Der öffentliche Raum und das offene Ende

»Die STWST als öffentlicher Raum« hat 2017 in seiner Umsetzung gestartet, eine erste Phase hat im Herbst 2018 seinen Abschluss gefunden. Zwischenbericht eines unabgeschlossen bleibenden Projektes: Tanja Brandmayr über einen künstlerisch-wissenschaftlichen Research im Haus STWST.

»Die Stadtwerkstatt als öffentlicher Raum« wurde in seiner Praxisphase im letzten Winter als ein über mehrere Monate angelegtes zirkulierendes Recherche- und Kunstprojekt in den Öffentlichkeitsbereichen des Hauses der STWST umgesetzt. Das Projekt wurde 2016 anlässlich einer Projektaus-schreibung der Stadt Linz zum Thema »Öffentlichkeit und Verdrängung« konzipiert. Anlass war zu dieser Zeit ein feststellbarer Peek von Problem-lagen in den Öffentlichkeitsbereichen des Hauses, speziell während der nächtlichen Ausgehzeiten am Wochenende, die gleichzeitig vielerorts in der Stadt spürbar waren. Die Stadtwerkstatt hat in der Einreichung argumentiert, dass wegen der weitgehend offenen Zugänge des Hauses nicht nur ein Umgang mit diversen Situationen gefunden werden muss, sondern dass zunehmend Verdrängungen aufgefangen werden, die anderswo in der Stadt passieren. Um das Thema offensiv voranzutreiben, wurde der Ansatz gewählt, die Stadtwerkstatt und das Cafe Strom als denjenigen Freiraum zu untersuchen, als der er über Jahre funktioniert: als ein über informelle Regeln und Verhaltensweisen durch STWST-MitarbeiterInnen, aber auch durch assoziierte Vereine, Partner, Projektmitwirkende, Kooperationspartner, bis hin zu den Gästen des Cafe Stroms mitbestimmter und getragener Ort einer heterogenen Szene; oder auch schlichtweg: einer offenen Gesellschaft. Um dem Vorhaben diejenige soziale Härte zu geben, die die Realität mit sich bringt, wurde im Projektzusammenhang auch fallweise von einem Territorium der offenen Gesellschaft gesprochen – in deutlicher Paradoxie des Territoriums-Begriffes. Und klarerweise als Statement, dass gesamtgesellschaftliche Lagen in größeren Dimensionen zu denken sind. Was schlussendlich bedeutet, dass Verdrängungen und die daraus resultierenden Probleme sehr weit zusammenhängende, komplexe und auch drastische Angelegenheiten sind, die in letzter Konsequenz über Stadt- und Ländergrenzen und überhaupt weit gedacht werden müssen. Im Zuge einer Auseinandersetzung mit relevanten Claims, die die Situation zusammenfassen, wurde der ebenso doppeldeutige wie vielsagende Satz »Bis jetzt ist alles gutgegangen« aus dem Mathieu-Kassovitz-Film »Hass (La Haine)« entlehnt. Ergänzt vor allem auch um den Schlusssatz des Films: »Dies ist die Geschichte einer Gesellschaft, die fällt. Aber wichtig ist nicht der Fall, sondern die Landung«. Und während der Recherchen und Projektarbeiten ist außerdem ein anderer Satz aufgetaucht, der im Prinzip das bekannte Grundübel aller Probleme benennt – das der sozialen Ungleichheit, und der Verschärfung der sozialen Ungleichheit. Weiters benennt er eine bestimmte, historisch bereits sehr lange andauernde Kultur des Umganges damit: »Wenn Sie in einer Zeit, in der Armut die Quelle des Reichtums ist, darauf bestehen, die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu leugnen, leben Sie sicher in einer Kultur, aber es ist eine Kultur der Verdrängung.«

