaffen; sie halten dem virtuellen Stammtisch die Stange und lechzen nach persönlicher Geltung. Durch die Ablehnung staatlicher Autorität und dem Streben nach Autarkie, die, einmal erreicht, auch durch die Bereitschaft gekennzeichnet ist, sie mit Waffengewalt zu verteidigen, agieren Selbstverwalter tendenziell unter dem Radar staatlicher Sicherheitsbehörden.[2] Selbstverwalter, und so lautet die Botschaft des Lageberichts, entsagen grundsätzlich den Formen kapitaler Vergesellschaftung und setzen vor allem auf eines, auf Autarkie (und nicht etwa, wie vom BKA behauptet, bloß auf Autonomie). Damit treten sie in direkte Rivalität zum Staat, proklamieren eine alternative Form des Wirtschaftens und Lebens, spielen sich zum Gegensouverän auf.
Was dennoch Reichsbürger, Staatsverweigerer und Selbstverwalter eint, ist die Ablehnung des Staates und die vehemente Abwehrhaltung gegen staatlich geduldete Formen politischer Organisation – sei sie außer- oder parlamentarisch organisiert. Die schiere Unberechenbarkeit, die von diesen Querulanten ausgeht, ist dafür verantwortlich, dass auch rechtsextreme und -populistische Parteien, von NPD bis AfD über FPÖ, mit ihnen nicht auf Tuchfühlung gehen wollen, sondern sich ihrer schnellstmöglich entledigen. Johann Titz, Obmann der FPÖ-Ortsgruppe aus Bierbaum in der Steiermark, erklärte gegenüber der Krone, dass Österreichs wohl bekannteste Staatsverweigerin Monika Unger, die den Vorsitz des Staatenbund Österreichs innehat und selbst mit »monika:unger« unterschreibt, untragbar für seine Partei sei. Wo dennoch der Konnex zwischen Populismus und Querulantentum besteht, wäre erst noch zu zeigen.
Seit geraumer Zeit sprechen Österreichs Justiz und Medien, ganz anders als in Deutschland, von Staatsverweigerern, was nicht bloß eine alpenrepublikanische Idiosynkrasie darstellt, sondern erkennen lässt, dass man den Kern der Querulanten-Ideologie unlängst durchschaut hat und sie als politischen Feind seit dem vermehrten öffentlichen Auftreten denunzieren konnte – damit hatte man in Deutschland so seine Probleme und es kann für Souveränisten durchaus als Erfolg gewertet werden, dass man sie lange Zeit in die Spinner-Schublade steckte. Im österreichischen Graz werden hingegen gerade großangelegte Sammelprozesse gegen 165 Staatsverweigerer vorbereitet, acht davon sitzen derzeit in Untersuchungshaft.
Österreichs konsequente Souveränisten berufen sich überwiegend auf ein Naturrecht und behaupten, man könne das Statute Law als Privatperson (ähnlich einem Kaufvertrag) einfach aufkündigen, um fortan das eigens gesetzte Common Law geltend zu machen. So soll der Österreichischen Republik entsagt werden, sie sprechen vermehrt von sich selbst als Mensch. Die Idee von der Fortexistenz eines Großdeutschen Reiches findet sich in Österreich überhaupt nicht, dennoch hindert das die österreichischen Vertreter nicht daran, mit den deutschen Querulanten in diesem Anliegen zu sympathisieren. Viel häufiger als in Deutschland betreibt man südlich der Alpen Kommunen, freilich ohne dass die Sexualität – wie noch in den 1960er Jahren – zum zentralen Dreh- und Angelpunkt des autoritär-sittlichen Zusammenlebens wird. Ähnlich wie in der Schweiz verfallen die Querulanten in Österreich mehr der Anthroposophie, erwecken überhaupt nicht den Eindruck, militante Rechtsextremisten zu sein, was dennoch nicht heißen soll, dass sie nicht antisemitischen Verschwörungstheorien anhängen – ganz im Gegenteil. Sie erinnern viel mehr an die Hippiebewegung, sind allerdings – trotz spiritueller Hirtenführer – vollends desexualisiert. Einer der – wohlgemerkt! –Verfassungsgrundsätze des Staatenbund Österreichs lautet: »Jeder Mensch hat den Anspruch in Freiheit, Liebe, Freude, Glück, Wohlstand, Respekt, Würde, Achtsamkeit und Wahrheit auf Mutter Erde zu leben und seine Lebensaufgabe zu verwirklichen.«[3]
In Österreich existieren eine Reihe von Gruppierungen, die in Deutschland bislang keinen Fuß fassen konnten. Neben dem bereits erwähnten Staaten-bund Österreich, der die zentrale Vereinigung der neun Bundesländer darstellt und deren Vorsitzende auf Lebenszeit Monika Unger ist, gibt es Anhänger des One People’s Public Trusts (OPPT), das International Common Law Court of Justice Vienna (ICLCJV), einen »internationalen Justizgerichthof für Naturrecht, Menschenrecht, Völkerrecht und allgemeingültige Rechtssprechung«, und die Freemen on the Land (kurz Freemen).
