Till Schmidt: 1967 hielt Theodor W. Adorno auf Einladung des Verbands Sozialistischer Studenten Österreichs an der Wiener Universität den Vortrag »Aspekte des neuen Rechtsradikalismus«. Zu dessen Veröffentlichung als Buch haben Sie ein Nachwort verfasst. Könnten Sie zunächst den historisch-gesellschaftlich-politischen Kontext von Adornos Vortrag skizzieren?
Volker Weiss: Adornos Vortrag fand vor einem konkreten Hintergrund statt: Die 1964 gegründete NPD hatte sich als erfolgversprechende Sammlung einer zuvor in viele kleine Gruppen zersplitterten äußersten Rechten in Deutschland erwiesen. Nach Erfolgen bei mehreren Landtagswahlen gab es Befürchtungen, dass sich die Partei durch die anstehenden Wahlen 1969 auch im Deutschen Bundestag etablieren könnte. Um die Bedeutung dieser Erfolge der NPD zu beurteilen, muss allerdings bedacht werden, dass die damit herausgeforderte CDU damals noch ein wesentlich schärferes rechtes Profil hatte als heute. Außerdem war die Gesellschaft spürbar in einem Wandel begriffen. Immerhin regierte seit 1966 eine Große Koalition. Die NPD war die Kraft, die den Widerstand gegen diese Modernisierung zu bündeln versuchte. Anders als heute setzte sich damals allerdings der Fortschrittsgeist durch, und die Veränderungen mündeten in der sozialliberalen Regierungskoalition nach 1969.
Inwieweit passt Adornos Vortrag zur Tradition einiger Kritischer Theoretiker, nicht nur durch akademische Arbeiten zu glänzen, sondern auch als öffentliche, fast schon tagespolitisch eingreifende Intellektuelle aufzutreten?
Natürlich unterscheidet sich der Vortrag stark von dem, was sonst mit Adornos Spätwerk verbunden wird, etwa der »Negativen Dialektik« oder den Arbeiten zur ästhetischen Theorie. Dennoch sticht diese tagespolitische Intervention nicht so aus dem Werk heraus, wie mitunter behauptet wird. Entgegen des heutigen Images der Kritischen Theorie als Ausdruck des akademischen Elfenbeinturms waren ihre Protagonisten in ihrer Zeit äußerst weltzugewandt. Adorno hat immer wieder die Öffentlichkeit gesucht und sich zu gesellschaftlichen Ereignissen geäußert. Hier sind wohl die vergangenheitspolitischen Interventionen am wichtigsten. Daher lese ich Adornos Vortrag von 1967 auch als Fortsetzung von seiner berühmten Rundfunkrede »Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit« aus dem Jahr 1959, von der er im Rechtsradikalismus-Vortrag einige Motive weiterführt.
Welche Motive sind das?
Die gesamte Frage der gesellschaftlichen Rahmung, die sich in dem knappen Jahrzehnt zwischen den beiden Vorträgen nicht grundlegend geändert hat, klingt an – auch wenn sie im Vergleich zu anderen Ausführungen Kritischer Theorie über die sozio-ökonomischen Bedingungen kursorisch bleibt. Daraus resultierend dann natürlich die Figur der »autoritätsgebundenen Persönlichkeit«, die ja ein zentrales Element in den Faschismus-Analysen des Instituts für Sozialforschung (IfS) darstellte. Zu den in beiden Vorträgen wichtigen Motiven zählt übrigens auch die Bedeutung des Antikommunismus in der bundesdeutschen Identität, die so manchem Nazi einen bemerkenswerten Flaggenwechsel zur Demokratie ermöglicht hatte und in beiden Vorträgen einigen Raum einnimmt.
Gibt es noch weitere Motive, die in beiden Vorträgen eine zentrale Rolle spielen?
Ebenfalls wichtig ist die Frage nach dem Gewicht der nicht-öffentlichen Meinung. Sie ist es ja, die von den rechten Bewegungen organisiert werden kann. Das lebt bis heute in der Behauptung fort, etwas »nicht sagen zu dürfen«. Eng damit verbunden ist die durch die Niederlage und das Bekanntwerden der Verbrechen gekränkte nationale Eitelkeit, der »kollektive Narzißmus«, der ja bereits das bürgerliche Subjekt angesichts seiner technologischen Überflüssigwerdung umtreibt. All diese Motive bilden Brücken zwischen den Texten bzw. Vorträgen.
Worin unterscheidet sich Adornos Zugang im Wiener Vortrag von dem in »Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit«?
