Culture and Nature Monotonia

Kukuruz is in the House, oder: Die elektrische Abschweifung. Die Showcase-Extravaganza STWST48x6 MORE LESS und einige exemplarisch genannte Projekte reflektiert Michel Trocken.

Die Stadtwerkstatt startete bereits mit dem Thema MORE vs LESS in den Jahresbeginn. Noch im Februar wurde mit diesem Claim ein Ausschreibungstext formuliert – für den Open Call des nun im September laufenden Formats STWST48x6 MORE LESS: »Vor dem Hintergrund von schreienden Ungleichgewichten, Verteilungskampf, Ressourcenknappheit, ökologischen Schranken, sozialen Fragen, Zugangsfragen, Zukunftsängsten, Umverteilungsversuchen, Selbstbeschränkungs-Visionen, Awareness-Prekariaten, vor der Kulisse von Gleichmacherei, Hyperfortschritt, Netzwerkphantasien, Totalüberwachung und einer Szenerie der Vielen gegen die Wenigen, dem Battle von Avantgarde, kritischer Masse und Mitte-Extremisten, vor all diesen scheinbaren und tatsächlichen Fragen eines Mehr oder Wenigers wollen wir mit STWST48x6 MORE LESS Prozesse und Projekte thematisieren, die den Unterschied machen.«