Zum Ablauf. Mehrere Recherchen, kommunikative Prozesse und Interventionen leiteten das Projekt ein, bzw begleiteten es. Selbstverständlich standen am Beginn der Umsetzung zahlreiche Gespräche der HausmitarbeiterInnen, denen Gespräche mit externen ExpertInnen folgten. Diese inkludierten wissenschaftliche, sozialarbeiterische bis künstlerisch-performative Aspekte sowie Aspekte von Raum und Raumnutzung. Die teilweise offenen Zugänge und nicht-kommerziellen Zonen sind dabei ein Spezifikum des Hauses. Positiver Grundtenor in den Rückmeldungen war, dass kein Projekt wie dieses bekannt sei, eine übrigens immer noch andauernde Reaktion. Mit dem praktischen Projektbeginn ist ein Text in der Versorgerin vom Dezember 2017 erschienen. Die größere Thematik ist im März 2018 auch in das Diskursformat »Strom um sieben« eingeflossen. Als Prolog wurde am Vortag der oben erwähnte Film »Hass« (La Haine) von Mathieu Kassovitz gezeigt. Im Kern der ersten Praxisphase stand aber, dass über die Wintermonate 2017/18 die Öffentlichkeitsbereiche des Hauses zur wissenschaftlich-performativ zirkulierenden Recherchezone erklärt wurden: Die Recherchen erfolgten unter externer Mitwirkung einer soziologischen, sozialarbeiterischen und performativen Position. In Folge waren eine Soziologin, eine Sozialarbeiterin und insgesamt acht PerformerInnen in gemeinsamen, unterschiedlichen Zusammensetzungen über einen Zeitraum von mehreren Monaten jeweils Freitag- und Samstagnacht in den Öffentlichkeitsbereichen des Hauses unterwegs. Die Art der Zusammenarbeit und der Projektentwicklung gestaltete sich durch Absprache der Rahmensetzungen der grundsätzlichen Zielsetzungen und der Orientierung über den multidisziplinären und multimethodischen Zugang. Wesentlich für das Gesamtprojekt war der bewusst offen angelegte Recherchezugang der Prozessorientierung innerhalb einer zirkulierenden Recherche. Ein Spezifikum war der (halb)öffentliche Rechercheraum. Das Projekt gestaltete sich weiters durch Diskussionen der künstlerischen wie methodischen Potentiale des Gesamtszenarios von »Die Stadtwerkstatt als öffentlicher Raum«. So waren alle TeilnehmerInnen aufgerufen, sich zuerst über längere Zeit natürlich, dh. auf eine nicht besonders intendierte Weise in der Fortgehzone zu verhalten. Jedweder Konstruktion von vorgefassten Blickwinkeln sollte dadurch vorgebeugt werden. Es ging ebenso um zweckfreie Aufzeichnungen, die nicht publikationstauglich verfertigt werden mussten. Es ging alles in allem darum, sämtliche primären Blicke und Zwecke vorerst so gut wie möglich auszuschalten, um unverstellten kommunikativen Rückfluss von unterschiedlichen Reflexionen zu ermöglichen. Ohnehin ist ein solcher Zugang einer forschenden Seriosität gegenüber dem komplexen Untersuchungsgegenstand einer äußerst heterogenen Sozietät geschuldet, besonders aber einer Paradoxie der Situation, des Spezifikums der Recherche zu nächtlichen Ausgehzeiten und in gewisser Weise einer Recherche, die über Stunden dann erfolgen sollte, wenn für andere der Exzess mitunter zum Programm eines gelungenen Abends gehört. Hier musste ein legitimer methodischer Zugang hinsichtlich der eigenen Positionierung angepasst werden. In Anbetracht dessen wurde die naheliegende Methode der teilnehmenden Beobachtung zugunsten der Teilnahme verschoben. Das heißt, in methodischer Weiterführung: es ging sehr stark um die Beobachtung der eigenen Person als exemplarische Position im Geschehen. Insofern wurde der Aspekt einer Observation – der unbedingt zu vermeiden war – in Richtung Beobachtung von eigenem Verhalten verschoben. Und auch wenn dies nicht immer und bei jedem sich ergebenden Gespräch Sinn gemacht hat: Der Grund der Anwesenheit konnte und sollte bei Bedarf von den Mitwirkenden offengelegt werden. Zumal im Laufe des Projektes einige der Mitwirkenden bereits erkannt wurden – und sich somit ein eventuell so zu bezeichnender Beobachtungsaspekt durchaus auch umgekehrt hatte.