Insgesamt ist die »Aufarbeitung« wohl der dichtere Text. Im Wiener Vortrag schlägt sehr die freie Form durch. Das macht ihn
allerdings auch zugänglicher. Er ist weniger grundsätzlich, mehr von einer damals unmittelbaren Aktualität gekennzeichnet, eben
tagespolitisch motiviert. Ein wesentlicher Unterschied besteht schon darin, dass sich Adorno 1957 noch gar nicht über die Formen des organisierten Neofaschismus äußern wollte. 1967 hingegen machte er sie zum Hauptthema.
Könnten Sie das erläutern?
In der »Aufarbeitung« prägte Adorno die berühmt gewordene Sentenz, nach der er »das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie« erachtet. In unserem Kontext wichtig ist nun allerdings auch noch der Nachsatz, wonach »zwielichtige Figuren« wiederkehren können, »weil die Verhältnisse sie begünstigen«. Die NPD, das hob Adorno in Wien hervor, hatte jetzt – begünstigt durch die Verhältnisse – den neuen Weg gefunden: »Das offen Antidemokratische fällt weg«, wie Adorno die neue Selbstdarstellung der Rechten charakterisiert. Mehr noch, als Antidemokraten werden nun die anderen denunziert – die sich dem in der NPD organisierten vermeintlichen Volkswillen entgegenstellen.
In der »Aufarbeitung« steht die Frage nach dem Umgang im Zentrum, in Wien, so könnte man sagen, spricht Adorno bereits über die konkreten Konsequenzen dessen, dass man einen angemessenen Umgang nicht gefunden hatte. Beide Texte werden vom Bewusstsein getragen, dass es historische Kontinuitäten gibt, die vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Das bedeutet übrigens auch, dass man sich der Vergangenheit nicht einfach wird entledigen können. Adornos Anmerkungen zu ihrer »Aufarbeitung« sind ja auch kein gedenkpolitischer Fahrplan, sondern zunächst einmal eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wunsch überhaupt.
Inwiefern?
Der Wunsch nach »Aufarbeitung der Vergangenheit« ist für Adorno einerseits verständlich, weil, wie er in der ihm typischen Syntax formuliert, »unter ihrem Schatten gar nicht sich leben läßt«. Diese Erkenntnis führte schon direkt nach dem Kriegsende zum Wunsch nach einem Schlussstrich, und in dieser Bedeutung ist Adorno der Begriff »Aufarbeitung« erst einmal verdächtig. Er möchte zudem keinen »Schuldkomplex« kurieren, sondern legt Wert darauf, dass es eine tatsächliche historische Schuld gibt, der man sich nun mal stellen müsse. Um diese Momente komme eine tatsächliche Auseinandersetzung nicht herum. In der »Aufarbeitung« geht es also noch stärker um Nationalsozialismus, Shoah und Krieg sowie die Frage, mit welchen Strategien diese von den Deutschen nach der Niederlage rationalisiert oder gar »vergessen« wurden. Da spielte das Bedürfnis nach Rechtfertigung und Verniedlichung eine große Rolle. Verleugnungen, Aufrechnungen und Verteidigung gegen Kritik, die so gar nicht erhoben wurde. Wie wenig das alles an den Kontext der 50er Jahre gebunden war, zeigen übrigens die Reden von Björn Höcke oder das Verlagsprogramm von Antaios. Dessen antisemitischer Bestseller »Finis Germania« liest sich streckenweise wie ein Traktat aus den Fünfzigerjahren.
Und was stellte sich für Adorno als das Neue am »neuen Rechtsradikalismus« dar?
Mit der NPD hatte Adorno in seiner Wiener Analyse schon eine neue Generation rechter Akteure vor Augen, die nicht mehr unmittelbar historisch beteiligt waren. Er weiß also, zwischen den, wie er es nennt, »Kaders alter Nazis« und den jüngeren Wählern zu unterscheiden. Für Adorno war der Rechtsradikalismus der 1960er Jahre also weder vollkommen neu noch einfach eine Wiederholung. So ist für ihn die NPD nicht einfach als Wiedergängerin der alten Nazis zu verstehen, sondern durchaus als eine Partei, die in die damalige Zeit passt. Entwicklungen sieht er im Klassencharakter der NS-Bewegung und ihres »industriellen Backings«. Die NPD hingegen war in dieser Hinsicht längst nicht so etabliert wie die NSDAP. Gleichwohl zählt Adorno Motive auf, die sowohl in der NSDAP als auch in der NPD zum Tragen kommen. Das sind vor allem Propagandatechniken, die Behauptung, man dürfe sich ja nicht frei äußern sowie der Drang nach nationaler Größe.