Mit diesem Hintergrund wird STWST48x6 MORE LESS, die nunmehr 6. Ausgabe der 48-Stunden-Showcase-Extravaganza, im September eröffnet, mit »Fragen zu Mehr-oder-weniger-Situationen, den Gegen-Gültigkeitszonen und Nicht-Nullsummenspielen der Zukunft«. Ohne Anspruch auf Antwort, ohne Abarbeitungspflicht per Auserklärung. Vielmehr geht es um rationale und irrationale Zugänge in größeren Kontexten, die durch Fragen eines »Mehrs, Wenigers und vor allem eines ANDEREN« motiviert sind. Im philosophischen Sinn ist das Andere als Per-se-Unbekanntes definiert und arbeitet sich allenfalls auf undurchsichtige Weise in bekannte Zonen hoch. Es ist das, was sich momentan in den gesellschaftlich hypergereinigten Bereichen vor allem fast schon schmutzig zeigen muss – abstrakt wie bildhaft gesprochen. Kurz gesagt: Unter den thematischen Oberflächen mehr oder weniger eines jeden Themas gilt es (für alle, die irgendwas auf sich halten), die Systeme (auch die eigenen), offen zu halten. Sonst bricht das weggedrückte ANDERE auf umso unerwartetere Weise durch, so oder so. Im Moment haben sich zudem Fragen des Mehr oder Wenigers, der Verteilung, der Zugänge oder der Ökologie, auf grotesk sichtbare Weise in den Vordergrund gearbeitet. Ich meine AUCH den Umgang mit dem »Virus« und seinen Auswirkungen. Und meine VOR ALLEM aber die Absurdität dieser ewigen Thematik des Mehr oder Wenigers, der eine viel grundsätzlichere und grundgütigere Abkehr vom Abarbeitungs-Absurdistan des Immergleichen bedeuten sollte, des ohnehin bereits schon Gekannten/Gewussten – in den allgemeinen gesellschaftlichen Systemen bis hinein in die Kultur; und auch hinsichtlich eines kollabierenden Fortschritts, bei dem wir (nach wie vor trotzdem) alle mitmüssen. Besser wäre stattdessen: Luft holen, Anlauf nehmen und etwa Innovation überspringen! Statt für gute Mitarbeit im schlechten System immer die gleichen Noten zu bekommen. Dass die gesellschaftlichen Ziele (so wie sie waren/sind, die des ewigen Wachstums etwa), mittlerweile ziemlich ausweglos ins Desaster führen – nämlich zB. in ein totalitär ökonomisch/technopolitisches, oder auch in ein allumfassend ökologisches Desaster, mag wider besseren Wissens, ça veut dire: einer tagtäglich mehrfachen Erinnerung daran, gerne verdrängt sein. Meine Hypothese ist zudem, dass diese Fragen des Mehr oder Wenigers, die sich nun noch stärker als Hyperaktivität oder Stillstand manifestieren (manchmal auch gleichzeitig), als Wellen hin- und herschwappen; und man bedenke in diesem Bild: Wo sich Wellen zeigen, sind Kräfte am Werk. In Anbetracht dessen, dass in der KI-Forschung von einer technologisch und ökonomisch gesteuerten High-End-Entwicklung die Rede ist, die sich potentiell zu einer ewig-statischen Diktatur der Algorithmen entwickelt, dürfen wir hoffen, dass, falls sich diese Wellen überhaupt je wieder beruhigen, wir dann auf der ewig-ruhigen See vom Google-, Amazon- und Lieferando-Schiff weiter halbwegs gut versorgt werden – auf dass wir paar Glücklichen, die (dann wie immer) auf Kosten von anderen leben oder überlebt haben, zufrieden dahinfloaten. Was kann so ein Sarkasmus bringen? Die Kritik geht tiefer als vermutet: Wir kritisieren den Kapitalismus, der fast überall Einzug gehalten hat, ohne denken zu können, was wir zum Wohle aller eigentlich wollen können (Wie auch? »Wir« haben keine Ahnung von »allen«; und sind mittlerweile nicht mehr nur die Verbraucher, sondern längst die Batterien im System: Mit unserer Währung Zeit und Emotion füttern wir das Netz). Wir backen in der Sandkiste kleine Kuchen des Widerstands (Das Kind daneben will nur spielen, haut mit seiner Patschhand drauf und lacht, wir Widerständigen rächen uns sogleich, aber am anderen Kind). Oder wir regredieren im Falle des Corona-Lockdowns direkt in ein neues Biedermeier (Eher mehr als weniger). Zwei kleine höchstpersönliche Beobachtungen/Überlegungen während des Lockdowns: Exkurs 1, Nichtstun: Es war erstaunlich, dass bereits wenige Tage nach dem Lockdown zahlreiche Texte, Kommentare, Newsfeeds in Umlauf waren, die merkwürdig hyperaktiv davon berichteten: »… endlich den Stapel Bücher lesen, … endlich die vielen noch ungesehenen Filme sehen … endlich wieder von vergessenen/ignorierten Freunden hören … endlich dies und das«. Schon nach 3 Tagen! Und die Sofortanalysen! Unglaubwürdig. Mir kam im Zuge dessen eine Studie in den Sinn, von der ich vor Jahren gehört habe. Das Setting war bestechend einfach, mit der Forschungsfrage: Tun Menschen, die zum Nichtstun gezwungen werden, tatsächlich lieber nichts, oder präferieren sie stattdessen einen (schwachen) Elektroschock, den sie sich selbst verpassen? Die meisten Probanden entschieden sich für den Elektroschock, was etwas überraschend war. Der Studie bin ich nicht nachgegangen. Bei einer nicht repräsentativen kleinen Erhebung unter Freunden kam ich aber zur selben Präferenz, bzw kam die Entscheidung, den »Buzzer« zu drücken, also die Tendenz zum kleinen Schock zumindest öfters als erwartet, und ja, sie kam mit lachendem Gesicht (Wenn wirklich très fade). Das sagt vielleicht etwas aus über die menschliche Verfasstheit, über des Menschen Zwang zu »Etwas«. (Im 17. Jh, Blaise Pascal: Das Unglück der Menschen kommt daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer sitzen können) … Man kann sich aber überhaupt auch fragen, warum der Elektroschock ein so beliebtes Mittel in der wissenschaftlichen Forschung zu sein scheint. Eine mir bekannte Kollegin schreibt momentan an einer SF-Conspiracy-Geschichte, die mit einem Abriss der Forschungen zur Elektrizität beginnt, bzw zu den Experimenten des 18. Jahrhunderts mit »tierischer Elektrizität« (Experimente mit Fröschen, Schnecken, Hunden etc). Den aberwitzigen Höhepunkt dieser grauenhaften Entwicklung stellte ein Experiment eines gewissen Giovanni Aldini dar, der einen menschlichen Toten mittels Elektrizität zum Leben wiedererwecken wollte, einen Mörder, der nach seiner Hinrichtung (für das Experiment) besorgt wurde. Beschreibung des Versuchs: »[Bei der Leiche wurde] ein heftiger, krampfhafter Atemzug ausgelöst. Die Augen gingen auf, die Lippen bebten …«. Das sorgte vermutlich weniger für tatsächliche Erkenntnis, aber für Aufregung. Besonders diese Experimente (samt ihrer öffentlichen Thematisierung durch die Anti-Vivisektionsbewegung Ende des 19. Jh.) haben der Wissenschaft einen anhaltenden Imageschaden beschert – als Kammer des Schreckens. Und ein etwas spielerischeres Beispiel zum Strom: Zum Zwecke des forschenden Amüsements hatten zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Kinder aus gutem Hause so genannte »Influenzmaschinen« zur Verfügung, das sind elektrostatische Generatoren zur Spannungserzeugung. …

