Wer sich auf die Suche nach deutschsprachigen Büchern über Israel macht, ist mit einer paradoxen Situation konfrontiert. Wie beispielsweise der Blick in die Regale der Filiale einer großen Buchhandelskette auf der Wiener Mariahilfer Straße zeigt, kann von einem Mangel an entsprechenden Publikationen nicht die Rede sein. Bei genauerem Hinsehen erweist sich die quantitative Fülle allerdings sogleich als reichlich irreführend, denn die vermeintlich große Auswahl entpuppt sich lediglich als eine des Tonfalls, in dem der jüdische Staat an den Pranger gestellt wird. Wer die Delegitimierung Israels in philosophisch drapierter Form präsentiert haben will, ist mit Judith Butlers Kampschriften gegen jegliche Art »jüdischer Souveränität« gut bedient; wer danach strebt, dem ursprünglichen Sündenfall des Zionismus auf die Schliche zu kommen, kann sich, sofern er sich an der Geschichtsklitterung nicht stößt, an Abhandlungen über die angebliche »ethnische Säuberung Palästinas« halten; wem es eher um die Gegenwart geht, dem steht eine große Auswahl an diffamierenden Schriften über den »Apartheidstaat« Israel und den bevorstehenden »Untergang« des Zionismus zur Verfügung.
Diesem ständigen israelfeindlichen Dauerfeuer auf dem deutschsprachigen Buchmarkt versucht der Hamburger »konkret«-Verlag mit Stephan Grigats Buch »Die Einsamkeit Israels. Zionismus, israelische Linke und die iranische Bedrohung« ein Stück weit entgegenzutreten. Der Band enthält sowohl einige Originalbeiträge, als auch eine Reihe von in den letzten Jahren bereits andernorts publizierten Texten, die jetzt somit in gesammelter Form vorliegen. Inhaltlich setzt Grigat vier Schwerpunkte.
Den Auftakt machen zwei Kapitel, die einen Überblick über die Geschichte Israels von dessen Gründung 1948 bis zum heutigen Tage geben. Für den Staat, der infolge des Holocaust als »bewaffnetes Kollektiv zur Selbstverteidigung gegenüber dem Antisemitismus« gegründet wurde, war dies eine Geschichte der fortwährenden »Selbstbehauptung in einer feindlichen Umwelt«. Vom Anbeginn an war der jüdische Staat nicht bloß mit Vernichtungsdrohungen konfrontiert, sondern musste sich gegen handfeste Vernichtungsversuche zur Wehr setzen, während die israelische Gesellschaft eine permanente Debatte darüber zu führen gezwungen war, wie die notwendige Selbstverteidigung von statten gehen kann, ohne der eigenen politischen und moralischen Grundsätze verlustig zu gehen. Lange Zeit war an Frieden nicht zu denken, weil die arabischen Nachbarn Israel grundsätzlich jedes Existenzrecht bestritten. Aber auch der Optimismus, der den Oslo-Friedensprozess in den 1990er-Jahren anfänglich begleitete, wich vor dem Hintergrund verstärkten palästinensischen Terrorismus der Ernüchterung darüber, dass die Notwendigkeit und Dringlichkeit eines Kompromisses mit den Palästinensern nicht gleichbedeutend mit der Möglichkeit und Chance war, einen solchen auch erreichen zu können, so Grigat. Während in Europa und zunehmend auch in den USA stets ein »Ende der Besatzung« als der Schlüssel zum Frieden betrachtet werde, sei den Israelis im Laufe der letzten Jahre schmerzlich vor Augen geführt worden, wie verkürzt diese Sichtweise ist: Von wo immer Israel sich zurückzog (aus dem Südlibanon 2000, aus dem Gazastreifen 2005), übernahmen islamistische Terrorgruppen die Kontrolle und machten die aus ihrer Sicht »befreiten« Gebiete zu Ausgangspunkten für zukünftige Angriffe. Was aber, wenn ein israelischer Abzug aus der Westbank nicht zum vielbeschworenen Frieden führte, sondern zu einer Intensivierung des Krieges? Wie Grigat betont, gibt es aus israelischer Sicht zahlreiche gute Gründe, die für einen Rückzug aus dem Westjordanland sprechen – aber eben auch viele, »die dagegen sprechen, in der deutschsprachigen Nahost-Diskussion aber kaum Erwähnung finden.« Zwanzig Jahre nach dem Beginn des Oslo-Prozesses und inmitten eines in Gewalt untergehenden Nahen Ostens bleibt Israel wenig anderes übrig, als die vielfältigen und zunehmenden Bedrohungen (Stichwort iranisches Atomwaffenprogramm) so gut wie möglich zu managen und auf weitreichende Änderungen im regionalen Umfeld zu hoffen, die vielleicht dereinst neue Perspektiven ermöglichen.