Welche Propagandatechniken sind das?
Ganz wesentlich ist hier das Element der Übersteigerung, der Überbietung. Adorno benutzt hier das schöne Wort vom »Angedrehten«, das dem »pathischen Nationalismus« innewohne und sich heute in der Klage über den angeblichen Souveränitätsverlust Bahn breche. Diese Propagandaphrasen sind Adorno zufolge so steil, dass ihnen selbst die eigene Gefolgschaft nicht wirklich Glauben schenken kann – und dieser Zweifel muss wieder übertönt werden. Vor allem weiß Adorno noch als Zeitzeuge, dass bereits die Propagandatechniken des Nationalsozialismus formal auf hohem Niveau waren. »Technische Perfektion« bei »Abstrusität der Zwecke« lautet sein Befund, den man auch heute mit Blick auf Twitter & Co noch teilen kann. In der Formulierung des Vortrags, dass die Propaganda der Rechten »schon die Substanz der Sache selbst« ist, verdichtet sich vieles, was die Kritische Theorie über Jahrzehnte erarbeitet hatte.
Auf welche weiteren Werke beziehen Sie sich hier?
Viele Motive in der Auseinandersetzung mit faschistischer Propaganda – bis hin zu den Antisemitismus-Analysen in der »Dialektik der Aufklärung« – gehen unmittelbar auf die Arbeit von Leo Löwenthal zurück. Löwenthal hatte einen großen Schatz an Mitschriften, Protokollen, Radiosendungen amerikanischer rechtsradikaler Agitatoren ausgewertet und die Grundmuster ihrer Propaganda herausgearbeitet. Natürlich spielte dabei seine europäische und deutsche Erfahrung eine Rolle, aber dem IfS war es wichtig, aktuelle Daten aus den USA zu erheben, um eine gewisse Allgemeingültigkeit ihrer Analyse zu erreichen. In den Blick genommen wird bereits in Löwenthals Analysen das Prinzip der »negativen Psychoanalyse«, das bis heute eine große Rolle in der Agitation spielt. Damit ist die Methode gemeint, das Gegenüber durch Dauerappelle und Reizimpulse an Ängste und Wünsche zu neurotisieren. In meinen Augen sind Löwenthals »Falsche Propheten« eine ungemein lohnende Lektüre. Darüber hinaus gibt es Studien von Siegfried Kracauer zur totalitären Propaganda. Diese klassischen Arbeiten sind so manchen Schnellschüssen von heute haushoch überlegen.
Wo stoßen Ausführungen der klassischen Kritischen Theorie zu den Propagandatechniken und dem Drang nach nationaler Größe an ihre Grenzen?
In den sechziger Jahren, darauf weist Adorno auch hin, mag diese beschriebene Rhetorik noch etwas Kompensatorisches gehabt haben. Die Politik der alten Bundesrepublik war durch den Blockkonflikt fest gerahmt. Diese Westbindung hatte durchaus zivilisierenden Charakter und hat Grenzen definiert. Als Armin Mohler, der Nestor dieser neuen Nachkriegsrechten, Franz Josef Strauß vorgeschlagen hat, Westdeutschland nach dem Vorbild Frankreichs aus der Nato herauszulösen, war er politisch erledigt. Heute fürchte ich da mehr Spielräume. Andererseits sind die europäischen Strukturen natürlich im Vergleich zu den Sechzigern unvergleichlich stärker. Daher zählen sie ja auch zu den Hauptangriffspunkten der Rechten.
Welche weiteren Aspekte waren für Adorno neu am »neuen Rechtsradikalismus«?
Der Antisemitismus musste sich wandeln. Nach 1945 konnte er sich besser in der Form der Schuldabwehr artikulieren als in den alten Vernichtungsparolen. Als Beispiel nennt Adorno Versammlungen, auf denen bereits der Begriff »Auschwitz« zu Tumulten führte. Der Erfolg von »Finis Germania« zeigt, wie sich ein solcher Antisemitismus bis heute Bahn bricht. Neu ist zudem wohl die Erkenntnis, dass das bürgerliche Bewusstsein die Krise so verinnerlicht hat, dass es, wie es Adorno ausdrückt, den »Schrecken antizipiert«. Das macht die Akteure unabhängiger von konkreten Ereignissen wie noch der Wirtschaftskrise 1929. So war die NPD ja bereits vor der »kleinen Rezession« 1966/67 erfolgreich. Daher warnt Adorno auch davor, die Entwicklung der Rechten ausschließlich mit Blick auf die ökonomischen Konjunkturzyklen zu analysieren. Seine Wagner-Referenz zeigt, dass die Götterdämmerung nun gewissermaßen zum Dauerzustand geworden ist.