Diese zwei Beispiele sollen andeuten, dass es eine zwar nur relativ kurze, aber dafür intensive Geschichte einer Gesellschaft gibt, die geradezu basal wie brutal auf Elektrizität (und Exploitation) aufgebaut ist. Und um auf den angesprochenen SF-Plot zurückzukommen: Hier geht es um schwache Schläge aus der »Entity«, die die Währung »E°mo« aus den Menschen herauslöst. Der Protagonist Nik ist schon zu Romanbeginn Autist, was in einer späteren Gesellschaft normal zu sein scheint. Er entwickelt sich aber nach und nach zu einem »Hyper-Feeler“ (»Autisten fühlen nicht zu wenig, sondern zu viel«), und er vermag über so genannte »Gefühls-Sensationen« die noch so feinen Empfindungen der »Sphärenleiter« spüren, die als elektromagnetisches Triggersystem quasi die Inter-Applikation des Netzes und seiner menschlichen und nicht-menschlichen Wirte darstellt. Und das, was der »Hyper-Feeler« dann wahrnimmt, riecht einerseits immer leicht verbrannt und permanent schwach nach Tod, andererseits wird dann nochmal komplett was anderes daraus – und mehr zu verraten wäre nun wirklich Spoilern. Warum ich das erzähle? Ich assoziiere mit dem permanenten Neu-Umrühren von Content im Netz denjenigen Brei, der, auch wenn er gut, glatt und appetitlich verrührt sein mag, letztlich nur ein Sinnbild des ultimativen Endes der absoluten Gleichförmigkeit darstellt, aus der nichts mehr entsteht, zumindest nicht aus sich heraus. Merke: Auch die Daten-Systeme müssen deshalb offengehalten werden, auf dass sie nicht in sich zusammenfallen. Und: Es gibt mittlerweile Daten von überallher, aus Kommerz, Verwaltung, Medizin, aber auch aus ökologisch-»biodynamischen« Zusammenhängen, bzw aus einer Forschung, die ins morgen produziert und die Wechselwirkung von Pflanzen und Organismen untersucht, also an einer Dateneinspeisung von »Natur« arbeitet. Die Frage, die bleibt: Wer zahlt den Preis? … Was mich zu meinem Lockdown-Exkurs Nummer 2 und ins heute zurückführt, einer kleinen, wahren Geschichte über die Birke und den Klimawandel. Mit dem Lockdown kam diese Nachricht, die während der Virus-Berichterstattung etwas unterging: Die Birke sei für AllergikerInnen heuer besonders schlimm, da sie in ihrem Überlebenskampf besonders viele Pollen ausstoße. Denn der Birke wird es in unseren Breiten zu warm. Seitdem komme ich nicht umhin zu denken, dass dieser ununterbrochene Daten-Spread, der Content-Blast, aber auch dieses andauernde Senden per Social Media, Stream und mit Corona noch mehr Stream nichts anderes als ein Überlebenskampf ist – einer Kultur, die ihren Big-Data-Metabolismus noch verzweifelt irgendwie zu befruchten oder befüllen versucht, während sie eigentlich schon stirbt (euphemistisch: sich verändert).


Mais und Maispflanzen im Haus der Stadtwerkstatt: Die Stadtwerkstatt zeigt im Eingangsbereich und an verschiedenen Orten des Hauses ein Natur- und Kultur-Monotonia als Inszenierung mit kritischer Agency.

