Das sicherste Mittel, um den Blutdruck von Rechtsextremen, Konserva-tiven und VertreterInnen der selbsterklärten Mitte gleichermaßen in die Höhe zu treiben, ist der Begriff Antifa: Einer Jugendgruppe im norddeutschen Pinneberg wird von der Bürgermeisterin ein Hausverbot im städtischen Jugendzentrum angedroht, wenn sie ihre Veranstaltungen weiterhin unter dem Namen »Antifa-Café« durchführt. Im Bundestag erhielt die Linkspartei-Abgeordnete Martina Renner einen Ordnungsruf, weil sie einen Anstecker mit dem schwarz-roten Symbol trug. In Koblenz wurde eine Sitzung des Stadtrats gleich komplett abgebrochen, weil Ratsmitglieder von Grünen und Linken das Fahnenlogo präsentierten.
Dass Rechtsradikale eine Bewegung bekämpfen, die den Antifaschismus nicht nur im Namen trägt, sondern auch tatkräftig dafür einsteht, erklärt sich von selbst. Warum aber bekommen auch Konservative, Liberale und mindestens die Hälfte der letzten zehn Sozialdemokraten bei der bloßen Erwähnung Schnappatmung – und wer oder was ist das überhaupt, diese Antifa?
Um das zu beantworten, ist zunächst einmal eine Begriffserklärung hilfreich: Zwar ist die Antifa logischerweise antifaschistisch, aber nicht alle AntifaschistInnen würden sich der Antifa zuordnen.
Lieber tot als rot?
In Zeiten von AfD und Co sehnen sich viele nach einem angeblichen antifaschistischen Konsens der demokratischen Kräfte nach 1945 zurück, doch der erweist sich bei nicht mal allzu genauem Hinsehen als ein großer Selbstbetrug. Die CDU etwa hatte kein Problem damit, von 1949 bis 1960 mit zwei waschechten NS-Nachfolgeparteien[1] zu koalieren; hier weiter auf die NS-Kontinuitäten in Parteien, Verbänden und der Gesellschaft im Allgemeinen einzugehen, würde den Rahmen sprengen.
Antifaschisten gab es zwar durchaus, aber die alten Differenzen zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten führten unter anderem dazu, dass die SPD bereits kurz nach Gründung der wichtigsten antifaschistischen Organisation der Nachkriegszeit, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN, 1971 erweitert um den Zusatz »Bund der Antifaschisten«, VVN-BdA), einen Unvereinbarkeitsbeschluss fasste, obwohl zahlreiche Sozialdemokraten an der Gründung beteiligt waren.
Randale, Bambule, Frankfurter Schule!
Auch in den folgenden Jahrzehnten blieb ein über Lippenbekenntnisse hinausgehender Antifaschismus in der BRD weitgehend der radikalen Linken überlassen. Das lag nicht allein an antikommunistischen Reflexen in Kombination mit dem krampfhaften Verdrängen der NS-Zeit, sondern auch in der Natur der Sache: Wer die Entstehung des Faschismus begreifen will, stößt ziemlich schnell auf die Geschäftsgrundlage unserer Gesellschaft, also den Kapitalismus.
Während man die berüchtigte Dimitroff-These – Faschismus als »offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals« – getrost in ihrer Mottenkiste verstauben lassen darf[2], bietet die Frankfurter Schule bis heute eine solide Grundlage, um zu erklären, wie eine sich als modern und zivilisiert verstehende Gesellschaft den faschistischen Wahn hervorbringen konnte (und kann), und kommt zu dem Schluss: »Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte vom Faschismus schweigen.«
Das, was man heute unter dem Namen Antifa kennt, entstand dementsprechend auch nicht etwa auf einem Delegiertentreffen der Jusos, sondern Anfang der 80er Jahre aus der autonomen Bewegung heraus, als sich in Reaktion auf das Erstarken der Neonazi-Szene autonome Gruppen mit explizit antifaschistischem Schwerpunkt gründeten. Zwar gab es schon damals Bestrebungen, über den bloßen Aktionismus gegen Nazis hinauszugehen und Antifaschismus mit dem Kampf gegen den »imperialistischen Herrschaftsapparat« zu verknüpfen, wie die Antifaschistische Aktion Hamburg 1983 ganz im Sinne des damaligen Zeitgeists der Linken schrieb; zunächst lag der Schwerpunkt von Antifa-Politik jedoch weiterhin auf reinen Anti-Nazi-Aktivitäten, was in erster Linie die Recherche zu Neonazi-Strukturen und die Ver- oder zumindest Behinderung von rechten Treffen und Aufmärschen umfasste. Der gesamtpolitische Ansatz wurde erst ab den 90er Jahren ernsthaft verfolgt.