Was meinte Adorno damit?
Adorno bezieht sich hier auf eine gewisse Endzeitrhetorik, die bei den Nazi-Führern populär war. Allerdings sieht er deren Grundlage in der drohenden Überflüssigwerdung des Menschen im ökonomischen Prozess. Die Erfahrung der völligen Austauschbarkeit bis hin zur technologischen Ersetzbarkeit der eigenen Arbeitskraft, die ja bereits in den vierziger Jahren diskutiert wurde, hat die Grundlage für diese Disposition geschaffen. Aus dieser Krisenerfahrung resultiert nun die Krisenerwartung. Grob gesagt ist dem Subjekt ein wenig die Utopie abhandengekommen und tendenziell durch eine dystopische Vision abgelöst worden.
Inwiefern?
Es fehlt das Zukunftsversprechen, das die Menschen anfangs durch die Moderne getragen hatte. Das allerdings aus gutem Grund, denn die Katastrophen waren schon da und haben gezeigt, dass es kein verlässliches Limit gibt. Das bedeutet nicht, dass wir in einem Dauerzustand leben, der mit der Situation des Weltkrieges auch nur annähernd zu vergleichen wäre. Als Potential ist die Katastrophe allerdings stets präsent, und irgendwann kann die Angst auch in Erwartung umschlagen. Frei nach dem Motto: Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Die Referenz dürfte hier wohl Freuds Thanatos sein: der Wunsch nach völliger Spannungslosigkeit im Tode, das Gegenprinzip zur Dauerspannung des Eros.
Um den Bogen wieder zur Fragestellung zu schlagen: Warum wählen diese (potentiell) Austauschbaren, Adornos Argumentation zufolge, so häufig gegen ihre eigentlichen ökonomischen Interessen?
Die Gründe können vielfältig sein, nicht zuletzt mag die rebellische Geste reizen, denen »dort oben« eins auszuwischen, wobei man damit gewöhnlich Leute an die Macht bringt, die noch viel mehr »dort oben« sind. Dann gibt es durchaus eine Selbstsicht, die von der ökonomischen Lage abweicht. Man zählt sich noch zu den Besseren, ich würde auch die Bereitschaft nicht unterschätzen, selbst zu leiden, solange andere, Ungeliebte wenigstens noch mehr leiden müssen. Das zeigte sich in Deutschland besonders während der Sarrazin-Debatte. Sarrazin ist ja mitnichten nur auf Muslime, sondern auf die gesamten »Minderleister« losgegangen – von denen wiederum ihm aber nicht wenige Beifall gezollt haben. Sie haben sich davon einfach nicht mitgemeint gefühlt, obwohl sie es waren.
Vieles von dem, was Adorno beschreibt, würde heute wohl als »rechtspopulistisch« bezeichnet werden. Wie stehen Sie zu diesem Begriff? Ließe sich – inzwischen – oftmals nicht viel eher von Faschismus sprechen?
Ich finde es zunächst sogar angenehm, dass Adorno sich in seinem Vortrag nicht unserer heutigen pseudo-objektiven Politologen-Terminologie bediente. Ihm waren die Schnittmengen und Übergänge zwischen den Erscheinungsformen der Nationalismen durchaus bewusst. Insofern springt er in seinem Text begrifflich zwischen Rechtsradikalismus, Faschismus und dem Element des Autoritären. Grundsätzlich arbeite auch ich mit dem Faschismusbegriff, wenn er mir angemessen scheint. Dieser ganze Schnellroda-Komplex und die »Identitären« etwa sind damit durchaus treffend benannt. Angesichts der selbstgewählten historischen Vorbilder liegt das auf der Hand – hier sind vor allem die Autoren der sogenannten Konservativen Revolution wie Ernst Jünger, Carl Schmitt, Oswald Spengler und Arthur Moeller van den Bruck zu nennen.
Worum handelt es sich bei dieser Strömung?