Grigat hebt in seiner Darstellung genau die Umstände hervor, die in der anti-israelischen Agitation stets verschwiegen oder verharmlost werden. Die Geschichte des so genannten Nahostkonflikts könne ohne den Antisemitismus und dessen »geopolitische Reproduktion«, den Antizionismus, nicht verstanden werden. Der arabische Hass auf Juden und deren Staat sei kein Resultat dieses Konflikts, sondern ganz im Gegenteil eine seiner wesentlichen Ursachen. Von diesem Hass zu abstrahieren oder ihn zu leugnen ist auch und gerade ein Merkmal der israelischen radikalen Linken, der der zweite Schwerpunkt in Grigats Buch gewidmet ist. In dem Kapitel »Der Mufti und die Stalinisten« zeichnet er die Geschichte der Kommunistischen Partei in Israel nach, die sich einerseits als eine Abfolge von Spaltungen, Fusionen und erneuten Zerwürfnissen liest, andererseits aber auch eine erschütternde Erzählung über die sprunghaften Kurswechsel und absurden Verrenkungen ist, mit denen versucht wurde, Analysen der Lage vor Ort mit den eigenen ideologischen Grundsätzen sowie den von Moskau vorgegebenen Leitlinien in Übereinstimmung zu bringen. Wie die jüdischen und arabischen Kommunisten sich gegenüber den antisemitischen Pogromen der 1920er-Jahre, während dem arabischen Aufstand von 1936 bis 1939, angesichts des Zweiten Weltkrieges, der israelischen Staatsgründung und der antisemitischen Schauprozesse im Ostblock verhielten, ist nicht nur von historischem Interesse. Dieses Verhalten, das allzu oft von der »Kooperation mit reaktionären und faschistischen Kräften unter der Flagge des Antiimperialismus« geprägt war, wirkt bis heute nach, etwa in den Reaktionen der israelischen radikalen Linken »auf den Machtzuwachs von Hamas und Hisbollah, bei der Positionierung hinsichtlich des arabischen und islamischen Antisemitismus und in der Einschätzung des iranischen Regimes«.
Die heutige israelische radikale Linke, die Grigat in dem Kapitel über die »Dezionisierung Israel« porträtiert, ist nicht zuletzt von Interesse, weil sich aus ihren Kreisen eine Vielzahl jener jüdischen »Kronzeugen« rekrutiert, auf die westliche »Israel-Kritiker« sich mit besonderer Vorliebe berufen. Zu Stichwortgebern der internationalen Kampagne zur Delegitimierung Israels werden aber nicht nur die israelischen »Post- oder Nicht- oder Antizionisten«, von Uri Avnery über Ilan Pappe, Akiva Orr oder Michael Warschawski bis hin zu Moshe Zuckermann, sondern auch Autoren wie Gershom Gorenberg, die zwar scharfe Kritik an der israelischen (Besatzungs-)Politik formulieren, dies aber mit einem dezidiert links-zionistischen Anspruch tun und somit »nicht gegen den Zionismus, sondern zu seiner Verteidigung« argumentieren. Die »geradezu zwanghafte Abstraktion von der antisemitischen Bedrohung« sei es, die den sich selbst als orthodoxen zionistischen Juden begreifenden Gorenberg, dem es eben nicht um die Abschaffung des jüdischen Staates geht, dennoch für israel-feindliche Propaganda im Westen anschlussfähig mache.
