Eiertanz

Über »Social Freezing« und die Empörung in den deutschsprachigen Medien.

Wenn sich in Europa über Vorgänge in den USA aufgeregt wird, die einzig und allein deren Einwohnerschaft (und davon auch nur einen winzigen Teil) betreffen, kann man davon ausgehen, dass die betreffende Meldung an ihrem Ursprungsort nicht halb so hohe Wellen schlägt. So sorgte in den deutschsprachigen Medien im Oktober die Nachricht für Aufregung, dass die Firmen Facebook und Apple ihren Mitarbeiterinnen künftig das Einfrieren ihrer Eizellen bezahlen wollen. Mit diesem im deutschen Sprachraum als »Social Freezing« - in seiner anglophonen Heimat hingegen als »Egg Freezing« und vom twitternden Autor Bov Bjerg als »Eiereinfriererei« - bezeichneten Verfahren soll den Frauen eine Familienplanung auch über die Menopause hinaus ermöglicht werden. Nicht zu verwechseln ist dies mit der Eizellspende, bei der die künstlich befruchtete Eizelle einer anderen Frau übertragen wird, die das Kind dann als Leihmutter austrägt. Im Gegensatz dazu geht es beim »Social Freezing« darum, dass potentielle Mütter das Verfallsdatum ihrer eigenen Keimzellen verlängern und aus diesen entstehende Kinder selbst zur Welt bringen.
Nun ist die Methode als solche nicht neu; entwickelt wurde sie ursprünglich als Möglichkeit für junge Frauen, auch nach einer fruchtbarkeitsschädlichen Chemo- oder Strahlentherapie aufgrund einer Krebserkrankung noch Mutter zu werden. Während in Österreich weiterhin eine solche medizinische Indikation für das Verfahren gegeben sein muss, ist das »Egg Freezing« in zahlreichen anderen europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, grundsätzlich erlaubt - vorausgesetzt, frau bringt eine gewisse Leidensfähigkeit und nicht zuletzt das nötige Kleingeld dafür mit. Denn während Männer, die ihren Samen spenden oder für eine spätere Familienplanung einfrieren lassen wollen, alles dafür Notwendige buchstäblich - nun ja ...: locker aus dem Handgelenk schütteln, ist die Entnahme von Eizellen eine aufwändige und dementsprechend teure Angelegenheit.
Zunächst muss sich frau dafür einer Behandlung mit Hormonen unterziehen, damit mehr Eizellen gleichzeitig heranreifen; und da dies nicht gerade am zugänglichsten Ort des menschlichen Körpers geschieht, müssen die Zellen anschließend durch einen Eingriff über die Vagina entnommen werden. Der Preis für einen solchen Behandlungszyklus liegt in deutschen Reproduktionskliniken bei etwa 3.000 bis 5.000 Euro; allerdings sind in vielen Fällen mehrere Behandlungen nötig, um auf die empfohlene Anzahl von zehn bis 15 Zellen zu kommen. Hinzu kommen noch die Kosten für die Tiefkühllagerung, und wenn die biologische Reserve dann zum Einsatz kommen soll, wollen auch noch die In-vitro-Fertilisation und Implantation der Eizellen bezahlt werden. Erfolg nicht garantiert.
Sofern also keine medizinischen Gründe vorliegen, aufgrund derer sich von der Krankenkasse eine Übernahme der Kosten erkämpfen lässt, ist »Social Freezing« eine Option der Familienplanung für die Eliten, und dazu dürfen sich sicherlich auch die Mitarbeiterinnen US-amerikanischer Technologieplatzhirsche zählen.
Der Unterschied zu Europa liegt allerdings, wie Sarah Diehl in der »Jungle World« hervorhebt, darin, dass in den USA der Arbeitgeber entscheidet, welche Leistungen der Krankenversicherung seine Angestellten in Anspruch nehmen können. In diesen Katalog haben die beiden IT-Unternehmen nun eben auch das Eiereinfrieren aufgenommen. Das klingt dann doch sehr viel weniger dramatisch als die Schlagzeilen, die das Ganze diesseits des Atlantiks machte und den Eindruck nahelegten, als stünde Frauen, die eine Stelle bei Apple antreten wollen, nach Unterzeichnung des Arbeitsvertrags erst einmal ein Pflichttermin in der Gynäkologie bevor.