Es ist ja augenfällig, wie stark sich die Neue Rechte seit Jahrzehnten um diesen weltanschaulichen Kanon der Zwischenkriegszeit bemüht. Jargon und Stil sind stark vom »heroischen Realismus« dieser Kreise beeinflusst, der noch vor dem Nationalsozialismus ausformuliert wurde. Ein Teil dieser Akteure, namentlich Werner Best, der den Begriff prägte, aber auch der Staatsrechtler Carl Schmitt, schlossen sich mit wehenden Fahnen den Nazis an, andere wie Spengler hielten Distanz. Doch auch diejenigen, die Hitler eher als plebejisch verachteten, zeigten sich sehr interessiert an Mussolinis Italien. Kurzum, die deutsche Rechte verfügte in den zwanziger und dreißiger Jahren über ein wesentlich breiteres Spektrum als nur die Nazis und es gab nicht wenige, die sich dem europäischen Faschismus zuschlagen lassen, obwohl sie die NSDAP mieden.
Heute ist – zumindest im deutschen Bewusstsein – nur Hitler hängengeblieben. Der lange Vorlauf dorthin ist vergessen, abgesehen davon, dass man Hitler die Niederlage nicht verzeiht. Auch Österreich hat noch vor dem »Anschluss« einen eigenen Austro-Faschismus gekannt. Übrigens sind die Anleihen auch dort nicht unbeträchtlich, ein Theoretiker des Ständestaats wie Othmar Spann wurde nicht nur in der Zwischenkriegszeit auch in diesen Kreisen rezipiert, sondern ist auch in der deutschen Neuen Rechten durchaus noch ein Begriff. Und da diese Theorietradition nicht identisch mit dem Nationalsozialismus ist, kann man mit ihr heute ganz wunderbar hausieren gehen, den Faschismus reorganisieren und dabei jede Verbindung mit dem Nationalsozialismus empört von sich weisen. Die Überbetonung der feinen Trennlinien innerhalb der äußersten Rechten im deutschen Reich ist gewissermaßen die Existenzgrundlage der Schnellroda-Clique.
Und wo sehen Sie weltanschauliche Überschneidungen zum Faschismus?
Der Populismus ist ein Element des Faschismus, bleibt aber formal noch der Demokratie verpflichtet. Die Schnittmengen liegen in der Besessenheit von nationalem Niedergang, opferreicher Reinigung und Wiedergeburt sowie der Fetischisierung von Identität, Mythen und Traditionen. Dazu kommen noch die Neigung zur Ästhetisierung und Inszenierung. Insofern lässt sich der Populismus schnell ins Faschistische ausbauen. Für »weichere« Formen ist die Klassifizierung als »rechtspopulistisch« aber durchaus sinnvoll. Es gibt seit einiger Zeit rechte Strömungen vor allem in Nordeuropa, die stark von den historischen Vorbildern abweichen und eine neue Form des autoritären Liberalismus anstreben. Vor einigen Jahren war das etwa Pim Fortuyn, heute ist es Geert Wilders oder einige skandinavische Parteien. Mitunter hat in Deutschland vielleicht die CSU so etwas umgesetzt, aber insgesamt finde ich bemerkenswert, dass das Konzept des Rechtspopulismus hier bisher nicht wirklich funktioniert hat. Die deutsche Rechte scheint zwanghaft in einen klassischen Nationalismus zu streben. Das kann man an der immensen Radikalisierung der Alternative für Deutschland (AfD) sehen, die ja zunächst mit diesem Anspruch gegründet wurde. Inzwischen dominiert dort ein anderes Milieu als das der »besorgten Nationalökonomen« aus der Gründungsphase. Grundsätzlich denke ich allerdings, dass solche Profile sogar nebeneinander in einer Partei existieren und bei Bedarf betont oder zurückgenommen werden können. Der Postfaschismus ist flexibler als seine Vorläufer.
Inwieweit ist die Klassifizierung »Rechtspopulismus« ihrer Meinung nach für die Verhältnisse in Österreich sinnvoll?
Die FPÖ hat diese Flexibilität maximal ausgenutzt. Schon Jörg Haider konnte auf allen möglichen Klaviaturen gleichzeitig spielen, von der NS-Verherrlichung bis zum globalisierungskritischen »Anwalt der kleinen Leute« ging da alles. Vielleicht gehört es auch zum Gegenstand, dass er vielschichtig schillert? Insgesamt scheint mir der Begriff Rechtspopulismus für die FPÖ aber zu verharmlosend. Der Trend geht insgesamt zum illiberalen Staat nach dem Zuschnitt Viktor Orbáns, Putins etc. Ein autoritärer Beutezug korrupter Rackets im Namen von Volk und Nation, die vor allem sich und ihre Klientel versorgen und dem Rest der Welt die Hölle bereiten. Das scheint mir das Modell der Zukunft zu sein, wenn man nicht aufpasst. Vielleicht ist die Lektüre von Adornos Text ja nützlich, um etwas Klarheit in die derzeit recht verworrene Lage zu bringen?