Der OPPT, der seinen Ursprung in den USA hat, behauptet, dass alle Regierungen und Banken gepfändet seien, Anhängern versprach man zuweilen 10 Milliarden Dollar in Gold und Silber. Ihre horrenden Forderungen trugen sie in ein für jedermann zugängliches US-amerikanisches Schuldenregister ein; das notwendige Formular kann binnen Minuten digital über das Internet ausgefüllt werden. Da keine Regierung oder Bank auf die Forderungen reagierte, vertrat man die Auffassung, dass das einer ‚stillen Zustimmung‘ zu einem Vertrag entspräche. Demnach hätten alle Schuldner den erhobenen Forderungen zugestimmt. Im Anschluss sei es zur Zwangsvollstreckung der ausbleibenden Forderungen durch den OPPT gekommen und hiernach sei auch die Republik Österreich mittlerweile aufgelöst. Einer der Fürsprecher des OPPT in Österreich ist Franz Hörmann, der außerordentlicher Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien ist und für »zweifelhafte Aussagen über den Holocaust«[4] vom Dienst kurzzeitig suspendiert wurde.
Das ICLCJV macht seit Mitte 2014 von sich reden und glaubt unter anderem durch die UNO, Russland und dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag legitimiert worden zu sein, weil sie ihrer Gründung nicht binnen einem Monat widersprochen hätten. Zur weiteren Tochterorganisation zählt auch die International Sheriff Association, gemeinsam hatte man öffentlichkeitswirksam versucht, eine Rechtsanwältin, die eine Zwangsvollstreckung bei einem befreundeten Souveränisten durchführen sollte, auf einem Landgut, einem Bauernhof in Waidhofen-Hollenbach (Niederösterreich), juristisch zur Verantwortung zu ziehen und ihr den öffentlichen Prozess zu machen – 40 Sympathisanten waren dazu angereist. Im April 2017 verurteilte das Landgericht Krems sechs der acht Angeklagten, die dem Schauprozess auf dem Bauernhof beiwohnten, zu Haftstrafen bis zu 20 Monaten, davon 15 Monate bedingt.
Die Haftstrafen der österreichischen Justiz haben Teile der Staatsverweigerer zumindest vor Gericht kleinlaut werden lassen, wenn nicht sogar zur Einsicht bewegt, selbst einer Sekte angehört zu haben. Einzig die vom Staat ausgeübte Gewalt, die sie so beständig verdrängen, bläut ihnen ein, dass der Staat doch noch existiert und das Verhältnis zwischen Staatsbürgern und dem Staat selbst nicht etwa vertraglich aufgekündigt werden kann.
Freemen tauchten in den USA das erste Mal in den 1970er Jahren auf und berufen sich in erster Linie auf das Common Law. Sie hegen die Theorie, dass ein und derselbe Mensch in Person und natürliche Gestalt gespalten, die Person durch die Geburtsurkunde vom Staat konstruiert sei und jeder von Geburt an ein strawman-bank-account, eine Art persönliches Aktienpaket, auf das beständig Geld eingezahlt werde, besäße. Der Staat enthalte den Leuten das dort gehortete Geld vor, weshalb die natürliche Person darauf einen Anspruch erheben könne. Sobald sich jemand von seiner juristischen Person durch eine Lebendmeldung lossage, sodann nur noch seinen Vornamen benütze, könne er sich aller Schulden und gleichsam der Justiz entledigen, da der Staat nur die juristische Person haftbar machen könne. Diese Ideen werden von österreichischen Vertretern weitergesponnen, um immer wieder im Selben zu münden: der Leugnung des Staates.
Zentral ist für die österreichischen, aber auch die deutschen Souveränisten, die sich schon längst dazu entschlossen haben, der Logik des Staates zu folgen, dass sie sich – auf welchen Umwegen auch immer – auch durch äußerst konkrete Autarkiebestrebungen von der gängigen Praxis kapitalisierter Vergesellschaftung lossagen. Erfolgreichere autarke Gebilde versuchen alsbald selbst staatliche Aufgaben (Infrastruktur, Währung, Bildung usw.) zu übernehmen und rufen zuweilen – wie das Königreich Deutschland Peter Fitzeks – ganze Stadtverwaltungen dazu auf, in ihr bestehendes Reich zu übersiedeln. Komplementär zur Autarkie übt man sich in Österreich in einer naturverbundenen Ideologie; in Vorträgen über ökologische Gartenpflege, naturnahes Leben und spirituelle Energien wird Werbung für die Kommune gemacht. Lange harren die Selbstverwalter dort nur selten aus, folgt niemand dem obersten Souverän mit voller Bereitschaft zur Selbst-aufopferung – zu gerne ist man sein eigener Souverän. Wie es allerdings zur Transformation des Normalbürgers von heute in den Souveränisten von morgen kommt, wäre aber überhaupt erst noch zu bestimmen.