Antifaschistische Selbsthilfe
Die nationale Besoffenheit nach Mauerfall und Wiedervereinigung brachte einen drastischen Anstieg rechter Gewalttaten mit sich: Die Brandanschläge von Mölln und Solingen mit insgesamt acht Todesopfern und der tobende Mob vor Unterkünften für Flüchtlinge und Vertragsarbeiter in Hoyerswerda und Rostock waren prägend für die Generation von Linken, die in den frühen 90er Jahren erwachsen wurde. Hinzu kam die tägliche Straßengewalt; Fascho-Schläger riefen »national befreite Zonen« aus und machten Jagd auf alles, was nicht in ihr Weltbild passte: Migranten, Obdachlose, Behinderte, Punks und alternative Jugendliche. Die Amadeu-Antonio-Stiftung zählt allein in den Jahren 1990 bis 1995 70 Todesopfer rechter Gewalt (von denen viele bis heute vom Staat nicht als solche anerkannt sind).
30 Jahre nach dem Mauerfall schilderten jüngst Menschen unter dem Twitter-Hashtag #Baseballschlägerjahre, wie sie als Jugendliche den rechten Alltagsterror erlebt haben; sie berichteten von Nazi-Angriffen, der täglichen Angst auf dem Schulweg, dem Wegsehen von Polizei und Erwachsenen. Und eben auch davon, dass die Antifas die einzigen waren, die den Schlägerbanden etwas entgegensetzten.
Dass das nicht mit friedlichen Mitteln möglich war, liegt auf der Hand – woraus sich wunderbar Leitartikel über die böse »Gewalt von rechts und links (vor allem aber von links)« machen ließen und lassen, unterfüttert von der Extremismustheorie, die ebenfalls seit den Neunzigern ihren Weg von den Thinktanks der Neuen Rechten in den politischen Mainstream gefunden hat. Zur vertiefenden Lektüre darüber, wie diese krampfhafte Gleichsetzung dazu dient, den Faschismus zu relativieren und den Kampf gegen Rechts zu lähmen, sei der jüngst im Verbrecher-Verlag erschienene Sammelband »Extrem unbrauchbar. Über Gleichsetzungen von Links und Rechts« empfohlen.
Das Schlimme an der bösen linken Gewalt ist jedenfalls offensichtlich weniger die Gewalt als dass sie von Linken kommt. Dazu sei an dieser Stelle lediglich darauf hingewiesen, mit welcher Nonchalance die Politik darauf reagiert, dass in diesem Jahr in Deutschland bereits drei Menschen rechten Terroranschlägen zum Opfer gefallen sind (und nur eine stabile Synagogentür verhinderte, dass die Zahl nicht noch viel höher ist) – während gleichzeitig allerorten Sonderkommissionen »gegen linke Gewalt« ins Leben gerufen werden. Man tut nicht einmal so, als sei es einem wirklich ernst damit, gegen »Rechts und Links gleichermaßen« vorzugehen, denn sonst müsste die rechte Szene längst eine staatliche Aufmerksamkeit erfahren wie in den Jahren der RAF-Panik all diejenigen, die auch nur im Verdacht standen, links des Godesberger Programms zu stehen.
Nazis bekämpfen: Auf allen Ebenen, mit allen Mitteln
Eine Moraldebatte über das Für und Wider eines militanten Vorgehens gegen Nazis stand für die Antifa-Bewegung der frühen Neunziger nicht auf der Tagesordnung, antifaschistische Selbsthilfe war vielerorts buchstäblich eine Überlebensfrage[3]. Und zeigte dort, wo sie erfolgreich war bzw. ist, auch nachhaltig Wirkung. So räumte etwa selbst der Göttinger Oberstaatsanwalt Hans-Hugo Heimgärtner, in der Universitätsstadt für seinen Verfolgungseifer gegen Linksradikale bekannt, 2011 in einem Interview mit dem »Göttinger Tageblatt« ein: Dass es in Göttingen kaum noch Nazi-Aktivitäten gebe, sei auch der »Präsenz einer starken antifaschistischen Szene« geschuldet.