Zum Prozess. Der Ansatz insgesamt führte im Umsetzungsverlauf zu Reflexionen und Ergebnissen, die in den Gesamtkontext des Projektes eingeflossen sind, bzw im Sinne einer weiterführenden wissenschaftlichen wie künstlerischen Bearbeitung immer noch rückfließen. Im sozialen Kontext konnten im Laufe des Recherchezeitraumes Ergebnisse erzielt werden, obwohl dies nicht primär intendiert war. Die seitens der wissenschaftliche Recherchen durch zwei junge Sozialwissenschaftlerinnen situativ und subtil entstandenen Gespräche oder Kontaktaufnahmen, die sich innerhalb dieser Monate ergeben haben, scheinen sich im vergangenen Winter als indirekt wirkungsvoll erwiesen zu haben – vermuteterweise gerade durch ihre nicht direkt intentionale Ausrichtung einer wie auch immer zu verstehenden »Verbesserung«. Möglicherweise entstand diese aber gerade durch eine Subtilität der Anwesenheit, durch Faktoren wie Wahrnehmung und Präsenz. Der soziale Komplex ist allerdings mannigfaltig, komplex gelagert und das soziale Gefüge in ständiger Bewegung, aber dazu noch weiter unten.
Im Kontext der performativen Recherchen wurde im Gesamtprojekt und hinsichtlich der künstlerischen Herangehensweise ein anderer bzw zusätzlicher Zugang intendiert: In einem Ausgeh-Szenario, das an sich durch Selbstausdruck und als mit diversen sozial bis exzessiven Absichten angefüllter performativer Raum zu verstehen ist, wurden nach der ersten Phase der Recherche von den beteiligten PerformerInnen mehrere Szenarien entwickelt. Hier führte das Befragen der eigenen Rolle und die Selbstrecherche des persönlichen Handlungsspielraumes in eine Überprüfung von erweiterten performativ-künstlerischen Handlungsspiel-räumen. Das heißt, dass performative Aktionen gesetzt wurden, in denen Individuen auf die eine oder andere Weise aus dem Rahmen gefallen sind. Das Spektrum reichte von unüblichen Bewegungsmustern, Raumwegen bis hin zu paradox inszenierter Gestik und Kontaktaufnahme, deren Wirkung reflektiert wurde. Der performative Zugang kann im Sinne der offensiven Erweiterung von Spielraum gelesen werden – statt der üblichen Reaktion einer simplen Reglementierung. Und auf einer künstlerisch-theoretisch reflektierenden Ebene kann eine solche Herangehensweise seitens der Stadtwerkstatt auch als intendierte »performative Erhöhung von Komplexität« benannt werden – an einem Ort, der bereits von sich aus als performativ zu lesen ist. Dies lässt sich in einem größer angelegten, bestehenden künstlerischen Zusammenhang einiger Projekte der Stadtwerkstatt lesen, der die Umdefinition von Kontexten, Zusammenhängen und Widersprüchen zu konsistenten oder auch widersprüchlichen »Performern des Gesamtzusammenhangs« untersucht. Was möglicherweise relativ abstrakt klingt, bedeutet ganz real etwa, dass sich im Winter 2018/19 die »realen Performer des Gesamtzusammenhangs« und somit die Situationen und Territorien neu darstellen: Was das Haus betrifft, zeigt sich neuerlich, dass hier etwas aufgefangen werden muss, was auch mit diversen errichteten »Schutzzonen« in der Stadt zu tun hat, dh schlichtweg mit der Abdrängung von Problemen. Damit zeigen sich im Herbst 2018 neue handelnde »Performer des verdrängenden Gesamtzusammenhangs«: Law-and-Order-Stadtpolitiker, polizeiliche Schutzzonen gegen Kleinkriminalität und/oder gefühlte Unsicherheit, neue territoriale Stadträume, neue Verdrängungen, und Wetterlagen mit Temperaturen um den Nullpunkt.

»Es gehört zu den Paradoxien von Teilen des künstlerisch-theoretischen Milieus, von Orten wie der Hinsenkamp-Passage angezogen zu werden«, so schreibt Georg Wilbertz in seinem, auch in dieser Versorgerin veröffentlichten Text über das Projekt HinsenkampLabor. Das Projekt hat sich mit dem der Stadtwerkstatt sehr naheliegenden »Angstraum« und der nunmehrigen polizeilichen Schutzzone Hinsenkamp-Unterführung beschäftigt. Auch dort wurden künstlerisch-theoretische Interventionen initiiert. Über einen möglichen Effekt zwischen Kunst und öffentlichem Raum-Soziotop heißt es im Text weiters: »[Es] wurde nochmals deutlich, dass künstlerische Auseinander-setzungen mit kritischen öffentlichen Räumen zwar ein hohes Ideen- und Impulspotential entwickeln können, es allerdings äußerst schwierig ist, die tatsächlichen Effekte zu erfassen, zu beschreiben und zu qualifizieren. In diesem Sinne kann Kunst nicht ‚heilen‘.« Im Haus der Stadtwerkstatt, das nun nicht nur temporär »anziehend für einen Teil des künstlerisch-wissenschaftlichen Milieus« ist, wie Georg Wilbertz treffend beschreibt, sondern geradezu dieses Milieu ist, und zudem ein Milieu anzieht, das andernorts verdrängt wird, weiß man darüber; auch darüber, dass soziale Realitäten nicht zwingend eine künstlerisch-theoretische Herangehensweise brauchen, und sich oftmals Kunst und Theorie verweigern. Ein derartiger Kurzschluss wäre aber ohnehin sowohl ein soziales als auch ästhetisches Grundmissverständnis. Denn dass einzelne Kunstprojekte oder sonstigen Einzelaktionen -da wie dort- keine sozialen Probleme zu lösen imstande sind, die oft genug in einer Vielzahl von global-kapitalistisch Prekarisierungsbewegungen begründet sind, liegt auf der Hand. Allerdings hat sich das Haus Stadtwerkstatt als gesellschaftlich emanzipativer Ort hier über viele Jahre ein Wissen erarbeitet, das Herangehensweisen anders ermöglicht. Diese Erfahrung stammt auch aus dem direkten und indirekten Rückfluss von Praxis, Kunst und Theorie in die Öffentlichkeitsbereiche des Hauses – und umgekehrt. Das bedeutet in einem verantwortlichen Sinn gelebte tägliche Praxis von allen HausmitarbeiterInnen und Departments und neue Herausforderungen – in einer per se offenen Weise eines »an sich Unabgeschlossenen«. Zum anderen bedeutet es auch, den Sachverhalt der Verdrängung zu benennen und vermischt weiterzubearbeiten – und dies ist mit künstlerisch-theoretischen Mitteln durchaus möglich und notwendig.