Die Analyse dieser Agitation stellt den dritten Schwerpunkt Grigats dar. Das »Ressentiment mit bestem Gewissen«, dem es um die »Delegitimierung sowohl Israels als jüdischer Staat als auch seiner konsequenten Selbstverteidigung« geht, stelle Grigat zufolge heutzutage eine der zentralen Herausforderungen für Israel dar und befördere den weltweiten Antisemitismus. Vorreiter dieser Kampagne zu Delegitimierung Israels sei nicht etwa die politische Rechte, auch wenn »Jobbik, NPD und andere Nazis«, mit denen Grigat sich in einem aufschlussreichen Kapitel beschäftigt, mit ihrem offenen Antisemitismus, ihrem kaum verdeckten Hass auf Israel und ihrer keineswegs zufälligen Kumpanei mit dem iranischen Regime auch ihren Beitrag dazu leisten. Federführend bei der Delegitimierung Israels sei vielmehr die politische Linke. War es früher die radikale Linke mit ihrem verkürzten Verständnis von (Anti-)Imperialismus und Kapitalismus sowie ihrem oft unkritischen Bezug auf »nationale Befreiungsbewegungen«, in der der Antizionismus sein Unwesen trieb, so erfreut sich die antizionistische Ideologie heute weit größerer Beliebtheit, ist im politischen Mainstream angekommen und mit Namen wie Jakob Augstein, Günther Grass oder Judith Butler – auch ihr ist ein eigenes Kapitel gewidmet – verbunden. Auch wenn das Bejubeln »unterdrückter Völker« oftmals einem abstrakten Antinationalismus gewichen ist und der Marxismus-Leninismus mittlerweile dem Poststrukturalismus Platz machen musste, die Feindbestimmung ist die gleiche geblieben. Während niemand auf die Idee kommen würde, »Spanien-Kritik«, »Japan-Kritik« oder »Schweden-Kritik« zu betreiben, werden unter dem Label der »Israel-Kritik« die Ressentiments gegen das Land bedient, das heute den »Juden unter den Staaten« darstellt.
In den letzten drei Kapiteln der »Einsamkeit Israels« geht es schließlich um die existenzielle Bedrohung des jüdischen Staates durch das iranische Atomwaffenprogramm, die katastrophale Politik insbesondere Europas, die irgendwo zwischen Appeasement gegenüber dem Mullah-Staat und direkter Kollaboration mit der islamistischen Diktatur anzusiedeln ist, und um Versagen der Linken angesichts der keineswegs mehr fernen Gefahr, dass ein offen antisemitisches Regime, das den vergangenen Holocaust leugnet, in den Besitz jener Waffen gelangt, mit denen es einen neuen in Angriff nehmen könnte. An fundierten Analysen, etwa der Aktzentverschiebungen, die im iranischen Regime mit der Wahl Hassan Rohanis und der an den Westen gerichteten »Charmeoffensive« einhergegangen sind, mangelt es auch in diesem letzten Teil des Buches nicht, doch wird hier besonders deutlich, dass Grigat nicht um die in der Einleitung zu seinem Band angesprochene »universitäre Antisemitismusbewirtschaftung« von Akademikern bemüht ist, für die es keinen Unterschied zu machen scheint, ob sie »über Vernichtungsdrohungen gegen Israel oder isländische Steuerpolitik sprechen«. Gerade in der Auseinandersetzung mit der vom iranischen Regime ausgehenden Bedrohung Israels kommt die Maxime des Kommunikationswissenschaftlers Maximilian Gottschlich zum Tragen, die Grigat in Erinnerung ruft: »In Wahrheit gibt es nur ein einziges tragendes Motiv, sich mit dem Antisemitismus zu beschäftigen: ihm Widerstand entgegenzusetzen.«