Nun ist die Reproduktionsmedizin insgesamt nicht nur ein einträgliches Geschäft, sondern eben auch ein hochemotionales Thema - nicht zuletzt, weil daran auch wieder die ganze Debatte über Geschlechterrollen und den Kampf um bzw. gegen die Herrschaft über den - nicht nur, aber vorrangig - weiblichen Körper hängt. Es wundert daher nicht, dass sich die üblichen Verdächtigen auch den aktuellen Anlass nicht nehmen ließen, um ihre Haltung kundzutun. Erstaunlicher ist allerdings, wie einhellig und vehement die Empörung über die Mini-Meldung aus den USA ausfiel. (Der Europa von links bis rechts einigende »Diese Amis mal wieder«-Reflex dürfte dabei eine nicht unwesentliche Rolle spielen.)
Dass es die christlichen Kirchen insbesondere in Fortpflanzungsfragen gar nicht gerne sehen, wenn Menschen die Pfuscharbeit korrigieren wollen, die der Schöpfer abgeliefert hat, ist bekannt, und erwartbar fielen dann auch die Reaktionen des Bodenpersonals aus. Der Augsburger Weihbischof Anton Losinger besteht auf Geburten »zu einem Zeitpunkt, an dem die Natur das auch vorgesehen hat« (gegen Schwangerschaften von 15-Jährigen ist demnach also offenbar nichts einzuwenden), sein protestantischer Kollege Gerhard Wegner vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) warnt vor einem »Glauben an die umfassende Planung des Lebens« - ob der Mann sich beim Autofahren anschnallt oder lieber auf seinen »Jesus an Bord«-Aufkleber vertraut, ist leider nicht bekannt.
Auch die Gewerkschaften waren not amused: Man brauche keine Unternehmen, die ihren Mitarbeiterinnen die Entscheidung für oder gegen Kinder schwermachten, empörte sich die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. Dabei ignorieren sie und die zahlreichen anderen Kritiker geflissentlich, dass der vermeintliche unterschwellige Druck, der nach ihrer Ansicht durch das Angebot auf die Frauen ausgeübt wird, so groß nicht sein kann - immerhin bezahlen die Firmen ihren Mitarbeiterinnen nach der Geburt eines Kindes nicht nur den Mutterschaftsurlaub, es gibt sogar noch 4.000 Dollar »Begrüßungsgeld« obendrauf.
In seltener Einigkeit mit den Gewerkschaften beeilten sich auch die Arbeitgeber, zu versichern, man wolle sich nicht in die Familienplanung von Arbeitnehmern einmischen, wie es von der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) heißt. Als täten Unternehmen das nicht ohnehin schon: Mütter, vor allem mit kleinen Kindern, können oft lange warten, überhaupt zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, und generell wird Frauen im gebärfähigen Alter mit einem gewissen Misstrauen begegnet - wenn es nicht unzulässig wäre, würde immer noch nach Schwangerschaft oder Kinderwunsch gefragt. Familienväter hingegen sind bei Personalchefs sehr beliebt, da ihre Abhängigkeit vom Brötchengeber gemäß ihrer traditionellen Versorgerrolle als hoch und damit als erwünschtes Einstellungkriterium gilt. Und natürlich nehmen Firmen auch Einfluss auf die Familienplanung, indem sie sich für oder gegen betriebliche Angebote zur Kinderbetreuung, elternfreundliche Arbeitszeitmodelle etc. entscheiden.
Auch beim ideologieproduzierenden Gewerbe war man sich weitgehend einig: Die »Welt« etwa versuchte sich in Kapitalismuskritik light und beklagte, die Konzerne mischten sich ins Privatleben ein. Das ist zwar richtig, aber eben auch kapitalistischer Normalzustand. Der eigentliche Skandal ist, dass das beim (noch einmal angemerkt: freiwilligen) Eiereinfrieren als empörenswert gilt, nicht aber so maximale Eingriffe ins Privatleben wie die Verfügungsgewalt eines Unternehmens darüber, wann ich morgens aufzustehen habe, an welchem Ort ich wohne, und nicht zuletzt, wie viel Geld ich zum Leben habe.
Die »FAZ« assistiert einerseits mit einem Artikel im Feuilleton, der mit medizinischen Argumenten vor dem »Fruchtbarkeitsoptimismus in Silicon Valley« warnt; die Wirtschaftsredaktion hingegen schließt sich den - wenigen - befürwortenden Stimmen an und begrüßt die neuen Möglichkeiten der modernen Karrierefrauen (andere scheint es in der Welt der Autorin Corinna Budras ohnehin nicht zu geben). Derlei Elitenfeminismus kennt man in Deutschland ja bereits aus der Debatte über eine Frauenquote in den Chefetagen der DAX-Konzerne.
Im Gegensatz dazu blendet Sarah Diehl im bereits erwähnten Beitrag in der »jungle World« nicht aus, dass der Zugang zu Reproduktionstechnik eine Klassenfrage ist. Dennoch begrüßt sie das »Egg Freezing« grundsätzlich aus einer (queer-)feministischen Perspektive, und tatsächlich lässt sich das Ganze auch als weiterer Schritt in einer Entwicklung betrachten, die mit der Erfindung der Pille begann und dazu führt, dass Frauen immer weniger über ihre Gebärfähigkeit definiert werden. Und nicht zuletzt, so Diehl, »ist es nicht nur praktisch für cis-Frauen[1], sondern für alle Menschen, die neue Methoden der Familienplanung ausprobieren wollen oder müssen«.
Nun leben wir aber eben nicht in einer heilen queeren Welt, in der die Errungenschaften der Reproduktionstechnik allen zugute kommen, die aus welchen Gründen auch immer medizinische Hilfe auf dem Weg zum eigenen (biologischen) Kind benötigen, in der Gesetze wie das Adoptions- und Sorgerecht den neuen Formen des Zusammenlebens gerecht würden und in der das Konzept der Kleinfamilie durch neue medizinische Entwicklungen wie die der Leihmutterschaft ins Wanken gebracht würde.
Vielmehr ist Letzteres im real existierenden Kapitalismus längst zu einem Geschäft mit den Gebärmüttern armer Frauen in Ländern wie Indien oder Thailand geworden. Und wenn die jungen IT-lerinnen, die heute ihre Eizellen auf Eis legen lassen, in 30 Jahren feststellen, dass sie für eine Schwangerschaft dann doch zu alt sind, wäre es nur folgerichtig, wenn auch sie es ihren Firmen nachtun und ihre (Re-)produktion in Billiglohnländer verlagern. Freiheit ist eben auch immer die Freiheit des Neoliberalismus.

[1] also Frauen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem biologischen Geschlecht übereinstimmt. Der Begriff »Cisgender« als Gegensatz zu »Transgender« geht auf denSexualwissenschaftler Volkmar Sigusch zurück und soll darauf verweisen, dass körperliches Geschlecht und Geschlechtsidentität nicht notwendigerweise übereinstimmen.