Zur Weiterführung. 2018 sind dementsprechend außerdem künstlerisch-wissenschaftliche Arbeiten umgesetzt worden/in Planung, die sich - sozusagen zusätzlich - aus dem Projektkontext entwickelt haben. Eine bereits abgeschlossene Arbeit ist etwa die Diplomarbeit von Silke Grabinger am Institut für Zeitbasierte Medien, die aus der perfomativen Involvierung in das Projekt »STWST als öffentlicher Raum« entwickelt wurde. Neben Arbeiten der beiden soziologisch und sozialarbeiterisch Mitwirkenden, die sich in unterschiedlichen Phasen der Bearbeitung/Veröffentlichung befinden, ist als mögliche Theorie- und Praxisphase eine weitere Kooperation mit der Kepleruni-versität im Gespräch. Außerdem ist aus den schriftlichen bis audiovisuellen Notizen umfangreiches Material entstanden, das in die interne Kommunikation zurückgeflossen ist. Potentiell ist also eine künstlerische Weiterbear-beitung des Projekts angedacht – in weiterer künstlerisch-theoretischer Zirkulation. Im November wurde in den frühen Abendstunden im Cafe Strom die szenische Lesung »Social Sleep« performt – im Rahmen der Langen Nacht der Bühnen und als letzter Teil des Projekts in seiner ursprünglichen Konzeption, wie es beim Sonderfördertopf LINZimPULS eingereicht wurde. Das größere Textkonzept wurde dabei in vorerst fünf Stück-Kapiteln angelegt: Im Rahmen der szenischen Lesung von »Social Sleep« wurde das erste Kapitel »Fortgehen« gelesen und performt. Die methodische Herangehensweise einer oben genannten »Verschiebung einer teilnehmenden Beobachtung in Richtung Beobachtung der eigenen Position« wurde in der methodischen Bearbeitung konsequent weitergeführt – in eine Weiterführung der Widersprüche in die Individuen hinein: Zum einen soll gezeigt werden, wie brutal die gesellschaftlichen Widersprüche in die Individuen hineinverlagert wurden, die in diesem Fall in der Nacht und in einer Fortgehzone eines Reality-Dancefloors unterwegs sind. Dies kann mit offensichtlichen wie unerwarteten Erkenntnissen aus der Fortgehzone untermauert werden – etwa mit einer überraschenden Erkenntnis, dass hier Menschen in den Öffentlichkeitsbereichen des Hauses unterwegs sind, denen es andernorts »zu laut« ist und die laut eigenen Aussagen »Ruhe suchen«. Quasi mit dieser Erkenntnis und gleichzeitig konträr zur nächtlichen Ausgehzone wurde in der ersten künstlerischen Umsetzung einer Textmontage, die vermischte Texte aus dem Projektkontext inkludierte, ein »Sleep Dance« performt. Zum anderen können hier die Diskrepanzen derjenigen offengelegt werden, die sich einer Untersuchung dessen angenommen haben und deren widersprüchliche Reaktionen von Ohnmacht bis Offensive reicht. Diese Dinge in ihrer Komplexität erfassen zu wollen, bzw darüber ein Stück schreiben zu wollen, fühlt sich bereits jetzt schon so an, als ob man ein Quantencomputer des Sozialen, des Politischen und Gesellschaftlichen werden müsse, quasi eines Mikrokosmos, in die sämtliche Faktoren hineinspielen. Insofern, in diesem Sinne: So ist die Aufgabe. To be continued.

stwst.at, stoer.stwst.at
 

Social Sleep und der Quantencomputer des Sozialen (Foto: Sandrik)