Kommen wir damit auf das Programm der Stadtwerkstatt, das im September unter STWST48x6 MORE LESS und »48 Hours of Distributing Less« läuft. Ich greife diejenigen Projekte heraus, die ein Ökosystem referenzieren, das wir kennen. Im Frühjahr wurden in der STWST einige Körner Mais ausgepflanzt, wie es heißt »eher aus einem Zufall heraus«. Später folgten in der Stadtwerkstatt Testpflanzungen und Feldbeobachtungen und ein Austausch über ursprüngliche Anbaumethoden (»Die 3 Schwestern«, eine ideale Anbau-Kombination aus Mais, Bohnen und Kürbis). Die Pflanze ist eine der ältesten Kulturpflanzen der Welt. Ihre Kultivierung geht auf die Maya-Kultur zurück, die – nebenbei erwähnt – in ihren Schöpfungsmythen auch vom Maismenschen spricht, der nun die Erde bevölkert (nach den misslungenen Versuchen: Menschen aus Schlamm und Holz). Jedenfalls ist die Pflanze dann über die Jahrhunderte und Kontinente migriert, wie es aussieht, aus Amerika zuerst in einer globalen Bewegung Richtung Asien, um später nach Europa zu kommen. Nun ziehen Maispflanzen im Rahmen von STWST48x6 MORE LESS als »Natur« ins STWST-Gebäude ein, aber, Zitat Website STWST48, »nicht als wild-wuchernde, ‚freie‘ Natur, sondern als regulierte, optimierte, hochgezüchtete Monokultur« (sozusagen am möglichen Ende eines Maismenschen-Anthropozäns). Auf Nachfrage, was den Ausschlag für die Umsetzung gegeben hatte, O-Ton STWST: »In der Phase der Ideenentwicklung erzählte Stories handelten von Kindheitserinnerungen in den Feldern, vom Geräusch des Windes in den Blättern, von Verstecken, Rückzug, Orientierungslosigkeit und Rausch, von diversen alternativen Nutzungen oder gesehenen Filmen. Die Faszination ergab sich aber in höherem Maß aus einem Thema der kulturellen Monotonie, die wir als vermeintliche Natur wirken lassen wollten. Kulturelle Monotonie ist geradezu MORE LESS und darüberhinaus ein weitreichendes Thema. Es wirkt nach innen und wirft fast automatisch Fragen nach dem Anderen auf – und hier kommen die eingeladenen Artists mit ihren Arbeiten ins Spiel, wir bieten hier sozusagen ein Umfeld als Feld. Und: Es ergeben sich – bildhaft gesprochen – mit den monotonen Feldern auch Aspekte der Endlosigkeit und Weite, was sich alles zusammen im Rückbezug auf MORE LESS, oder auch LESS MORE, in viele Richtungen ausbreiten lässt.« Damit zurück zum Mais: Insgesamt schließt sich mit der auf der Webseite erwähnten »kritischen Agency« ein Kreis »vom Maisanbau früher Kulturen über einen DIY-Anbau bis zur Hochertragsgeschichte von Monsanto«. Die Pflanze ist schließlich hochtechnologisierte Nutzpflanze, geradezu Gentechnik-Testimonial. Diese agrikulturellen Kontexte lassen sich auch in anderen Arbeiten finden, etwa in Julian Stadons »Maize_Matze«. Die Arbeit visiert konkret die Big-Data-Policy von Saatkonzernen wie Monsanto an, die mittlerweile auch DIY-Daten-Grids anzapfen. Maize_Matze erzeugt über eine in der STWST befindliche Maiskultur audiovisuelle Daten, die per verschiedener Kanäle als kommunikatives Labyrinth angelegt werden. Gut. Eine »kritische Agency« läuft auch als STWST-Projekt, über einen Haufen Mais-Silage ab: »48 Hours Redistribution – Don’t touch« zeigt einen Haufen zerkleinerten Mais. Es wird ein Mengenaspekt aufgegriffen: Es geht um Fragen der großen oder kleinen Mengen, des Mehr-oder-Wenigers sowie der Verteilung. Es wird hier, mitten im Viehfutter gleichverteilt und wieder angehäuft. Die Themen der Verteilung treffen hier »auf natürliche Verstoffwechslung und ein abstraktes Statement einer gärenden Kunst-Silage« (Website). Gärung findet sich wiederum auch im Projekt »Hyper Informed Dough«, bzw spiegelt sich mehrere Produktions- und Distributionsfragen auch im Social Kitchen Act »MAKE BREAD. EAT PICKLE.« – aber auch dazu mehr auf den Netzseiten. Erwähnenswert sei hier noch, dass die »Glashausfantasie 6«, eine Arbeit der Freundinnen der Kunst, nicht nur Aspekte des Gewächshauses aufnimmt, sondern im transparenten »Glashaus« über 48 Stunden eine Popcorn-Maschine laufen lässt. Hier begibt sich das Popcorn – sozusagen als Basisnahrung des Kinos – ins Basislager unserer Kulturindustrie: zur Illusion und in die Traumfabrik.

Diese hier nur exemplarisch genannten wenigen Projekte bilden Bezüge über das verwendete Material. STWST48 ist eine Showcase-Extravaganza, die externe Artists mit ihren Arbeiten einlädt, ebenso wie sie assoziierte ProduzentInnen zeigt und die unterjährig entwickelten STWST-Schienen präsentiert. Anknüpfungspunkte innerhalb der insgesamt etwa 20, sowohl in ihren Medien als auch Aussagen sehr unterschiedlichen Arbeiten sind weitläufig vorhanden und pendeln thematisch innerhalb eines – zum gegenwärtig Zeitpunkt in der STWST schon als Testbepflanzung vorhandenen – Monotonias, erfrischend grün zwischen Post-Anthropozän, Ctenocene, Hyper-Information, Sound-Transformationen, gärenden Metabolismen und den Abstraktionen des Rationalen und Irrationalen. STWST48x6 MORE LESS ist antithematisch angelegter Natur- und Kultur-Modus, immer bereit, das Material und die Medien gegen sich zu wenden. Und der Stream dazu kommt vom Grund des Flusses. Watch out for LESS MORE.

Der Text wurde von unserem hauseigenen STWST-Bot aus dem Französischen übersetzt.

Die zitierte Website: stwst48x6.stwst.at

Komm ins offene Feld, Freundin. (Bild: Tanja Brandmayr)