Dort, wo die Antifa solche mehr oder minder nazifreien Räume durchsetzte und der tägliche Abwehrkampf nicht die politische Arbeit bestimmte, hatte man den Kopf frei für theoretische und Strategiedebatten. 1991 veröffentlichte die Göttinger Autonome Antifa [M] dazu ein »Organisierungspapier«, das den Anstoß zur Gründung der Antifaschistischen Organisation/Bundesweite Organisation (AA/BO) gab, die 1992 von zunächst zwölf Mitgliedsgruppen in Leben gerufen wurde.
In der autonomen Szene stieß die AA/BO nicht auf ungeteilte Begeisterung: Die feste Struktur, zusammen mit der Bezugnahme auf Antiimperialismus und traditionskommunistische Faschismustheorien, brachten ihr den Vorwurf des »Stalinismus« ein; als »Militanzfetisch« wurde zudem das Antifa-Markenzeichen, der martialisch wirkende Schwarze Block, kritisiert.[4] Auf Skepsis stieß zudem der Ansatz, durch Bündnisse mit linksliberalen Kräften und eine über die linken Szeneblättchen hinausgehende Öffentlichkeitsarbeit die gesellschaftliche Isolation der radikalen Linken zu überwinden.
Zumindest Letzteres gelang jedoch teilweise ziemlich gut (zumindest bis 1998 die rot-grüne Koalition an die Regierung gelangte und viele der bisherigen Bündnispartner plötzlich auf der Seite von Kosovokrieg und Hartz-Reformen standen). Bis heute existiert vor allem dort, wo es wenig Berührungsängste von Parteien, Gewerkschaften oder Kirchen mit antifaschistischen Gruppen gibt, eine Zivilgesellschaft, die den rechten Hegemoniebestrebungen etwas entgegensetzt. Die Grundlagen hierfür wurden durch die antifaschistische Bündnisarbeit der 90er Jahre gelegt.
Weniger langlebig war die AA/BO selbst. Ausschlaggebend für ihre Auflösung im Jahr 2001 war der Konflikt zwischen antiimperialistischen und antideutschen Strömungen: Während Letztere in den späten 90er Jahren ein faschismustheoretisches Upgrade auf Adorno & Co. (und Solidarität mit Israel) einforderten, sind die »Antiimps« bis heute kaum über Dimitroff hinausgekommen, weshalb sich die Demoparole »Hinter dem Faschismus steht das Kapital« noch immer großer Beliebtheit erfreut.
Was bleibt, sind noch immer zahlreiche, teils nicht gerade miteinander befreundete Gruppen, die sich auf das Konzept Antifa beziehen, was sich je nach Situation vor Ort höchst unterschiedlich gestalten kann. Mal steht notgedrungen die antifaschistische Selbsthilfe im Vordergrund, während man sich andernorts auch Themen wie Antirassismus, Kapitalismuskritik oder Feminismus widmet; die Praxis reicht von »Nazis aufs Maul« über Demonstrationen bis zu Informations- und Bildungsveranstaltungen. Von großer Bedeutung sind weiterhin auch Recherchegruppen, die üblicherweise besser über rechte Strukturen informiert sind als der Verfassungsschutz (bzw. als dieser zumindest vorgibt, zu sein).
»Die Antifa« ist also weder eine Organisation[5] noch der schwarzvermummte, auf nichts als Krawall gesinnte Schwarze Block, als der sie in der Öffentlichkeit meist dargestellt wird. Dieses Image hat sie sich zwar – Stichwort »Militanzfetisch« – teils selbst zu verdanken, liegt aber doch in erster Linie darin begründet, wie die Mehrheit der Gesellschaft Linksradikale gerne sehen will. Sonst müsste sie sich nämlich unangenehmen selbstkritischen Fragen stellen, denn nach wie vor gilt: Antifaschismus ist der Kampf ums Ganze.
Zum Weiterlesen:
Keller/Kögler/Krawinkel/Schlemermeyer: »Antifa. Geschichte und Organisierung«, Schmetterling Verlag
Uhlig/Berendsen/Rhein: »Extrem unbrauchbar. Über Gleichsetzungen von Links und Rechts«, Verbrecher Verlag
Philipp Schnee: »Mythos Antifa. Zwischen Engagement und Gewalt«, Sendung des DLF vom 10. November 2019
Sebastian Leber: »Danke, liebe Antifa!«, »Tagesspiegel«, 24. Januar 2014